Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 4 S 273/22

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5. Mai 2021 - 10 K 2266/21 -, berichtigt durch Beschluss vom 7. Mai 2021, wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Anordnung der Antragsgegnerin, sich amtsärztlich begutachten zu lassen.
Sie ist eine im Jahr 1960 geborene Bundesbeamtin und bei der T. AG tätig. Aufgrund einer Erkrankung aus dem orthopädischen Formenkreis ist sie mit einem Grad von 50 schwerbehindert.
Mit Verfügung vom 22.04.2021 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass zur Überprüfung ihres Gesundheitszustandes eine sozialmedizinische Untersuchung gemäß § 48 BBG veranlasst worden sei. Dagegen erhob die Antragstellerin Widerspruch und hat einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beim Verwaltungsgericht Stuttgart gestellt. Dieses hat mit Beschluss vom 05.05.2021 im Wege der einstweiligen Anordnung festgestellt, dass die Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchs- bzw. nachfolgenden Klageverfahrens nicht verpflichtet ist, sich auf der Grundlage der Anordnung der Antragsgegnerin vom 22.04.2021 ärztlich untersuchen zu lassen. Zur Begründung hat es zunächst zur Zulässigkeit des Antrags trotz § 44a VwGO, zur Eilbedürftigkeit sowie zu Zweifeln an der formellen Ausgestaltung der Anordnung ausgeführt. Diese dürfte jedenfalls in materieller Hinsicht an erheblichen Mängeln leiden. Es sei bereits nicht erkennbar, warum die Antragsgegnerin von (bloßen) Zweifeln i.S.v. § 44 Abs. 6 BBG an der Dienst(un)fähigkeit ausgehe, weil bereits drei Gutachten und zwei ergänzende Stellungnahmen vorlägen. Ob eine Zurruhesetzung angezeigt sei, habe der Dienstvorgesetzte zu entscheiden. Die Anordnung sei auch voraussichtlich unverhältnismäßig, weil die verlangte „Begutachtung des körperlich-physischen Zustandes sowie - sofern erforderlich - psychosomatisch/psychischen Zustandes/körperlich-orthopädischen Zustandes“ über das hinausgehen dürfte, was notwendig sei.
Der Senat hat mit Beschluss vom 20.07.2021 - 4 S 1631/21 - auf die Beschwerde der Antragsgegnerin den Beschluss des Verwaltungsgerichts (mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung) geändert und den Antrag abgelehnt, weil seiner Zulässigkeit § 44a Satz 1 VwGO entgegenstehe. Damit halte der Senat - trotz beachtlicher Einwände - auch aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtseinheit an seiner mit Beschluss vom 13.01.2020 - 4 S 2269/19 - geäußerten Auffassung fest, mit der er sich neuerer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen habe; seitdem ergangene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts böten keinen hinreichenden Anlass zu einer erneuten Aufgabe der Senatsrechtsprechung, weil sie sich nicht entscheidungstragend zu Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verhielten.
Mit Beschluss vom 14.01.2022 - 2 BvR 1528/21 - hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts den Senatsbeschluss vom 20.07.2021 aufgehoben, entschieden, dass dieser die Antragstellerin in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletze, die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen und die Verfassungsbeschwerde im Übrigen nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, die Auffassung, § 44a Satz 1 VwGO stehe der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegen, sei mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar.
Die Beteiligten haben nach Zurückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof erneut Stellung genommen.
II.
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben zu einer Änderung der angegriffenen Entscheidung keinen hinreichenden Anlass.
1. Aufgrund des Kammerbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 14.01.2022 - 2 BvR 1528/21 - ist der Eilantrag der Antragstellerin nicht als unzulässig anzusehen, sondern die Untersuchungsanordnung zumindest einer summarischen Überprüfung (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 28) zu unterziehen. Danach teilt der Senat die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die Untersuchungsanordnung voraussichtlich rechtswidrig ist.
2. a) Gemäß § 44 Abs. 6 und § 48 Abs. 1 BBG ist ein Beamter verpflichtet, sich nach Weisung der für ihn zuständigen Behörde einer amtsärztlichen Untersuchung seines Gesundheitszustandes zu unterziehen, wenn Zweifel bestehen, ob er aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Die Aufforderung, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, unterliegt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgenden formellen und inhaltlichen Anforderungen an die Angabe der Gründe, aus denen sich die Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten ergeben, und an die Bestimmung von Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung, wobei diese Anforderungen nicht absolut gelten, sondern vom Dienstherrn nur nach dem ihm vorliegenden Erkenntnisstand erfüllt werden können (BVerwG, Beschluss vom 16.05.2018 - 2 VR 3.18 -, Juris Rn. 5 f.). Einer solchen Aufforderung müssen tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als naheliegend erscheinen lassen. Die Behörde muss diese tatsächlichen Umstände in der Untersuchungsaufforderung angeben. Der Beamte muss anhand der Begründung die Auffassung der Behörde nachvollziehen und prüfen können, ob die angeführten Gründe tragfähig sind. Des Weiteren muss die Untersuchungsanordnung Angaben zu Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung enthalten. Die Behörde darf dies nicht dem Belieben des Arztes überlassen. Nur wenn in der Aufforderung selbst Art und Umfang der geforderten ärztlichen Untersuchung nachvollziehbar zu ersehen sind, kann der Betroffene nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ihre Rechtmäßigkeit überprüfen. Dementsprechend muss sich der Dienstherr bereits im Vorfeld des Erlasses nach entsprechender sachkundiger ärztlicher Beratung zumindest in den Grundzügen darüber klar werden, in welcher Hinsicht Zweifel am körperlichen Zustand oder an der Gesundheit des Beamten bestehen und welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung geboten sind. Daher muss sich die Behörde mit den vom Beamten vorgelegten Bescheinigungen auseinandersetzen, die unter Umständen eine Untersuchung - ganz oder teilweise - entbehrlich machen können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.04.2014 - 2 B 80.13 -, Juris Rn. 9 ff.).
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Es bedarf in diesem Verfahren keiner Entscheidung, ob weiterhin der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu folgen ist, wonach ein etwaiger Mangel der Untersuchungsaufforderung nicht im weiteren behördlichen oder gerichtlichen Verfahren geheilt werden könne (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2014 - 2 B 80.13 -, Juris Rn. 9), obwohl der Beamte infolge der nunmehrigen Ermöglichung isolierten Rechtsschutzes gegen die Untersuchungsaufforderung das bislang von ihm getragene Prognoserisiko abwenden kann.
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b) aa) Es erscheint zweifelhaft, dass, wovon das Verwaltungsgericht ausgeht, die dargelegten Anforderungen schon deshalb nicht beachtet sein könnten, weil auf dem Formular für den „Auftrag für eine sozialmedizinische Untersuchung“, den die Antragsgegnerin unter dem 22.04.2021 an das B. Zentrum gerichtet hat, keine „beamtenrechtliche(n) Regelungen“ angegeben sind und als Untersuchungsart „Erstuntersuchung - schwerbehindert" eingetragen ist. Soweit es um auf § 44 Abs. 6 BBG gestützte Untersuchungen wegen Zweifeln an der Dienstfähigkeit geht, handelt es sich um eine Erstuntersuchung. Nicht genau auf dem Ausdruck erkennbar ist, ob auf dem Formular hinter „Regelungen“ - wie wohl vom Verwaltungsgericht angenommen - ein Doppelpunkt oder - wie von der Antragsgegnerin vorgetragen - ein Semikolon zur Abgrenzung zur nächsten Zeile „bisher durchgeführte Dienstunfähigkeitsuntersuchungen (nebenstehend)“ steht. Beide Eintragungen berühren aber voraussichtlich nicht den Rechtskreis der Antragstellerin, für die die Untersuchungsanordnung maßgeblich ist.
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bb) Die Antragsgegnerin wendet gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Weiteren ein, eine Untersuchung sei erforderlich, weil Dr. W., die die Antragstellerin 2020 untersucht habe, nicht als Gutachterin gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2, 3 BBG zugelassen sei. Damit geht die Beschwerde jedoch nicht darauf ein, dass das Verwaltungsgericht Zweifel an der Dienstfähigkeit verneint hat, weil bereits drei Gutachten (also zwei weitere neben dem von Dr. W.) und zwei Stellungnahmen vorliegen. Es ist nicht dargelegt - und kann sich aus den vorgelegten „Liste(n) der Ärzte mit Gutachterfunktion“ vom 12.03.2021 und 15.02.2022 auch nicht ergeben -, dass auch Dr. Z und Dr. F., die die Antragstellerin 2017 und 2018 untersucht und begutachtet haben, nicht i.S.v. § 48 Abs. 1 Satz 2 BBG zugelassen sind. Der formale Einwand allein der fehlenden Zulassung von Dr. W. als Gutachterin kann daher die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht erschüttern, dass sich bereits aus früheren Gutachten die Mobilitätseinschränkungen der Antragstellerin ergeben. Bereits im Gutachten aus dem Jahr 2017 heißt es (laut Beschluss), die genannten Bedenken (eingeschränkte Reisefähigkeit, zeitlich nur begrenzt mögliches Stehen) bestünden dauerhaft. Da das Formular über die Eignungsuntersuchung nur ermöglicht anzukreuzen, ob die Einschränkungen „befristet, voraussichtlich bis:“ oder „voraussichtlich dauernd“ bestehen, kann im Übrigen - anders als es in der Beschwerdebegründung anklingt - aus dem „voraussichtlich“ keine neue Relativierung der Dauerhaftigkeit der Einschränkungen abgeleitet werden; von einer Befristung ist auch Dr. W. nicht ausgegangen. Dies deckt sich damit, dass die Antragstellerin - soweit ersichtlich unwidersprochen - in einem Schreiben vom 16.07.2020 während des Verwaltungsverfahrens angegeben hat, ihre Gehbeeinträchtigung und die damit einhergehende Mobilität seien seit vielen Jahren bekannt und sie selbst sei „bereits vor 10 Jahren vom Arbeitgeber als Härtefall klassifiziert“ worden.
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Die weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung, dass der Begriff der Dienstunfähigkeit nicht allein auf die Person des Beamten abstelle, sondern auch an die Bedürfnisse des Dienstherrn anknüpfe, und dass ein Bundesbeamter, der lediglich noch an seinem Wohnort und/oder in Teleheimarbeit beschäftigt werden könne, nicht dienstfähig sei, stützen sogar die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass es einer rechtlichen Entscheidung und keines weiteren Gutachtens bedürfe.
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cc) Aufgrund dieser Umstände ist schließlich nicht erkennbar, wie die Antragsgegnerin in der Untersuchungsanordnung zu der Einschätzung kommt, es bestünden keine („mangels“) „Anhaltspunkte, aus welchem medizinischen Formenkreis Ihre Mobilitätseinschränkungen herrühren“. In der Beschwerdebegründung heißt es insoweit, der Antragstellerin sei lediglich vorsorglich mitgeteilt worden, dass zum jetzigen Zeitpunkt mangels vorliegender Erkenntnisse eine über die körperliche Untersuchung hinausgehende Zusatzbegutachtung nicht ausgeschlossen werden könne, und die Erforderlichkeit einer Begutachtung des psychosomatischen/psychischen Zustandes werde vom Verlauf der Untersuchung abhängig gemacht und der diesbezüglichen ärztlichen Einschätzung und Entscheidung des Herrn Dr. R. überlassen. Dies lässt nicht erkennen, dass sich die Antragsgegnerin - wie erforderlich - damit auseinandergesetzt hat, inwiefern vorliegende medizinische Unterlagen eine Begutachtung entbehrlich machen, und wird auch nicht der Anforderung gerecht, dass Art und Umfang der Untersuchung nicht in das Belieben des Arztes gestellt werden dürfen, sondern nachvollziehbar sein müssen. Sollten sich im Rahmen einer Untersuchung Zweifel an der Dienstfähigkeit aufgrund von Krankheiten aus weiteren medizinischen Bereichen ergeben, ist eine Behörde nicht gehindert, eine Ergänzung ihrer Untersuchungsanordnung vorzunehmen. Im vorliegenden Fall aber sind keine tragfähigen Gründe erkennbar für die angeordnete und in ihrem Umfang potentiell grenzenlose „Begutachtung des körperlich-physischen Zustandes sowie - sofern erforderlich - psychosomatisch/psychischen Zustandes/körperlich-orthopädischen Zustandes“.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG und entspricht der des Verwaltungsgerichts.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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