Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 14 S 1991/22

Tenor

Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer Zwischenverfügung wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers vom 08.09.2022, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 21.12.2021 gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Landratsamts Schwäbisch Hall vom 10.11.2021 für den Betrieb einer – bereits bestehenden – Windenergieanlage im Zeitraum vom 16.09. bis zum 15.11. eines jeden Jahres von einer Stunde vor Sonnenaufgang bis eine Stunde nach Sonnenuntergang im Wege einer Zwischenverfügung vorläufig bis zu einer abschließenden Entscheidung im Eilverfahren anzuordnen, hat keinen Erfolg.
Mit dem hiernach begehrten Erlass eines sog. Hängebeschlusses kann während eines anhängigen Eilverfahrens eine Regelung für den Zeitraum zwischen Eingang des Eilverfahrens bei Gericht und der gerichtlichen Entscheidung über den Eilantrag getroffen werden. Die Befugnis zum Erlass eines solchen Hängebeschlusses ergibt sich unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.10.2013 - 1 BvR 2616/13 - NVwZ 2014, 363, juris; HessVGH, Beschluss vom 07.10.2014 - 8 B 1686/14 - NVwZ 2015, 447, juris). Der Erlass eines Hängebeschlusses ist zulässig und geboten, wenn das Eilverfahren nicht entscheidungsreif, der Eilantrag nicht von vornherein aussichtslos ist und ohne die befristete Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung die Gewährung des durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebotenen effektiven Rechtsschutzes gefährdet wäre, weil irreversible Zustände oder schwere unabwendbare Nachteile einzutreten drohen (vgl. OVG M-V, Beschluss vom 18.05.2021 - 1 M 235/21 OVG - juris Rn. 19; Beschluss vom 04.04.2017 - 3 M 195/17 - NVwZ-RR 2017, 904, juris; HessVGH, Beschluss vom 07.10.2014 - 8 B 1686/14 - NVwZ 2015, 447, juris Rn. 18). In den Fällen des § 80a Abs. 1, Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO kann ein Hängebeschluss zudem nicht ergehen, ohne dass auch die Interessen des (beigeladenen) Begünstigten in den Blick genommen werden.
Die hiernach maßgeblichen Voraussetzungen für den Erlass eines Hängebeschlusses liegen nicht vor. Zwar ist der Eilantrag gemäß § 80a Absätze 1 Nr. 2, 3, § 80 Abs. 5 VwGO nicht von vornherein unzulässig, insbesondere wurde er statthaft erhoben, weil der gesetzlich in § 63 BImSchG angeordnete Sofortvollzug auch für die vorliegend gegenständliche Änderungsgenehmigung gilt (vgl. Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 97. EL, § 63 Rn. 8 f.). Es droht hier jedoch keine Gefährdung des effektiven Rechtsschutzes, wenn der Senat den beantragten Hängebeschluss nicht erlässt. Insbesondere drohen nicht deshalb irreversible Zustände oder schwere unabwendbare Nachteile, weil der Senat über den gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung gerichteten Eilantrag nicht schon vor erstmaligem Beginn des von der Genehmigung erfassten Zeitraums, sondern angesichts von vornherein kurz bemessener, aber eben noch laufender Stellungnahmefristen voraussichtlich erst währenddessen wird entscheiden können.
Der vom Antragsteller geltend gemachte Verstoß der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung betreffend die Ausweitung der Betriebszeiten einer bestehenden Windenergieanlage gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG mit der Begründung, durch diese überschreite das rotmilanbezogene Tötungsrisiko die danach maßgebliche Signifikanzschwelle, dürfte im Wesentlichen reversibel sein. Dass für die Schaltung der Windenergieanlage in den streitbefangenen Stunden jenseits technischer Einstellungen größere, etwa bauliche oder sonst nur mit Aufwand rückgängig zu machende Änderungen vorzunehmen wären, ist nicht zu erkennen.
Aber auch der Umstand, dass eine am Maßstab des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG als rechtswidrig beanstandete Risikosteigerung vorübergehend bis zu einer Entscheidung über den Eilantrag unwiederbringlich einträte, zwingt hier nicht zum Erlass eines Hängebeschlusses. Insbesondere lassen sich dem Vorbringen des Antragstellers keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Genehmigung das Tötungsrisiko insgesamt – oder auch nur beschränkt auf einen bestimmten Zeitraum oder auf bestimmte Tageszeiten – massiv über die maßgebliche Signifikanzschwelle steigern würde und dass (deshalb) zeitnah mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Verlusten zu rechnen wäre, die späteren Eilrechtsschutz nutz- und wirkungslos erscheinen ließen.
Soweit der Antragsteller geltend macht, dass die Genehmigung den fachlichen Vorgaben der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) in ihren Hinweisen zur Erfassung und Bewertung von Vogelvorkommen bei der Genehmigung von Windenergieanlagen insoweit nicht Genüge tun würde, als von einer häufigen Frequentierung des Gefahrenbereichs der innerhalb eines Radius von 1.000 m um die Ruhestätten des Rotmilans stehenden Windenergieanlage zu rechnen sei, begründet dies keinen schwerwiegenden Mangel im Sinne einer erheblichen Überschreitung der Signifikanzschwelle. Denn in dieser Genehmigung wird unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die LUBW-Hinweise aus dem Jahr 2021 und diesen jedenfalls auf den ersten Blick entsprechend (vgl. dort S. 159) ausgeführt, dass im Gebiet gerade keine Flugkorridore entstünden, die als häufig frequentiert gelten könnten. Dass dies offensichtlich defizitär wäre, legt der Antragsteller nicht nachvollziehbar dar. Soweit der Antragsteller sich im Übrigen gegen die Schutzkategorienbildung in den genannten Hinweisen der LUBW wendet, indem er etwa geltend macht, ein Schutzbedarf bestehe auch jenseits des dem Rotmilan danach unter dem Gesichtspunkt der sog. Dichtezentren brutzeitbezogen gewährten Schutzes im Fall von sog. Schlafgemeinschaften, ist ein entsprechend schwerwiegender Mangel ebenfalls – auch unter Berücksichtigung der vom Antragsteller zitierten fachlichen Quellen – nicht aufgezeigt. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass dem Senat im gerichtlichen Eilverfahren keine weitergehenden Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Meinungsverschiedenheiten der jeweiligen Sachverständigen einer fachlichen Klärung zuzuführen. Die hieraus folgenden Grenzen der richterlichen Kontrolle naturschutzfachlicher Bewertungen der Genehmigungsbehörde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.10.2018 - 1 BvR 595/14 - BVerfGE 149, 407 Rn. 17 ff.) haben im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren – und damit erst recht bei Erlass einer Zwischenverfügung – eine weitgehende rechtliche Unerheblichkeit solcher naturschutzfachlicher Kontroversen zur Folge, die noch nicht abschließend ausgetragen sind (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.01.2022 - 10 S 1861/21 - EnZW 2022, 132, juris Rn. 26 m. w. N.).
Die gegen den Erlass eines Hängebeschlusses sprechenden Gründe gewinnen hier zusätzlich dadurch Gewicht, dass der Antragsteller seinen Eilantrag ohne nachvollziehbaren Grund nicht so frühzeitig gestellt hat, dass dem Senat eine das Eilverfahren abschließende Entscheidung vor dem 16.09.2022 möglich gewesen wäre (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 03.12.2008 - 1 MN 257/08 - juris Rn. 16). Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Antragsteller hier als Sachwalter öffentlicher Interessen auftritt und insoweit keine eigenen subjektiven Rechte geltend macht. Denn die genannte prozessuale Obliegenheit trifft ihn (erst recht), wenn er die den Rechtsschutz grundsätzlich nur für subjektive Rechtsverletzungen garantierende Gewährleistung aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für sich in Anspruch nimmt.
Ein hiernach möglicherweise vorübergehend unwiederbringlich über die Signifikanzschwelle gesteigertes Risiko gibt dem Senat vor diesem Hintergrund keinen Anlass, die gewichtigen privaten und öffentlichen Interessen an der dem Begünstigten erteilten Genehmigung (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.03.2021 - 7 B 8/21 - ZNER 2021, 209, juris, im Anschluss daran VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 26.10.2021 - 10 S 471/21 - juris, und HessVGH, Beschluss vom 11.01.2022 - 3 B 2278/21.T - juris) bis zur vom Senat zeitnah angestrebten abschließenden Entscheidung des Eilverfahrens zurücktreten zu lassen.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da die bei Erlass einer Zwischenentscheidung entstehenden Kosten Teil der Kosten des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nach § 80a Absätze 1 Nr. 2, 3, § 80 Abs. 5 VwGO sind. Denn die Zwischenentscheidung soll nur die Zeitspanne bis zum Ergehen der Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts überbrücken. Sie ergeht daher nicht in einem gegenüber dem Eilverfahren selbständigen Nebenverfahren (VGH Bad.-Württ, Beschluss vom 26.09.2017 - 2 S 1916/17 - juris Rn. 10 m. w. N.).
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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