Urteil vom Amtsgericht Essen - 22 C 9/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d
2Die Klägerin macht mit der Klage Versicherungsbeiträge aus einer zwischen den Parteien bestehenden privaten Krankenversicherung für den Zeitraum 01.05.2012 bis 01.01.2013 geltend.
3Die monatliche Beitragspflicht belief sich in dem bestehenden Tarif auf 429,52 €. Der im Notlagentarif geltende monatliche Beitrag belief sich im streitgegenständlichen Zeitraum auf 100,92 €.
4Nach eingetretenem Zahlungsverzug des Beklagten stellte die Klägerin mit Schreiben vom 03.05.2011 das Ruhen der Leistungen aus der privaten Krankenversicherung fest.
5Der Beklagte leistete am 21.12.2012 einen Betrag in Höhe von 1.389,54 €, am 08.03.2013 einen Betrag in Höhe von 429,52 € und am 28.05.2013 einen weiteren Betrag in Höhe von 429,52 € an die Klägerin, ohne jedoch eine Tilgungsbestimmung zu treffen.
6Mit Schreiben vom 22.03.2013 verweigerte die Klägerin die Erstattung eingereichter Arztrechnungen und bezog sich diesbezüglich auf das bereits festgestellte Ruhen der Leistungen.
7Am 25.03.2013 trat der Beklagte eine Haftstrafe an, aus der er am 14.11.2013 wieder entlassen wurde.
8Unter dem 22.04.2013 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er sich in Haft befinde und über die Justizbehörde krankenversichert sei. Mit Schreiben vom 08.05.2013 bot die Klägerin dem Beklagten den Abschluss einer Anwartschaftsversicherung für die Haftdauer an. Unter dem 22.05.2013 erklärte der Beklagte die Annahme der Anwartschaftsversicherung.
9Die Klägerin behauptet, die Zahlung des Klägers in Höhe von 1.389,54 € vom 21.12.2012 auf ältere und bereits titulierte Beitragsforderungen verrechnet zu haben. Lediglich in Höhe eines Betrags 185,62 € habe eine Verrechnung auf die Forderungen aus dem streitgegenständlichen Prämienzeitraum erfolgen können. Die beiden weiteren Zahlungen seien ausweislich des geänderten Klageantrages bereits berücksichtigt. Sie ist der Auffassung, dass der Beklagte nicht in den Notlagentarif gem. § 12h VAG eingestuft werden könne, da zum Stichtag des 01.08.2013 das Ruhen der Leistungen nicht gem. § 193 Abs. 6 S. 1 VVG festgestellt gewesen sei, da der Beklagte sich zu diesem Zeitpunkt in Haft befunden habe und gem. § 56 Abs. 1 StVollzG krankenversichert gewesen sei. Zum Stichtag des 01.08.2013 habe kein substitutiver Krankenversicherungsvertrag, bei dem das Ruhen der Leistungen gem. § 193 Abs. 6 VVG festgestellt werden kann, sondern lediglich eine Anwartschaftsversicherung zwischen den Parteien bestanden.
10Die Klägerin kündigte nach Klagerücknahme in Höhe von 67,79 € und teilweiser Erledigungserklärung in Höhe von 859,04 € zunächst den Antrag an, den Beklagten zu verurteilen an die Klägerin 2.391,50 € nebst 1 Prozent Säumniszuschläge pro angefangenen Monat jeweils aus 243,90 € aus Mai 2012 und je aus 429,52 € seit Juni 2012, sowie Auskunftskosten in Höhe von 0,69 € zu zahlen. Sodann erklärte die Klägerin den Rechtsstreits in Höhe von weiteren 56,74 € teilweise in der Hauptsache für erledigt und beantragt nunmehr,
11den Beklagten wird zu verurteilen, an den Klägerin 2.334,76 € nebst 1% Säumniszuschlag pro angefangenen Monat jeweils aus 243,90 € seit Mai 2012 und je aus 429,52 € seit Juni, Juli, August, September, Oktober, November und Dezember 2012 sowie Auskunftskosten in Höhe von 0,69 € zu zahlen.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Der Beklagte behauptet, dass Beitragsrückstände für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht bestünden. Der Beklagte ist der Ansicht, dass er in den Notlagentarif einzustufen gewesen sei und demgemäß für den streitgegenständlichen Zeitraum lediglich einen monatlichen Beitrag in Höhe von 100,92 € schulde. Die Voraussetzungen für die Einstufung in den Notlagentarif lägen vor. Das Ruhen der Leistungen sei bereits im Mai 2011 festgestellt worden. Daran habe sich weder während der Haftdauer noch nach seiner Entlassung aus dieser etwas geändert. Während seiner Haft habe der Versicherungsvertrag fortbestanden, lediglich seine Durchführungsform sei von der aktiven Phase in eine Ruhensphase geändert worden. Es könne nach dem Sinn und Zweck des § 12h VAG nicht darauf ankommen, dass das Versicherungsverhältnis ununterbrochen „normal“ fortgeführt werde. Intention des Gesetzgebers sei die Entlastung der Versicherungsnehmer gewesen.
15Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen Ihnen gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
18Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung rückständiger Beiträge in Höhe von 2.334,76 € aus § 1 VVG i.V.m. dem bestehenden privaten Krankenversicherungsvertrag.
19In dem streitgegenständlichen Zeitraum von Mai 2012 bis einschließlich Dezember 2012 bestand für den Beklagten lediglich eine eingeschränkte Beitragspflicht in Höhe von monatlich 100,92 €, da für den Beklagten rückwirkend der gesetzliche Notlagentarif gem. § 193 Abs. 7 VVG i.V.m. § 12h VAG gilt. In dem streitgegenständlichen Zeitraum schuldete der Beklagte insgesamt Beiträge in Höhe von 807,36 € (8 Monate x 100,92 €). Durch die unstreitig geleisteten Zahlungen des Beklagten am 08.03.2013 und 28.05.2013 in Höhe von jeweils 429,52 €, die die Klägerin auf die Klageforderung verrechnet hat, ist bereits vollständige Erfüllung gem. § 362 BGB für den allein in Streit stehenden Zeitraum eingetreten.
20Die Voraussetzungen für die Einstufung in den gesetzlichen Notlagentarif gem. § 193 Abs. 7 VVG, § 12h VAG liegen vor.
21Das Ruhen der Leistungen gem. § 193 Abs. 6 Satz 1 VVG war bereits im Mai 2011 festgestellt worden. Das Ruhen der Leistungen bestand auch noch zum Stichtag am 01.08.2013 fort.
22Zwar befand sich der Beklagte vom 25.03.2013 bis zum 14.11.2013 in Haft und war demgemäß während des Stichtags am 01.08.2013 über § 56 Abs. 1 StVollzG krankenversichert. Allerdings schloss der Beklagte für den Zeitraum der Haft eine Anwartschaftsversicherung ab, die weder dazu führte, dass der Versicherungsvertrag beendet, noch dass das Ruhen der Leistungen aufgehoben wurde. Vielmehr wurde der bestehende Versicherungsvertrag - und zwar in seiner ohnehin bereits ruhenden Phase - von seiner aktiven in eine ruhende Phase überführt, die wieder auflebte, als der Versicherungsvertrag fortgeführt wurde.
23Denn eine Anwartschaftsversicherung verfolgt den Zweck, latente Rechte aufzubauen und bereits erworbene Rechte zu erhalten. Der Versicherte erwirbt bzw. behält eine Anwartschaft auf alle Rechte aus der Versicherung mit Ausnahme der Leistungsansprüche aus Versicherungsfällen, die während der Dauer der Anwartschaftsversicherung eintreten (vgl. Münchener Kommentar-Boetius, VVG 1. Aufl. 2009, Vor § 192 Rn. 608). Die Anwartschaftsversicherung begründet den vollen Versicherungsschutz des jeweiligen Tarifs mit Ausnahme der laufenden Leistungsansprüche (vgl. Münchener Kommentar-Boetius, VVG 1. Aufl. 2009, Vor § 192 Rn. 608).
24Nach Auffassung des erkennenden Gerichts bedeutet dies, dass nach Wiederaufleben des bestehenden privaten Krankenversicherungsvertrages dieser so fortbesteht und zu behandeln ist, als habe die ruhende Phase aufgrund des abgeschlossenen Anwartschaftsversicherungsvertrags nie bestanden.
25Andernfalls führte der Umstand, dass die Klägerin im vorliegenden Fall während der Haft des Beklagten nicht einmal mehr den eingeschränkten Versicherungsschutz schuldete, sogar noch zu dem Ergebnis, dass sie trotzdessen Anspruch auf die vollen Beiträge hätte. Wohingegen eine Einstufung in den Notlagentarif ohne Weiteres erfolgt wäre, wenn der Beklagte nicht inhaftiert gewesen wäre und aufgrund dessen noch eingeschränkten Versicherungsschutz der Klägerin genossen hätte.
26Dies entspricht nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes, welcher darin liegt, die Versicherungsnehmer zu entlasten, die nach alter Rechtslage nach Feststellung des Ruhens der Leistungen nach § 193 Abs. 6 Satz 1 VVG nur noch stark eingeschränkten Versicherungsschutz genossen, jedoch weiterhin zur vollen Beitragspflicht verpflichtet waren. Genau in dieser Situation befand sich auch der Beklagte und zwar vor Antritt der Haftstrafe als auch nach seiner Entlassung aus dieser.
27Der Beklagte ist somit rückwirkend zum Zeitpunkt der früheren Ruhendstellung im Mai 2011 im Notlagentarif gem. §12 h VAG mit reduzierter Beitragspflicht versichert, da die monatliche Prämie des Notlagentarifs (100,92 €) günstiger ist, als diejenige, die in diesem Zeitpunkt geschuldet war (429,52 €).
28Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
29Der Streitwert des Rechtsstreits wird zunächst auf 3.318,33 €, ab dem 10.06.2013 auf 2.391,50 € und ab dem 19.08.2013 auf 2.334,76 € auf festgesetzt.
30Rechtsbehelfsbelehrung:
31A) Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
32a) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
33b) wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
34Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
35Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Essen zu begründen.
36Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Essen durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
37Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
38B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Essen statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
39Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
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Referenzen
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- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 12h VAG 3x (nicht zugeordnet)
- § 1 VVG 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 362 Erlöschen durch Leistung 1x
- § 193 Abs. 6 S. 1 VVG 1x (nicht zugeordnet)
- StVollzG § 56 Allgemeine Regeln 2x
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- § 193 Abs. 6 Satz 1 VVG 2x (nicht zugeordnet)