Beschluss vom Amtsgericht Ludwigslust - 5 F 76/09

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer Verbleibensanordnung wird zurückgewiesen.

II. Es wird festgestellt, dass sich das Verfahren im Übrigen in der Hauptsache erledigt hat.

III. Gerichtskosten werden nicht erhoben; eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen findet nicht statt.

IV. Der Geschäftswert wird auf 8.000,00 € festgesetzt.

Gründe

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I. Gegenstand des Verfahrens sind Maßnahmen nach § 1666 BGB bzw. das Erfordernis einer Verbleibensanordnung sowie von Umgangsregelungen bezüglich eines in einer Pflegefamilie lebenden Kindes.

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Aus einer nichtehelichen Beziehung der zwischenzeitlich getrennt lebenden Kindeseltern ist das Kind A. N., geboren 2006, hervorgegangen; eine gemeinsame Sorgeerklärung gaben die Eltern zunächst nicht ab. Bereits 2006 wurde auf Antrag der Kindesmutter nach Anzeichen für deren Überforderung mit der Versorgung und der Feststellung von Hämatomen bei dem Kind dieses in einer Kurzzeitpflegestelle untergebracht; 2006 erfolgte die Rückführung des Kindes in seine leibliche Familie. Anfang des Jahres 2007 gab es erneute Anzeichen für eine Misshandlung des Kindes, das daraufhin wieder bis 2007 in einer Kurzzeitpflegestelle untergebracht wurde, während die Kindesmutter sich in eine stationäre psychiatrische Behandlung begab. Anfang xxx 2007 kam es sodann zu weiteren Tätlichkeiten der Kindesmutter gegen das Kind als Reaktion auf Konflikte mit dem Kindesvater, bezüglich dessen eine Kenntnis von, Anwesenheit bei oder gar Beteiligung an solchen Übergriffen nicht erkennbar ist. Das Kind befand sich danach seit 2007 bis heute im Rahmen einer Vollzeitpflegemaßnahme in einer Pflegefamilie. Wie bei den vorhergehenden Zeiträumen der Kurzzeitpflege fanden Umgangstermine mit den leiblichen Kindeseltern statt; nachdem ein Arztbericht neben einem erhöhten Förderbedarf des Kindes eine gestörte Bindung zu seinen Eltern aufgrund der Misshandlungserfahrungen feststellte, wurde die Zahl der Umgänge seitens des Jugendamtes ab 2008 reduziert. In 2008 gaben die Kindeseltern schließlich eine gemeinsame Sorgeerklärung ab und machten deutlich, dass der Kindesvater beabsichtige, das Kind in seinen Haushalt aufzunehmen und dort dauerhaft zu betreuen, zu erziehen und zu versorgen.

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Das Jugendamt stellte daraufhin einen Antrag auf Einschränkung der elterlichen Sorge der Kindeseltern hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechtes, des Erziehungsrechtes und der Gesundheitsfürsorge. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass trotz der räumlichen Trennung der Kindeseltern eine erneute Kindeswohlgefährdung bzw. Kindesmisshandlung nicht ausgeschlossen werden könne; die Kindeseltern wohnten auch nach ihrer offiziellen Trennung in unmittelbarer Nähe zueinander. Die traumatischen Erlebnisse des Kindes in seiner Herkunftsfamilie könnten im Falle seiner Rückführung in diese zu einer Retraumatisierung führen; aufgrund der insbesondere angesichts des Alters des Kindes bereits sehr häufigen Beziehungsabbrüche benötige es dringend Stabilität, Verlässlichkeit und Sicherheit durch kontinuierliche Bezugspersonen. Nach den schon gescheiterten Rückführungsversuchen sei ein weiterer weder fachlich zu vertreten noch für das Kind verantwortbar.

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Vor diesem Hintergrund wurde ein Gutachten der Sachverständigen U. E. eingeholt zu der Frage, ob eine Rückführung des Kindes in den Haushalt des Kindesvaters mit einer Kindeswohlgefährdung verbunden sei, sowie zu der möglichen Gestaltung von Umgangskontakten. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass eine Rückführung des Kindes in den Haushalt seines Vaters nicht unmittelbar befürwortet werden könne, weil dafür erst weitere Voraussetzungen geschaffen werden müssten wie insbesondere der Ausbau einer positiven Vater-Tochter-Beziehung durch entsprechende Umgänge, deren Intensivierung keine Bedenken entgegenstünden.

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Die Kindeseltern erklärten auf dieser Grundlage, keine unmittelbare Rückholung des Kindes in den Haushalt des Kindesvaters zu beabsichtigen, sondern diese zunächst durch eine Erweiterung des Umganges vorbereiten zu wollen. Der Kindesvater stellte bei dem Jugendamt einen auf ein Jahr befristeten Antrag auf Hilfe zur Erziehung. Die Umgangsgestaltung wird dort im Rahmen von Hilfeplangesprächen abgestimmt und die teilweise beobachteten Umgänge gestalten sich nach anfänglichen Bedenken wegen bei dem Kind in der Folge festgestellter Auffälligkeiten positiv.

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In diesem Stadium beantragte nunmehr die Pflegemutter eine Verbleibensanordnung bezüglich des Kindes. Die Pflegemutter ist der Auffassung, für das bei einer Verbleibensanordnung vorausgesetzte Wegnahmeverlangen reiche es aus, dass die Kindeseltern auf einer Rückführung des Kindes bestünden, auch wenn offen bleibe, wann konkret diese erfolgen solle; in dieser Hinsicht könne nur eine Verbleibensanordnung dem Kind die Sicherheit geben, auf absehbare Zeit in der Pflegefamilie verbleiben zu können und nicht befürchten zu müssen, etwa von einem Umgangstermin einfach nicht mehr dorthin zurückgebracht zu werden, nachdem die Kindesaltern nur eine "unmittelbare" Rückholung des Kindes ausgeschlossen hätten. Nach den derzeitigen Verhältnissen komme eine Rückführung des Kindes zu dem Kindesvater weiterhin nicht in Betracht, während aufgrund der in seiner Herkunftsfamilie erlittenen psychischen und physischen Schädigungen auch ein dauerhafter Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie angeordnet werden könne.

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Das Jugendamt hält mit ähnlicher Begründung - insoweit in der letzten mündlichen Verhandlung von 2010 nicht protokolliert - an seinem Antrag auf Einschränkung der elterlichen Sorge fest, weil sich anders keine Sicherheit für das Kind und die Pflegefamilie erreichen ließe bzw. die nicht ausgeräumte Möglichkeit einer letztlichen Rückführung des Kindes in seine Herkunftsfamilie sich nachteilig bzw. sogar gefährdend auf dessen Entwicklung auswirken könne.

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II. Der Antrag der Pflegemutter auf Erlass einer Verbleibensanordnung war zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen des § 1632 Abs. 4 BGB nicht vorliegen; lebt das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und wollen die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen, so kann das Familiengericht danach von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde.

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1. Zunächst fehlt es bereits an einem Wegnahmeverlangen der Kindeseltern im Sinne der genannten Vorschrift. Die Kindeseltern haben erklärt, eine unmittelbare Rückholung des Kindes nicht zu beabsichtigen, eine solche aber jedenfalls durch eine Ausweitung der Umgangskontakte vorbereiten zu wollen.

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a. Zwar soll es nach einer Ansicht für eine Verbleibensanordnung insoweit offenbar ausreichen, dass der gegenwärtige Verbleib eines Kindes in seiner Pflegefamilie auch von dessen sorgeberechtigten leiblichen Eltern nicht in Zweifel gezogen, von diesen aber als solcher auf nicht konkret absehbare Zeit laufend tatsächlich in Frage gestellt und kein eindeutiges Einverständnis mit einem dauerhaften Verbleib abgegeben wird (vgl. OLG Celle FamRZ 2007, 659).

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b. Bei einem solchen Verständnis werden jedoch die betroffenen Grundrechtspositionen der leiblichen Eltern völlig außer Betracht gelassen. Bei einer Entscheidung nach § 1632 Abs. 4 BGB, die eine Kollision zwischen dem Interesse der Eltern oder des allein sorgeberechtigten Elternteils an der Herausgabe des Kindes und dem Kindeswohl voraussetzt, verlangt die Verfassung eine Auslegung der Regelung, die sowohl der Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als auch dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Rechnung trägt (vgl. BVerfG FamRZ 2004, 771). Unabhängig davon, ob ein Pflegeverhältnis aufgrund behördlicher Anordnung oder eines freiwilligen Entschlusses der Kindeseltern zustandegekommen ist, ist in Übereinstimmung mit dem Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG anzustreben, Pflegeverhältnisse nicht so zu verfestigen, dass die leiblichen Eltern mit der Weggabe in nahezu jedem Fall den dauernden Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie befürchten müssen; Pflegeverhältnisse sind vielmehr institutionell auf Zeit angelegt und das Ziel, das Kind in den Haushalt der leiblichen Eltern (zurück) zu führen, darf mit Rücksicht auf die genannten Grundrechtspositionen nicht aufgegeben werden, weshalb gegebenenfalls mit einer Umgangsregelung parallel zu einer Verbleibensanordnung sicherzustellen ist, dass das Kind schrittweise an die Herkunftsfamilie herangeführt werden kann (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2009,61 m. w. N.). Selbst wenn dann zu einem bestimmten Zeitpunkt unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls der Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie (noch) angezeigt ist, schließt es bereits eine verfassungskonforme Auslegung des § 1632 Abs. 4 BGB aus, schon allein den Wunsch oder das perspektivische Bemühen der leiblichen Eltern bezüglich einer weiter in der Zukunft liegenden Rückführung des Kindes in die Herkunftsfamilie als Wegnahmeverlangen im Sinne des § 1632 Abs. 4 BGB einzuordnen.

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2. In einer Verbleibensanordnung liegt ein erheblicher Einschnitt in die Personensorge, weil sie rechtlich die Geltendmachung eines Herausgabeanspruchs gemäß § 1632 Abs. 1 BGB, also eine unbeschränkte Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gemäß § 1631 Abs. 1 BGB untersagt und faktisch zugleich die Eltern von der Ausübung weiterer nicht entzogener Personensorgerechtsbereiche wie Pflege und Erziehung ausschließt, ohne zugleich explizit diese Bereiche den Eltern zu entziehen (vgl. Staudinger-Salgo, Kommentar zum BGB, Bearbeitung 2007, § 1632 Rn. 93). Bezüglich solcher Eingriffe ist wegen der bereits dargestellten Grundrechtsrelevanz im Weiteren regelmäßig der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt zu beachten, wie er seinen Niederschlag auch in § 1666a BGB gefunden hat. Soweit es in diesem Rahmen maßgeblich auf die Erforderlichkeit von Maßnahmen ankommt, hat es bei der Subsidiarität des staatlichen Eingriffes zu verbleiben, wenn sich auch ohne einen solchen keine Nachteile für das Kindeswohl ergeben (vgl. auch AG Ludwigslust FamRZ 2010, 388 m. w. N.). Wenn die Gerichte sich beispielsweise bei der Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils davon nach dem der notwendigen gesetzlichen Ausgestaltung des Elternrechts dienenden § 1671 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 BGB nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als milderes Mittel mit Teilentscheidungen zu begnügen haben, wo immer dies dem Kindeswohl Genüge tut, muss dieses Prinzip umso mehr gelten, wenn es um die Entscheidung geht, ob überhaupt in die elterliche Sorge einzugreifen ist (vgl. AG Ludwigslust FamRZ 2010, 390 m. w. N.).

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a. Die Frage der Erforderlichkeit ist in § 1632 Abs. 4 BGB in diesem Sinne schon durch die Fassung der Norm berücksichtigt, nachdem danach eine Verbleibensanordnung ergehen kann, "wenn und solange" das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde; der Zweck der Vorschrift besteht demnach darin, das in Pflege befindliche Kind davor zu schützen, dass es zur Unzeit aus der Pflegefamilie herausgenommen wird (vgl. Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth-Schwer, juris Praxiskommentar zum BGB, Stand: 21.07.2009, § 1632 Rn. 35 und 37 m. w. N.). Ob eine solche Unzeit gegeben ist, lässt sich wiederum nur nach dem Zeitpunkt beurteilen, zu dem eine Wegnahme durch die Sorgeberechtigten konkret begehrt wird, was seitens der hier betroffenen Kindeseltern derzeit nicht der Fall ist; selbst wenn man in diesem Zusammenhang auf die Verwendung von Formulierungen wie: "so schnell wie möglich" abstellen wollte, bleibt auch nach dieser doch noch immer völlig offen, wann und insbesondere ob überhaupt eine Rückführung des Kindes erfolgen kann. Soweit die Kindeseltern selbst keine bestimmten zeitlichen Vorstellungen dazu geäußert haben, wann sie von einer Rückführung des Kindes in den Haushalt des Kindesvaters ausgehen, sondern dies von der weiteren Vorbereitung durch die Umgangskontakte abhängig machen, könnte dann allenfalls die Befristung des Antrages auf Hilfe zur Erziehung auf ein Jahr einen Anhaltspunkt geben; gegenwärtig lässt sich aber vorausschauend in keiner Weise prognostizieren, wie sich die Situation dann darstellen wird und ob gegebenenfalls weiterhin eine Kindeswohlgefährdung mit der Herauslösung des Kindes aus der Pflegefamilie einherginge. Ebenso wenig sind nach dem bisherigen Verlauf Anhaltspunkte für eine Gefahr erkennbar, dass die Kindeseltern das Kind eigenmächtig schlichtweg nicht mehr von einem Umgangs zurückbringen könnten. Nach dem eingangs Gesagten steht die Subsidiarität des staatlichen Eingriffes unter solchen Umständen dem Erlass einer Verbleibensanordnung im Sinne eines reinen Vorratsbeschlusses eindeutig entgegen.

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b. Wenn das Jugendamt und die Pflegemutter daneben darauf abstellen, dass durch eine Verbleibensanordnung die erforderliche Sicherheit hinsichtlich des dauerhaften Verbleibes in der Pflegefamilie für das Kind geschaffen werden müsse, so erscheint ein Beschluss nach § 1632 Abs. 4 BGB hierfür nicht einmal geeignet.

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aa. Denn eine Verbleibensanordnung kann gemäß § 1696 BGB jederzeit aufgehoben und so der Weg für ein dann gegebenenfalls erfolgreiches Herausgabeverlangen der leiblichen Eltern frei gemacht werden (vgl. Palandt-Diederichsen, Kommentar zum BGB, 69. Aufl., 2010, § 1632 Rn. 17). Jedenfalls verfahrensrechtlich würde sich der durch eine jetzt ergehende Verbleibensanordnung erreichte Zustand daher allein als ein solcher der Scheinsicherheit darstellen; denn auch wenn § 1696 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Änderung einer gerichtlichen Anordnung zum Sorgerecht triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe erfordert, wäre zumindest eine jederzeitige diesbezügliche Antragstellung der leiblichen Eltern nicht ausgeschlossen mit den sich daraus regelmäßig ergebenden Unsicherheiten hinsichtlich des Ausganges des betreffenden neuen Verfahrens.

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bb. Es muss hierbei insbesondere miteinbezogen werden, dass sich aus den teilweise geradezu zu Herzen gehenden Schilderungen der Sachverständigen zu den von ihr begleiteten Umgänge zwischen dem Kind und seinem leiblichen Vater schon eine nicht zu verleugnende Bindung erkennen lässt. Nach einem Bericht des Kinderzentrums Mecklenburg von 2010 steht das Kind weiterhin in gutem Kontakt zur Pflegemutter, geht jedoch ebenso freudig auf den leiblichen Vater zu, der bei der Untersuchung anwesend und nach den vorliegenden Erkenntnissen zu keinem Zeitpunkt aktiv an Misshandlungen des Kindes beteiligt war. Ein dauerhafter Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie kann insoweit zum jetzigen Zeitpunkt im Übrigen gerade nicht allein auf die in seiner Herkunftsfamilie erlittenen psychischen und physischen Schädigungen gestützt werden; Maßnahmen mit Bezug zur elterlichen Sorge stellen regelmäßig keine abschließende und unumkehrbare Sanktion quasi mit Strafcharakter für vergangene Verfehlungen dar, sondern nach der unter Ziffer 1b) dargestellten Grundrechtsabwägung dürfen sie auch bei der ausschlaggebenden Orientierung am Kindeswohl nicht die Möglichkeit der Eltern auf eine spätere Bewährung aus dem Auge verlieren.

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So sollen gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB VIII bei Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe außerhalb der eigenen Familie durch Beratung und Unterstützung die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums so weit verbessert werden, dass sie das Kind oder den Jugendlichen wieder selbst erziehen kann, und es soll während dieser Zeit durch begleitende Beratung und Unterstützung der Familien darauf hingewirkt werden, dass die Beziehung des Kindes oder Jugendlichen zur Herkunftsfamilie gefördert wird; nur, wenn eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb dieses Zeitraums nicht erreichbar ist, so soll mit den beteiligten Personen eine andere, dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche und auf Dauer angelegte Lebensperspektive erarbeitet werden.

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Nach dem derzeitigen Stand erscheint es nicht von vorneherein aussichtslos, dass es gelingen könnte, solche Verhältnisse herzustellen, die eine Rückführung des Kindes in den Haushalt des Kindesvaters ermöglichen würden. Nicht zuletzt wurden gezielte diesbezügliche Maßnahmen offenbar erstmals nach Einleitung des vorliegenden Verfahrens und auf der Grundlage des hier eingeholten Sachverständigengutachtens aufgenommen. Ob die Rückführung dann letztlich daran scheitern müsste, dass diese Bemühungen (unter anderem) in zeitlicher Hinsicht im Ergebnis doch keine solchen Erfolge bewirken, dass eine Trennung des Kindes von der Pflegefamilie sich als eine nicht mit seinem Wohl vereinbare Belastung darstellt, kann erst die weitere Entwicklung zeigen.

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cc. Zusammengefasst wird sich daher zumindest unter Umständen wie den vorliegenden eine gewisse Unsicherheit für ein Pflegekind nie beseitigen lassen, solange leibliche Eltern vorhanden sind, die es nachvollziehbarerweise zurückhaben möchten. Eine Bedeutung eines gerichtlichen Beschlusses für das Erleben eines vierjährigen Kindes ist dabei kaum gegeben. Es ist in einem solchen Falle vielmehr vorrangig Aufgabe der Beteiligten, das heißt der leiblichen wie der Pflegeeltern sowie der Träger der Kinder- und Jugendhilfe, in Wahrnehmung ihrer pädagogischen Verantwortung den Wunsch der Kindeseltern hinsichtlich der (Wieder)Aufnahme des Kindes in ihren Haushalt für dieses nicht zu einer Belastung werden zu lassen. Dies ist bislang wohl auch gelungen, denn selbst wenn in einem weiteren Bericht des Kinderzentrums Mecklenburg von 2010 schon eine Infragestellung der zwischen dem Kind und der Pflegefamilie gewachsenen Bindung mangels genauerer Kenntnis der spezifischen Gegebenheiten als potentiell destabilisierend und psychisch gefährdend eingeschätzt wird, ergeben sich aus dem gesamten Verfahren vor allem vor dem Hintergrund der sich positiv gestaltenden erweiterten Umgänge zwischen dem Kind und seinem Vater keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diesbezügliche Beeinträchtigungen bei dem Kind eingetreten oder konkret zu befürchten wären. Gerichtliche Entscheidungen können demgegenüber nur sekundär und allein bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen für ihre Notwendigkeit relevant werden.

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III. Im Übrigen war festzustellen, dass sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt hat. Ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat sich erledigt, wenn nach seinem Beginn ein Umstand eingetreten ist, der den Verfahrensgegenstand hat wegfallen lassen, sodass die Weiterführung des Verfahrens keinen Sinn mehr hätte, weil eine Sachentscheidung nicht mehr ergehen kann; eine Feststellung der Erledigung ist in einem solchen Falle sowohl im Antragsverfahren als auch im Amtsverfahren erforderlich (vgl. BayObLG FamRZ 1991, 846).

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1. Die bloße Verbleibensanordnung hat als die mildere und deshalb dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werdende Maßnahme von vorneherein Vorrang vor weitergehenden Sorgerechtsbeschränkungen gemäß § 1666 BGB, wie sie hier seitens des Jugendamtes beantragt waren (vgl. Staudinger-Salgo, a. a. O., § 1632 Rn. 96 m. w. N.). Neben dem den Anlass für das Verfahren bildenden Rückholverlangen der Kindeseltern waren oder sind anderer kindeswohlgefährdende Verhaltensweisen nicht ersichtlich. Nachdem wegen des zwischenzeitlichen Verzichtes der Kindeseltern auf eine unmittelbare Rückführung des Kindes eine Verbleibensanordnung ausscheidet, gilt dies spätestens jetzt auch für Maßnahmen nach der eingangs genannten Vorschrift. In einem diesbezüglichen von Amts wegen zu führenden Verfahren stellen entsprechende Anträge allein so genannte Anregungen dar, sodass sich eine Zurückweisung des Antrages des Jugendamtes erübrigte.

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2. Ebensowenig erscheinen zwischenzeitlich gerichtliche Regelungen zur Gestaltung des Umganges der Kindeseltern bzw. des Kindesvaters mit dem Kind erforderlich. Aufgrund des Gutachtensergebnisses haben die Beteiligten selbständig eine Ausweitung der Umgänge abgestimmt; ein konkreter Umgangsantrag wurde von keiner Seite gestellt. Soweit es sich bei Umgangsverfahren auch um Amtsverfahren handelt, folgt dann wiederum aus dem Vorrang des Elternrechts und der Subsidiarität des staatlichen Wächteramtes, dass bei Vorliegen einer Vereinbarung über den Umgang eine gerichtliche Entscheidung nur in Betracht kommt, wenn über diese Vereinbarung oder ihre Durchführung im einzelnen kein Einverständnis der Beteiligten besteht oder ausnahmsweise die Vereinbarung dem Kindeswohl widerspricht (vgl. Staudinger-Rauscher, a. a. O., Bearbeitung 2006, § 1684 Rn. 158 m. w. N.); für letzteres sind hier keine Anhaltspunkte erkennbar.

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IV. Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass eine Wiederholung der in einem eher frühen Verfahrensstadium durchgeführten Kindesanhörung nicht erforderlich erschien; angesichts der gegenwärtig bestehenden Situation ist nicht ersichtlich, inwiefern sich aus einer Anhörung des erst vier Jahre alten Kindes eine weitere Sachverhältnisaufklärung hätte ergeben können.

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V. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 94 Abs. 3 Satz 2 KostO a. F., 13a Abs. 1 Satz 1 FGG. Gerichtskosten waren nicht zu erheben, nachdem es sich vorrangig um ein amtswegiges Verfahren handelte und ein Antrag auf Erlass einer Verbleibensanordnung im Übrigen erst kurzfristig vor dem Verfahrensabschluss gestellt wurde.

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VI. Der Geschäftswert war gemäß §§ 94 Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 2 Satz 1 a. F., 30 Abs. 2 KostO auf 8.000,00 € festzusetzen. Gegenstand des Verfahrens waren sowohl Fragen der elterlichen Sorge als auch des Umgangsrechts. Eine Abweichung von dem jeweiligen Regelstreitwert in Sorgerechts- und Umgangsachen in Höhe von 3.000,00 € war insoweit gerechtfertigt, als der übliche Umfang eines Sorgerechts- und Umgangsverfahrens im vorliegenden Fall mit der Bestellung eines Verfahrenspflegers und der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens sowie angesichts der Vielzahl der Beteiligten überschritten wurde (vgl. Garbe/Oelkers,Praktische Arbeitshilfen zur erfolgreichen Bearbeitung von Familiensachen, Loseblattsammlung, Stand: August 2006, 14.2.4.1 m. w. N.).

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