Urteil vom Amtsgericht Magdeburg - 122 C 3521/09
Tenor
1.) Die Klage wird abgewiesen.
2.) Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3.) Das Urteil ist für die Beklagten hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 500,00 € abwenden, wenn nicht die Beklagten jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
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Die Klägerin ist Krankenkasse und Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag von Arbeitnehmern. Sie nimmt die Beklagten wegen der Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagten zu 1) und 2) waren Geschäftsführer der Firma L.-K.-D.L. GmbH. Arbeitnehmer der GmbH waren in der Zeit vom 17.02.2006 bis 31.07.2006 bei der Klägerin versichert. In diesem Zeitraum sind unstreitig Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 2.722,67 € fällig geworden. Nach Abzug von Teilzahlungen durch die Beklagten macht die Klägerin den rechnerisch unstreitigen Betrag in Höhe von 1.387,88 € geltend. Die Klägerin nahm eine Berechnung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages jeweils auf der Grundlage der inhaltlich richtigen Beitragsnachweise der Beklagten für die Monate Februar, Juni und Juli 2006 vor. Im Monat Februar 2006 bestand eine Forderung der Klägerin in Höhe von 7.141,72 €. Gezahlt wurden von den Beklagten hierauf 7.005,05 €. Die Arbeitnehmeranteile betrugen für diesen Monat 3.471,75 €. Im Monat Juni 2006 bestand eine Forderung der Klägerin in Höhe von 4.858,00 €. Darauf haben die Beklagten 2.689,42 € bezahlt. Die Arbeitnehmeranteile betrugen für diesen Monat 2.361,55 €. Im Monat Juli 2006 bestand eine Forderung der Klägerin in Höhe von 4.439,03 €. Gezahlt wurden darauf 3.897,88 €. Die Arbeitnehmeranteile für diesen Monat betrugen 2.193,38 €. Die Klägerin nahm eine Verrechnung der von den Beklagten gezahlten Teilbeträge nach § 2 der Beitragszahlungsverordnung bzw. nach § 4 der Beitragsverfahrensverordnung vor. Danach nahm sie eine Tilgung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags je zur Hälfte auf die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberbeiträge vor, da die Beklagten eine ausdrückliche Tilgungsbestimmung nicht getroffen hatten. Aufgrund dieser Berechnung ergeben sich die von der Klägerin geltend gemachten offenen Beträge von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung. Der Beklagte zu 2) hatte zunächst weitere Zahlungen an die Klägerin behauptet. Mit Schriftsatz vom 08.07.2010 hat der Beklagte zu 2) nachvollziehbar dargelegt, dass es sich tatsächlich um Zahlungen an Dritte handelte und erklärt, dass er an dem weitergehenden Erfüllungseinwand nicht mehr festhalte. Der Beklagte zu 1) behauptet weiterhin, dass diese Zahlungen an die Klägerin erfolgt seien.
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Die Klägerin ist der Meinung, dass sich die Beklagten als Geschäftsführer der L. GmbH gemäß § 266 a Abs. 1 StGB wegen der Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung strafbar gemacht haben. Da die Beklagten eine Tilgungsbestimmung bei der Zahlung der Teilbeträge nicht getroffen haben, seien die geleisteten Beträge entsprechend der Beitragszahlungsverordnung bzw. der danach in Kraft getretenen Beitragsverfahrensverordnung je zur Hälfte auf die Arbeitnehmeranteile und Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung zu verrechnen gewesen und nicht zunächst vollständig auf die Arbeitnehmeranteile.
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Nachdem die Klägerin zunächst durch Mahnbescheid 2.722,67 € geltend gemacht hatte, beantragt sie nach Rücknahme der Klage in Höhe von 1.334,79 €,
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1. die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.387,88 € zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 20.03.2009.
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2. Es wird festgestellt, dass der Anspruch unter 1. einen Schadensersatzanspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 a StGB darstellt unter Zurücknahme im Übrigen.
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Der Beklagte zu 1) beantragt
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Klageabweisung.
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Der Beklagte zu 2) beantragt
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Klageabweisung.
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Die Beklagten sind der Meinung, dass sie sich nicht gemäß § 266 a StGB strafbar gemacht haben, da die geleisteten Teilzahlungen jeweils die im Gesamtsozialversicherungsbeitrag enthaltenen Arbeitnehmeranteile gedeckt haben und dadurch die Arbeitnehmeranteile vollständig abgeführt worden seien. Die Beklagten sind der Auffassung, dass die Klägerin die geleisteten Teilzahlungen nicht auf Rückstände auf die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung habe verrechnen dürfen, ohne die Beklagten persönlich darauf aufmerksam zu machen, dass sie dadurch möglicherweise den Straftatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB erfüllen würden. Die Beklagten hätten ferner zum Zeitpunkt der Zahlungen den subjektiven Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB nicht erfüllt. Es sei vielmehr von einem vernünftigen Tilgungswillen der Beklagten auszugehen gewesen, welche selbstverständlich keinerlei Interesse daran hatten, sich strafbar zu machen, es seien daher zunächst die laufenden streitgegenständlichen Arbeitnehmeranteile zu tilgen gewesen.
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Zu den weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.06.2010 (Blatt 101/102 d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin kann von den Beklagten keinen Schadensersatz aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 a Abs. 1 StGB verlangen. Die Beklagten haben ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB nicht verletzt. Eine vorsätzliche Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung im Sinne von § 266 a Abs. 1 StGB kann zur Überzeugung des erkennenden Gerichts nicht festgestellt werden. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagten für die hier streitgegenständlichen Monate Februar, Juni und Juli 2006 jeweils inhaltlich zutreffende Beitragsnachweise an die Klägerin übersandt haben. Die Beklagten leisteten jeweils Teilzahlungen auf die Gesamtsozialversicherungsbeiträge in einer Höhe, die zumindest die darin enthaltenen Arbeitnehmerbeiträge abdeckten. § 2 der Beitragszahlungsverordnung bzw. § 4 der ab dem 01.07.2006 in Kraft getretenen Beitragsverfahrensverordnung sehen zwar bei Fehlen einer ausdrücklichen Tilgungsbestimmung des Schuldners eine Tilgung derart vor, dass die gezahlten Teilbeträge jeweils zur Hälfte auf die Arbeitnehmeranteile und zur Hälfte auf die Arbeitgeberanteile zu verrechnen sind. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts drängt sich bei der Frage der Verrechnung von geleisteten Teilzahlungen hier allerdings eine stillschweigende Tilgungsbestimmung der Beklagten insoweit auf, als es deren erkennbarem Willen entsprach, zunächst die „lästigsten“ Forderungen zu tilgen, nämlich diejenigen, bei deren Nichterfüllung sich die Beklagten sogar strafbar machen konnten. In einer Konstellation wie der vorliegenden, in der sich bei lebensnaher Sachverhaltsbeurteilung aus Sicht des betroffenen Beitragsschuldners aufgrund der Strafandrohung des § 266 a Abs. 1 StGB jede andere Tilgungsbestimmung verbietet, dürfte eine ausdrückliche Tilgungsbestimmung auch unter Anwendung der Beitragszahlungsverordnung bzw. der Beitragsverfahrensverordnung entbehrlich sein (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 12.10.2006, Aktenzeichen: 8 U 344/05, zitiert nach juris).
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Im Ergebnis kann eine solche Auslegung jedoch dahinstehen, da den Beklagten im vorliegenden Fall jedenfalls kein Vorsatz hinsichtlich der Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge nachzuweisen ist. Eine Schutzgesetzverletzung im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB setzt Verschulden voraus. Das bedeutet bei Strafvorschriften, die Vorsatz erfordern, eine vorsätzliche Tatbegehung, Die Beklagten hatten im vorliegenden Fall ganz offensichtlich keine Kenntnis von ihrem Bestimmungsrecht gemäß § 2 der Beitragszahlungsverordnung bzw. § 4 der Beitragsverfahrensverordnung und die Klägerin hatte die Beklagten über dieses Bestimmungsrecht auch nicht informiert. Es dürfte wohl nicht anzunehmen sein, dass die Beklagten trotz Kenntnis der Möglichkeit, eine sie vor der Strafbarkeit bewahrende Tilgungsbestimmung zu treffen und obwohl sie jeweils Beträge an die Klägerin abgeführt haben, die die Arbeitnehmeranteile abdeckten, dennoch eine Tilgung jeweils zur Hälfte der Arbeitnehmerbeiträge und der Arbeitgeberbeiträge wünschten. Es ist vielmehr anzunehmen, dass die Beklagten einen „vernünftigen Tilgungswillen“ hatten und damit zunächst die laufenden Arbeitnehmeranteile tilgen wollten (vgl. OLG Oldenburg für diese Fallkonstellation a. a. O). Die Beklagten haben damit jedenfalls nicht erkennbar mit Wissen und Wollen aller Tatumstände hinsichtlich der Verletzung des Schutzgesetzes und damit nicht vorsätzlich gehandelt (vgl. zur Frage des Vorsatzes BGH Beschluss vom 11.10.2007, Aktenzeichen: II ZR 250/06, zitiert nach juris).
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Die Klage war aus diesem Grunde abzuweisen.
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Auf die Behauptung des Beklagten zu 2), nur formaler Geschäftsführer ohne Einfluss auf die Geschäfte der seinerzeitigen GmbH gewesen zu sein und auf die vom Beklagten zu 1) weiterhin und damit im Widerspruch zum Beklagten zu 2) behaupteten weiteren Zahlungen an die Klägerin kam es daher im Ergebnis nicht mehr an.
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Da es bereits an einem Ersatzanspruch der Klägerin fehlt, scheitert auch die mit Antrag zu 2) geltend gemachte Feststellung des Rechtsgrundes der Forderung
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Referenzen
- II ZR 250/06 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 3x
- StGB § 266a Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt 8x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- ZPO § 269 Klagerücknahme 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 a Abs. 1 StGB 1x (nicht zugeordnet)
- 8 U 344/05 1x (nicht zugeordnet)