Urteil vom Amtsgericht Wuppertal - 391 C 81/18
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist bei der Beklagten privat krankenversichert. Am 26.10.2016 und am 02.11.2016 unterzog sie sich bei dem Augenchirurgen Herrn Dr. O einer Kataraktoperation mittels eines Femtosekundenlasers am linken und am rechten Auge.
3Herr Dr. O rechnete die von ihm erbrachten Leistungen mit Rechnung vom 08.12.2016 über insgesamt 8.521,41 Euro ab. Die Klägerin reichte die Rechnung bei der Beklagten zur Erstattung ein. Die Beklagte kürzte die Rechnung um die zweimal in Ansatz gebrachte Position 5855 GOÄ in Höhe von 925,02 Euro, mithin insgesamt in Höhe von 1.850,04 Euro.
4Die Klägerin meint, der Einsatz des Femtosekundenlasers sei nach Ziffer 5855 GOÄ analog zu liquidieren, weil er einen gesundheitlichen Mehrwert für den Patienten habe. Dies seien u.a. eine höhere Exaktheit der Kapselöffnung, eine höhere Genauigkeit der lasergeführten chirurgischen Schritte, eine bessere Fragmentierbarkeit der Linse und ein besseres Outcome der Operation. Die Anwendung des Femtosekundenlasers stelle zudem eine selbstständige Vorbehandlung dar, die bei der konventionellen Operation nicht erfolge.
5Die Klägerin beantragt,
6die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.850,04 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Sie meint, die Gebührenziffer 55855 GOÄ sei vorliegend nicht analog anwendbar, weil der Einsatz des Femtosekundenlasers im Rahmen der Kataraktoperation nicht als selbständige Leistung im Sinne von § 4 Abs. 2, Abs. 2a) GOÄ zu qualifizieren sei. Der Einsatz des Femtosekundenlaser bei der Kataraktoperation sei lediglich ein unselbstständiger Teil der operativen Hauptleistung; ihm liege keine eigenständige medizinische Indikation zugrunde.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
11Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens gemäß Beweisbeschluss vom 06.08.2018 (Bl. 127 d. A.), durch Einholung eines Ergänzungsgutachtens gemäß Beweisbeschluss vom 31.01.2019 (Bl. 225 d. A.) und durch mündliche Erläuterung der beiden Gutachten gemäß Beschluss vom 26.06.2019 (Bl. 338 d.A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gutachten des Sachverständigen Dr. T vom 02.01.2019 (Bl. 193 ff. d. A.) und vom 02.04.2019 (Bl. 268 ff. d. A.) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung von 26.06.2019 (Bl. 338 ff. d. A.) Bezug genommen.
12Entscheidungsgründe:
13I.
14Die zulässige Klage ist unbegründet.
151. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 1.850,04 Euro gemäß § 1 VVG in Verbindung mit dem zwischen den Parteien bestehenden Privaten Krankheitskostenversicherungsvertrag.
16Die Klägerin kann keine höhere Vergütung verlangen, als die Beklagte bereits gezahlt hat. Denn soweit in der streitgegenständlichen Rechnung zweimal die Ziffer 5855 GOÄ analog für den Einsatz des Femtosekundenlasers in Ansatz gebracht wurde, geschah dies ohne Grund, weil die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Ziffer 5855 GOÄ nicht vorliegen.
17Gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ können nur selbstständige ärztliche Leistungen, die nicht in das Gebührenverzeichnis aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. Eine ärztliche Leistung ist gemäß § 4 Abs. 2a S. 1 GOÄ nicht selbstständig, wenn sie lediglich ein Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist. Erforderlich ist, dass der Leistung eine eigenständige medizinische Indikation zugrunde liegt (BGH, Urteil vom 21.01.2010, Az. III ZR 147/09, zitiert nach juris).
18a) Der Einsatz des Femtosekundenlasers bei der Kataraktoperation stellt keine selbstständige ärztliche Leistung im Sinne von § 6 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 2a S. 1 GOÄ dar. Denn dem Einsatz des Femtosekundenlasers liegt keine eigenständige medizinische Indikation zugrunde. Es handelt sich vielmehr lediglich um eine besondere Ausführung der Kataraktoperation, die keinen über die Optimierung der Operation hinausgehenden Mehrwert für den Patienten hat.
19Dies steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. T in seinen Gutachten vom 02.01.2019 und vom 02.04.2019 sowie seiner Anhörung am 26.06.2019.
20Der Sachverständige hat ausgeführt, dass der Einsatz des Femtosekundenlasers kein notwendiger Bestandteil der Kataraktoperation sei. Die Kataraktoperation könne sowohl mit als auch ohne Femtosekundenlaser durchgeführt werden. Bei der femtosekundenlaser-assistierten Kataraktoperation würden einzelne Operationsschritte, nämlich das Schneiden der Zugänge ins Auge, die Reduktion der Hornhautverkrümmung, das Öffnen der vorderen Linsenkapsel und die Vorfragmentierung des Linsenkerns, die bei der konventionellen Kataraktoperation manuell mittels eines Skalpells durchgeführt würden, mittels eines Femtosekundenlasers durchgeführt. Nach dieser Vorbehandlung komme der Femtosekundenlaser nicht mehr zum Einsatz. Die getrübte Augenlinse werde anschließend – ohne weitere Zuhilfenahme des Femtosekundenlasers – entfernt und durch eine Kunstlinse ersetzt. Durch den Einsatz des Femtosekundenlasers bei der Vorfragmentierung der Linse werde die Ultraschallenergie reduziert, was die innere Schicht der Hornhaut weniger belaste. Dieser Vorteil sei jedoch angesichts der ohnehin schon hohen Erfolgsrate und der geringen Komplikationsrate der Kataraktoperation gering. Weitere theoretische Vorteile seien wissenschaftlich nicht belegt.
21Unter Zugrundelegung dieser Feststellungen des Sachverständigen handelt es sich bei dem Einsatz des Femtosekundenlasers nicht um eine selbstständige Leistung im Sinne von § 4 Abs. 2a S. 1 GOÄ.
22Dem Einsatz des Femtosekundenlasers bei der Kataraktoperation liegt bis auf ganz wenige Ausnahmen, die der Sachverständige auf ca. 5 % der Patienten schätzt, keine eigenständige medizinische Indikation zugrunde. In der weit überwiegenden Anzahl der Fälle kann der Operateur wählen, ob er manuell-chirurgisch oder femtosekundenlaser-assistiert operiert. Ob es im konkreten Fall der Klägerin eine medizinische Indikation für den Einsatz des Femtosekundenlasers gab, konnte der Sachverständige nicht beantworten. Diese Unklarheiten gehen zu Lasten der beweisbelasteten Klägerin.
23Die femtosekundenlaser-assistierte Kataraktoperation stellt lediglich eine besondere Art der Ausführung der Kataraktoperation dar. Denn der Femtosekundenlaser ersetzt nur gewisse Teilschritte der Kataraktoperation, die ebenso gut mittels eines Skalpells durchgeführt werden können. Dass bei der femtosekundenlaser-assistierten Kataraktoperation eine Vorbehandlung des Auges vor der eigentlichen Operation erfolgt, die bei der konventionellen Operation nicht stattfindet, und die Operation so zeitlich und räumlich in zwei Schritte aufgeteilt wird, macht den Einsatz des Femtosekundenlaser nicht zu einer selbstständigen Leistung im Sinne der GOÄ. Denn maßgeblich für die Selbstständigkeit einer ärztlichen Leistung im gebührenrechtlichen Sinne ist allein, ob der Leistung eine eigenständige medizinische Indikation zugrunde liegt, was bei dem Einsatz des Femtosekundenlasers -wie dargelegt- nicht der Fall ist. Auch der Umstand, dass durch den Einsatz des Femtosekundenlasers eine Phakoemulsifikation, d.h. eine Verflüssigung des Linsenkerns durch Anwendung von Ultraschall, in der überwiegenden Anzahl der Fälle nicht mehr erforderlich ist, ändert an der rechtlichen Beurteilung nichts. Denn das Ziel der Operation, nämlich die Behandlung des Grauen Stars, und der Weg zur Erreichung dieses Ziels, nämlich die Entfernung der getrübten Augenlinse und der Einsatz einer implantierten Kunstlinse, sind in beiden Fällen identisch. Dass durch den Einsatz des Femtosekundenlasers eine Phakoemulsifikation häufig nicht mehr erforderlich ist, mag der femtosekundenlaser-assistierten aus medizinischer Sicht einen „völlig neuen Charakter“ geben, wie es der Sachverständige formuliert. An der rechtlichen Wertung ändert es jedoch nichts. Soweit der Sachverständige insofern eine andere Auffassung vertritt, ist das Gericht an diese rechtliche Wertung nicht gebunden.
24Die Vorteile der femtosekundenlaser-assistierten Kataraktoperation gegenüber der konventionellen Operation sind, wie der Sachverständige ausführt, eher gering. Selbst wenn jedoch durch den Einsatz des Femtosekundenlaser die Ultraschallenergie reduziert und dadurch die Hornhaut weniger belastet würde, würde das nicht dazu führen, dass der Einsatz des Femtosekundenlaser bei der Kataraktoperation als selbstständige Leistung zu qualifizieren wäre. Denn eine ärztliche Leistung ist nicht bereits deshalb als selbstständig im gebührenrechtlichen Sinne zu qualifizieren, weil sie zu besseren Ergebnissen führt oder vorgenommen wird, um beim Erreichen des Operationsziels benachbarte Strukturen zu schonen und nicht zu verletzen. Entscheidend ist allein, dass der Einsatz des Femtosekundenlasers vollständig der Optimierung der Kataraktoperation dient und ihm keine darüberhinausgehende eigenständige medizinische Indikation zugrunde liegt.
25Die analoge Anwendung der Ziffer 5855 GOÄ ist – entgegen der Auffassung des Sachverständigen – auch nicht unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass der Einsatz des Femtosekundenlaser bei der Kataraktoperation mit der Ziffer 441 GOÄ nicht hinreichend abgebildet wäre. Der Umstand, dass der Verordnungsgeber bei Einführung der Ziffer 441 GOÄ nur Feststoff- und Gas-Laser, nicht aber den Femtosekundenlaser im Blick gehabt hat, ändert nichts daran, dass die Ziffer 441 GOÄ aufgrund des eindeutigen Wortlautes auch auf den Femtosekundenlaser anwendbar ist. Wenn diese Gebührenziffer den zeitlichen und räumlichen Aufwand, der mit dem Einsatz des Femtosekundenlasers verbunden ist, gebührenrechtlich nicht hinreichend abbildet, ist es Sache des Verordnungsgebers, dies durch eine Änderung der gebührenrechtlichen Vorschriften oder durch eine Erhöhung der Gebühren ändern. Die analoge Heranziehung einer anderen gebührenrechtlichen Vorschrift rechtfertigt das nicht.
26Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Bundesärztekammer bei der LASIK-Operation mittels eines Femtosekundenlasers die analoge Anwendung der Ziffer 5855 GOÄ empfiehlt. Denn – anders als bei der Kataraktoperation, die nach der Ziffer 1375 GOÄ vergütet wird – gibt es für die LASIK-Operation keine Gebührenziffer, sodass eine Regelungslücke vorliegt, die eine Analogie rechtfertigt. Diese Erwägungen sind auf die Kataraktoperation mittels eines Femtosekundenlasers nicht übertragbar.
27b) Unabhängig davon, dass der Einsatz des Femtosekundenlasers bei der Kataraktoperation schon keine selbstständige ärztliche Leistung darstellt, ist auch die weitere Voraussetzung gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ, nämlich eine nach Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertige Leistung, nicht erfüllt. Denn bei einer analogen Anwendung der Ziffer 5855 GOÄ würde die (Vor-)Behandlung mit dem Femtosekundenlaser mit einer Punktzahl von 6900 bewertet, während die gesamte Kataraktoperation nach Ziffer 1375 lediglich mit 3500 Punkten bewertet würde. Es widerspräche sowohl dem Vergütungssystem der GOÄ als auch dem in § 4 Abs. 2a GOÄ verankerten Zielleistungsprinzip, wenn eine Vorbehandlung mit der fast doppelt so hohen Punktzahl bewertet würde wie die Zielleistung, also die Operation des Grauen Stars, selbst (LG Frankfurt a.M., Urteil vom 31.05.2019 – Az. 2-14 S 3/18 –, vorgelegt als Anlage BLD 16).
282. Mangels Hauptanspruchs hat die Klägerin auch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Zinsen gemäß §§ 286, 288 BGB.
29III.
30Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
31Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
32Der Streitwert wird auf 1.850,04 EUR festgesetzt.
33Rechtsbehelfsbelehrung:
34A) Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
351. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
362. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
37Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Wuppertal, Eiland 1, 42103 Wuppertal, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
38Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Wuppertal zu begründen.
39Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Wuppertal durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
40Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
41B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Wuppertal statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Wuppertal, Eiland 2, 42103 Wuppertal, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
42Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
43Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
44Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.
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Referenzen
- ZPO § 130a Elektronisches Dokument 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- BGB § 286 Verzug des Schuldners 1x
- III ZR 147/09 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- § 1 VVG 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 1x
- 14 S 3/18 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x