Urteil vom Arbeitsgericht Freiburg - 4 Ca 98/04

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 7.136,44 EUR festgesetzt.

Dr. S.

G.

H.

Tatbestand

 
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Die 60-jährige Klägerin war seit 01.07.1976 als kaufmännische Angestellte bei der Insolvenzschuldnerin, einer GmbH, beschäftigt. Sie verdiente zuletzt bei einer 20-Stunden-Woche monatlich 1.784,11 EUR. Zu ihren Aufgaben gehörten Postein- und Postausgang, Baukasse, Rechnungen schreiben, Debitorenrechnungen verwalten, Angebote aufbereiten, Lieferanten und Nachunternehmer anfragen, Preise eintragen, Statistiken führen, Ordner für Projekte erstellen sowie allgemeine Bürotätigkeiten. Die Klägerin ist die Ehegattin des alleinigen Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin. Sie hält 20 % der Gesellschaftsanteile. Bei der Insolvenzschuldnerin waren im Frühjahr 2004 50 – 55 Arbeitnehmer beschäftigt.
Nachdem der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin am 15.12.2003 Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit gestellt hatte, wurde der Beklagte am 16.12.2003 als vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt. Am 01.02.2004 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Der technische Leiter der Insolvenzschuldnerin Herr L. hatte seit längerem erwogen, das Unternehmen der Insolvenzschuldnerin zu übernehmen. Schon im Frühjahr 2003 hatte es Überlegungen zu einer Nachfolgeregelung gegeben, die mit einer Sanierung der Insolvenzschuldnerin und Personalabbau verbunden sein sollte.
Der Beklagte stand seit Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens vor der Entscheidung, den Betrieb entweder stillzulegen oder mit Herrn L. eine Übernahme zu gestalten. Seit Mitte Dezember 2003 wurde das Erwerbermodell des Herrn L. konkretisiert und weiterentwickelt; es fanden wöchentliche Besprechungen zwischen dem Beklagten und Herrn L. statt. Am 15.01.2004 traf der Beklagte die Entscheidung mit Zustimmung des Betriebsrats und eines Vertreters der IG B., das Erwerberkonzept in Angriff zu nehmen und als ersten Schritt einen Interessenausgleich und Sozialplan entsprechend diesem Konzept zu entwerfen.
Parallel fanden Verhandlungen mit außenstehenden Fachbüros und den finanzierenden Banken statt. Herr L. ließ Planungen zur Existenzgründung erstellen und gründete zusammen mit 5 weiteren Arbeitnehmern der Insolvenzschuldnerin, darunter dem bisherigen Betriebsratsvorsitzenden Herrn S., eine GmbH, die die Insolvenzschuldnerin übernehmen sollte. Nach dem Erwerbermodell sollte die Verwaltung der Insolvenzschuldnerin aufgelöst und weitgehend extern vergeben werden. Insbesondere sollten die Bauleiter L. und L. die Aufgaben der Klägerin mitübernehmen. Das Konzept ging von einer Verringerung des Arbeitsaufkommens aus mit der Folge, dass die Bauleiter Zeit für die verbleibenden Verwaltungs- und Sekretariatsaufgaben hätten.
Der Betrieb war nur bei einer Realisierung des Erwerberkonzepts überlebensfähig; insbesondere war eine Fortsetzung des Betriebs mit der alten Personalstärke wirtschaftlich nicht möglich.
Unter dem 26.02.2004 vereinbarte der Beklagte mit dem Betriebsrat der Insolvenzschuldnerin einen Interessenausgleich mit Namensliste sowie einen Sozialplan. Danach sollten 16 Arbeitnehmer entlassen werden. Die Klägerin ist auf der Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer nicht namentlich aufgeführt, da die Betriebsparteien davon ausgingen, dass sie gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG nicht dem Geltungsbereich des BetrVG unterfällt. Der Beklagte sprach mit Schreiben vom 26.02.2004 die streitgegenständliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.05.2004 aus.
Mittlerweile steht fest, dass eine Sanierung nicht zustande kommt und das Unternehmen der Insolvenzschuldnerin liquidiert werden soll.
10 
Die Klägerin meint, § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG sei nicht anwendbar. Vor ihrer Kündigung sei deshalb der Betriebsrat anzuhören gewesen. Wenn die Kündigung wirksam sei, stünden ihr Nachteilsausgleichsansprüche zu, da sie nicht in den Interessenausgleich und Sozialplan aufgenommen wurde.
11 
Die Klägerin beantragt:
12 
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 26.02.2004, zugegangen am 28.02.2004, zum 31.05.2004 nicht aufgelöst werden wird.
13 
2. Hilfsweise für den Fall, dass die Kündigungsschutzklage abgewiesen wird:
14 
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Abfindung gemäß § 113 Abs. 1 S. 3 BetrVG, § 9, 10 KSchG zu bezahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
15 
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
16 
Er behauptet, er habe den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung der Klägerin angehört, obwohl dies nach seiner Meinung gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG entbehrlich gewesen sei.
17 
Die Kammer erhob Beweis durch die Vernehmung der Zeugen S. und E. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 09.11.2004 verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 29.04.2004, 06.07.2004, 28.09.2004 und 09.11.2004 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
18 
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
19 
1. Die Kündigung vom 26.02.2004 ist wirksam.
20 
a) Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien unterfällt angesichts der Dauer der Betriebszugehörigkeit der Klägerin und der Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer dem Kündigungsschutzgesetz (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG). Die Kündigung vom 26.02.2004 ist sozial gerechtfertigt, da sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Weiterbeschäftigung der Klägerin im Betrieb der Insolvenzschuldnerin entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG).
21 
Der Arbeitsplatz der Klägerin ist weggefallen. Der Beklagte entschied vor Ausspruch der Kündigung, keine Sekretärin mehr zu beschäftigen. Die verbleibenden Sekretariatsarbeiten sollten die Bauleiter miterledigen.
22 
Eine derartige Umorganisation ist zulässig und als Unternehmerentscheidung von den Arbeitsgerichten nicht auf ihre Zweckmäßigkeit oder Notwendigkeit hin zu überprüfen.
23 
Die Tatsache, dass im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht feststand, ob es zu einem Betriebsübergang und damit zu einer Verwirklichung des Erwerberkonzepts kommen würde, steht dem nicht entgegen. Insbesondere führt dieser Umstand nicht dazu, dass die Unternehmerentscheidung des Beklagten im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch keine "greifbaren Formen" angenommen hat, also dass eine vernünftige betriebswirtschaftliche Betrachtung nicht die Prognose gerechtfertigt hätte, dass bis zum Kündigungstermin die geplante Maßnahme durchgeführt ist und der Kläger entbehrt werden kann (zu dieser Voraussetzung vgl. BAG vom 18.01.2001 – 2 AZR 514/99, AP Nr. 115 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Der Beklagte hatte sich nämlich unabhängig vom Gelingen des Betriebsübergangs entschieden, den Arbeitsplatz des Klägers nicht fortzuführen. Der Beklagte sah sich vor der Wahl, den Betrieb stillzulegen oder das Konzept des Herrn L. zu verwirklichen. In beiden Fällen war der Arbeitsplatz des Klägers spätestens zum Kündigungstermin nicht mehr vorgesehen. Der Beklagte hat sich das Konzept des Herrn L. insofern zu Eigen gemacht.
24 
Dies widerspricht nicht den Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht im Fall des Betriebsübergangs an eine Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzeptes stellt (dazu BAG vom 20.03.2003 – 8 AZR 97/02, AP Nr. 250 zu § 613 a BGB).
25 
Zwar erfolgte in dem Fall, über den das Bundesarbeitsgericht am 20.03.2003 zu entscheiden hatte, der Betriebsübergang bereits einen Tag nach Ausspruch der Kündigung und war folglich bei der Kündigung bereits sicher von dem kommenden Betriebsübergang auszugehen. Dort war allerdings auch das Erwerberkonzept nur im Fall des Betriebsübergangs umsetzbar, da die – von außen kommenden – Geschäftsführer der Erwerbergesellschaft die Aufgaben des gekündigten Arbeitnehmers als Betriebsorganisationsleiter übernehmen wollten. Dies ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, da der Beklagte unabhängig vom Betriebsübergang kündigen wollte (vgl. zu dieser Differenzierung auch Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629, 631). Dass bei Zugang der Kündigung noch nicht feststand, ob es zu einem Betriebsübergang kommen würde, spricht hier gerade dafür, dass die Kündigung nicht wegen des Betriebsübergangs, sondern wegen eines Sanierungskonzepts ausgesprochen wurde.
26 
Im Betrieb der Insolvenzschuldnerin gibt es keinen anderen freien Arbeitsplatz, auf dem die Klägerin weiterbeschäftigt werden könnte.
27 
b) Die Beklagte hat den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG angehört.
28 
aa) Nach Auffassung der Kammer war gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG vor Ausspruch der Kündigung eine Betriebsratsanhörung durchzuführen. Die Betriebsratsanhörung war nicht gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG entbehrlich.
29 
Zwar mag § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG jedenfalls auf Ehegatten des Alleingeschäftführers einer GmbH analog anwendbar sein mit der Folge, dass diese nicht als Arbeitnehmer im Sinne der Betriebsverfassung gelten (vgl. nur Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Eisemann, 4. Aufl., § 5 BetrVG, Rdnr. 29; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 22. Aufl., § 5, Rdnr. 305; Dietz/Richardi, BetrVG, 9. Aufl., § 5, Rdnr. 182). Dies gilt jedoch nicht im Fall der Insolvenzeröffnung.
30 
§ 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG liegt der Gedanke zugrunde, dass diejenigen Personen von der betrieblichen Interessenvertretung ausgeschlossen sein sollen, die in enger Beziehung zu den Personen stehen, die die Arbeitgeberentscheidungen im Betrieb treffen, da die Gefahr einer Identifikation mit den Arbeitgeberinteressen und folglich einer Interessenpolarität zur übrigen Belegschaft besteht (GK-BetrVG/Raab, 7. Aufl., § 5, Rdnr. 91).
31 
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Der Schuldner bleibt hingegen Eigentümer der Insolvenzmasse und Träger der Unternehmens.
32 
Für die hier entscheidende Frage, ob § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG auf den Ehegatten des Alleingeschäftsführers der Insolvenzschuldnerin Anwendung findet, kommt es darauf an, ob die Stellung des Geschäftsführers nach Insolvenzeröffnung eine vergleichbare Interessenlage begründet wie seine Stellung außerhalb der Insolvenz. Dies ist nach Auffassung der Kammer nicht der Fall. Nach der Insolvenzeröffnung trifft der Insolvenzverwalter alle Entscheidungen, die im Arbeitsverhältnis gefällt werden müssen. Er übt insbesondere das Direktions- und Kündigungsrecht aus (Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung/Ott, § 80, Rdnr. 122). Mit der Betriebsverfassung erhält der Betriebsrat Beteiligungsrechte hinsichtlich Begründung, Inhalt und Beendigung von Einzelarbeitsverhältnissen. Er wirkt gerade auf diejenigen Arbeitgeberentscheidungen ein, die auf den Insolvenzverwalter übergehen. Die Frage der Eigentümerstellung und der Unternehmensverfassung steht bei der Betriebsverfassung hingegen hintan.
33 
bb) Nach der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Auch wenn die Betriebsparteien zu Unrecht von der Anwendbarkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG ausgingen, hat der Beklagte vorsorglich den Betriebsrat angehört.
34 
Beide Zeugen bestätigten insofern den Vortrag des Beklagten. Aus ihrer Aussage ergibt sich, dass dem Betriebsrat die Sozialdaten der Klägerin vorlagen. Da sich die Frage des § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG erst im Laufe der Verhandlungen stellte, waren die Daten der Klägerin auf der ursprünglichen Namensliste aufgeführt. Diese Liste enthielt dieselben Kriterien wie die Anlage 1 zum Interessenausgleich (AS 28). Der Beklagte erklärte in der Sitzung Mitte Februar 2004, er werde nun die Betriebsratsanhörung durchführen. In dieser Sitzung wurden die Kündigungen der einzelnen Arbeitnehmer, darunter der Klägerin, besprochen. Der Kündigungsgrund war dem Betriebsrat bekannt. Der Betriebsrat erklärte sich mit der Kündigung der Klägerin einverstanden. Es kann dahinstehen, ob der Betriebsrat eine Stellungnahme zur Kündigung der Klägerin abgegeben hat, da bis zum Ausspruch der Kündigung am 26.02.2004 die Stellungnahmefrist des § 102 Abs. 2 S. 1 u. 2 BetrVG abgelaufen war.
35 
Die Kammer hält die Aussagen der Zeugen für glaubhaft. Herr S. machte insbesondere deutlich, wenn er sich aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr konkret an den Ablauf der Ereignisse erinnern konnte. Es war erkennbar, dass er die arbeitsrechtliche Problematik nicht aus eigener Sachkunde zuverlässig beurteilen konnte. Dass er den Ablauf nicht rechtlich qualifizieren konnte, spricht aber gerade dafür, dass er ihn nach seiner Erinnerung korrekt wiedergab. Nachdem die Sanierung der Insolvenzschuldnerin gescheitert ist, sind keine Interessen des Zeugen zu erkennen, die ihn von wahrheitsgemäßen Angaben abhalten könnten.
36 
Auch Herr E. machte deutlich, dass er keine arbeitsrechtliche Qualifizierung vornehmen wollte ("Ich kann nicht beurteilen, ob dies arbeitsrechtlich eine Betriebsratsanhörung war.", "Ich war damals darüber erstaunt, weil ich zum ersten Mal dies so erlebte und auch den arbeitsrechtlichen Hintergrund nicht genau kenne.").
37 
Dies spricht dafür, dass die Zeugen keine Tatsachen vortrugen, von denen sie ausgingen, dass sie die Prozessaussichten des Beklagten stützen.
38 
2. Da der Hauptantrag keinen Erfolg hat, fällt der Hilfsantrag zur Entscheidung an. Dieser hat jedoch auch keinen Erfolg, da die Klägerin keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 1 S. 3 BetrVG hat.
39 
Voraussetzung des Nachteilsausgleichs ist, dass der Unternehmer von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund abweicht. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Der Beklagte hat die Betriebsänderung so vorgenommen, wie dies im Interessenausgleich vom 26.02.2004 vorgesehen war.
40 
Die Klägerin kann sich auch nicht auf § 113 Abs. 3 BetrVG stützen. Der Beklagte hat die Betriebsänderung nämlich nicht durchgeführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Vielmehr liegt ein Interessenausgleich vor.
II.
41 
Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO). Der Streitwert wird gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG festgesetzt. Dabei wird der Kündigungsschutzantrag mit 3 Bruttomonatsgehältern der Klägerin à 1.784,11 EUR berücksichtigt (§ 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG). Der Antrag auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs wird mit 4 Bruttomonatsgehältern der Klägerin bewertet. Der Gesamtstreitwert ist nach § 19 Abs. 1 S. 2 u. 3 GKG (alte Fassung) zu bestimmen. Der Wert des Hilfsantrags ist nicht mit dem des Hauptantrags zu kumulieren, da er nur Erfolg haben konnte, wenn der Hauptantrag abgewiesen wird. Da der Haupt- und Hilfsanspruch denselben Gegenstand betreffen, ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend (vgl. LAG Baden-Württemberg vom 04.02.2004 – 3 Ta 7/04).
42 
D. Vorsitzende:
43 
Dr. Schmiegel

Gründe

 
I.
18 
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
19 
1. Die Kündigung vom 26.02.2004 ist wirksam.
20 
a) Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien unterfällt angesichts der Dauer der Betriebszugehörigkeit der Klägerin und der Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer dem Kündigungsschutzgesetz (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG). Die Kündigung vom 26.02.2004 ist sozial gerechtfertigt, da sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Weiterbeschäftigung der Klägerin im Betrieb der Insolvenzschuldnerin entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG).
21 
Der Arbeitsplatz der Klägerin ist weggefallen. Der Beklagte entschied vor Ausspruch der Kündigung, keine Sekretärin mehr zu beschäftigen. Die verbleibenden Sekretariatsarbeiten sollten die Bauleiter miterledigen.
22 
Eine derartige Umorganisation ist zulässig und als Unternehmerentscheidung von den Arbeitsgerichten nicht auf ihre Zweckmäßigkeit oder Notwendigkeit hin zu überprüfen.
23 
Die Tatsache, dass im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht feststand, ob es zu einem Betriebsübergang und damit zu einer Verwirklichung des Erwerberkonzepts kommen würde, steht dem nicht entgegen. Insbesondere führt dieser Umstand nicht dazu, dass die Unternehmerentscheidung des Beklagten im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch keine "greifbaren Formen" angenommen hat, also dass eine vernünftige betriebswirtschaftliche Betrachtung nicht die Prognose gerechtfertigt hätte, dass bis zum Kündigungstermin die geplante Maßnahme durchgeführt ist und der Kläger entbehrt werden kann (zu dieser Voraussetzung vgl. BAG vom 18.01.2001 – 2 AZR 514/99, AP Nr. 115 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Der Beklagte hatte sich nämlich unabhängig vom Gelingen des Betriebsübergangs entschieden, den Arbeitsplatz des Klägers nicht fortzuführen. Der Beklagte sah sich vor der Wahl, den Betrieb stillzulegen oder das Konzept des Herrn L. zu verwirklichen. In beiden Fällen war der Arbeitsplatz des Klägers spätestens zum Kündigungstermin nicht mehr vorgesehen. Der Beklagte hat sich das Konzept des Herrn L. insofern zu Eigen gemacht.
24 
Dies widerspricht nicht den Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht im Fall des Betriebsübergangs an eine Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzeptes stellt (dazu BAG vom 20.03.2003 – 8 AZR 97/02, AP Nr. 250 zu § 613 a BGB).
25 
Zwar erfolgte in dem Fall, über den das Bundesarbeitsgericht am 20.03.2003 zu entscheiden hatte, der Betriebsübergang bereits einen Tag nach Ausspruch der Kündigung und war folglich bei der Kündigung bereits sicher von dem kommenden Betriebsübergang auszugehen. Dort war allerdings auch das Erwerberkonzept nur im Fall des Betriebsübergangs umsetzbar, da die – von außen kommenden – Geschäftsführer der Erwerbergesellschaft die Aufgaben des gekündigten Arbeitnehmers als Betriebsorganisationsleiter übernehmen wollten. Dies ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, da der Beklagte unabhängig vom Betriebsübergang kündigen wollte (vgl. zu dieser Differenzierung auch Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629, 631). Dass bei Zugang der Kündigung noch nicht feststand, ob es zu einem Betriebsübergang kommen würde, spricht hier gerade dafür, dass die Kündigung nicht wegen des Betriebsübergangs, sondern wegen eines Sanierungskonzepts ausgesprochen wurde.
26 
Im Betrieb der Insolvenzschuldnerin gibt es keinen anderen freien Arbeitsplatz, auf dem die Klägerin weiterbeschäftigt werden könnte.
27 
b) Die Beklagte hat den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG angehört.
28 
aa) Nach Auffassung der Kammer war gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG vor Ausspruch der Kündigung eine Betriebsratsanhörung durchzuführen. Die Betriebsratsanhörung war nicht gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG entbehrlich.
29 
Zwar mag § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG jedenfalls auf Ehegatten des Alleingeschäftführers einer GmbH analog anwendbar sein mit der Folge, dass diese nicht als Arbeitnehmer im Sinne der Betriebsverfassung gelten (vgl. nur Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Eisemann, 4. Aufl., § 5 BetrVG, Rdnr. 29; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 22. Aufl., § 5, Rdnr. 305; Dietz/Richardi, BetrVG, 9. Aufl., § 5, Rdnr. 182). Dies gilt jedoch nicht im Fall der Insolvenzeröffnung.
30 
§ 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG liegt der Gedanke zugrunde, dass diejenigen Personen von der betrieblichen Interessenvertretung ausgeschlossen sein sollen, die in enger Beziehung zu den Personen stehen, die die Arbeitgeberentscheidungen im Betrieb treffen, da die Gefahr einer Identifikation mit den Arbeitgeberinteressen und folglich einer Interessenpolarität zur übrigen Belegschaft besteht (GK-BetrVG/Raab, 7. Aufl., § 5, Rdnr. 91).
31 
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Der Schuldner bleibt hingegen Eigentümer der Insolvenzmasse und Träger der Unternehmens.
32 
Für die hier entscheidende Frage, ob § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG auf den Ehegatten des Alleingeschäftsführers der Insolvenzschuldnerin Anwendung findet, kommt es darauf an, ob die Stellung des Geschäftsführers nach Insolvenzeröffnung eine vergleichbare Interessenlage begründet wie seine Stellung außerhalb der Insolvenz. Dies ist nach Auffassung der Kammer nicht der Fall. Nach der Insolvenzeröffnung trifft der Insolvenzverwalter alle Entscheidungen, die im Arbeitsverhältnis gefällt werden müssen. Er übt insbesondere das Direktions- und Kündigungsrecht aus (Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung/Ott, § 80, Rdnr. 122). Mit der Betriebsverfassung erhält der Betriebsrat Beteiligungsrechte hinsichtlich Begründung, Inhalt und Beendigung von Einzelarbeitsverhältnissen. Er wirkt gerade auf diejenigen Arbeitgeberentscheidungen ein, die auf den Insolvenzverwalter übergehen. Die Frage der Eigentümerstellung und der Unternehmensverfassung steht bei der Betriebsverfassung hingegen hintan.
33 
bb) Nach der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Auch wenn die Betriebsparteien zu Unrecht von der Anwendbarkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG ausgingen, hat der Beklagte vorsorglich den Betriebsrat angehört.
34 
Beide Zeugen bestätigten insofern den Vortrag des Beklagten. Aus ihrer Aussage ergibt sich, dass dem Betriebsrat die Sozialdaten der Klägerin vorlagen. Da sich die Frage des § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG erst im Laufe der Verhandlungen stellte, waren die Daten der Klägerin auf der ursprünglichen Namensliste aufgeführt. Diese Liste enthielt dieselben Kriterien wie die Anlage 1 zum Interessenausgleich (AS 28). Der Beklagte erklärte in der Sitzung Mitte Februar 2004, er werde nun die Betriebsratsanhörung durchführen. In dieser Sitzung wurden die Kündigungen der einzelnen Arbeitnehmer, darunter der Klägerin, besprochen. Der Kündigungsgrund war dem Betriebsrat bekannt. Der Betriebsrat erklärte sich mit der Kündigung der Klägerin einverstanden. Es kann dahinstehen, ob der Betriebsrat eine Stellungnahme zur Kündigung der Klägerin abgegeben hat, da bis zum Ausspruch der Kündigung am 26.02.2004 die Stellungnahmefrist des § 102 Abs. 2 S. 1 u. 2 BetrVG abgelaufen war.
35 
Die Kammer hält die Aussagen der Zeugen für glaubhaft. Herr S. machte insbesondere deutlich, wenn er sich aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr konkret an den Ablauf der Ereignisse erinnern konnte. Es war erkennbar, dass er die arbeitsrechtliche Problematik nicht aus eigener Sachkunde zuverlässig beurteilen konnte. Dass er den Ablauf nicht rechtlich qualifizieren konnte, spricht aber gerade dafür, dass er ihn nach seiner Erinnerung korrekt wiedergab. Nachdem die Sanierung der Insolvenzschuldnerin gescheitert ist, sind keine Interessen des Zeugen zu erkennen, die ihn von wahrheitsgemäßen Angaben abhalten könnten.
36 
Auch Herr E. machte deutlich, dass er keine arbeitsrechtliche Qualifizierung vornehmen wollte ("Ich kann nicht beurteilen, ob dies arbeitsrechtlich eine Betriebsratsanhörung war.", "Ich war damals darüber erstaunt, weil ich zum ersten Mal dies so erlebte und auch den arbeitsrechtlichen Hintergrund nicht genau kenne.").
37 
Dies spricht dafür, dass die Zeugen keine Tatsachen vortrugen, von denen sie ausgingen, dass sie die Prozessaussichten des Beklagten stützen.
38 
2. Da der Hauptantrag keinen Erfolg hat, fällt der Hilfsantrag zur Entscheidung an. Dieser hat jedoch auch keinen Erfolg, da die Klägerin keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 1 S. 3 BetrVG hat.
39 
Voraussetzung des Nachteilsausgleichs ist, dass der Unternehmer von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund abweicht. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Der Beklagte hat die Betriebsänderung so vorgenommen, wie dies im Interessenausgleich vom 26.02.2004 vorgesehen war.
40 
Die Klägerin kann sich auch nicht auf § 113 Abs. 3 BetrVG stützen. Der Beklagte hat die Betriebsänderung nämlich nicht durchgeführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Vielmehr liegt ein Interessenausgleich vor.
II.
41 
Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO). Der Streitwert wird gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG festgesetzt. Dabei wird der Kündigungsschutzantrag mit 3 Bruttomonatsgehältern der Klägerin à 1.784,11 EUR berücksichtigt (§ 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG). Der Antrag auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs wird mit 4 Bruttomonatsgehältern der Klägerin bewertet. Der Gesamtstreitwert ist nach § 19 Abs. 1 S. 2 u. 3 GKG (alte Fassung) zu bestimmen. Der Wert des Hilfsantrags ist nicht mit dem des Hauptantrags zu kumulieren, da er nur Erfolg haben konnte, wenn der Hauptantrag abgewiesen wird. Da der Haupt- und Hilfsanspruch denselben Gegenstand betreffen, ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend (vgl. LAG Baden-Württemberg vom 04.02.2004 – 3 Ta 7/04).
42 
D. Vorsitzende:
43 
Dr. Schmiegel

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