Urteil vom Arbeitsgericht Halle (2. Kammer) - 2 Ca 1903/12

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8,58 Euro brutto weitere Urlaubsabgeltung zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt 98/100, die Beklagte 2/100 der Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Berufung wird für die Klägerin und die Beklagte nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche aus einem vermeintlichen Leiharbeitsverhältnis für den Zeitraum von Januar 2012 bis Juni 2012.

2

Die Klägerin stand auf der Basis des Arbeitsvertrages der Parteien vom 06.10.2011 (Bl. 9 der Akte) i. V. m. der „Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag“ (Bl. 10 Rückseite der Akte) und der „Zusatzvereinbarung für die Tätigkeit bei der Firma K…GmbH & Co KG“ (Bl. 11 der Akte) in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten als Hilfskraft.

3

Bei der Beklagten handelt es sich um eine Servicegesellschaft, deren Geschäftsgegenstand u. a. auch die gewerbsmäßige Überlassung von Arbeitnehmern bildet.

4

Die Klägerin verrichtete durchgängig ihre Arbeit nicht in einem Betrieb der Beklagten, sondern in den Räumen der K…GmbH & Co KG. Ob die Grundlage der vertraglichen Beziehung zwischen der Beklagten und der K…GmbH & Co KG ein Werkvertrag bildet, steht zwischen den Parteien im Streit.

5

Die Beklagte rechnete das Arbeitsverhältnis der Parteien für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis einschließlich 15.06.2012 auf der Grundlage eines Bruttostundenlohnes in Höhe von 6,50 Euro ab. Insoweit wird Bezug genommen auf die von der Beklagten der Klägerin erteilten Lohn- und Gehaltsabrechnungen für Januar 2012 (Bl. 19 d.A.), Februar 2012 (Bl. 20 d. A.), März 2012 (Bl. 21 d. A.), April 2012 (Bl. 22 d. A.), Mai 2012 (Bl. 36 d. A.) und Juni 2012 (Bl. 40 d. A.).

6

Mit der vorliegenden Klage vom 25.06.2012 begehrt die Klägerin die Zahlung einer Vergütungsdifferenz in Höhe von 0,51 Euro (7,01 – 6,50 Euro) für jede der abgerechneten Arbeitsstunden und die Zahlung weiterer Urlaubsabgeltung. Die Klageschrift vom 25.06.2012 wurde der Beklagten zugestellt am 11.07.2012. Die Klageerweiterung betreffend den Monat Mai 2012 vom 03.07.2012 wurde der Beklagten zugestellt am 11.07.2012. Die Klageerweiterung vom 07.08.2012 betreffend den Monat Juni 2012 wurde der Beklagten zugestellt am 10.08.2012.

7

Die Klägerin ist der Auffassung, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finde Anwendung der Tarifvertrag zur Regelung von Mindestarbeitsbedingungen in der Zeitarbeit. In Anwendung dieses Tarifvertrages habe die Klägerin einen Bruttostundenlohn in Höhe von 7,01 €. Auf der Basis der durch die Beklagte erstellten Lohnabrechnungen habe die Klägerin für Januar 2012 einen weitergehenden Zahlungsanspruch in Höhe von 63,01 Euro brutto, für Februar 2012 einen solchen im Umfang von 54,25 Euro, für März 2012 einen weitergehenden Vergütungsanspruch in Höhe von 75,62 Euro, für April 2012 einen weitergehenden Vergütungsanspruch in Höhe von 42,84 Euro, für Mai 2012 einen weitergehenden Anspruch in Höhe von 60,35 Euro brutto und für Juni 2012 einen solchen in Höhe von 43,86 Euro brutto. Die Klägerin sei nicht auf der Grundlage eines Werkvertrages durch die Beklagte bei der K…GmbH & Co KG eingesetzt worden, sondern im Wege der Arbeitnehmerüberlassung. Es werde bestritten, dass zwischen der Beklagten und der K…GmbH & Co KG ein Werkvertrag geschlossen worden sei. Die Beklagte werde aufgefordert, diesen behaupteten Werkvertrag vorzulegen. Gegen einen werkvertraglichen Einsatz der Klägerin spreche die Zusatzvereinbarung der Parteien zum Arbeitsvertrag vom 06.10.2011. Danach wurde die Klägerin in der Konfektionierung eingesetzt. Als Sollleistung wurde die Konfektionierung von 97 Kartons je Stunde vereinbart. Die zu konfektionierende Ware werde von der Firma K…GmbH & Co KG gestellt. Die Klägerin habe zum Teil die Sollleistung nicht erbringen können, da die Firma K… GmbH & Co KG nicht immer ausreichend zu konfektionierende Ware bereitgestellt habe. Bereits deshalb liege eine Eingliederung in die Organisation und in die Arbeitsabläufe bei der Firma K…GmbH & Co KG vor. Die K…GmbH & Co. KG arbeite im Zweischichtsystem, in welches die Klägerin eingebunden war. Ferner hätten die Parteien in § 8 des Arbeitsvertrages vereinbart, dass die Klägerin den Nachweis der von ihr geleisteten Arbeitsstunden durch Vorlage eines vom Auftraggeber unterschriebenen Tätigkeitsnachweises zu führen habe. Das bedeute, dass die K…GmbH & Co KG die Klägerin zu überwachen habe. Die Klägerin bestreite mit Nichtwissen, dass ihr ausschließlich die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter die von der Klägerin auszuführenden Arbeiten zuwiese. In welchem Arbeitsverhältnis die Vorarbeiter stünden, sei der Klägerin nicht bekannt. Der Klägerin stehe auch ein weitergehender Anspruch auf Urlaubsabgeltung zu. Die Beklagte habe den Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin fehlerhaft berechnet. Ausweislich der Lohn- und Gehaltsabrechnung für Juni 2012 zahlte die Beklagte der Klägerin Urlaubsabgeltung für fünf nicht in Anspruch genommene Urlaubstage. Tatsächlich seien 8 nicht in Anspruch genommene Urlaubstage abzugelten. Im März 2012 habe die Klägerin den Resturlaub für das Kalenderjahr 2011 im Umfang von 3 Arbeitstagen in Anspruch genommen. Ausgehend von einem Bruttovergütungsanspruch in Höhe von 7,01 Euro errechne sich ein weitergehender Urlaubsabgeltungsanspruch im Umfang von 84,12 Euro brutto.

8

Die Klägerin beantragt,

9
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Restvergütung für den Monat Januar 2012 in Höhe von 63,01 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.02.2012 zu zahlen.
10
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Restvergütung für den Monat Februar 2012 in Höhe von 54,25 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.03.2012 zu zahlen.
11
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Restvergütung für den Monat März 2012 in Höhe von 75,62 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.04.2012 zu zahlen.
12
4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Restvergütung für den Monat April 2012 in Höhe von 42,84 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.05.2012 zu zahlen.
13
5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Restvergütung für den Monat Mai 2012 in Höhe von 60,35 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.06.2012 zu zahlen.
14
6. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Restvergütung für den Monat Juni 2012 in Höhe von 43,86 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.07.2012 zu zahlen.
15
7. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere Urlaubsabgeltung in Höhe von 84,12 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.07.2012 zu zahlen.
16

Die Beklagte beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Die Beklagte ist der Auffassung, die Vergütungsansprüche der Klägerin seien erfüllt. Ausweislich des Arbeitsvertrages sei die Klägerin bei der Beklagten in deren Abteilung „outsourcing“ im werkvertraglichen Bereich eingestellt und auch ausschließlich dort eingesetzt worden. Die Ausübung der Tätigkeit bei der K…GmbH & Co KG sei auf werkvertraglicher Basis erfolgt. Zwischen der K...GmbH & Co KG und der Beklagten habe ein entsprechender Werkvertrag bestanden, in dem sich die Beklagte zur eigenverantwortlichen Erledigung dieser Konfektionierungsarbeiten verpflichtet habe. Zur Vertragserfüllung habe die Beklagte den notwendigen Personalbedarf selbst festgestellt und ihre Mitarbeiter eigenständig eingeplant und ihnen die Arbeit zugewiesen. Die Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt im Rahmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung eingestellt, eingesetzt oder überlassen worden. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei zu keinem Zeitpunkt in keiner Weise den Regelungen des AÜG und des Tarifvertrags zur Regelung von Mindestarbeitsbedingungen in der Zeitarbeit unterfallen. Es bestehe kein Anspruch auf den dort geregelten Mindestlohn. Der anderslautende Vortrag der Klägerin sei falsch und werde bestritten. Die Klägerin habe im März 2012 bereits drei Tage des Erholungsurlaubes für das Jahr 2012 in Anspruch genommen. Es werde bestritten, dass es sich bei den drei Urlaubstagen im März 2012 um Resturlaubsansprüche aus dem Jahr 2011 gehandelt habe. Die Klägerin habe keinen Antrag auf Übertragung etwaiger Resturlaubsansprüche des Jahres 2011 in das Jahr 2012 gestellt.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der Güteverhandlung vom 28.08.2012 und der Kammerverhandlung vom 14.02.2013 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Die zulässige Klage ist überwiegend unbegründet.

I.

21

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen weiteren Anspruch auf Urlaubsabgeltung im Umfang von 8,58 Euro brutto.

22

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete mit Ablauf des 15.06.2012. Ausgehend von der arbeitsvertraglich vereinbarten Fünftagewoche hat die Klägerin demgemäß Anspruch auf 5/12 des Urlaubs 2012 (§ 5 BUrlG).

23

2. Nach § 3 Abs. 1 BUrlG beträgt der Urlaub jährlich mindestens 24 Werktage; dies entspricht bei Zugrundelegung einer Fünftagewoche – wie vorliegend vereinbart - 20 Arbeitstagen.

24

a) Die Klägerin hat keinen weitergehenden Urlaubsanspruch für 2012 auf der Grundlage von § 4 des Tarifvertrages zur Regelung von Mindestarbeitsbedingungen in der Zeitarbeit (fortan MindestTV), geschlossen zwischen dem BZA und dem iGZ einerseits und der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit andererseits. Nach § 4 MindestTV beträgt der Urlaubsanspruch - abweichend von § 3 BUrlG - 24 Arbeitstage.

25

aa) Die Klägerin hat keinerlei Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass die Beklagte Mitglied des BZA oder des iGZ und damit tarifgebunden ist.

26

bb) Tatsachen aus denen sich ergibt, dass der MindestTV für allgemeinverbindlich erklärt wurde, sind für das erkennende Gericht nicht ersichtlich.

27

Dieser Tarifvertrag ist ausweislich des Verzeichnisses der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge (Stand 01.07.2012), herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, nicht für allgemeinverbindlich erklärt. Mithin verbleibt es bei dem Urlaubsanspruch der Klägerin nach Maßgabe des BUrlG.

28

b) Da das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Jahr 2012 nur volle fünf Beschäftigungsmonate bestanden hat, steht der Klägerin 5/12 des gesetzlichen (Voll)Urlaubsanspruchs zu; es errechnen sich für sie insgesamt 8,33 Urlaubstage (20 x 5/12).

29

2. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung konnte sie im März 2012 nicht den im Jahr 2011 entstandenen Teilurlaub in Umfang von drei Tagen in Anspruch nehmen.

30

a) Tatsächlich hat die Klägerin im Jahr 2011 einen Teilurlaub von 3,33 Arbeitstagen für dieses Kalenderjahr erworben, da die Klägerin im Jahr 2011 lediglich zwei volle Kalendermonate für die Beklagte tätig war. Es handelt sich dabei um einen Teilurlaub i. S. v. § 5 Abs. 1 a BUrlG, da die Klägerin im Jahr 2011 die sechsmonatige Wartezeit nach § 4 BUrlG noch nicht ausgeschöpft hatte und deshalb der volle Urlaubsanspruch in diesem Kalenderjahr noch nicht entstanden war.

31

b) Allerdings ist dieser Urlaubsanspruch Ende Dezember 2011 untergegangen.

32

Nach der gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 3 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Jahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen (§ 7 Abs 3 Satz 2 BUrlG). In diesem Fall muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden (§ 7 Abs 3 Satz 3 BurlG). Diese Bestimmungen gelten auch für den Teilurlaub.

33

§ 7 Abs. 3 Satz. 2 BUrlG ermöglicht zwar eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr, soweit dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Allerdings hat die Klägerin keinerlei Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass einer dieser Gründe im Jahr 2011 tatsächlich vorlagen. Der Teilurlaubsanspruch der Klägerin für das Jahr 2011 ist mit Ablauf des 31.12.2011 untergegangen.

34

c) Der von der Klägerin im März 2012 in Anspruch genommene Erholungsurlaub im Umfang von drei Tagen konnte deshalb allein auf den Teilerholungsurlaubsanspruch der Klägerin für das Jahr 2012 angerechnet werden. Mithin verblieb ein abzugeltender Urlaubsanspruch im Umfang von 5,33 Urlaubstagen.

35

Die Beklagte zahlte der Klägerin ausweislich der Lohn- und Gehaltsabrechnung für Juni 2012 (Bl. 46 d. A.) Urlaubsabgeltung für insgesamt 5,0 nicht in Anspruch genommene Tage. Der Klägerin ist damit wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein dem Urlaubsentgelt für 0,33 Urlaubstage entsprechender Betrag als Abgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG zu zahlen.

36

3. Entgegen der von der Beklagten vertreten Rechtsauffassung war der Urlaubsanspruch der Klägerin nicht von 8,33 auf 8,0 Urlaubstage abzurunden.

37

Denn die Regelung eines Ausschlusstatbestandes, nach der Bruchteile eines Urlaubsanspruchs einem Arbeitnehmer nicht zustehen, wenn sie die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 2 BUrlG nicht erreichen, also weniger als einen halben Urlaubstag betragen, enthält § 5 Abs. 2 BUrlG nicht. Einer solchen Regelung hätte es aber bedurft, um den Anspruch auszuschließen (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 26.02.1989 – 8 AZR 730/87 – zitiert nach juris). Mithin besteht ein Anspruch auf Abgeltung von insgesamt 5,33 nicht in Anspruch genommenen Urlaubstagen für 2012.

38

4. Die Höhe der durch die Beklagten zu zahlenden Urlaubsabgeltung bemisst sich ausgehend von dem arbeitsvertraglich vereinbarten Bruttostundenlohn in Höhe von 6,50 €. Ein weitergehender Abgeltungsanspruch besteht nicht. Die Klage war insoweit abzuweisen.

39

a) Die Klägerin unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des MindestTV. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen unter I 2 a) der Entscheidungsgründe.

40

b) Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hart nicht hinreichend Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass sie als „Leiharbeitnehmerin“ dem persönlichen Anwendungsbereich der Ersten Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung vom 21.12.2011 unterfällt.

41

aa) Nach § 3 a Abs. 3 Satz 1 AÜG findet § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG entsprechend Anwendung, wenn eine Entscheidung nach § 3 a Abs 2 Satz 1 AÜG ergangen ist. Eine Entscheidung in diesem Sinne ist die „Erste Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung“ vom 21.12.2011.

42

Ausweislich des Verzeichnisses der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge (Stand 01.07.2012), herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, handelt es sich hierbei um einen durch Rechtsverordnung verbindlichen Mindestlohn-Tarifvertrag.

43

bb) Die Anwendung der Ersten Verordnung über eine Lohnuntergrenze der Arbeitnehmerüberlassung findet nicht bereits deshalb Anwendung, weil die Beklagte auch – das ist gerichtsbekannt - als Verleiher im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung tätig ist. Denn dies schließt ein Tätigwerden auf anderer Grundlage nicht aus.

44

cc) Die Klägerin hat nicht hinreichend Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass zwischen der K… GmbH & Co KG und der Beklagten kein Werk- oder Dienstvertrag vorlag, sondern die Klägerin der K…GmbH & Co KG vielmehr zur Arbeitsleistung überlassen worden war.

45

Eine Überlassung zur Arbeitsleistung i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AÜG liegt vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach den Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen.

46

Notwendiger Inhalt eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages ist die Verpflichtung des Verleihers gegenüber dem Entleiher, diesem zur Förderung von dessen Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Die Vertragspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher endet, wenn er den Arbeitnehmer ausgewählt und ihm dem Entleiher zur Verfügung gestellt hat.

47

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unterfällt nicht jeder in diesem Sinne drittbezogene Arbeitseinsatz dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Arbeitnehmerüberlassung ist vielmehr durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet.

48

Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrages. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Er organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolges notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werkes gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrages eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller kann jedoch, wie sich aus § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführungen des Werks erteilen. Entsprechendes gilt für Dienstverträge. Solche Dienst- oder Werkverträge werden vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht erfasst (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 18.01.2012 – 7 AZR 723/10 – zitiert nach juris; Bundesarbeitsgericht Urteil vom 13.08.2008 – 7 AZR 269/07 – zitiert nach juris).

49

Über die rechtliche Einordnung des Vertrages zwischen dem Dritten und dem Arbeitgeber entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem tatsächlichen Geschäftsinhalt nicht entspricht. Die Vertragsschließenden können das Eingreifen zwingender Vorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nicht dadurch vermeiden, dass sie einen vom Geschäftsinhalt abweichenden Vertragstyp wählen. Der Geschäftsinhalt kann sich sowohl aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch aus der praktischen Durchführung des Vertrages ergeben. Widersprechen sich beide, so ist die tatsächliche Durchführung des Vertrages maßgebend, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben. Der so ermittelte wirkliche Wille der Vertragsparteien bestimmt den Geschäftsinhalt und damit den Vertragstyp (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 18.01.2012 – 7 AZR 723/10 – zitiert nach juris; Bundesarbeitsgericht Urteil vom 13.08.2008 – 7 AZR 269/07 – zitiert nach juris).

50

Die Abgrenzungskriterien zwischen Dienstwerkvertrag einerseits und Arbeitnehmerüberlassung andererseits werden insofern einheitlich angewendet. Entscheidend hinsichtlich der Abgrenzung ist zum einen die Frage der Weisungsgebundenheit und zum anderen der Gesichtspunkt der Eingliederung in die Betriebsorganisation des Entleihers/Arbeitgebers (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 12.12.2012 – 15 Sa 1217/12 zitiert nach juris m.w.N.).

51

In Anwendung dieser Kriterien ist festzustellen, dass die Klägerin nicht hinreichend Kriterien vorgetragen hat, die in ihrem Falle für eine Arbeitnehmerüberlassung sprechen.

52

(1) Nach der dargestellten Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt es nicht auf den Inhalt des geschlossenen Vertrages an. Selbst wenn die Beklagte mit der K… GmbH & Co KG einen Werkvertrag geschlossen hätte, könnte die tatsächliche Durchführung dieses Vertrages ergeben, dass ein Fall der Arbeitnehmerüberlassung vorliegt.

53

(2) Tatsachen, dass dem so ist, hat die Klägerin allerdings nicht hinreichend vorgetragen.

54

Allein der Umstand, dass die Firma K…GmbH & Co KG die von der Klägerin zu konfektionierende Ware bereitstellte, spricht nicht für eine Arbeitnehmerüberlassung. Ebenso ist die Vereinbarung der Zahlung einer Leistungszulage in Abhängigkeit von der Anzahl der von der Klägerin konfektionierten Kartons kein wesentliches Indiz dafür, dass ein Fall der Arbeitnehmerüberlassung vorliegt.

55

Die Klägerin hat weder Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass die Klägerin gemeinsam mit Arbeitnehmern der K…GmbH & Co KG die Konfektionierung durchführt hat oder die Klägerin gar in anderen Bereichen der K…GmbH & Co KG auf Anweisung der K…GmbH & Co KG eingesetzt wurde.

56

Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat nicht vorgetragen, dass die ihr vorgesetzten Vorarbeiter (welche?) tatsächlich Mitarbeiter der K…GmbH & Co KG waren. Die Klägerin benannte nicht einmal den Namen bzw. Vornamen des/der Vorarbeiter.

57

Allein der Umstand dass die Klägerin – wie die bei der K…GmbH & Co KG angestellten Arbeitnehmer - ihre Arbeitsleistung im Betrieb der K…GmbH & Co KG im 2-Schicht-System erbrachte, spricht ohne weitere Indizien weder für noch gegen die Annahme einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung. Anders als beispw. in der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg vom 12.12.2012 gibt es auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin – außerhalb der sog. Konfektionierung - auch in anderen Bereichen der K….GmbH & Co KG eingesetzt war. Gerichtsbekannt ist, dass es sich bei der K…GmbH & Co KG um ein Unternehmen des Güterkraftverkehrs handelt.

58

Schließlich spricht gegen die Annahme eines Werkvertrages auch nicht der Umstand, dass der Klägerin die von ihr geleisteten Stunden durch die K… GmbH & Co KG bestätigt werden mussten. Dies allein ist nicht geeignet, um eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung anzunehmen. Vielmehr kann diese Kontrolle der Klägerin auch Ausdruck des dem Werkunternehmer obliegenden werkvertraglichen Weisungsrechtes nach § 645 Abs 1 Satz 1 BGB hinsichtlich des Erfüllungsgehilfen des Werkunternehmers sein. Fest steht allein, dass die Klägerin die Gewährung von Erholungsurlaub bei der Beklagten beantragen musste. Dies jedoch ist eindeutig dem arbeitsvertraglichen Weisungsbereich zuzuordnen.

59

Der Klägerin musste im Hinblick auf den Schriftsatz der Beklagten vom 29.01.2012 kein weiteres Schriftsatzrecht einräumen. Denn auf den Schriftsatz der Beklagten vom 29.01.2013 kam es nicht entscheidungserheblich an.

60

c) Damit verbleibt es bei der Berechnung des Urlaubsentgeltes auf der Grundlage des arbeitsvertraglich vereinbarten Bruttostundenlohnes in Höhe von 6,50 Euro. Ausgehend hiervon und von einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Arbeitsstunden errechnet sich ein Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 138,58 Euro brutto (563,36 Euro brutto mal drei Monate durch 13 Wochen dividiert durch 5 Arbeitstage mal 5,33). Hiervon waren die durch die Beklagte bereits gezahlten 130,00 Euro brutto in Abzug zu bringen.

61

d) Die Klägerin wahrte auch die einzelvertraglich vereinbarte Ausschlussfrist (§ 17 des Arbeitsvertrages vom 06.10.2011).

62

Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 21.02.2012 – 9 AZR 486/10 – zitiert nach juris). Das Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf des 15.06.2012.

63

Der Anspruch auf Zahlung von weiterer Urlaubsabgeltung für insgesamt drei Tage war Gegenstand der Klageerweiterung vom 07.08.2012, welche der Beklagten am 10.08.2012 zugestellt wurde, mithin innerhalb der ersten Stufe der zweistufigen Ausschlussfrist. Die erste Stufe endete frühestens mit Ablauf des 15.09.2012.

II.

64

Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keine weitergehenden Ansprüche auf Zahlung einer höheren Vergütung für den Zeitraum von Januar 2012 bis Juni 2012.

65

Tatsachen, die die Anwendung der Ersten Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung nach Maßgabe des § 3 a Abs. 2 AÜG vom 21.12.2011 begründen könnten, hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nicht vorgetragen (vgl. hierzu I 4 b) der Entscheidungsgründe).

66

Aus den genannten Gründen war die Klage im Wesentlichen abzuweisen.

67

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

68

Die Zinsansprüche beruhen auf den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

69

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin die Beklagte zu einem früheren Zeitpunkt bezüglich der Urlaubsabgeltung i. S. d. § 286 Abs. 1 BGB durch eine Mahnung in Verzug gesetzt hat. Aus § 7 Abs. 4 BUrlG folgt nur das Entstehen des Abgeltungsanspruchs mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Für die Leistung der Abgeltung ist damit nicht i. S. d. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine Zeit nach dem Kalender bestimmt. Die Klägerin ist damit nicht ohne Weiteres bereits mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Verzug geraten (vgl. hierzu Bundesarbeitsgericht Urteil vom 07.08.2012 – 9 AZR 353/10 - zitiert nach juris). Das von der Klägerin vorgelegte Geltendmachungsschreiben vom 07.08.2012 enthält keine Fristsetzung. Mithin waren die Zinsen ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit auszuurteilen.

70

Die Berufung war vorliegend nicht zuzulassen. Keine der Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG liegen vor.


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