Beschluss vom Arbeitsgericht Köln - 8 BV 202/20
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die vorläufige Einstellung der in den Antragschriften vom 30.11.2020, 28.12.2020 und 19.03.2021 namentlich bezeichneten Arbeitnehmer (Antragschrift vom 30.11.2020: … als Fahrer im Betrieb K aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war.
2. Im übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.
1
Gründe:
2I.
3Die Beteiligten streiten über die personelle Mitbestimmung nach den §§ 99, 100 BetrVG bei Neueinstellungen.
4Die antragstellende Arbeitgeberseite hat ihren Sitz in Berlin und ist die deutsche Gesellschaft einer internationalen Unternehmensgruppe mit Sitz in den Niederlanden, die sich mit Dienstleistungen im Bereich von Bestellungen und Lieferungen von Essen von Restaurants an Kunden befasst („Online-Lieferservice“). Sie beschäftigt in ihrem K Betrieb über 500 Mitarbeiter, im wesentlichen sogenannte „Rider“, die mittels Fahrrad, teilweise auch mittels Mofa oder Pkw, im K Stadtgebiet Essen ausliefern.
5Beteiligte zu 2) und Antragsgegner ist der Betriebsrat für den Betrieb in K .
6Die Antragstellerin führt Neueinstellungen regelmäßig dergestalt durch, dass sie auf ihrer Internetseite regelmäßig zu Initiativbewerbungen einlädt. Die Bewerber sollen dann auf dieser Internetseite ein „Quiz“ durchführen, dessen Inhalt weder mit dem Beteiligten zu 2) abgestimmt ist noch seitens der Antragstellerin zum Gegenstand des hiesigen Beschlussverfahrens gemacht wurde. Wer bei diesem „Quiz“ die erforderliche Mindestpunktzahl von 83,33 Prozent erreicht, dessen Daten werden an das „Recruiting-Team“ weitergeleitet. Wenn eine Stelle im Liefergebiet frei ist, erfolgt i. d. R. auch eine Einstellung. Weitere Einstellungsvoraussetzungen neben dem Erreichen der Mindestpunktzahl von 83,33 Prozent beim „Quiz“ sind nach Angaben der Antragstellerin lediglich das Beherrschen entweder der deutschen oder der englischen Sprache sowie die Befähigung, im K Stadtgebiet mit Lasten Fahrrad fahren zu können.
7Eine förmliche Betriebsratsanhörung erfolgt vor Neueinstellungen regelmäßig nicht. Die Antragstellerin führt lediglich eine Excel-Tabelle hinsichtlich Neueinstellungen fort, in die sie auch dem Beteiligten zu 2) Zugriff gewährt und in der sie regelmäßig Fristen hinsichtlich einzelner Neueinstellungen notiert, binnen derer der Betriebsrat seine Zustimmung verweigern könne.
8Nachdem am 28.10.2020 im Rahmen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf der Bund-Länder-Konferenz zwischen Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten ein zweiter bundesweiter Lockdown mit erneuter flächendeckender Schließung der gesamten Gastronomie im Bundesgebiet, nicht nur im Innenbereich, sondern auch im Außenbereich, zunächst befristet bis Ende November 2020, beschlossen wurde, kam es zu vermehrten Neueinstellungen bei der Antragstellerin.Das Ausliefern gastronomischer Produkte sowie das Abholen („take away“) blieben– anders als der Vor-Ort-Verzehr – weiterhin zulässig.
9Im November 2020 trug die Antragstellerin daher hinsichtlich ca. 100 Arbeitnehmern, die in der Antragschrift vom 30.11.2020 namentlich bezeichnet sind, in der Excel-Tabelle eine beabsichtigte Neueinstellung ein. Der Betriebsrat widersprach den beabsichtigten Neueinstellungen und verwies auf vorhandene Arbeitnehmer, die ihre Stundenkontingente gerne erhöhen würden.
10Mit E-Mails vom 24.11.2020, 25.11.2020 und 26.11.2020 erklärte die Antragstellerin gegenüber dem Betriebsrat, man beabsichtige arbeitgeberseitig die vorläufige Durchführung der Neueinstellungen aus sachlich begründeten dringenden Erfordernissen. Mit E-Mail vom 27.11.2020 widersprach der Betriebsrat der vorläufigen Durchführung.
11Daraufhin hat die Antragstellerin am 30.11.2020 das vorliegende Beschlussverfahren anhängig gemacht.
12Sie ist der Ansicht, auch eine Eintragung in eine Excel-Tabelle stelle eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung nach § 99 BetrVG dar. Schließlich habe der Betriebsrat die Möglichkeit gehabt, diese einzusehen und zu widersprechen. Jedenfalls könne auch eine fehlerhafte Anhörung nach § 99 BetrVG noch durch Nachholung der fehlenden Informationen gegenüber dem Betriebsrat im Beschlussverfahren geheilt werden. Dies sei vorliegend mit der Antragschrift geschehen. Die Zustimmungsverweigerung seitens des Betriebsrats sei auch treuwidrig, da dieser jeder beabsichtigten Neueinstellung derzeit widerspreche. Jedenfalls sei die vorläufige Durchführung der Maßnahmen aus sachlichen Gründen i. S. des § 100 BetrVG dringend erforderlich gewesen. Hier sei die derzeitige Sondersituation des Corona-Lockdowns zu berücksichtigen, der zu einer massiv erhöhten Nachfrage nach Leistungen der Antragstellerin führe. Ohne die Neueinstellungen würde es zu massiven Einnahmeverlusten auf Seiten der Antragstellerin kommen. Im übrigen sei es rechtsmissbräuchlich, dass der Betriebsrat derzeit jeder Einstellung widerspreche.
13Mit weiteren Antragschriften vom 28.12.2020 (zunächst geführt unter Aktenzeichen8 BV 220/20) und vom 19.03.2020 (zunächst geführt unter Aktenzeichen 8 BV 51/21) hat die Antragstellerin hinsichtlich weiterer Arbeitnehmer in entsprechender Konstellation die Zustimmungsersetzung und die Feststellung der dringenden Erforderlichkeit der vorläufigen Durchführung der Maßnahme beantragt. Es sind bei anderen Kammern des Arbeitsgerichts Köln auch noch weitere Parallelverfahren anhängig.
14Die Antragstellerin beantragt zuletzt,
15- 16
1. die Zustimmung des Beteiligten zu 2. zur Einstellung von … als Fahrer im Betrieb K zu ersetzen,
- 18
2. die Zustimmung des Beteiligten zu 2. zur Einstellung von … als Fahrer im Betrieb K zu ersetzen,
- 20
3. die Zustimmung des Beteiligten zu 2. zur Einstellung von …
als Fahrer im Betrieb K zu ersetzen,
22- 23
4. festzustellen, dass die vorläufige Einstellung der in den vorbenannten Anträgen
zu 1) bis 3) bezeichneten Arbeitnehmer aus sachlichen Gründen dringend
25erforderlich ist.
26Der Betriebsrat beantragt,
27die Anträge zurückzuweisen.
28Er rügt, es liege bereits keine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung vor. Die schlichte Eintragung von Neueinstellungen in eine Excel-Tabelle genüge hierfür nicht. Es fehle auch an jeglichen näheren Informationen hinsichtlich der eingestellten bzw. der abgelehnten Bewerber. Anstelle der Neueinstellungen könne auch eine Stundenerhöhung bei bereits vorhandenen Mitarbeitern vorgenommen werden, was von vielen Beschäftigten begehrt werde. Auch der Antrag nach § 100 BetrVG sei bereits wegen der fehlenden Information des Betriebsrats zurückzuweisen. Im übrigen fehle es an der Eilbedürftigkeit, die Antragstellerin habe insofern nicht konkret nachgewiesen, dass es zu Lieferausfällen gekommen sei.
29Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten und deren Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
30II.
31Der Antrag war hinsichtlich des Hauptantrages auf Zustimmungsersetzung nach § 99 BetrVG unbegründet, hinsichtlich des weiteren Antrages auf Feststellung der dringenden Erforderlichkeit der vorläufigen Durchführung der Maßnahme nach § 100 BetrVG demgegenüber begründet.
321.)
33Der Antrag auf Zustimmungsersetzung war unbegründet.
34Ein erfolgreicher Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmungsersetzung nach § 99 BetrVG setzt voraus, dass der Arbeitgeber das Zustimmungsverfahren überhaupt ordnungsgemäß gegenüber dem Betriebsrat eingeleitet hat. Erst wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat ordnungsgemäß nach § 99 BetrVG angehört und ihm sämtliche gesetzlich erforderlichen Informationen erteilt hat, stellt sich für das Gericht die Frage nach dem etwaigen Vorliegen von Zustimmungsverweigerungsgründen nach § 99 Abs. 2 BetrVG. Erst mit umfassender und rechtzeitiger Information des Betriebsrats beginnt der Lauf der einwöchigen Anhörungsfrist, ohne eine solche kann auch ein Zustimmungsersetzungsantrag des Arbeitgebers nach § 99 BetrVG keinen Erfolg haben.
35(BAG, Beschluss vom 21.11.2018, 7 ABR 16/17, juris, Rn 16; BAG, Beschluss vom 13.05.2014, 1 ABR 9/12, juris, Rn 18; BAG, Beschluss vom 13.03.2012, 7 ABR 39/11, juris, Rn 31; BAG, Beschluss vom 12.01.2011, 7 ABR 25/09, juris, Rn 32; BAG, Beschluss vom 05.05.2010, 7 ABR 70/08, juris, Rn 23; Fitting, BetrVG, § 99, Rn 162). Hiervon ausgehend fehlt es vorliegend bereits an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG.
36Das Gesetz verlangt in § 99 Abs. 1 Satz 1, erster Halbsatz BetrVG, dass in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern – hierzu zählt die Antragstellerin unzweifelhaft – der Arbeitgeber den Betriebsrat „vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten“ hat und ihm hierbei „die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben“ hat. § 99 Abs. 1 Satz 1, zweiter Halbsatz BetrVG ergänzt insoweit, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat auch unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben hat und „die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen“ hat.
37Nichts von alledem hat die antragstellende Arbeitgeberin vorliegend getan.
38Zwar sieht das Gesetz für den Antrag des Arbeitgebers auf Erteilung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer der in § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bezeichneten personellen Maßnahmen keine besondere Form vor. Fehlt es an einem ausdrücklichen förmlichen Zustimmungsgesuch, ist jedoch erforderlich, dass der Betriebsrat der Mitteilung des Arbeitgebers entnehmen kann, dass er um die Zustimmung zu einer personellen Maßnahme i. S. d. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG angegangen wird (so ausdrücklich BAG, Beschluss vom 21.11.2018, 7 ABR 16/17, juris, Rn 19; unter Bezugnahme auf BAG, Beschluss vom 10.11.2009, 1 ABR 64/08, juris, Rn 17).
39Die gesetzliche Formulierung, dass der Arbeitgeber „die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen“ hat, verlangt insofern vom Arbeitgeber ein aktives Tun, in Form eines aktiven auf den Betriebsrat Zugehens, um diesen zu einer beabsichtigten personellen Maßnahme anzuhören (so auch BAG 21.11.2018, a. a. O., wonach jedenfalls eine „Mitteilung“ des Arbeitgebers an den Betriebsrat erforderlich ist). An einem derartigen aktiven Tun der Antragstellerin gegenüber dem Betriebsrat fehlt es vorliegend. Die Antragstellerin hält es für ausreichend, im Rahmen des § 99 BetrVG dem Betriebsrat ein Zugriffsrecht über eine offenbar ohnehin von der Personalabteilung geführte Excel-Tabelle über beabsichtigte Neueinstellungen zu gewähren. Entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin genügt dies jedoch den Anforderungen des § 99 BetrVG nicht ansatzweise. Die Antragstellerin verhält sich insofern lediglich passiv, indem sie einen Zugriff des Betriebsrats auf eine Excel-Tabelle der Personalverwaltung duldet. Eine derartige Duldung ersetzt nicht die nach § 99 BetrVG vom Arbeitgeber aktiv verlangte Betriebsratsanhörung. Der Arbeitgeber muss seinen Betriebsrat aktiv zu einer beabsichtigten personellen Einzelmaßnahme anhören, um hierdurch die Wochenfrist nach § 99 BetrVG für die Stellungnahme des Betriebsrats in Gang zu setzen. Vorliegend verlangt die Antragstellerin vielmehr im Gegensatz zur gesetzlichen Konzeption des § 99 BetrVG, dass sich der Betriebsrat quasi „selbst anhören“ soll. Nach der Vorstellung der Antragstellerin soll der Betriebsrat offenbar selbst tätig werden und fortlaufend eine fortgeschriebene Excel-Tabelle beobachten und dann intervenieren, wenn er Einwände hat. Ein derartiges Verfahren sieht § 99 BetrVG schlicht nicht vor. Die aktive Einleitung eines Verfahrens nach § 99 BetrVG hinsichtlich einer beabsichtigten personellen Einzelmaßnahme ist nicht Sache des Betriebsrats, sondern Sache des Arbeitgebers.
40Hat ein Arbeitgeber ein Verfahren nach § 99 BetrVG einmal ordnungsgemäß eingeleitet, durch ordnungsgemäße und vollständige Anhörung und Information des Betriebsrats, hat der Betriebsrat danach nur noch sehr eingeschränkte Möglichkeiten, die personelle Einzelmaßnahme zu verhindern. Er kann dann die Zustimmung nicht beliebig, sondern nur aus den in § 99 Abs. 2 BetrVG abschließend aufgeführten Zustimmungsverweigerungsgründen verweigern. Selbst bei Verweigerung der Zustimmung seitens des Betriebsrats kann der Arbeitgeber dennoch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 100 BetrVG die Maßnahme vorläufig durchführen. Erst die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung gegen Arbeitgeber kann regelmäßig die Maßnahme beenden. Um so mehr ist im Gegenzug darauf zu achten, dass der Arbeitgeber das Verfahren nach § 99 BetrVG zumindest ordnungsgemäß einleitet und den Betriebsrat vollständig informiert. Fehlt es hieran, ist der Zustimmungsersetzungsantrag des Arbeitgebers bereits aus diesem Grunde abzuweisen, ohne dass es noch auf die Frage ankäme, ob sich der Betriebsrat auf einen Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 BetrVG berufen kann.
41Hiervon ausgehend war der Zustimmungsersetzungsantrag der Antragstellerin bereits deswegen zurückzuweisen, weil es an der erforderlichen „Anhörung“ des Betriebsrats in Form einer ordnungsgemäßen Einleitung des Verfahrens und einer vollständigen Information des Betriebsrats i. S. des § 99 Abs. 1 BetrVG fehlt. Auf das etwaige Vorliegen von Zustimmungsverweigerungsgründen nach § 99 Abs. 2 BetrVG kam es für die Abweisung der Anträge nach § 99 BetrVG nicht mehr entscheidungserheblich an.
42Das Gewähren einer Einsichtnahmemöglichkeit in eine Excel-Tabelle stellt schon keine „Anhörung“ des Betriebsrats da. Die Antragstellerin hat bereits nicht versucht, die Zustimmung des Betriebsrats „einzuholen“. Die bei der Antragstellerin offenbar bestehende Vorstellung, dass die Wochenfrist für die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bereits dadurch zu laufen beginnen soll, in dem die Antragstellerin ein Datum in die Excel-Tabelle einträgt, bis zu dem der Betriebsrat Stellung zu nehmen habe und dass die Zustimmung dann als erteilt gelten solle, wenn der Betriebsrat binnen dieser Frist nicht reagiert, ist fernliegend und hat nichts mit der gesetzlichen Konzeption des § 99 BetrVG zu tun. Insofern verlangt die Antragstellerin offenbar vom Betriebsrat, die Excel-Tabelle tagesaktuell aktiv zu verfolgen. Dies ist jedoch nicht betriebsverfassungsrechtliche Aufgabe des Betriebsrats. Nicht der Betriebsrat muss im Rahmen der Einleitung eines Verfahrens aktiv werden, sondern vielmehr umgekehrt der Arbeitgeber. Dieser muss hinsichtlich jeder einzelnen mitbestimmungspflichtigen personellen Einzelmaßnahme aktiv die Zustimmung seines Betriebsrats versuchen einzuholen, wie es das Gesetz in § 99 BetrVG ausdrücklich formuliert.
43Insofern führen auch die Ausführungen der Antragstellerin im vorliegenden Rechtsstreit, die Anhörung nach § 99 BetrVG sei „formfrei“ möglich und der Arbeitgeber könne auch im gerichtlichen Beschlussverfahren noch zunächst unterbliebene Informationen nachholen, nicht zu einem anderen Ergebnis. Die aktive Einleitung des Verfahrens nach § 99 BetrVG ist Sache des Arbeitgebers; dies ist in § 99 BetrVG zwingend vorgesehen und auch nicht verzichtbar. Insofern ist das Verfahren nach § 99 BetrVG eben gerade nicht völlig „formfrei“. Es ist – abgesehen von der Unzulässigkeit eines derartigen „Verzichts“ – auch vorliegend nicht ersichtlich, dass der Betriebsrat auf die Einleitung eines Verfahrens nach § 99 BetrVG durch die Antragstellerin verzichtet hätte. Dass der Betriebsrat auf die Excel-Tabelle inhaltlich Stellung genommen hat, begründet entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin keinen solchen „Verzicht“. Die Annahme, dass ein betriebsverfassungswidriges Verhalten des Arbeitgebers dadurch rechtmäßig werden könnte, dass der Betriebsrat hierzu Stellung nimmt, ist äußerst fernliegend und findet im BetrVG nicht den geringsten Ansatz.
44Die fehlende Anhörung des Betriebsrats ist auch nicht durch Erteilung von Informationen im vorliegenden Beschlussverfahren nachträglich geheilt worden. Es kann als vorliegend entscheidungsunerheblich dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen generell eine „Heilung“ zunächst unvollständiger Informationen durch nachträgliche Erteilung von ergänzenden Informationen nach § 99 Abs. 1 BetrVG in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren noch möglich ist (hierzu zuletzt u. a. BAG, Beschluss vom 21.11.2018, 7 ABR 16/17, wonach jedenfalls die Zustimmungsfiktion des § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG nicht eintritt, wenn die Information des Betriebsrats erst nachträglich erfolgt, nachdem der Arbeitnehmer seine Tätigkeit schon aufgenommen hat). Denn entscheidend ist, dass es insofern jedenfalls eines zunächst wirksam vom Arbeitgeber eingeleiteten Anhörungsverfahrens nach § 99 BetrVG bedarf, in dem lediglich noch nicht alle Informationen vollständig erteilt wurden, es also lediglich um eine „Ergänzung“ von Informationen in einem ansonsten bereits wirksam eingeleiteten Verfahrens nach § 99 BetrVG gehen darf (vgl. BAG 21.11.2018, a. a. O.). Vorliegend fehlt es jedoch nicht nur an ergänzenden Informationen, sondern bereits daran, dass der Arbeitgeber nie ein Zustimmungsverfahren nach § 99 BetrVG eingeleitet hat durch aktive Anhörung des Betriebsrats. Ohne eingeleitetes Anhörungsverfahren nach § 99 BetrVG besteht auch kein solches, in dem Informationen ergänzt werden könnten.
45Im übrigen war für das Gericht auch in keiner Weise ersichtlich, wie die Antragstellerin zu der Annahme gelangt, sie hätte nunmehr mit den Antragschriften den Betriebsrat vollständig informiert. § 99 Abs. 1 Satz 1, zweiter Halbsatz verlangt vom Arbeitgeber „Auskunft über die Person der Beteiligten“, also grundsätzlich auch der abgelehnten Bewerber (ständige Rechtsprechung des BAG, z. B. bereits BAG, Urteil vom 06.04.1973, 1 ABR 13/72, AP Nr. 1 zu § 99 BetrVG; Fitting, BetrVG, § 99, Rn 167,m. w. N.). Dass diese Auskunft vorliegend erteilt sein soll, ist nicht ersichtlich. Auch die Herausgabe der Bewerbungsunterlagen, vom Betriebsrat vorliegend ausdrücklich verlangt und von § 99 BetrVG ausdrücklich vorgesehen, ist vorliegend gerade nicht erfolgt.
46Wie die Antragstellerin zur Auswahl der in den Antragschriften namentlich bezeichneten Arbeitnehmer gekommen ist, wird weder aus der Antragschrift noch aus deren Anlagen auch nur ansatzweise ersichtlich, weder für das Gericht noch für den Betriebsrat. Maßgeblich soll nach eigenen Angaben der Antragstellerin im wesentlichen das Ergebnis eines „Quiz“ sein, welches online auf der Website der Antragstellerin durchgeführt werden könne. Der Inhalt dieses „Quiz“ ist offenbar einseitig durch die Arbeitgeberseite vorgegeben und nicht mit dem Betriebsrat abgestimmt worden. Eine Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG gibt es gerade nicht. Der Inhalt dieses „Quiz“ ist nicht einmal allgemein einsehbar auf der Website der Antragstellerin. Nach gerichtlicher Einsichtnahme der Website würde man erst nach Start eines förmlichen Bewerbungsprozesses unter Angabe persönlicher Daten möglicherweise zu einem entsprechenden Fragenkatalog weitergeleitet werden.
47Auch wird aus der Antragschrift nicht ersichtlich, wie die Antragstellerin das Vorliegen der beiden weiteren nach ihren Angaben für eine Einstellung neben dem erfolgreichen Absolvieren des „Quiz“ für eine Einstellung erforderlichen Voraussetzungen überprüft. Verlangt werden nach Angaben der Antragstellerin Sprachkenntnisse der deutschen oder der englischen Sprache; wie diese überprüft werden, ist der Antragschrift nicht zu entnehmen. Weitere Einstellungsvoraussetzung ist nach Angaben der Antragstellerin, dass man „Fahrrad fahren können“ müsse. Wie dies überprüft wird, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Wenn man die Fahrer der Antragstellerin teilweise im K Stadtbild schwer beladen mit einem großvolumigen Rucksack auf dem Rücken auf einem Fahrrad im Berufsverkehr in der Innenstadt zwischen Lkws fahren sieht, erscheint auch dies teilweise unter Arbeitsschutz-Gesichtspunkten nicht unproblematisch, so dass auch hier zumindest eine gewisse Überprüfung der Fahreignung vor der Einstellung nicht fernliegend erscheint. Dass der Betriebsrat bei der Überprüfung der weiteren Einstellungsvoraussetzungen in irgend einer Weise einbezogen worden wäre, ist nicht ersichtlich.
48Auch ist die der Antragschrift beigefügte Anlage völlig ungeeignet, um hieraus weitere Informationen zu entnehmen. Schon aufgrund extremer Kleinschrift war die der Antragschrift vom 30.11.2020 beigefügte Anlage für Gericht und Betriebsrat nicht lesbar und damit völlig unbrauchbar. Die im weiteren Verlauf des Rechtsstreits eingereichte Excel-Tabelle ist zwar immer noch von Kleinschrift geprägt, die aber nunmehr jedenfalls unter Zuhilfenahme von Hilfsmitteln einigermaßen lesbar war. Insofern konnte festgestellt werden, dass hier anstelle eigentlich vorgesehener Angaben vielfach letztlich Platzhalter angegeben waren, der Informationswert also auch dieser Anlage gering ist. Soweit der Betriebsrat beispielsweise die Angabe des Geschlechts der zur Einstellung anstehenden Bewerber wünscht, ist dies entgegen der Rechtsansicht der Arbeitgeberin keinesfalls ein abzulehnendes diskriminierendes Verlangen des Betriebsrat, da etwa bei einer Betriebsratswahl weiterhin das Geschlecht der Arbeitnehmer eine gewisse Relevanz haben kann. Etwa bei dem arbeitgeberseitig in der Antragschrift vom 30.11.2020 arbeitgeberseitig „K H “ bezeichneten Bewerber (m/w/d) erscheinen beispielsweise durchaus ergänzende Angaben für den Betriebsrat sinnvoll.
49Insgesamt waren die Anträge nach § 99 BetrVG mithin bereits mangels hinreichender arbeitgeberseitiger Einleitung eines Verfahrens nach § 99 BetrVG zurückzuweisen.
50Insofern ist es entgegen der Rechtsansicht der Arbeitgeberseite auch nicht rechtsmissbräuchlich oder treuwidrig, dass der Betriebsrat jeder Einstellung derzeit widerspricht. Wenn jede einzelne Einstellung rechtswidrig ist, weil sie die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verletzt – was derzeit offenbar hinsichtlich jeder einzelnen Einstellung der Fall ist, weil die Arbeitgeberin den Betriebsrat hierzu generell nicht nach § 99 BetrVG im Vorfeld anhört, sondern die Neueinstellungen lediglich in eine Excel-Tabelle einträgt -, ist der Betriebsrat selbstverständlich berechtigt, auch jeder einzelnen – mitbestimmungswidrigen – Einstellung zu widersprechen.
512.)
52Die Anträge zu 4) nach § 100 BetrVG waren demgegenüber im wesentlichen zulässig und begründet.
53a)
54Auch der Antrag zu 4) war hinsichtlich des zweiten Antrages vom 28.12.2020 abzuweisen hinsichtlich derjenigen Arbeitnehmer, die bereits Gegenstand des ersten Antrages vom 30.11.2020 waren. Insoweit war der zweite Antrag unzulässig wegen bereits bestehender anderweitiger Rechtshängigkeit. Dies betrifft nach der Darlegung des Betriebsrats im Kammertermin, denen die Antragstellerin nicht entgegen getreten ist, die bereits im ersten Antrag vom 30.11.2020 und nochmals gleichermaßen im zweiten Antrag vom 28.12.2020 namentlich bezeichneten Arbeitnehmer O D , M A F V und B S Sh .
55b)
56Im übrigen (also auch hinsichtlich der drei zuvor namentlich bezeichneten Arbeitnehmer hinsichtlich des ersten Antrages vom 30.11.2020) war der Antrag nach § 100 BetrVG zulässig.
57Die dreitägige Ausschlussfrist zur Antragstellung nach § 100 BetrVG war jeweils gewahrt. Nach Ablehnung der Anerkennung der dringenden Erforderlichkeit der vorläufigen Durchführung seitens des Betriebsrats am 27.11.2020 ist der Antrag am 30.11.2020 beim Arbeitsgericht eingegangen. Auch hinsichtlich des weiteren am Montag, 28.12.2020 eingegangen Antrags war die Drei-Tages-Frist des § 100 BetrVG gewahrt. Durch die Ablehnung seitens des Betriebsrats am 22.12.2020 lief die Frist von drei Kalendertagen zwar grundsätzlich bereits am 25.12.2020 ab; fällt jedoch der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, verlängert sich die Frist bis zum Ablauf des nächsten Werktages (§ 193 BGB), dies gilt auch für die Frist des § 100 BetrVG (so auch z. B. Fitting, § 100 BetrVG, Rn 11). Auch für den am 19.03.2021 eingegangenen Antrag war die Frist nach Ablehnung des Betriebsrats am 17.03.2021 gewahrt.
58c)
59Soweit die Anträge nach § 100 BetrVG zulässig waren, waren sie auch begründet.
60Nach § 100 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann der Arbeitgeber, wenn dies aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist, die personelle Maßnahme im Sinne des § 99 BetrVG vorläufig durchführen, bevor der Betriebsrat sich geäußert hat oder wenn er die Zustimmung verweigert.
61Diese Voraussetzungen waren vorliegend in Anbetracht des dringenden Neueinstellungsbedarfs der Antragstellerin aufgrund der Besonderheiten des zweiten Corona-Lockdowns in Deutschland gegeben.
62aa)
63Insofern stand der vorläufigen Durchführung der Neueinstellungen auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin nach vorstehenden Ausführungen noch nicht einmal ein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren nach § 99 BetrVG eingeleitet hat.
64Aus dem Wortlaut des § 100 BetrVG ergibt sich, dass eine vorläufige Durchführung bereits zu einem Zeitpunkt erfolgen kann, zu dem sich der Betriebsrat noch nicht nach § 99 BetrVG geäußert hat. Ob hieraus auch folgt, dass eine vorläufige Durchführung sogar dann schon erfolgen kann, wenn der Arbeitgeber noch nicht einmal ein Anhörungsverfahren nach § 99 BetrVG eingeleitet hat oder ob nicht zumindest zu verlangen ist, dass der Arbeitgeber vor Durchführung einer Maßnahme nach § 100 BetrVG zumindest zeitgleich mit der Unterrichtung des Betriebsrats nach § 100 BetrVG auch eine ordnungsgemäße Anhörung nach § 99 BetrVG einleiten muss, ist grundsätzlich umstritten (vgl. zum Meinungsstand Fitting, Kommentar zum BetrVG, § 100, Rn 8).
65Der Gesetzgeber verlangt vom Arbeitgeber im abgestuften Verfahren nach § 100 BetrVG, dass er den Betriebsrat umfassend über die Gründe informiert, aufgrund derer die personelle Maßnahme vorläufig durchgeführt werden soll. Der Betriebsrat soll sich ein eigenes Bild machen können für seine Entscheidung, ob er die Dringlichkeit der vorläufigen Durchführung bestreitet oder nicht. Dies spricht dafür, grundsätzlich jedenfalls auch eine ordnungsgemäße Information des Betriebsrats nach § 99 BetrVG als Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag des Arbeitgebers nach § 100 BetrVG zu verlangen (so z. B. Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 21.05.2013,4 TaBV 298/12, juris, Rn 69 ff.).
66Da auch ein isoliertes gerichtliches Verfahren nach § 100 BetrVG nicht möglich ist, sondern der Arbeitgeber seinen gerichtlichen Antrag nach § 100 BetrVG regelmäßig mit einem Antrag nach § 99 BetrVG zu verbinden hat und hierüber einheitlich entschieden werden soll (vgl. z. B. Fitting, § 100 BetrVG, Rn 13, m. w. N.), bestehen auch unter diesem Gesichtspunkt Bedenken gegenüber der Stattgabe eines Antrages nach § 100 BetrVG, wenn der parallele Antrag das Arbeitgebers nach § 99 BetrVG von vornherein aussichtslos war, weil der Arbeitgeber das Verfahren gegenüber dem Betriebsrat nie ordnungsgemäß eingeleitet hat.
67Zutreffend ist insofern vom Arbeitgeber grundsätzlich aufgrund des Ausnahmecharakters der Regelung des § 100 BetrVG als besonderem einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu verlangen, dass dieser sich im übrigen im ihm zumutbaren Rahmen betriebsverfassungsgemäß verhält und damit regelmäßig zumindest ein ordnungsgemäßes Verfahren nach § 99 BetrVG eingeleitet haben muss, um in den Genuss der Privilegierung der vorläufigen Durchführungsmöglichkeit nach § 100 BetrVG zu kommen.
68Hiervon sind jedoch in eng umgrenzten Sonderkonstellationen Ausnahmen möglich. Eine derartige Ausnahmekonstellation kann sich insbesondere dadurch ergeben, dass die vorläufige Durchführung der personellen Maßnahme nicht nur dem erwerbswirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers, sondern darüber hinaus auch übergeordneten gesamtgesellschaftlichen Interessen von hohem Gewicht dient. Unter diesem Gesichtspunkt ist im hiesigen Sachverhalt eine solche Sonderkonstellation gegeben, welche die vorläufige Durchführung der personellen Maßnahme nach § 100 BetrVG ausnahmsweise auch ohne arbeitgeberseitige Einleitung eines ordnungsgemäßen Verfahrens nach § 99 BetrVG ermöglicht.
69Die aktuelle Sondersituation des Corona-Lockdowns in der Gastronomie begründet derartige übergeordnete gesamtgesellschaftliche Interessen von hohem Gewicht an der vorläufigen Durchführung der streitgegenständlichen personellen Maßnahmen.
70Vorliegend kommt der vorläufigen Durchführung der streitgegenständlichen Einstellungen in der Sondersituation der aktuellen Pandemie ein gesamtgesellschaftlich besonders hohes Gewicht zu. Denn die Antragstellerin betreibt einen Lieferservice für die Gastronomie. Sie hat hierbei – wie vom Betriebsrat selbst im Kammertermin ausdrücklich vorgetragen – insofern auf dem lokalen Markt derzeit quasi eine Monopolstellung. Die Gastronomiebranche ist durch die Einschränkungen aufgrund der Covid19-Pandemie besonders stark beeinträchtigt. Bereits im sogenannten „ersten Corona-Lockdown“ in Deutschland in den Monaten März bis Mai 2020 kam es für die Gastronomie zu einer plötzlichen und vollständigen Betriebseinstellung aufgrund der Corona-Schutzverordnungen der Länder, auf die im Sommer 2020 eine Phase folgte, in der nur unter massiven Einschränkungen vorsichtig wieder geöffnet werden durfte. Durch Abstandsgebote wurde die höchstzulässige Zahl der zu bewirtenden Personen und damit der potentiell zu erzielende Umsatz massiv beschränkt, demgegenüber stand durch erhöhte behördliche Auflagen unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes (etwa Desinfektions- und Registrierungspflicht) ein erheblich gestiegener Personal- und damit auch Personalkostenaufwand. Nicht zuletzt aufgrund der dauerhaft auch über den gesamten Sommer 2020 bestehenden Kontaktbeschränkungen war das Zusammentreffen größerer Gesellschaften im gastronomischen Bereich auch über den gesamten Sommer 2020 nahezu ausgeschlossen; Messen und Geschäftsreisen wurden ebenso pandemiebedingt abgesagt wie sämtliche Großveranstaltungen (z. B. Fußball-EM 2020), was zu weiteren massiven Umsatzeinbußen in der Gastronomiebranche geführt hat. An diesen Sommer anschließend folgte mit den Beschlüssen vom 28.10.2020 der sogenannte „zweite Corona-Lockdown“, in dem wiederum aufgrund entsprechenden Verbots in den Rechtsverordnungen der Bundesländer Gastronomie-Betriebe rigoros (sogar hinsichtlich des Außenbereichs) geschlossen bleiben mussten. Dieser Zustand hält nach den zwischenzeitlichen zahlreichen Verlängerungen des zweiten Corona-Lockdowns zum Zeitpunkt des Kammertermins bereits seit einem halben Jahr an, ohne aktuell konkrete Öffnungs-Perspektive für die Gastronomie. Zulässig bleibt allein die Ausgabe von Gastronomie-Produkten unter Beachtung der Hygienevorschriften zum Abholen oder eben im Lieferservice.
71Nach einer Erhebung des Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA sahen bereits im Januar 2021 im nordrhein-westfälischen Gastgewerbe 77 Prozent der Unternehmer ihre Existenz aufgrund der Corona-Pandemie bedroht, knapp ein Viertel erwog bereits konkret eine vollständige und dauerhafte Betriebsaufgabe in Anbetracht des andauernden Lockdowns und ausbleibender Kompensationszahlungen (Pressemitteilung der DEHOGA Nordrhein vom 18.01.2021, https://www.dehoga-nordrhein.de/brancheninfos/presse/presseinformationen/news/detail/gastgewerbe-nrw-existenzbedrohung-waechst-auch-2021).
72In Anbetracht des Außer-Haus-Verkauf als einzig verbliebener rechtlich zulässiger Möglichkeit der Geschäftstätigkeit sämtlicher Gastronomiebetriebe war für die Antragstellerin im November 2020 klar, dass ihr Geschäftsmodell eines Gastronomie-Lieferdienstes kurzfristig enorm „boomen“ würde und sie zum „Krisengewinner“ in Anbetracht der dramatischen Situation der Gastronomiebranche werden würde. Die Besonderheiten der Pandemie-Situation und der besonderen Lockdown-Regelungen für die Gastronomie führten dazu, dass nunmehr auch Gastronomie-Unternehmen die Leistungen der Antragstellerin in Anspruch nehmen mussten, die „freiwillig“, unter „normalen“ Bedingungen außerhalb der Pandemie, dies niemals in Erwägung gezogen hätten. Gerade im höherwertigen Gastronomie-Bereich, in dem man qualitativ gutes Essen mit einem „Gesamt-Erlebnis“ verbunden hat, indem der Gast dieses in einem angemessenen Ambiente in einer schönen gastronomischen Einrichtung mit entsprechender Atmosphäre und gutem Service genießen soll, standen nunmehr vor dem Problem, dass ihr bisheriges Geschäftskonzept aufgrund der rigorosen Schließungs-Verfügungen der Landes-Coronaschutzverordnungen gegenüber der Gastronomie nicht mehr durchführbar waren. Sie standen nunmehr vor der Alternative, ihren Betrieb entweder vollständig schließen zu müssen oder aber ihn zumindest stark eingeschränkt in der Form fortzuführen, dass über den „Außer-Haus-Verkauf“ zumindest eine gewisse Umsatzerzielung und auch eine gewisse Kundenbindung dadurch erzielt werden kann, dass der Kunde die vom Gastronomiebetrieb zubereiteten Speisen in seinem häuslichen Umfeld einnehmen kann. Da sich für letztere Variante das schlichte Anbieten von Speisen zum Mitnehmen vielfach als unpraktikabel erwiesen hat – gerade im Zusammenhang damit, dass die „Mobilität“ der Bevölkerung ja insgesamt durch die Corona-Schutzmaßnahmen massiv eingeschränkt werden sollte und auch wurde -, blieb als einzige realistische Möglichkeit im Regelfall entweder der Aufbau eines eigenen Lieferdienstes oder die Inanspruchnahme eines externen Lieferdienstes. Da gerade für kleinere gastronomische Betriebe / Familienbetriebe der kurzfristige Aufbau eines eigenen Lieferdienstes üblicherweise erhebliche organisatorische und logistische Schwierigkeiten mit sich bringt, liegt es nahe, hier auf die Leistungen der Antragstellerin zurückzugreifen, die mit ihrer bereits vorhandenen Infrastruktur(Website, Fahrernetz pp.) und ihrer diesbezüglichen Monopolstellung hier auch kurzfristig in der Lage war, ihre Tätigkeit auf zusätzliche Gastronomiebetriebe auszuweiten. Für letzteres benötigte sie selbstverständlich – die hier streitgegenständlichen – Neueinstellungen.
73Insofern kommt den Leistungen der Antragstellerin in der aktuellen für die Gastronomie vielfach existenzbedrohenden Situation des zweiten Corona-Lockdowns eine elementare gesamtgesellschaftliche Bedeutung zu. Durch die Zurverfügungstellung einer geeigneten Infrastruktur für die Aufrechterhaltung zumindest der Möglichkeit des Außer-Haus-Verkaufs trägt die Antragstellerin dazu bei, dass aktuell durch den Lockdown in ihrer Existenz bedrohte Gastronomiebetriebe - bei denen es sich teilweise gerade um kleine Familienbetriebe handelt und teilweise auch um Gasthäuser mit jahrzehntelanger oder gar jahrhundertelanger Tradition, an deren Erhalt insofern zweifellos auch ein kulturelles und gesamtgesellschaftliches Interesse besteht – ggf. doch zumindest teilweise den Lockdown und die Covid19-Pandemie wirtschaftlich überleben können.
74Daher sind die Leistungen der Antragstellerin in der Situation des nunmehr schon sechs Monate andauernden zweiten Corona-Lockdowns nicht vor – wie die Antragstellerin selbst vorträgt – „systemrelevant“, sondern darüber hinaus gehend sogar von – zumindest teilweise – elementarer gesellschaftlicher Bedeutung. Die Antragstellerin leistet einen Beitrag, die enormen gesellschaftlichen Schäden und die diesbezüglich psychische Belastung der Bevölkerung durch den aktuellen Lockdowns jedenfalls teilweise zu reduzieren.
75Hierbei soll nicht verklärt werden, dass die Antragstellerin selbstverständlich aus primär erwerbswirtschaftlich ausgerichteter Motivation handeln dürfte und sie keine karitativen oder humanitären Zwecke verfolgt, sondern den Zweck der Gewinnerzielung und der Gewinnmaximierung. Dies ändert jedoch nichts daran, dass in der extremen akuten Sondersituation aufgrund des langfristigen Berufsausübungsverbotes für die Gastronomiebranche hinsichtlich ihrer regulären „Kerntätigkeit“ die Leistungen der Antragstellerin als professionell organisierter Lieferdienst jedenfalls teilweise überlebensnotwenig erscheinen im aktuellen Überlebenskampf der Gastronomie.
76Vor diesem Hintergrund stellt sich die vorläufige Durchführung von pandemiebedingten Neueinstellungen, jedenfalls soweit sie Gegenstand des ersten Antrages vom 30.11.2020 - gleich zu Beginn des „zweiten Lockdowns“ – waren, zweifellos als „aus sachlichen Gründen dringend erforderlich“ i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dar.
77bb)
78Auch die vorläufige Durchführung der weiteren späteren Einstellungen, die Gegenstand der weiteren Anträge vom 28.12.2020 und 19.03.2021 waren, war aus sachlichen Gründen dringend erforderlich i. S. des § 100 Abs. 1 BetrVG.
79Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Antragstellerin die vorläufige Durchführung durch frühzeitige sachgerechte Personalpolitik hätte vermeiden können.
80Zwar hat der Arbeitgeber die Möglichkeit zur vorläufigen Durchführung einer Maßnahme nach § 100 BetrVG nach herrschender Meinung nur dann, wenn aus Sicht eines verantwortungsbewussten Arbeitgebers ein alsbaldiges Handeln erforderlich ist und die Dringlichkeit insofern gerade auf nicht rechtzeitig vorhersehbaren Umständen beruhen muss, der Arbeitgeber sich also nicht selbst „in Zugzwang“ gesetzt haben darf, um dann nach § 100 BetrVG zu handeln (Fitting, Kommentar zum BetrVG, § 100, Rn 4, m. w. N., auch zur Gegenmeinung). Entscheidendes Beurteilungskriterium ist, ob die Dringlichkeit am Maßstab eines objektiv verantwortungsvollen Arbeitgebers durch „zu langes Zuwarten“ selbst vorwerfbar herbei geführt wurde (z. B. LAG Nürnberg, Beschluss vom 22.09.2017, 8 TaBV 9/17, juris, Rn 64).
81Vorliegend hat die Antragstellerin im Ergebnis der gerichtlich vorgenommenen Abwägung die Eilbedürftigkeit der vorläufigen Durchführung der Neueinstellungen nicht vorwerfbar durch zu langes Zuwarten selbst herbeigeführt.
82Insofern waren auch die im letzten Antrag vom 19.03.2021 und erst Recht die im mittleren Antrag vom 28.12.2020 streitgegenständlichen Neueinstellungen für die Antragstellerin auch bei verantwortungsbewusster Personalplanung nicht rechtzeitig vorhersehbar. Die Neueinstellungen beruhen letztlich auf den immer wieder neuen und für die Antragstellerin nicht im Vorfeld verlässlich zu prognostizierenden politischen Entscheidungen, den zweiten Lockdown hinsichtlich der fortdauernden Gastronomie-Schließung immer weiter zu verlängern. Diese Entwicklung war für die Antragstellerin auch bei verantwortungsvoller vorausschauender Personalpolitik in dieser Form nicht zwingend vorhersehbar.
83Zwar gab es schon zu Beginn des zweiten Lockdowns gewichtige Stimmen, die eine längere Dauer des ursprünglich bis zum 30.11.2020 befristeten zweiten Lockdowns prognostizierten (vgl. z.B. Ärzteblatt vom 28.10.2020, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/117894/Ende-des-Lockdowns-in-einem-Monat-laut-COVID-Simulator-unrealistisch). Nachdem einerseits im Herbst 2020 mit der Verlagerung der Aktivitäten in Innenräume nicht nur in Deutschland, sondern europaweit die Zahl der mittels PCR-Test entdeckten Infektionen mit dem SARS-Cov2-Virus absolut und auch relativ pro Einwohnerzahl (Inzidenzwert) plötzlich sprunghaft angestiegen ist und andererseits mit dem erneuten Lockdown ab November 2020 Verbote gerade primär lediglich in Bereichen des Freizeitverhaltens angeordnet wurden (insofern damals zunächst teilweise noch als „Lockdown light“ bezeichnet) und damit in Bereichen, in denen es – wie etwa gerade im Bereich der Gastronomie – vorher ja unter Beachtung der Corona-Schutzvorkehrungen gerade nicht zu nennenswerten festgestellten Ansteckungen mit dem SARS-Cov2-Virus gekommen ist (vgl. Schmidt-Chanasit / Streeku. a., Gemeinsames Positionspapier der Ärzteschaft und Wissenschaft, zitiert nach Süddeutsche Zeitung vom 28.10.2020, https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/corona-streeck-lockdown-positionspapier-1.5096644), sprach bereits aus damaliger Sicht einiges dafür, dass der Lockdown keine kurzfristige Verbesserung der Infektionslage bewirken würde. Insofern gab es bereits aus damaliger Sicht Anhaltspunkte für die Antragstellerin, ihre Personalplanung langfristig auf eine entsprechende pandemiebedingt erhöhte Nachfrage auszuzurichten.
84Andererseits sprach jedoch aus Sicht der Antragstellerin für eine Befristung des Lockdowns, dass dieser zunächst ausdrücklich regelmäßig befristet erklärt wurde. Begründet wurde der Lockdown zunächst explizit als befristete Maßnahme bis 30.11.2020, um insofern eine halbwegs normale Aktivität in der Vorweihnachtszeit zu ermöglichen (z. B. Tagesschau vom 02.11.2020, https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-lockdown-merkel-101.html). Es folgte eine weitere Befristung bis 10.01.2021. In dieser zweiten Phase fiel Mitte Dezember 2020 eine weitere Verschärfung des Lockdowns.
85Alsdann wurde der Lockdown nochmals bis 31.01.2021 verlängert, kurz vor seinem Auslaufen alsdann bis 14.02.2021. Es folgte eine weitere Verlängerung bis zum 07.03.2021 und alsdann eine weitere bis zum 31.03.2021. Zuletzt wurde der Lockdown durch Verlängerung der Corona-Schutzverordnung NRW bis 19.04.2021 und alsdann nochmals bis 26.04.2021 befristet, bis nunmehr kurz vor dem Kammertermin erstmals durch die Änderung des Infektionsschutzgesetzes durch das „4.Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 23.04.2021 ein nochmals verschärfter und nunmehr im Grundsatz - abgesehen von der generellen Befristung der gesetzlichen Regelung zunächst bis 30.06.2021- unbefristeter gesetzlicher Lockdown geschaffen wurde.
86Diese ständigen Befristungen und Verlängerungen des Lockdowns haben der Antragstellerin naturgemäß eine vorausschauende Personalpolitik erheblich erschwert. Denn die Antragstellerin musste natürlich damit rechnen, dass dann, wenn mit Ablauf der Befristung – wie eigentlich ja aufgrund der Befristung vorgesehen – der Gastronomie-Lockdown beendet worden wäre, hierdurch der Bedarf an Leistungen der Antragstellerin aller Voraussicht nach erheblich zurückgegangen wäre. Hätte die Gastronomie wieder öffnen dürfen, wären voraussichtlich die Leistungen der Gastronomie wiederum in erheblichem Umfang „vor Ort“ und nicht mehr über Lieferdienste in Anspruch genommen worden.
87Insofern beruhen auch noch die im März 2021 vorgenommenen Neueinstellungen, die Gegenstand des dritten Antrages vom 19.03.2021 sind, letztlich bei der Gesamtabwägung aller Umstände auf von der Antragstellerin nicht rechtzeitig vorhersehbaren Umständen.
88Einerseits sprach bei abwägender Betrachtung der Umstand des im Frühjahr regelmäßig besser werdenden Wetters dafür, dass die radikale Schließung der gesamten Gastronomie voraussichtlich nicht über das Frühjahr aufrecht erhalten werden würde. Jedenfalls die zeitnahe Wiedereröffnung der Außengastronomie erschien naheliegend, da in Anbetracht der Übertragung des SARS-Cov2-Virus im wesentlichen über Aerosole als Haupt-Übertragungsweg eine Ansteckungsgefahr jedenfalls in derAußengastronomie bei Einhaltung der üblichen Schutzmaßnahmen (insbesondere Wahrung der Abstandsgebote) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann („bei Wahrung des Mindestabstandes ist die Übertragungswahrscheinlichkeit im Außenbereich aufgrund der Luftbewegung sehr gering“, so ausdrücklich der „Epidemiologische Steckbrief zu SARS-Cov-2 und Covid-19“ des Robert-Koch-Instituts vom 19.04.2021, dort Ziffer 2, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html;jsessionid=9E8531A228ED1D6BC3C3358647CE4652.internet051?nn=13490888#doc13776792bodyText2; noch deutlicher nunmehr z. B.Dr. Christof Aspach / Dr. Gerhard Scheuch u. a., Offener Brief an die Bundeskanzlerin vom 11.04.2021, http://docs.dpaq.de/17532-offener_brief_aerosolwissenschaftler.pdf; ebenso Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Aerosolforschung – DAeF, ebenfalls vom 11.04.2021). Derartige Erkenntnisse sind nicht neu, sondern wurden bereits im Jahr 2020 von führenden Virologen veröffentlicht (z. B. Prof. Dr. Hendrik Streeck, leitender Virologe der Universität Bonn, im Interview mit dem „Merkur“, veröffentlicht am 16.12.2020, Andreas Beez: „Gastro-Shutdown als Infektionstreiber? Top-Virologe Streeck kritisiert - „Haben es einfach versäumt“, https://www.merkur.de/welt/hendrik-streeck-corona-deutschland-lockdown-gastronomie-weihnachten-interview-90130395.html).
89Auch die Wiedereröffnung der Innenbereiche der Gastronomie erschien naheliegend, da jedenfalls inzwischen durch die rigorose Schließung der gesamten Gastronomie im zweiten Lockdown über mehrere Monate zweifelsfrei empirisch nachgewiesen werden konnte, dass auch die Innenbereiche der Gastronomie gerade nicht zum Pandemiegeschehen im Winter beigetragen haben. Denn da die Gastronomiebetriebe bereits seit Anfang November 2020 durchgehend und vollständig geschlossen hatten, konnte sich hier jedenfalls seitdem selbstverständlich niemand angesteckt haben. Auch sprach der Umstand, dass es sich bei einem Lockdown in seinem theoretischen Ansatz um eine kurzfristige Maßnahme handelt, bei der zu treffenden Prognose dafür, dass dieser irgendwann einmal sein Ende finden müsse. Andere Staaten, die in ihrer Corona-Politik auf intensive Lockdown-Maßnahmen setzten, setzten insofern üblicherweise auf kurzfristige Lockdown-Maßnahmen, denen Zeiten der Öffnungen folgten und dann wieder kurzzeitige Lockdown-Verschärfungen („Jo-jo-Lockdown“). Auch verfolgten andere EU-Mitgliedsstaaten, die den Weg eines Gastronomie-Lockdowns gewählt haben, hier häufig lediglich den Weg einer zeitlichen Beschränkung der Öffnungszeiten („Sperrstunde“) anstelle des deutschen Weges der dauerhaften Gastronomie-Schließung an 24 Stunden am Tag an sieben Tagen in der Woche. Der deutsche Weg des dauerhaften Lockdowns über mehr als ein halbes Jahr ohne jegliche Öffnungen – so jedenfalls im hier streitgegenständlichen Bereich der Gastronomie in der K Region - stellt insofern einen Sonderweg dar.
90Diesen deutschen Sonderweg in der Corona-Politik musste die Antragstellerin auch bei einer vorausschauenden Prognose eines verständigen Arbeitgebers nicht vorhersehen. Es ist im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 100 BetrVG nicht zu beanstanden, wenn sie ihre Personalplanung zunächst darauf ausgerichtet hat, dass es nach einem zeitlich begrenzten Gastronomie-Lockdown zu einer – zumindest eingeschränkten – Wiedereröffnung der Gastronomie kommen würde, mit der Folge eines dann wiederum sinkenden Personalbedarfs der Antragstellerin. Das enorme Ausmaß und die extreme zeitliche Dauer des Gastronomie-Lockdowns in Deutschland, die sich letztlich realisiert hat, sogar noch über den gesamten Winter hinaus bis in das Frühjahr 2021 hinein, musste die Antragstellerin bei ihren Personalplanungen nicht vorhersehen.
91Zugunsten der Antragstellerin war hierbei hinsichtlich der Unsicherheit der Personalprognose auch zu berücksichtigen, dass durch das Aufkommen von Virus-Mutationen im Spätwinter die Prognose des künftigen Infektionsgeschehens immer schwieriger wurde. Nicht zuletzt war auch das Tempo des Impffortschritts in Anbetracht zunächst nur sehr begrenzt verfügbarer Mengen an Impfdosen bis weit in das Frühjahr 2021 hinein kaum kalkulierbar, ebenso wie die Problematik, inwiefern die zugelassenen Impfstoffe auch vor den zwischenzeitlich aufgetretenen Mutationen schützen.
92Weiter war zu berücksichtigen, dass mit der Zulassung von Selbsttests Anfang März 2021 einerseits absehbar war, dass hierdurch einerseits das Infektionsgeschehen deutlich kontrollierbarer werden würde, da durch die massiv erhöhe Zahl an Testmöglichkeiten die Zahl der unentdeckt Infizierten deutlich abnehmen würde, andererseits jedoch gerade letztgenannter Umstand wiederum zu einem Anstieg der Inzidenzwerte führen würde.
93Dass sich zum Zeitpunkt des Kammertermins am 27.04.2021 die für die Antragstellerin hinsichtlich ihrer Personal- und Umsatzplanung günstige und für die Gastronomie ungünstige Prognose der weiteren, zeitlich unabsehbaren Verlängerung des bereits seit einem halben Jahr ununterbrochen bestehenden Lockdowns mit vollständiger Schließung der Gastronomie sogar noch über das Frühjahr 2021 hinaus realisiert hat, war für die Antragstellerin nach vorstehenden Erwägungen nicht langfristig vorhersehbar. Damit steht auch hinsichtlich des letzten Antrages vom 19.03.2021 eine Vorhersehbarkeit der vorläufigen Durchführung der Neueinstellungen nach § 100 BetrVG nicht entgegen.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 1 ABR 9/12 1x (nicht zugeordnet)
- 4 TaBV 298/12 1x (nicht zugeordnet)
- 7 ABR 70/08 1x (nicht zugeordnet)
- 7 ABR 39/11 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 193 Sonn- und Feiertag; Sonnabend 1x
- 8 TaBV 9/17 1x (nicht zugeordnet)
- 7 ABR 25/09 1x (nicht zugeordnet)
- 1 ABR 64/08 1x (nicht zugeordnet)
- 8 BV 220/20 1x (nicht zugeordnet)
- 1 ABR 13/72 1x (nicht zugeordnet)
- 7 ABR 16/17 3x (nicht zugeordnet)
- BetrVG § 99 Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen 54x
- BetrVG § 100 Vorläufige personelle Maßnahmen 31x
- BetrVG § 95 Auswahlrichtlinien 1x
- 8 BV 51/21 1x (nicht zugeordnet)