Beschluss vom Bundesfinanzhof (3. Senat) - III B 218/11

Tatbestand

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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist der Vater der 1989 in Kasachstan geborenen D. Aus einer zweiten Ehe hat der Kläger drei weitere Kinder. Bis zum Jahr 2000 lebte D bei ihrer Mutter in Kasachstan. Nachdem der Kläger das elterliche Sorgerecht für D erlangt hatte, zog diese am 25. Mai 2000 in seinen Haushalt. Infolge schulischer Pro-bleme blieb D jedoch nur ein halbes Jahr in Deutschland und kehrte wieder nach Kasachstan zurück. Zwar versuchte der Kläger in der Folgezeit, D wiederholt nach Deutschland zu holen, sie verbrachte gleichwohl immer nur einen Teil des Schuljahres bei ihm. Im September 2003 meldete der Kläger D, die seit Ende August 2003 wieder in Kasachstan die Schule besuchte, schließlich bei der Meldebehörde ab.

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Am 13. Juni 2004 reiste D erneut in Deutschland ein und wurde hier auch wieder melderechtlich erfasst. Dem Kindergeldantrag für D gab die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) statt.

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Im Rahmen einer Überprüfung des Aufenthalts von D gelangte die Familienkasse zu der Auffassung, diese habe tatsächlich bei ihren Großeltern in Kasachstan gelebt und dort die Schule besucht. Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung deshalb für D ab Juni 2004 auf und forderte das bis Januar 2007 überzahlte Kindergeld zurück.

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Nachdem die Familienkasse am 31. Oktober 2007 über seinen Einspruch noch nicht entschieden hatte, erhob der Kläger Untätigkeitsklage vor dem Finanzgericht (FG). Diese hatte keinen Erfolg, da das FG nach dem Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme zu der Ansicht gelangt war, D habe ihren inländischen Wohnsitz mit der Wiederaufnahme des Schulbesuchs in Kasachstan Ende August 2003 aufgegeben. Im Streitzeitraum habe D in Deutschland auch keinen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse aufrechterhalten, sondern sich hier vielmehr nur zu Besuchszwecken aufgehalten.

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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde, mit der er die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend macht.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist unzulässig und wird durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Der Kläger hat die behaupteten Zulassungsgründe nicht in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Art und Weise dargelegt.

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1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung verlangt insbesondere substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärungsfähig ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen. Hat der BFH die Rechtsfrage bereits entschieden, so ist darzulegen, weshalb eine erneute oder weitere Entscheidung für erforderlich gehalten wird (z.B. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2003 III B 59/03, BFH/NV 2004, 166). Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann z.B. geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinander gesetzt hat (z.B. Senatsbeschluss vom 17. August 2004 III B 121/03, BFH/NV 2005, 46).

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2. Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht.

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Der Kläger hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, wann und unter welchen Umständen ein Kind den Wohnsitz im Inland habe, also welche Umstände vorliegen müssten, die i.S. von § 8 der Abgabenordnung (AO) darauf schließen ließen, dass die betreffende Person die Wohnung beibehalten und benutzen werde.

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Der Kläger hat sich weder mit der umfangreich vorhandenen Rechtsprechung und Kommentarliteratur zum Wohnsitzbegriff des § 8 AO im Allgemeinen, noch mit den konkreten Anforderungen an die Beibehaltung eines Wohnsitzes durch ein Kind, das sich zum Schulbesuch im Ausland aufhält, im Besonderen auseinander gesetzt. Anders als der Kläger meint, hat der BFH bereits mehrfach die Rechtsgrundsätze dargelegt, nach denen zu entscheiden ist, ob ein Kind, das sich zum Zwecke des Schulbesuchs mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz (§ 8 AO) beibehält (z.B. BFH-Urteile vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887; vom 27. April 1995 III R 57/93, BFH/NV 1995, 967; vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, und VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294; Senatsbeschluss vom 31. Mai 2007 III B 50/07, BFH/NV 2007, 1907, jeweils m.w.N.). Die Frage, ob im Einzelfall bei Anwendung dieser Grundsätze davon auszugehen ist, dass ein Kind seinen Wohnsitz im Inland hat, es dort einen weiteren Wohnsitz hat oder seine Aufenthalte lediglich Besuchscharakter haben, hat das FG unter Berücksichtigung der Umstände des Falles im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen (vgl. z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2007, 1907).

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Warum gleichwohl eine erneute Entscheidung des BFH erforderlich sein soll, hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt. Die von ihm in seiner Beschwerdebegründung geforderte "klare Definition" durch den BFH rechtfertigt die Zulassung nicht, weil der Begriff des Wohnsitzes für das gesamte Steuerrecht bereits in § 8 AO definiert ist. Darüber hinaus reicht es angesichts der vorhandenen Rechtsprechung insbesondere auch nicht aus, nur anzuführen, der Hinweis im Urteil in BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887, dass es auf die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse ankomme, bleibe vage und bedürfe der Auslegung, zumal sich das Senatsurteil ersichtlich nicht auf diese Aussage reduzieren lässt.

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3. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

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a) Zur ordnungsgemäßen Rüge der Verletzung der dem FG obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) bedarf es der Darlegung, welche Fragen tatsächlicher Art aufklärungsbedürftig waren, welche Beweismittel zu welchem Beweisthema das FG ungenutzt ließ, warum der Kläger nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, warum sich die Notwendigkeit der Beweiserhebung gleichwohl dem FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen und inwieweit die als unterlassen gerügte Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Ferner ist darzulegen, dass der Kläger die nach seiner Ansicht unzulängliche Sachaufklärung vor dem FG gerügt hat oder ihm eine solche Rüge nicht möglich gewesen sei (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Januar 2005 VII B 61/04, BFH/NV 2005, 921).

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Vorliegend hat der Kläger insbesondere nicht dargelegt, weshalb er die --ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung 45 Minuten dauernde-- Vernehmung von D als Zeugin nicht bereits in der mündlichen Verhandlung als unzureichend gerügt oder eine weitere Beweisaufnahme beantragt hat. Darüber hinaus fehlen Ausführungen dazu, warum sich dem FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Beweisaufnahme auch ohne Rüge bzw. weiteren Beweisantrag hätte aufdrängen müssen.

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b) Auch soweit sich der Kläger auf eine Verletzung rechtlichen Gehörs beruft, kommt eine Revisionszulassung nicht in Betracht.

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aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) verpflichtet das FG, die Beteiligten über den Verfahrensstoff zu informieren und ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, ihre Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern ihres Vorbringens auseinanderzusetzen (z.B. Senatsbeschluss vom 27. Juli 2007 III S 8/07, BFH/NV 2007, 2135). Er verpflichtet das Gericht jedoch nicht, sich mit Ausführungen auseinanderzusetzen, auf die es für die Entscheidung nicht ankommt. Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auseinanderzusetzen (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 15. September 2006 III B 197/05, BFH/NV 2007, 28).

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Das rechtliche Gehör ist vielmehr erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2007, 2135). Die Gewährung rechtlichen Gehörs bedeutet zudem nicht, dass das FG den Kläger "erhören", sich also seinen rechtlichen Ansichten anschließen müsste (vgl. BFH-Beschluss vom 26. November 2007 VIII B 121/07, BFH/NV 2008, 397).

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bb) Eine dementsprechende Verletzung seines rechtlichen Gehörs hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt. Eine Verletzung des Rechts auf Gehör liegt auch ersichtlich nicht vor. Zur Darlegung des seiner Ansicht nach nicht berücksichtigten Sachvortrags wiederholt der Kläger weitestgehend wörtlich seine Klagebegründung. Diese basierte wesentlich auf der zivilrechtlichen Bestimmung des Wohnsitzes eines Kindes gemäß § 11 i.V.m. §§ 7, 8 des Bürgerlichen Gesetzesbuches (BGB). Hiermit hat sich das FG in seinen Entscheidungsgründen jedoch durchaus auseinander gesetzt, was der Kläger mit seinen Einschränkungen der "nicht hinreichenden Berücksichtigung" und "nicht richtigen Würdigung" letztlich auch einräumt. So hat das FG --im Einklang mit der Senatsrechtsprechung-- ausgeführt, dass der steuerrechtliche Wohnsitzbegriff i.S. von § 8 AO an die tatsächliche Gestaltung anknüpft, so dass auch ein Minderjähriger --abweichend von § 11 BGB und unabhängig vom Willen des gesetzlichen Vertreters-- einen steuerlichen Wohnsitz begründen kann (vgl. Senatsurteil in BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887). Aufgrund des vom zivilrechtlichen Begriff des Wohnsitzes abweichenden steuerrechtlichen Wohnsitzbegriffes musste sich das FG dann insbesondere nicht weiter mit der von dem Kläger zur Stützung seiner Auffassung herangezogenen zivilrechtlichen Rechtsprechung auseinandersetzen. Dass das FG die vom Kläger und D dargestellten Umstände nicht in seinem Sinne gewürdigt und auch der von ihm vertretenen Rechtauffassung nicht gefolgt ist, stellt keine Verletzung rechtlichen Gehörs dar.

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c) Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang schließlich gegen die (vermeintlich) fehlerhafte tatrichterliche Beweiswürdigung wendet, macht er keinen Verfahrensfehler, sondern eine falsche materielle Rechtsanwendung geltend, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt.

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