Beschluss vom Bundesfinanzhof (5. Senat) - V B 68/11
Tatbestand
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I. Nach den den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) Feststellungen des Finanzgerichts (FG) war dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) durch Bescheid der Stadt A. vom 11. Januar 2001 unter Strafandrohung untersagt worden, im Bundesgebiet mit Fahrzeugen jeglicher Form zu handeln. Er führte daraufhin den Kfz-Handel als Geschäftsführer mehrerer Gesellschaften weiter, bei denen er oder mit ihm verwandte Personen als Gesellschafter und/oder Geschäftsführer auftraten. Eine dieser Gesellschaften war die B-GmbH mit Sitz in D (Österreich). Die B-GmbH verfügte in Österreich über keine eigenen Geschäftsräume, sondern schloss am 8. Mai 2003 mit der C-GmbH einen Dienstleistungsvertrag ab, der als Leistungsbeschreibung "Telefonantwortservice und Firmensitz" zum Gegenstand hatte. Beim Kontakt mit Vertragspartnern war als Adresse der B-GmbH die Wohnanschrift des Klägers in Deutschland angegeben. Die an der österreichischen Adresse eingehende Post leitet die C-GmbH einmal in der Woche an die deutsche Niederlassung der B-GmbH. Mindestens einmal im Monat holte der Kläger die eingegangene Geschäftspost persönlich ab. In ihrer Niederlassung in Deutschland beschäftigte die B-GmbH zwei Arbeitnehmer. X war in der Buchhaltung tätig, Y war für Transport und Aufarbeitung von Kfz zuständig. In Österreich beschäftigte die B-GmbH keine Arbeitnehmer.
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Nach Löschung der B-GmbH aus dem österreichischen Handelsregister wurde das Konkursverfahren mangels Masse im Februar 2006 abgewiesen.
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Im Anschluss an ein gegen den Kläger geführtes steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) am 11. Dezember 2006 einen Haftungsbescheid, durch den es den Kläger für die Umsatzsteuerschulden der B-GmbH in Haftung nahm. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das FG die Klage im Wesentlichen ab.
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Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision. Er hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, ob es für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des FA ausreiche, wenn sich der statuarische Sitz des Unternehmens im Ausland befindet. In diesem Fall sei gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 19 der Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung (UStZustV) für ihn, den Kläger, das FA München II zuständig. Mit der ab 1. September 2002 und damit auch in den Streitjahren (2003 bis 2005) geltenden Fassung des § 21 Abs. 1 Satz 2 AO sei klargestellt, dass nur ein Anknüpfungspunkt "Wohnsitz, Sitz oder Geschäftsleitung" ausreiche, um diese Zuständigkeitsregelung zur Anwendung kommen zu lassen.
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§ 127 AO, wonach die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden könne, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen sei, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können, komme nicht zur Anwendung, weil die Inanspruchnahme im Wege der Haftung eine Ermessensausübung voraussetze. Außer bei einer Ermessensreduzierung auf null komme in diesen Fällen immer eine andere Entscheidung in Betracht.
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Diese Rechtsfrage erfordere darüber hinaus zur Fortbildung des Rechts eine Entscheidung durch den Bundesfinanzhof (BFH) (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO). Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. März 1999 C-212/97 Centros (Slg. 1999, I-1459) sei es zulässig, eine Kapitalgesellschaft in einem Mitgliedstaat der EU zu gründen, die Geschäftstätigkeit jedoch von einem anderen Mitgliedstaat aus zu betreiben.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet.
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig ist. Eine Rechtsfrage ist nur klärungsfähig, wenn sie nach den für den BFH bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) in dem erstrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre und deshalb in dem angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden könnte (BFH-Beschluss vom 20. Oktober 2011 V B 15/11, BFH/NV 2012, 247 Rz 8 und 9, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH).
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Die Frage, ob vorliegend gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 AO das beklagte FA örtlich zuständig war, weil von dessen Bezirk aus der Unternehmer sein Unternehmen ganz oder vorwiegend betrieben hat oder ob das örtlich nicht zuständige FA entschieden hat, weil gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 AO i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 19 der UStZustV das FA München II zuständig war, kann in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Die Frage ist nicht entscheidungserheblich, weil gemäß § 127 AO die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 125 AO nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Das ist vorliegend der Fall.
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a) Dem steht nicht entgegen, dass --worauf der Kläger zutreffend hinweist-- bei einer Verletzung der örtlichen Zuständigkeit im Rahmen einer Ermessensentscheidung § 127 AO grundsätzlich nicht anwendbar ist (BFH-Urteile vom 19. April 2012 III R 85/11, juris, nicht veröffentlicht, Leitsatz; vom 15. Oktober 1998 V R 77/97, BFH/NV 1999, 585, Leitsatz). Zwar folgt aus § 191 Abs. 1 Satz 1 AO, wonach durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), dass die Inanspruchnahme im Haftungswege nach §§ 69, 35 AO grundsätzlich im Ermessen der Finanzbehörde liegt. Das mag grundsätzlich auch dazu führen, dass Ermessensentscheidungen, die mit einem Verfahrens- oder Formfehler behaftet sind, in der Regel aufgehoben und nach erneuter Ausübung des Ermessens durch die Behörde noch einmal erlassen werden müssen.
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Das gilt aber nicht, wenn der gerügte Mangel --wie hier-- unter keinen Umständen die Entscheidung durch die zuständige Behörde beeinflusst haben kann. Der Regelung des § 127 AO ist der Rechtsgedanke immanent, dass das Interesse an einer gesetzmäßigen und gleichmäßigen Steuerfestsetzung dasjenige der Steuerpflichtigen an einem formal rechtmäßigen Verfahren überwiegt (BFH-Urteil vom 25. November 1997 VIII R 4/94, BFHE 184, 255, BStBl II 1998, 461 Rz 32). Deshalb soll gemäß § 127 AO die Aufhebung dann ausgeschlossen sein, wenn der Fehler für die Entscheidung der Behörde nicht kausal geworden sein kann (BFH-Urteil vom 18. Juli 1985 VI R 41/81, BFHE 144, 240, BStBl II 1986, 169 Rz 19). So liegt der Fall hier, denn es ist praktisch ausgeschlossen, dass der Inhalt des angefochtenen Bescheids, auch wenn es sich um einen Haftungsbescheid gehandelt hat, durch die Regelungen über die örtliche Zuständigkeit beeinflusst worden sein kann.
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b) Nach §§ 34 Abs. 1, 69 Satz 1 und 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer durch grob fahrlässige Verletzung der ihm als gesetzlichem Vertreter einer juristischen Person auferlegten Pflicht, für die Erfüllung deren steuerlicher Pflichten zu sorgen, bewirkt, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, hat das FG mit für den Senat bindender Wirkung (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt.
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c) Ein Auswahlermessen des FA scheidet vorliegend schon deshalb aus, weil der Kläger der einzige Geschäftsführer war und eine andere Person als Haftender nicht in Betracht kam.
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d) Auch hinsichtlich der Frage, ob der Kläger als Haftender in Anspruch genommen werden soll oder ob in Ermangelung anderer potentiell Haftender von einer Inanspruchnahme ganz abgesehen werden soll, bestand kein Ermessen für das FA (Ermessensreduzierung auf null). Kann der Steuerschuldner --wie hier die B-GmbH-- seine Steuerschuld nicht begleichen, entspricht es nicht nur in der Regel rechtmäßigem Ermessensgebrauch, sondern verlangt das Gebot, entstandene Steuern im öffentlichen Interesse soweit irgend möglich einzuziehen, im Allgemeinen die Inanspruchnahme derjenigen, die haften, wenn der Steuerschuldner seine Steuerschuld nicht begleichen kann (BFH-Urteil vom 13. März 2003 VII R 46/02, BFHE 202, 22, BStBl II 2003, 556 Rz 37). Deshalb kann der Erlass eines Haftungsbescheids bei Uneinbringlichkeit der Erstschuld nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen ermessensfehlerhaft sein (BFH-Urteile vom 29. September 1987 VII R 54/84, BFHE 151, 111, BStBl II 1988, 176 Rz 14, und vom 2. Oktober 1986 VII R 28/83, BFH/NV 1987, 349 Rz 24). Der Kläger hat nichts vorgetragen, woraus sich derart ungewöhnliche Umstände ergeben könnten.
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2. Da eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts ebenfalls eine klärbare Rechtsfrage voraussetzt (z.B. BFH-Beschluss vom 22. März 2012 IV B 97/11, BFH/NV 2012, 1159 Rz 6), kommt auch die vom Kläger angestrebte Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO nicht in Betracht.
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Referenzen
- 2011 V B 15/11 1x (nicht zugeordnet)
- 1985 VI R 41/81 1x (nicht zugeordnet)
- 2003 VII R 46/02 1x (nicht zugeordnet)
- 1997 VIII R 4/94 1x (nicht zugeordnet)
- 1998 V R 77/97 1x (nicht zugeordnet)
- 1987 VII R 54/84 1x (nicht zugeordnet)
- 2012 IV B 97/11 1x (nicht zugeordnet)
- 2012 III R 85/11 1x (nicht zugeordnet)
- 1986 VII R 28/83 1x (nicht zugeordnet)