Urteil vom Bundesfinanzhof (7. Senat) - VII R 13/17

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 7. März 2017  13 K 178/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

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Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger ist Rechtsanwalt und war ursprünglich an einer Sozietät beteiligt. Diese wurde mit Gesellschafterbeschluss vom ... Dezember 2010 zum 31. Dezember 2010 aufgelöst und als Liquidationsgesellschaft fortgeführt.

2

Über das Vermögen des Klägers wurde im August 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet. Den auf den Kläger entfallenden Teil am Liquidationserlös der Sozietät vereinnahmte der Insolvenzverwalter zugunsten der Insolvenzmasse.

3

Im Mai 2013 ging bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) die von beiden Klägern unterschriebene Einkommensteuererklärung für 2012 ein. Die Kläger hatten darin jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erklärt. Nachdem auch der Insolvenzverwalter die Erklärung unterschrieben hatte, erließ das FA am 16. September 2013 einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid für 2012. Einkünfte des Klägers aus der aufgelösten Sozietät waren weder erklärt noch im Bescheid erfasst worden.

4

Mit Beschluss vom ... August 2013 bestätigte das Amtsgericht einen vom Kläger erstellten Insolvenzplan.

5

Mit Bescheiden vom 8. Oktober 2013 und vom 13. November 2013 änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung für 2012.

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Mit Beschluss vom ... März 2014 wurde das Insolvenzverfahren gemäß § 258 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) aufgehoben.

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Mit Bescheid vom 8. Mai 2014 stellte das FA die Einkünfte der Sozietät für das Jahr 2012 gesondert und einheitlich fest.

8

Am 4. Juni 2014 erließ das FA gegenüber den Klägern einen (erneut) geänderten Einkommensteuerbescheid für 2012, mit dem die für den Kläger gesondert und einheitlich festgestellten Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus der ehemaligen Sozietät in Höhe von 20.018 € berücksichtigt wurden. Der Abrechnungsteil des Bescheids wies eine Nachzahlung aus (... € Einkommensteuer zzgl. Zinsen, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer). Der Kläger machte demgegenüber geltend, im Jahr 2012 seien ihm keine Einkünfte aus selbständiger Arbeit zugeflossen, da der Insolvenzverwalter diese Einkünfte für die Insolvenzmasse vereinnahmt habe. Einspruch und Klage gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2012 blieben ohne Erfolg.

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Mit Bescheid vom 23. September 2014 wurde der Einkommensteuerbescheid für 2012 erneut geändert.

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Der Kläger zahlte die festgesetzte Steuer und beantragte am 18. März 2015 den Erlass eines Abrechnungsbescheids.

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Mit Bescheid vom 6. Mai 2015 entschied das FA, dass die Kläger die für das Jahr 2012 festgesetzte Einkommensteuerschuld samt steuerlichen Nebenleistungen vollständig getilgt hätten und dass kein Erstattungsanspruch bestehe.

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Einspruch und Klage gegen den Abrechnungsbescheid blieben ebenfalls ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 1189 veröffentlicht.

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Mit ihrer Revision tragen die Kläger vor, sie hafteten nicht für Steuern, die nach Beendigung des Insolvenzverfahrens durch Insolvenzplan vom FA nachträglich festgesetzt worden seien. Der mit Zustimmung (auch) des FA festgestellte Insolvenzplan schließe aufgrund der daraus resultierenden "insolvenzimmanenten Erhebungs- und Vollstreckungsbeschränkung" solche nachträglichen Forderungen aus. Dies folge auch aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. Oktober 2014 I R 39/13 (BFHE 247, 300, BStBl II 2015, 577). Ob es sich um Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten handele, sei insoweit unerheblich; denn beide würden von der gestaltenden Wirkung des Insolvenzplans erfasst. Sie hätten daher einen Anspruch auf Erstattung, entweder unter dem Gesichtspunkt der aufgezeigten Gründe oder aber nach § 163 der Abgabenordnung (AO) aus sachlichen Billigkeitsgründen.

Entscheidungsgründe

II.

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Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

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Die Kläger haben keinen Erstattungsanspruch.

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1. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO hat derjenige, auf dessen Rechnung eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden ist, gegen den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 AO gilt dies auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt.

17

Im Fall von Streitigkeiten über das Bestehen oder Nichtbestehen eines solchen Anspruchs entscheidet das FA gemäß § 218 Abs. 2 AO durch Abrechnungsbescheid. Maßgeblich für diese Entscheidung ist allein die formelle Bescheidlage (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 30. März 2010 VII R 17/09, BFH/NV 2010, 1412, m.w.N.).

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Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids wiederum sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung) maßgebend (ebenfalls ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 21. November 2006 VII R 68/05, BFHE 215, 70, BStBl II 2007, 291, m.w.N.).

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2. Die festgesetzte Steuer ist nicht ohne Rechtsgrund gezahlt worden. Nach der formellen Bescheidlage bestand zum Zeitpunkt der von den Klägern geleisteten streitigen Zahlung ein Steueranspruch des FA aus Einkommensteuer für 2012 in entsprechender Höhe. Ob die Festsetzung der Einkommensteuer für 2012 --insgesamt oder in dieser Höhe-- rechtmäßig gewesen ist, ist nicht Gegenstand des Verfahrens über den Abrechnungsbescheid.

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3. Der Rechtsgrund für die Zahlung ist auch nicht später weggefallen. Insbesondere ergibt sich aus der Durchführung des Insolvenzplanverfahrens entgegen der Auffassung der Kläger keine "insolvenzimmanente Erhebungs- und Vollstreckungsbeschränkung", die dazu geführt hätte, dass der Steueranspruch des FA aus Einkommensteuer für 2012 erloschen wäre.

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a) Die Bestätigung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht nach § 248 Abs. 1 InsO und die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 258 Abs. 1 InsO stehen der Erhebung schon deswegen nicht entgegen, weil es sich bei der Einkommensteuer für 2012, soweit sie auf den hier allein maßgeblichen Einkünften des Klägers aus der aufgelösten Sozietät beruht, um eine Masseverbindlichkeit gehandelt hat und Masseverbindlichkeiten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) von den Wirkungen des Insolvenzplanverfahrens grundsätzlich nicht betroffen sind.

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aa) Die streitigen Einkommensteuerschulden waren gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO Masseverbindlichkeiten. Sie resultierten aus der Verwaltung des zur Masse gehörenden Anteils des Klägers an der aufgelösten Sozietät und hätten, wären sie rechtzeitig erklärt und festgesetzt worden, gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden müssen (vgl. auch BFH-Urteil vom 1. Juni 2016 X R 26/14, BFHE 253, 518, BStBl II 2016, 848, Rz 30).

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bb) Als (ehemalige) Masseverbindlichkeiten werden diese Einkommensteuerschulden von den Wirkungen des Insolvenzplans nicht erfasst.

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Zwar können nach der Senatsrechtsprechung Ansprüche oder Verbindlichkeiten des Schuldners, die --wie im Streitfall-- erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ermittelt werden, aber bereits während des Insolvenzverfahrens in insolvenzrechtlicher Hinsicht "begründet" worden sind und somit zunächst zur Insolvenzmasse gehört haben, grundsätzlich auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens Gegenstand insolvenzrechtlicher Beschränkungen sein (vgl. Senatsurteil vom 20. September 2016 VII R 10/15, BFH/NV 2017, 442, Rz 19, zur Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO).

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Jedoch treten die Wirkungen des Insolvenzplans grundsätzlich nur gegenüber den am Insolvenzplanverfahren beteiligten Personen ein (§§ 254, 254a InsO). Massegläubiger sind nach den gesetzlichen Regelungen keine Beteiligten des Insolvenzplanverfahrens (vgl. BGH-Beschluss vom 16. Februar 2017 IX ZB 103/15, BGHZ 214, 78, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2017, 2280, m.w.N.). Daher ermöglicht die Aufstellung eines Insolvenzplans auch keine von den Vorschriften der Insolvenzordnung über Massegläubiger abweichenden Regelungen; die Bestimmungen über die Befriedigung der Massegläubiger sind grundsätzlich "planfest" (BGH-Beschluss in BGHZ 214, 78, NJW 2017, 2280, Rz 21 f.; ebenso: K. Schmidt, Insolvenzordnung, 19. Aufl., § 217 Rz 4; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Aufl., § 217 Rz 19; Braun, Insolvenzordnung, 7. Aufl., § 217 Rz 7; Huber in MünchKommInsO, 3. Aufl., § 254 Rz 15; Spahlinger in Kübler/ Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 217 Rz 30). Aus diesem Grund gilt insbesondere auch die Befreiung von den Restverbindlichkeiten nach § 227 Abs. 1 InsO nur gegenüber Insolvenzgläubigern. Sie erstreckt sich, anders als die Kläger meinen, nicht auf Masseverbindlichkeiten (s. auch Uhlenbruck, a.a.O., § 227 Rz 3; Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, a.a.O., § 227 Rz 2).

26

Lediglich für den --hier nicht einschlägigen-- Fall der angezeigten Masseunzulänglichkeit gemäß § 210a InsO können bestimmte Massegläubiger in das Insolvenzplanverfahren einbezogen werden (s. BGH-Beschluss in BGHZ 214, 78, NJW 2017, 2280, Rz 22).

27

Masseverbindlichkeiten werden damit von der Wirkung des Insolvenzplanverfahrens grundsätzlich ebenso wenig erfasst wie von einer nach § 301 InsO erteilten Restschuldbefreiung (s. dazu Senatsurteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26, BStBl II 2018, 457).

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b) Aus dem von den Klägern angeführten Urteil des I. Senats des BFH in BFHE 247, 300, BStBl II 2015, 577 lässt sich schon deshalb kein gegenteiliges Ergebnis herleiten, weil die dort streitigen Steuerschulden aus Körperschaftsteuer Insolvenzforderungen gewesen sind. Mit den Auswirkungen des Insolvenzplans auf Masseverbindlichkeiten befasst sich die genannte Entscheidung nicht.

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4. Soweit die Kläger geltend machen, ein Anspruch auf die beantragte Erstattung stehe ihnen auch unter dem Gesichtspunkt eines Erlasses aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO zu, ist dieses Begehren unzulässig. Abgesehen davon, dass im Erhebungsverfahren nur ein Erlass nach § 227 AO in Betracht käme, handelt es sich um eine im Revisionsverfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 1 FGO unzulässige Klageerweiterung. Einen Erlass aus Billigkeitsgründen haben die Kläger im Klageverfahren nicht beantragt und das FG hat hierüber auch nicht entschieden. Die ergänzenden Überlegungen, die das FG in den Entscheidungsgründen (unter II.2.b dd iii) angestellt und mit denen es eine im Schrifttum vertretene Auffassung zu einem Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen zurückgewiesen hat, sind keine tragenden Entscheidungsgründe.

30

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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