Beschluss vom Bundesgerichtshof (12. Zivilsenat) - XII ZB 58/12

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ulm (Donau) vom 14. Dezember 2011 die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 Satz 2 KostO).

Die notwendigen Auslagen der Betroffenen für das Verfahren in allen Instanzen werden der Staatskasse auferlegt (§ 128 b KostO, § 337 Abs. 1 FamFG).

Der Verfahrenswert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Rechtsbeschwerde wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus.

2

Die Betroffene leidet an einem schizophrenen Residuum, welches mit Antriebslosigkeit, affektiver Verflachung und einer Neigung zur Verwahrlosung einhergeht. Sie war in der Vergangenheit wiederholt untergebracht - zuletzt aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts vom 25. Februar 2011 (Beschwerdeentscheidung des Landgerichts vom 1. April 2011; Unterbringung bis 30. Juni 2011).

3

Auf Antrag ihrer Betreuerin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 17. Oktober 2011 erneut die Unterbringung der Betroffenen - nunmehr bis zum 31. August 2012 - genehmigt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Betroffene nach Ablauf der Unterbringungsfrist die Feststellung, durch den Beschluss des Landgerichts in ihren Rechten verletzt worden zu sein.

II.

4

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist in der Sache begründet. Der angefochtene Beschluss hat die Betroffene in ihren Rechten verletzt.

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1. Hat sich die angefochtene Entscheidung - wie hier - durch Zeitablauf in der Hauptsache erledigt, kann das Beschwerdegericht gemäß § 62 Abs. 1 FamFG aussprechen, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechts-zugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat. Diese Vorschrift ist im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden.

6

Voraussetzung ist - neben einem auf die Feststellung gerichteten Antrag , dass ein berechtigtes Interesse an der Feststellung besteht. Das Feststellungsinteresse ist nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG in der Regel anzunehmen, wenn ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegt. Die gerichtliche Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen solchen Eingriff (Senatsbeschlüsse vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 9 f. mwN und vom 8. August 2012 - XII ZB 671/11 - FamRZ 2012, 1634 Rn. 6 f.).

7

2. Das Landgericht teilt die Einschätzung des Amtsgerichts, welches die Unterbringung wegen Eigengefährdung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB für erforderlich gehalten hat. Nach den Ausführungen des Amtsgerichts sei die regelmäßige Einnahme der erforderlichen antipsychotischen Medikation außerhalb einer beschützenden Einrichtung nicht sichergestellt, weil die Betroffene weder Krankheitseinsicht noch eine ausreichende Compliance besitze. Bei unregelmäßiger Medikamenteneinnahme verschlechtere sich der Gesundheitszustand der Betroffenen mit der Folge, dass die Verwahrlosungserscheinungen und ihre Hilflosigkeit im Alltag weiter zunähmen. Sie neige dann auch zu planlosem Handeln; so sei sie mit dem Zug nach Frankreich gefahren, dort aufgegriffen und für einen längeren Zeitraum stationär in einer Klinik behandelt worden. Derzeit könne nur eine Unterbringung in einer beschützenden Station eine ausreichende medikamentöse Behandlung der Betroffenen sichern. Die Unterbringung sei nunmehr für einen längeren Zeitraum erforderlich, um eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustands der Betroffenen zu vermeiden und eine Stabilisierung ihrer Gesundheit zu erreichen.

8

3. Die Entscheidung des Landgerichts hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die materiellen Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB sind nicht festgestellt.

9

a) Die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB setzt eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten voraus. Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen. Die Gefahr für Leib oder Leben setzt kein zielgerichtetes Verhalten voraus, sodass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist. Das setzt allerdings objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens voraus (Senatsbeschlüsse vom 18. Mai 2011 - XII ZB 47/11 - FamRZ 2011, 1141 Rn. 12 und vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14 mwN).

10

Die Prognose einer nicht anders abwendbaren Suizidgefahr oder einer Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden ist Sache des Tatrichters (Senatsbeschlüsse vom 22. August 2012 - XII ZB 295/12 - FamRZ 1705 Rn. 4 und vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 15). Sie baut im Wesentlichen auf der Anhörung des Betroffenen und der weiteren Beteiligten sowie auf dem nach § 321 FamFG einzuholenden Sachverständigengutachten auf.

11

b) Nach den Feststellungen der Instanzgerichte ist eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen nach diesen Maßstäben nicht zu rechtfertigen.

12

Zwar leidet die Betroffene, wie die Instanzgerichte in Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten festgestellt haben, an einem behandlungsbedürftigen schizophrenen Residuum.

13

Weder das Amtsgericht noch das Landgericht haben aber konkrete Umstände für die Annahme aufgezeigt, die Betroffene werde sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen, wenn die Unterbringung und die in ihrem Rahmen beabsichtigte Medikation unterbleiben. Das schriftliche Sachverständigengutachten, dem sich die Instanzgerichte angeschlossen haben, führt zu der Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schadens lediglich aus, dass die Betroffene bei Absetzen der Medikation dazu neige, planlos mit dem Zug ins Ausland zu fahren oder wiederholt bei verschiedenen Krankenhäusern hilfesuchend vorstellig zu werden. Weder der mündlichen Anhörung der Betroffenen und der weiteren Verfahrensbeteiligten noch dem sonstigen Akteninhalt lassen sich konkrete und objektivierbare Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens oder die erhebliche Verschlimmerung oder weitere Chronifizierung der Krankheit der Betroffenen entnehmen. Diese ergeben sich auch nicht aus den in den vorangegangenen Unterbringungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten und ärztlichen Zeugnissen.

14

Die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB liefert keine ausreichende Begründung für die Unterbringung. Auch im Fall einer wiederholt untergebrachten Betroffenen darf sich die Begründung nicht auf formelhafte Wendungen beschränken, sondern muss die Tatbestandsvoraussetzungen im jeweiligen Einzelfall durch die Angabe von Tatsachen konkret nachvollziehbar machen.

Dose                              Weber-Monecke                      Günter

           Nedden-Boeger                                  Botur

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