Beschluss vom Bundesgerichtshof (5. Zivilsenat) - V ZB 223/12

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bautzen vom 30. August 2012 in der Fassung des Beschlusses vom 15. November 2012 wird auf Kosten der Beteiligten zu 4 zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Mit von der Beteiligten zu 4 (im Folgenden: Notarin) beurkundetem Vertrag vom 27. Mai 2011 kaufte der Beteiligte zu 1 von den Beteiligten zu 2 und 3 ein Grundstück. Dabei wurde die Notarin angewiesen, die Eigentumsumschreibung nach Zahlung des Kaufpreises zu veranlassen. Da der Beteiligte zu 1 eine bestehende Grundschuld übernehmen sollte, beglaubigte die Notarin u.a. eine Abtretungserklärung und stellte dem Beteiligten zu 1 dafür 207,66 € in Rechnung. Nach Entrichtung des Kaufpreises verweigerte sie ein Tätigwerden hinsichtlich der Eigentumsumschreibung mit der Begründung, der Beteiligte zu 1 habe die Kosten noch nicht gezahlt. Darauf hat der Beteiligte zu 1 beantragt, die Notarin anzuweisen, den Eintragungsantrag bei dem Grundbuchamt zu stellen.

2

Das Landgericht hat das Rechtsschutzbegehren als Beschwerde nach § 15 Abs. 2 BNotO ausgelegt und der Notarin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, dies jedoch nicht über den von ihr bestellten Verfahrensbevollmächtigten. Nach Fristablauf hat es der Beschwerde mit Beschluss vom 30. August 2012 stattgegeben. Dagegen hat die Notarin nach § 44 FamFG die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt und hierzu geltend gemacht, bei ordnungsgemäßer Anhörung hätte sie - was im Einzelnen ausgeführt wird - dargelegt, dass ihr ein Zurückbehaltungsrecht zugestanden habe und die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde vorgelegen hätten; die Frage des Zurückbehaltungsrechts sei in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Darauf hat das Landgericht mit Beschluss vom 15. November 2012 seine Entscheidung dahin „ergänzt“, dass die Rechtsbeschwerde zugelassen werde; die weitergehende Rüge hat es zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde möchte die Notarin die Zurückweisung des Antrages des Beteiligten zu 1 erreichen.

II.

3

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts steht der Notarin kein Zurückbehaltungsrecht nach §§ 141, 10 Abs. 1 KostO zu. Die Regelung des § 10 Abs. 1 KostO sei schon ihrem Wortlaut nach nicht einschlägig. Im Übrigen sei der grundbuchrechtliche Vollzug aus Gründen der Rechtssicherheit zügig abzuwickeln. Dies stehe einer Ausdehnung des Zurückbehaltungsrechts auf Fälle wie den vorliegenden entgegen. Die Anhörungsrüge nach § 44 FamFG sei zulässig, weil die Notarin nicht über ihren Verfahrensbevollmächtigten angehört worden sei. Die vorgetragenen Argumente rechtfertigten aber in der Hauptsache keine andere Entscheidung. Allerdings sei die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil die Frage des Zurückbehaltungsrechts umstritten sei und der höchstrichterlichen Klärung bedürfe.

III.

4

1. Das Rechtsmittel ist nach § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG u. § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

5

a) Die Verweisung nach § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO auf die für das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften kommt zum Tragen, weil die Regelung grundsätzlich für alle Arten notarieller Amtsverweigerung gilt (BGH, Urteil vom 20. November 1979– VI ZR 248/77, BGHZ 76, 9, 14 f.). Dass sich die Notarin für ihre Weigerung auf ein Zurückbehaltungsrecht stützt, steht dem nicht entgegen (vgl. auch OLG Düsseldorf, MDR 1999, 771 f.; vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 18. September 2009 – 2 Wx 78/09, juris Rn. 6). Die Geltendmachung eines Gegenrechts bestimmt nicht den Verfahrensgegenstand.

6

b) An die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist der Senat nach § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO i.V.m. § 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG gebunden.

7

aa) Allerdings entfällt die Bindungswirkung ausnahmsweise, wenn die Zulassung verfahrensrechtlich überhaupt nicht ausgesprochen werden durfte (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – IX ZR 70/10, NJW-RR 2012, 306 Rn. 6 f.). Das gilt auch für eine verfahrensrechtlich nicht vorgesehene nachträgliche Zulassungsentscheidung (Senat, Urteil vom 4. März 2011 – V ZR 123/10, NJW 2011, 1516 Rn. 4). Eine versehentlich unterbliebene Zulassung kann auch nicht durch eine Beschlussergänzung nachgeholt werden (BGH, Beschluss vom 12. März 2009– IX ZB 193/08, NJW-RR 2009, 1349 Rn. 7). Ebenso liegt es, wenn auf eine Anhörungsrüge hin ein Rechtsmittel nachträglich zugelassen wird, jedoch nicht ersichtlich ist, dass das Gericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG geprüft und festgestellt hat (Senat, Beschluss vom 4. März 2011, V ZR 123/10, NJW 2011, 1516 Rn. 7). Die Anhörungsrüge räumt dem Gericht keine umfassende Abhilfemöglichkeit ein, sondern dient allein der Behebung von Verstößen gegen die grundgesetzliche Garantie des rechtlichen Gehörs.

8

Anders verhält es sich hingegen, wenn gerade die Entscheidung über die versagte Zulassung auf einem entscheidungserheblichen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG beruht, etwa wenn ein auf die Zulassungsentscheidung bezogener Vortrag verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt worden ist (Senat, Urteil vom 4. März 2011 – V ZR 123/10, NJW 2011, 1516 Rn. 6; vgl. auch Senat, Beschluss vom 29. Januar 2009 – V ZB 140/08, WM 2009, 756 Rn. 5), das Verfahren auf eine Anhörungsrüge hin aufgrund des Gehörsverstoßes fortgesetzt wird und sich erst aus dem nunmehr gewährten rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung ergibt (Senat, Urteil vom 4. März 2011 – V ZR 123/10, NJW 2011, 1516 Rn. 7; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – IX ZR 70/10, NJW-RR 2012, 306 Rn. 8).

9

bb) Gemessen daran bleibt es vorliegend bei der Bindungswirkung des § 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG. Auf der Grundlage der Regelung des § 44 FamFG hat das Beschwerdegericht das Verfahren mit Blick auf die Zulassungsentscheidung fortgesetzt und wegen des von ihm bejahten entscheidungserheblichen Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) aufgrund des nunmehrigen Vorbringens der Notarin die zunächst getroffenen Entscheidung durch die Zulassung der Rechtsbeschwerde ersetzt; soweit das Beschwerdegericht von einer Ergänzung spricht, handelt es sich ersichtlich nur um eine begriffliche Unschärfe, der keine verfahrensrechtliche Bedeutung zukommt.

10

Das Vorgehen nach § 44 FamFG war - was Voraussetzung für die Bindungswirkung ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2014 - VI ZR 55/14, Rn. 10, juris) - auch in der Sache nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Beschwerdegericht einen entscheidungserheblicher Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG bejaht, weil der Notarin nicht, wie es verfahrensrechtlich geboten gewesen wäre, über ihren Verfahrensbevollmächtigen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist.

11

Ist für einen Beteiligten ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt (§ 10 Abs. 2 FamFG), sind Zustellungen nach § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO ausschließlich an diesen und nicht an den Beteiligten zu bewirken (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 – V ZB 202/09, juris Rn. 8 mwN); nichts anderes gilt, wenn das Gericht ohne förmliche Zustellung Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Zwar ist der Notar grundsätzlich nicht Beteiligter des Beschwerdeverfahrens nach § 15 Abs. 2 BNotO. Er hat in aller Regel die Rechtsstellung der ersten Instanz (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – V ZB 70/10, juris Rn. 9; BayObLGZ 1998, 6, 9; Eylmann/Vaasen/Frenz, BNotO/BeurkG, 3. Aufl., § 15 BNotO Rn. 33), so dass es zweifelhaft erscheint, ob § 172 Abs. 1 ZPO insoweit über die Verweisung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG überhaupt eingreift. Darauf kommt es vorliegend aber nicht an. Denn etwas anderes gilt jedenfalls dann, wenn der Notar in eigenen Rechten betroffen ist, was insbesondere anzunehmen ist, wenn die Verweigerung einer Amtshandlung – wie hier – auf eigene Gebührenansprüche gestützt wird. Folgerichtig ist der Notar in solchen Fällen auch zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt (BVerfG, NJW 1992, 359, 360; OLG Düsseldorf, MDR 1999, 771; Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 7. Aufl., § 15 Rn. 104; jeweils mwN; vgl. auch BT-Drucks. 16/6308, S. 204).

12

2. In der Sache bleibt der Rechtsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt. Das Berufungsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht ein Zurückbehaltungsrecht der Notarin nach den hier gemäß § 136 Abs. 1 Nr. 4 u. Abs. 3 GNotKG weiterhin anwendbaren Regelungen der §§ 141, 10 Abs. 1 KostO verneint.

13

Ob dies, wie das Beschwerdegericht meint, bereits zwingend aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 KostO folgt, kann im Hinblick darauf dahin gestellt bleiben, dass der aus § 53 BeurkG folgenden Amtspflicht jedenfalls der Vorrang einzuräumen ist (ebenso etwa OLG Köln, Beschluss vom 18. September 2009– 2 Wx 78/09, juris Rn. 9 mwN; OLGR Naumburg 2003, 307, 308; OLG Düsseldorf, MDR 1999, 771, 772; aA etwa Eylmann/Vaasen/Limmer, BNotO/BeurkG, 3. Aufl., § 53 BeurkG Rn. 16; Lappe in Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann, KostO, 18. Aufl., § 10 Rn. 22; Preuß in Armbrüster/Preuß/Renner, BeurkG, 6. Aufl., § 53 Rn. 18 mwN).

14

Nach § 53 BeurkG hat der Notar, der bei dem Grundbuchamt einzureichende Willenserklärungen beurkundet hat, die Amtspflicht, diese Urkunden nach dem Eintritt der Vollzugsreife bei dem Grundbuchamt einzureichen (vgl. BayObLGZ 1998, 6, 8; OLG Düsseldorf, FGPrax 1999, 72). Hat er auch die Vollzugstätigkeit übernommen, steht diese in einem so engen Zusammenhang mit der Urkundstätigkeit, dass dies bei der gebotenen wertenden Betrachtung noch als deren Bestandteil anzusehen ist (vgl. nur OLG Köln, Beschluss vom 18. September 2009 – 2 Wx 78/09, juris Rn. 9 mwN). Zu Recht geht das Beschwerdegericht dabei davon aus, dass der grundbuchrechtliche Vollzug aus Gründen der Rechtssicherheit zügig abzuwickeln ist. Danach ist der Notar verpflichtet, bei dem Grundbuchamt einzureichende Willenserklärungen und Unterlagen mit der ihm möglichen und zumutbaren Beschleunigung einzureichen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2002– IX ZR 196/01, NJW 2002, 3391, 3392).

15

Dass sich damit die Annahme eines Zurückbehaltungsrechts nach § 10 Abs. 1 KostO nicht verträgt, liegt zum einen auf der Hand und wird zum anderen dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber mit § 11 GNotKG unter inhaltlicher Übernahme des Regelungsgehalts von § 10 Abs. 1 KostO eine Nachfolgeregelung geschaffen und dabei gerade im Hinblick auf § 53 BeurkG nunmehr ausdrücklich den Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts angeordnet hat. Den Gesetzgebungsmaterialien ist eindeutig zu entnehmen, dass hierdurch die Rechtslage nicht umgestaltet, sondern mit Blick auf die umstrittene Rechtsfrage lediglich klargestellt werden sollte, dass den Amtspflichten des Notars aus § 53 BeurkG der Vorrang zukommt (BT-Drs. 17/11471, S. 157); der Regelungsgehalt des bisherigen § 10 Abs. 1 KostO sollte lediglich verdeutlicht werden. Untermauert wird diese authentische Selbstinterpretation des Gesetzgebers noch dadurch, dass der Notar hinreichend durch die Möglichkeit geschützt ist, seine Tätigkeit von der Zahlung eines Vorschusses nach § 141 i.V.m. § 8 KostO (§ 15 GNotKG) abhängig zu machen (vgl. auch BT-Drucks. aaO).

IV.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Wertfestsetzung folgt aus § 131 Abs. 4, § 30 Abs. 2 Satz 1 und § 31 Abs. 1 KostO.

Stresemann                    Schmidt-Räntsch                       Roth

                   Brückner                               Weinland

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen