Beschluss vom Bundesgerichtshof (1. Strafsenat) - 1 StR 386/15

Tenor

Die Anhörungsrüge des Verurteilten      K.     vom 8. Oktober 2015 gegen den Beschluss des Senats vom 29. September 2015 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gründe

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Der Senat hat die Revision des Verurteilten      K.     gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 23. März 2015 mit Beschluss vom 29. September 2015 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Anhörungsrüge (§ 356a StPO) des Verurteilten ist zurückzuweisen.

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Die zulässig durch Rechtsanwalt          S.     erhobene Anhörungsrüge erweist sich als unbegründet. Der Senat hat über die Revision des Verurteilten unter Berücksichtigung des Inhalts des als "Revisionsergänzungsschriftsatz" bezeichneten Schriftsatzes vom 14. August 2015 durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO entschieden. Er hat bei dieser Entscheidung weder in einer Art. 103 Abs. 1 GG widersprechenden Weise Verfahrensstoff verwertet, zu dem der Verurteilte nicht gehört worden wäre, noch hat er bei der Entscheidung zu berücksichtigendes Vorbringen des Verurteilten übergangen.

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1. Der genannte Schriftsatz ist zunächst am 14. August 2015 in einer durch den Rechtsbeistand So.    unterzeichneten Version per Fax an das Landgericht München I gesandt worden und nach Weiterleitung am 28. August 2015 bei dem Bundesgerichtshof eingegangen. Eine zweite, inhaltlich mit der ersten identische Version des Schriftsatzes, nunmehr aber durch Rechtsanwalt          S.     unterzeichnet, ist auf dem Postwege am 19. August 2015 bei der Allgemeinen Eingangsstelle IV der Justizbehörden in München eingegangen. Den Bundesgerichtshof hat – wiederum nach Weiterleitung durch die Justizbehörden – diese Version am 3. September 2015 erreicht. Beide waren Gegenstand der Beratungen des Senats am 29. September 2015.

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2. Soweit der Verurteilte eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör darin sehen will, dass ihm bzw. seinen neuen Verteidigern der auf Verwerfung der Revision als unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO gerichtete Antrag des Generalbundesanwalts nicht mitgeteilt worden ist (§ 349 Abs. 3 Satz 1 StPO), dringt er damit nicht durch. Zwar umfasst die Garantie des Art. 103 Abs. 1 GG auch das Recht des Betroffenen auf Information über entscheidungsrelevante Tatsachen (vgl. BVerfGE 89, 28, 35; Radtke in Epping/Hillgruber, GG, 2. Aufl., Art. 103 Rn. 8). Der Gewährleistung dieses Rechts dient im Verfahren gemäß § 349 Abs. 2 StPO auch die durch § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO zwingend vorgesehene Übermittlung der mit Gründen versehenen Antragsschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht (siehe BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2007 – 2 BvR 746/07, in StraFo 2007, 370 teilweise abgedruckt; BGH, Beschlüsse vom 3. September 2013 – 1 StR 189/13, NStZ-RR 2013, 385 (nur LS) und vom 12. November 2013 – 3 StR 135/13, StraFo 2014, 121).

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Diesem in Art. 103 Abs. 1 GG enthaltenen Informationsanspruch ist jedoch genügt worden. Die den Verurteilten      K.     betreffende Antragsschrift des Generalbundesanwalts ist dem im Revisionsverfahren bis dahin aufgetretenen Verteidiger, Rechtsanwalt G.     , der die Revision am 24. März 2015 eingelegt und am 12. Juni 2015 mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet hat, am 13. August 2015 zugestellt worden. Bei einem verteidigten Angeklagten erfolgt die Mitteilung gemäß § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO nach allgemeiner Auffassung im Hinblick auf § 145a Abs. 1 StPO allein gegenüber dem Verteidiger (siehe nur Wohlers in SK-StPO, 4. Aufl., Band VII, § 349 Rn. 29 mwN), bei mehreren Verteidigern gegenüber demjenigen, der sich bisher im Revisionsverfahren beteiligt hat (Wohlers aaO; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 349 Rn. 15; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 349 Rn. 19; Nagel in Radtke/Hohmann, StPO, § 349 Rn. 22). Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, verlangt § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO eine Mitteilung auch gegenüber dem Verteidiger nicht, dessen Vollmacht zwar bereits zu den Akten gelangt war, der sich aber nicht am Revisionsverfahren beteiligt hat (BGH, Beschluss vom 12. Januar 1988 – 5 StR 547/87, NStE Nr. 5 zu § 349 StPO).

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Da hier bereits die Mitteilung gemäß § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO gegenüber dem bis dahin sich im Revisionsverfahren ausschließlich beteiligenden Rechtsanwalt G.     erfolgt war, bedurfte es keiner weiteren Mittteilung gegenüber den neu in das Revisionsverfahren eintretenden Verteidigern. Sie war hier auch von Verfassungs wegen im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG nicht geboten. Dem Verurteilten wie seinen neu mandatierten Verteidigern war die Einlegung und Begründung der Revision durch Rechtsanwalt G.     bekannt. Der genannte "Revisionsergänzungsschriftsatz" nimmt ausdrücklich darauf Bezug und soll auch ausweislich seines Inhalts, im Übrigen die bereits begründete Revision ergänzende, rechtliche Ausführungen enthalten. Die Beendigung des Mandatsverhältnisses zu Rechtsanwalt G.      ist gegenüber dem Landgericht München I erstmals am 14. August 2015 und damit nach der dem Gesetz entsprechenden Zustellung der Antragsschrift an den bisherigen Verteidiger angezeigt worden. Es war daher Aufgabe des Verurteilten und seiner Verteidigung nach dem Verteidigerwechsel dafür Sorge zu tragen, dass der Inhalt des dem bisherigen Verteidiger wirksam bekannt gemachten Antrags auf Verwerfung gemäß § 349 Abs. 2 StPO dem Verurteilten und seiner neuen Verteidigung zur Kenntnis gelangt. Angesichts der durch das Gesetz in § 349 Abs. 3 StPO geregelten Abläufe des einer Entscheidung durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO vorausgehenden Verfahrens bestand auch Anlass, nach dem Wechsel der Verteidigung den Stand des Revisionsverfahrens bei dem bislang mandatierten Verteidiger in Erfahrung zu bringen. Insoweit gilt nichts anderes als bei unzureichenden Vorkehrungen des Revisionsführers dafür, dass ihn Mitteilungen der Justizbehörden überhaupt erreichen (vgl. dazu LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 349 Rn. 19).

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3. Der Beschluss des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 3. November 1992 (4 StR 472/92) steht nicht entgegen. In dem dort zugrundeliegenden Revisionsverfahren war auch einem zweiten Verteidiger die Antragsschrift mitgeteilt worden. Da der Senat die Revision des Angeklagten verworfen hatte, bevor die Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO nach Zustellung an den zweiten Verteidiger verstrichen war, hat er eine mögliche Gehörsverletzung angenommen und eine Anhörung des Beschwerdeführers nachgeholt (BGH aaO). Eine solche Konstellation ist vorliegend nicht gegeben, weil sich zum Zeitpunkt der Mitteilung lediglich Rechtsanwalt G.     als Verteidiger des Verurteilten      K.     am Revisionsverfahren beteiligt hatte.

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4. Der Umstand, dass der Senat der Rechtsauffassung der Revision auch unter Einbeziehung deren Ausführungen im Schriftsatz vom 14. August 2015 nicht gefolgt ist, begründet keinen Gehörsverstoß (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Mai 2012 – 1 StR 152/11, NStZ-RR 2012, 314; vom 3. September 2013 – 1 StR 189/13). Ebenso wenig bedarf es bei der Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 349 Abs. 2 StPO einer Begründung des Verwerfungsbeschlusses. Das Grundgesetz gebietet bei letztinstanzlichen gerichtlichen Entscheidungen regelmäßig keine Begründung (siehe nur BVerfG [3. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 30. Juni 2014 – 2 BvR 792/11, NJW 2014, 2563, 2564 mwN). Auch die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention verlangen eine Begründung der Entscheidung des Revisionsgerichts nicht (EGMR, Entscheidung vom 13. Februar 2007 – 15073/03, EuGRZ 2008, 274, 276; siehe auch BGH, Beschluss vom 12. November 2013 – 3 StR 135/13, StraFo 2014, 121). Aus dem Umstand, dass die auf die Sachrüge gestützte Revision des Verurteilten erstmals mit Schriftsatz vom 14. August 2015 detaillierter begründet worden ist, folgt nichts anderes (BGH, Beschluss vom 4. Juni 2002 – 3 StR 146/02, NStZ 2003, 103 Rn. 3).

Graf                         Jäger                      Cirener

              Radtke                       Bär

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