Urteil vom Bundesgerichtshof (4. Zivilsenat) - IV ZR 272/15

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts München I - 13. Zivilkammer - vom 28. April 2015 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

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Der bei der Beklagten seit dem 1. Januar 1983 krankenversicherte Kläger wendet sich gegen die Erhöhung seines Krankenversicherungsbeitrages. Mit Schreiben vom 24. Juni 2009 teilte die Beklagte ihm eine Anpassung des Beitrages für den Tarif N/2 ab 1. August 2009 von 429,39 € auf 558,21 € mit. Die Beklagte zog im Zeitraum von August 2009 bis Januar 2010 den erhöhten Beitrag ein, was der Kläger lediglich unter Vorbehalt duldete. Er macht geltend, die Voraussetzungen für eine Prämienerhöhung gemäß § 203 VVG bzw. § 8b der dem Vertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (AVB/KK) lägen nicht vor.

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Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Berechtigung der Beklagten zur Beitragserhöhung der Klage überwiegend stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat das Landgericht in den mündlichen Verhandlungen vom 16. Juli 2013 und 4. Februar 2014 die Öffentlichkeit ausgeschlossen sowie die Anwesenden, darunter den Kläger und seinen Prozessbevollmächtigten, zur Verschwiegenheit über die Unterlagen der Beklagten, bezeichnet als Technische Rechnungsgrundlage Tarife N BAP 1.8.2009 sowie Technische Berechnungsgrundlage Tarife N BAP 1.1.2009, verpflichtet. Nach Anhörung des Sachverständigen sowie Vernehmung von Zeugen hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet.

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I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die von der Beklagten zum 1. August 2009 vorgenommene Prämienerhöhung sei nach §§ 203 VVG, 8b AVB/KK rechtmäßig. Der Ausschluss der Öffentlichkeit und die Geheimhaltungsverpflichtung stellten weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers aus Art. 103 GG noch einen Verstoß gegen das Gebot des fair trial dar. Die Beklagte habe ein berechtigtes Interesse an der Wahrung ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse. Die Kammer habe sich dafür entschieden, Kläger und Klägervertreter gemäß § 174 Abs. 3 GVG zur Verschwiegenheit zu verpflichten und in mündlichen Verhandlungen, deren Gegenstand die fraglichen Berechnungsgrundlagen gewesen seien, die Öffentlichkeit auszuschließen. Dem Klägervertreter sei nach seiner Verpflichtung eine Abschrift der technischen Berechnungsunterlagen übergeben worden. Auch der Kläger habe nach seiner Verpflichtung Gelegenheit zur Einsichtnahme in die Berechnungsunterlagen erhalten. Ferner sei dem Kläger angeboten worden, er möge seine Hilfsperson benennen bzw. zum Zwecke der Verpflichtung zur Geheimhaltung in die mündliche Verhandlung mitbringen. Hierauf sei er nicht eingegangen.

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Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass Veränderungen vorlägen, die die Beklagte zu der Prämienerhöhung berechtigten. Zunächst stehe fest, dass die dem Sachverständigen vorgelegten Unterlagen mit denen identisch seien, die dem Treuhänder vorgelegen hätten. Auch sei erwiesen, dass die von der Beklagten vorgelegten, in den technischen Berechnungsgrundlagen enthaltenen statistischen Nachweise die Vorgänge im Tarif korrekt wiedergäben. Konkrete Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit bei der Datenzusammenführung lägen nicht vor. Der Sachverständige habe zwar die Qualität und Richtigkeit der technischen Bewertungsgrundlagen nicht im Einzelnen überprüft, jedoch eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen und keine Unplausibilitäten, offensichtliche Unrichtigkeiten oder Widersprüchlichkeiten festgestellt. Die Behauptung des Klägers, die Daten seien fehlerhaft, sei ins Blaue hinein erfolgt. Ferner habe die Beklagte dem Treuhänder und dem Gericht keine Belege vorlegen müssen für die Richtigkeit der Daten, die Gegenstand der statistischen Auswertungen bzw. Grundlage der Berechnungen gewesen seien. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Vorgänge in statistisch relevanter Weise von der Beklagten falsch erfasst und verarbeitet worden seien. Das Bestreiten der Richtigkeit der Daten durch den Kläger habe ins Blaue hinein stattgefunden und sei damit prozessual unbeachtlich. Der gerichtliche Sachverständige habe weiter in seinem schriftlichen Gutachten sowie seiner Anhörung nachvollziehbar dargelegt, dass die Voraussetzungen für die Prämienerhöhung gemäß § 203 Abs. 2 VVG i.V.m. § 12b VAG vorlägen. Die von der Beklagten verwandten versicherungsmathematischen Formeln und technischen Tabellenwerte entsprächen den versicherungsmathematischen Methoden und der Kalkulationsverordnung (KalV).

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II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

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1. Die Revision ist indessen unbegründet.

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a) Ohne Erfolg beruft sich der Kläger zunächst auf den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 5 ZPO. Hiernach ist eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, wenn sie aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind. Erfolglos rügt der Kläger einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen die Regelungen über den Ausschluss der Öffentlichkeit. Gemäß § 172 Nr. 2 GVG kann das Gericht die Öffentlichkeit ausschließen, wenn ein wichtiges Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs- oder Steuergeheimnis zur Sprache kommt, durch dessen öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt würden. Ist die Öffentlichkeit hiernach ausgeschlossen, so kann das Gericht nach § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG den anwesenden Personen die Geheimhaltung von Tatsachen, die durch die Verhandlung oder durch ein die Sache betreffendes amtliches Schriftstück zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht machen. So ist das Berufungsgericht in den mündlichen Verhandlungen vom 16. Juli 2013 und 4. Februar 2014 verfahren.

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Die Vorgehensweise des Berufungsgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Gemäß § 203 Abs. 2 VVG in Verbindung mit den vertraglich vereinbarten Regelungen (hier § 8b AVB/KK) ist der Krankenversicherer bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage berechtigt, die Prämie entsprechend den berichtigten Rechnungsgrundlagen auch für die bestehenden Versicherungsverhältnisse neu festzusetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder die technischen Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat. Diese Prämienanpassung unterliegt der umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung durch die Zivilgerichte (Senatsurteil vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 325). Hierbei ist das Interesse des Versicherungsnehmers an einer Überprüfung der Berechnung der Prämienerhöhungen mit einem schutzwürdigen Interesse des Krankenversicherers an der Geheimhaltung der Berechnungsgrundlagen zum Ausgleich zu bringen. Die Zivilgerichte haben insoweit zu prüfen, ob einem Interesse des Krankenversicherers an Geheimhaltung durch die Anwendung der §§ 172 Nr. 2, 173 Abs. 2, 174 Abs. 3 Satz 1 GVG Rechnung getragen werden kann (BVerfG VersR 2000, 214, 216; BGH, Beschluss vom 16. November 2009 - X ZB 37/08, BGHZ 183, 153 Rn. 23; Urteil vom 8. Juli 2009 - VIII ZR 314/07, NJW 2009, 2894 Rn. 31; Kissel/Mayer, GVG 7. Aufl. § 172 Rn. 41, § 174 Rn. 23; HK-VVG/Marko, 3. Aufl. § 203 Rn. 25).

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Unzutreffend rügt die Revision, der Ausschluss der Öffentlichkeit verstoße bereits deshalb gegen § 172 Nr. 2 GVG, weil in den Verhandlungen die in den beiden Leitzordnern enthaltenen technischen Berechnungsgrundlagen, aus denen die Beklagte Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse herleiten wolle, nicht erörtert worden seien. Dies bleibt schon deswegen ohne Erfolg, weil es nicht darauf ankommt, ob bei der nicht öffentlichen Verhandlung tatsächlich Umstände im Sinne des § 172 Nr. 2 GVG zur Sprache kommen. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung mit der Erörterung solcher Umstände - wie es hier nach den aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts der Fall war - zu rechnen ist (vgl. Zöller/Lückemann, ZPO 31. Aufl. § 172 GVG Rn. 11). Im übrigen sind in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2013 Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Beklagten im Sinne von § 172 Nr. 2 GVG bereits deshalb zur Sprache gekommen, weil nach Darlegung der Beklagten zum Inhalt der Unterlagen die beiden Leitzordner mit den technischen Berechnungsgrundlagen dem Klägervertreter ausgehändigt wurden. Es kommt nicht darauf an, ob diese Unterlagen, die zahlreiche technische Einzelheiten enthalten, unmittelbar anschließend in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen erörtert wurden. In der mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 2014 hat das Berufungsgericht ausweislich des Sitzungsprotokolls die Sach- und Rechtslage erörtert. Im Berufungsurteil wird ferner festgehalten, Gegenstand der beiden mündlichen Verhandlungen seien die fraglichen Berechnungsgrundlagen gewesen. Einen Antrag auf Protokoll- und Tatbestandsberichtigung hat der Kläger nicht gestellt.

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Dem wirksamen Ausschluss der Öffentlichkeit gemäß § 172 Nr. 2 GVG steht es ferner nicht entgegen, dass das Gericht im unmittelbaren Anschluss die Anwesenden, darunter auch den Klägervertreter sowie den Kläger, jeweils gemäß § 174 Abs. 3 GVG zur Verschwiegenheit verpflichtet hat. Die Verschwiegenheitsverpflichtung setzt voraus, dass die Öffentlichkeit zuvor ausgeschlossen wurde. Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsgericht rechtsmissbräuchlich die Öffentlichkeit nur deshalb ausgeschlossen hätte, um die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 GVG zu schaffen, sind nicht ersichtlich.

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Keine Rolle spielt es schließlich, dass das Berufungsgericht in den weiteren mündlichen Verhandlungen am 11. November 2014 und 24. Februar 2015 die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen hat. In diesen Verhandlungen haben jeweils Beweisaufnahmen durch Anhörung des Sachverständigen sowie Vernehmung von Zeugen stattgefunden. Die in den Leitzordnern enthaltenen technischen Berechnungsgrundlagen der Beklagten sind ausweislich der Protokolle nicht Gegenstand dieser Verhandlungen gewesen.

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b) Ohne Erfolg macht die Revision ferner geltend, das Verfahren des Berufungsgerichts habe nicht den in § 174 Abs. 1 GVG vorgeschriebenen Anforderungen entsprochen. Hiernach muss über die Aus-schließung der Öffentlichkeit durch einen öffentlich zu verkündenden Beschluss entschieden werden. Allen Verfahrensbeteiligten ist zuvor rechtliches Gehör zu gewähren, also Gelegenheit zu geben, zur Frage der Ausschließung der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen (Kissel/Mayer, GVG 7. Aufl. § 174 Rn. 3). Zur Gewährung rechtlichen Gehörs ist es allerdings nicht erforderlich, dass das Gericht alle Beteiligten zur Stellungnahme ausdrücklich auffordert. Es genügt, dass konkludent Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird (Kissel/Mayer aaO Rn. 4). Dies ist hier geschehen; die Prozessbevollmächtigten der Parteien wussten bereits durch den gerichtlichen Hinweis vom 3. April 2013, dass das Berufungsgericht die Ausschließung der Öffentlichkeit gemäß § 172 Nr. 2 GVG sowie die Auferlegung einer Geheimhaltungsverpflichtung gemäß § 174 Abs. 3 GVG in Erwägung zog. Hierzu konnten die Parteien mithin in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2013 Stellung nehmen. Anders als die Revision meint, kommt es hierbei nicht entscheidend darauf an, ob mit dem Verweis im Protokoll auf den gerichtlichen Hinweisbeschluss derjenige vom 26. Februar 2013 oder - was schon angesichts der zeitlichen Abfolge näher liegt - der Hinweis vom 3. April 2013 gemeint war. Auch in der mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 2014 ist ausweislich des Sitzungsprotokolls die Sach- und Rechtlage mit den Parteien erörtert worden. Das Berufungsgericht hatte bereits mit Verfügung vom 29. Januar 2014 darauf hingewiesen, der Termin sei bestimmt worden, um den Kläger zur Verschwiegenheit zu verpflichten. Das rechtliche Gehör des Klägers war mithin vor dem Erlass beider Beschlüsse gewahrt.

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c) Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht ferner an, dass es sich bei den Unterlagen, die Grundlagen für die Prämienerhöhung sind, um ein geschütztes Betriebsgeheimnis handelt. Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne, Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Zu derartigen Geheimnissen werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebes maßgeblich bestimmt werden können (BVerfGE 115, 205, 230 f.; BGH, Beschluss vom 16. November 2009 - X ZB 37/08, BGHZ 183, 153 Rn. 17; Kissel/Mayer, GVG 7. Aufl. § 172 Rn. 40). Das Berufungsgericht hat die hier maßgeblichen Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse im Einzelnen aufgeführt (Stornowahrscheinlichkeiten, Verfahren zur Herleitung von Kopfschadenprofilen sowie von Grundkopfschäden, Aufwendungen für Abschluss- und Schadensregulierungskosten sowie für unternehmenspolitische Projekte, Aussagen zur Risikostruktur des Neugeschäfts). Rechtsfehlerfrei hat es festgestellt, dass es sich hierbei um Zahlen handelt, die die Unternehmenspolitik der Beklagten widerspiegeln.

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Zu Unrecht rügt die Revision, es fehle schon deshalb an einem Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, weil es sich hier nur um einen einzelnen Tarif handele, der überdies bereits geschlossen sei und schon seit Jahren nicht mehr im Wettbewerb stehe. Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise im Einzelnen ausgeführt, weshalb an den in den technischen Berechnungsgrundlagen enthaltenen Daten ein andauerndes schützenswertes Geheimhaltungsinteresse der Beklagten besteht.

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2. Ohne Erfolg bleibt die Revision ferner, soweit sie Verfahrensmängel des Berufungsgerichts wegen Verstoßes gegen das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), das Gebot des fair trial (Art. 6 EMRK) sowie weiterer Verfahrensvorschriften (§ 174 Abs. 3 GVG, §§ 299, 357, 531 ZPO) rügt.

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a) Der Verschwiegenheitsverpflichtung des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG steht zunächst nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Öffentlichkeit unter Verstoß gegen § 172 Nr. 2 GVG ausgeschlossen hätte. Das ist - wie oben im Einzelnen dargelegt - nicht der Fall. Die Geheimhaltungspflicht gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG erstreckt sich - anders als die Revision meint - nicht nur auf amtliche Schriftstücke, sondern auch auf Tatsachen, die durch die Verhandlung zur Kenntnis der Partei gelangen (vgl. MünchKomm-ZPO/Zimmermann, 4. Aufl. § 174 GVG Rn. 14). Hierunter fallen auch die Tatsachen, die sich aus den von der Beklagten eingereichten Leitzordnern mit den technischen Berechnungsgrundlagen ergeben.

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b) Das Berufungsgericht hat ferner nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6 EMRK, §§ 299, 357 ZPO verstoßen, indem es dem Kläger und seinem vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten die technischen Berechnungsgrundlagen der Beklagten nicht ohne jede Einschränkung oder Bedingung - insbesondere auch nicht ohne vorherige Verschwiegenheitsverpflichtung - zur Einsicht überlassen hat. Zutreffend ist, dass ein gerichtliches Sachverständigengutachten grundsätzlich als Beweismittel unverwertbar ist, wenn es auf Geschäftsunterlagen beruht, die eine der Parteien nur dem Sachverständigen, nicht auch dem Gericht und der Gegenpartei, zur Verfügung gestellt hat und die im Verfahren nicht offengelegt werden (BGH, Urteil vom 12. November 1991 - KZR 18/90, BGHZ 116, 47, 58). Eine Art Geheimverfahren, um Betriebsgeheimnisse zu wahren, ist mit dem geltenden Zivilprozessrecht unvereinbar (OLG Köln NJW-RR 1996, 1277). Dies folgt nicht nur aus Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 6 EMRK, sondern zugleich aus dem Recht der Parteien auf Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 1 ZPO. Dieses Recht umfasst die gesamten Akten und darf den Parteien nicht im Hinblick auf zu wahrende Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse verwehrt werden (OLG München NJW 2005, 1130, 1131; Zöller/Greger, ZPO 31. Aufl. § 299 Rn. 4; Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, ZPO 7. Aufl. § 299 Rn. 1; Leipold in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 299 Rn. 1). Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor, da dem Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 16. Juli 2013 die technischen Berechnungsgrundlagen der Beklagten in Kopie ausgehändigt wurden. Der Kläger war daher nach Rücksprache mit seinem Prozessbevollmächtigten ohne weiteres in der Lage, zu diesen technischen Berechnungsgrundlagen, auf die der Sachverständige in seinem Gutachten mehrfach verwiesen hatte, Stellung zu nehmen. Dies geschah lediglich mit den sich aus § 174 Abs. 3 GVG zulässigerweise ergebenden Beschränkungen. Diese Regelung steht indessen selbständig neben dem Recht der Parteien auf Akteneinsicht (vgl. auch OLG München aaO).

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Aus denselben Gründen ist auch der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit gemäß § 357 Abs. 1 ZPO gewahrt. Weder dem Kläger noch seinem Prozessbevollmächtigten wurde die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung oder an der Beweisaufnahme verwehrt. Auch hier bleiben die Beschränkungen der §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG unberührt. Dem Kläger wäre es ferner, worauf das Berufungsgericht zu Recht hingewiesen hat, möglich gewesen, weitere Hilfspersonen zu benennen bzw. zum Zwecke der Verpflichtung zur Geheimhaltung in die mündliche Verhandlung mitzubringen. Er hätte daher die vorgelegten Berechnungsgrundlagen und/oder die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen durch einen eigenen Gutachter überprüfen lassen können. Von dieser Möglichkeit hat er keinen Gebrauch gemacht. Jedenfalls war die Beklagte nicht verpflichtet, wenn sie die von ihr als geheim eingestuften Geschäftsunterlagen dem Kläger nicht einschränkungslos zur Einsicht überlassen wollte, auf die prozessuale Durchsetzung ihrer Rechte zu verzichten. Für derartige Fälle können vielmehr die §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG gegebenenfalls ein geeignetes Verfahren darstellen.

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c) Ohne Erfolg macht die Revision ferner geltend, das Berufungsgericht hätte den erstmals zweitinstanzlich gehaltenen Vortrag der Beklagten zu den der Beitragserhöhung zugrunde liegenden Berechnungsgrundlagen gemäß § 531 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückweisen müssen. Die Anwendung von § 531 Abs. 1 ZPO scheidet schon deshalb aus, weil das Amtsgericht bezüglich des eingeholten Sachverständigengutachtens zu Unrecht von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen ist. Um einen von § 531 Abs. 1 ZPO erfassten Fall der Zurückweisung verspäteten Vorbringens im ersten Rechtszug (vgl. Zöller/Heßler, ZPO 31. Aufl. § 531 Rn. 6) geht es hier nicht. Nachdem das Amtsgericht mit Beschluss vom 3. August 2011 ein Vorgehen nach §§ 172 ff. GVG abgelehnt hatte, war die Beklagte nicht gehindert, erst im Berufungsverfahren zu den zwei Leitzordnern mit den "Technischen Berechnungsgrundlagen" vorzutragen.

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3. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, dass die Beklagte zu der Prämienerhöhung gemäß § 203 Abs. 2 VVG i.V.m. § 8b AVB/KK berechtigt ist. In einem gerichtlichen Verfahren hat der Versicherer darzulegen und zu beweisen, dass die Voraussetzungen für die erhöhte Prämie vorliegen. Die Prämienanpassungen unterliegen einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Überprüfung durch die Zivilgerichte (BVerfG VersR 2000, 214, 215 f.; Senatsurteil vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 325; MünchKomm-VVG/Boetius, § 203 Rn. 813 f., 833).

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a) Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe nicht geprüft, ob die tatsächlichen Voraussetzungen der Beitragserhöhung vorlägen. Bei den von der Beklagten vorgelegten technischen Berechnungsgrundlagen handele es sich um keinen substantiierten Vortrag und der Kläger sei daher berechtigt gewesen, die Richtigkeit der zugrunde liegenden Daten mit Nichtwissen zu bestreiten. Mit diesem Vorbringen kann die Revision keinen Erfolg haben. Der gerichtliche Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 12. Juli 2010 ausgeführt, dass die tatsächlichen Grundlagen der Berechnungen durch die Beklagte zutreffend und vollständig festgestellt worden seien und mit den gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere der Kalkulationsverordnung, in Einklang stünden. Die Anwendung der versicherungsmathematischen Verfahren zur Prämienermittlung sei fehlerfrei erfolgt und die Vorgaben der §§ 12 ff. VAG und der Kalkulationsverordnung seien erfüllt. Nach den Feststellungen des Sachverständigen sind die Berechnungen der vorgenommenen Erhöhung für den Kläger rechnerisch richtig und unter vollständiger Anrechnung der Alterungsrückstellung erfolgt. Der Sachverständige hat ferner sowohl in seinem Gutachten als auch in seiner Anhörung ausgeführt, die in den technischen Berechnungsgrundlagen enthaltenen statistischen Nachweise stellten Auswertungen dar, deren Qualität und Richtigkeit er nicht überprüft habe. Er habe sich darauf verlassen, dass die von der Beklagten gelieferten Daten korrekt seien.

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Auf dieser Grundlage hat sich das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Überzeugung gebildet, dass die dem Sachverständigen vorgelegten Unterlagen zunächst mit denen identisch seien, die dem Treuhänder vorgelegen hätten. Außerdem habe die Beweisaufnahme ergeben, dass die in den technischen Berechnungsgrundlagen enthaltenen statistischen Nachweise die Vorgänge im Tarif korrekt wiedergäben. Eine systematische Falscherfassung der tarifbezogenen Daten könne ausgeschlossen werden. Konkrete Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit bei der Datenzusammenführung lägen nicht vor. Diese Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Kläger versucht lediglich - revisionsrechtlich unbehelflich - mit einem allgemeinen Bestreiten der Richtigkeit der in den technischen Berechnungsgrundlagen enthaltenen Einzelangaben sowie der detaillierten Ausführungen des Sachverständigen seine Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts zu setzen.

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Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, der Kläger habe die Möglichkeit, die Plausibilität der statistischen Nachweise durch einen eigenen Sachverständigen überprüfen zu lassen, nicht wahrgenommen. Da keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen oder sonst ersichtlich seien, die auf eine fehlerhafte Datengrundlage hindeuteten, sei das Bestreiten der Daten in dieser Hinsicht ins Blaue hinein erfolgt (zu diesem Begriff vgl. BGH, Urteil vom 25. April 1995 - VI ZR 178/94, NJW 1995, 2111 unter II 2) und damit prozessual unbeachtlich.

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b) Ohne Erfolg macht die Revision ferner geltend, das Berufungsgericht habe keine umfassende Überprüfung der Berechtigung der Beklagten zur Prämienerhöhung vorgenommen. Das ist nicht der Fall. Das Berufungsgericht hat nicht nur das erstinstanzliche Sachverständigengutachten sowie seine Ergänzung berücksichtigt, sondern den Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens angehört. Ferner hat es Zeugen zu den Fragen vernommen, ob die dem Sachverständigen vorgelegten Unterlagen mit denjenigen, die dem Treuhänder vorlagen, identisch waren, und ob die von der Beklagten vorgelegten, in den technischen Berechnungsgrundlagen enthaltenen statistischen Nachweise die Vorgänge im Tarif korrekt wiedergäben. Soweit sich der Kläger gegen die Bewertung der Zeugenaussagen wendet, versucht er nur, seine Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts zu setzen.

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c) Entgegen der Auffassung der Revision war die Beklagte auch nicht verpflichtet, über die dem Treuhänder und dem Sachverständigen zur Verfügung gestellten Daten hinaus weitere Belege für deren Richtigkeit vorzulegen. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung, die regelmäßig nur mit Hilfe eines Sachverständigen erfolgen kann, sind nur die Unterlagen, die der Versicherer dem Treuhänder zur Prüfung gemäß § 12b VAG, § 15 KalV vorgelegt hat. Aus diesen Unterlagen müssen sich die Voraussetzungen und der Umfang der vorgenommenen Anpassung für den Sachverständigen nachvollziehbar und in tatsächlicher Hinsicht belegt ergeben. Soweit dies nicht der Fall ist, fehlt es an der Berechtigung zur Prämienerhöhung (Senatsurteil vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 330). Hieraus folgt nicht, dass die Beklagte verpflichtet wäre, über die vorgelegten Unterlagen hinaus sämtliche Belege für alle den maßgeblichen Zeitraum betreffenden Vorgänge vorzulegen, etwa Versicherungsscheine, Leistungsanträge, Abrechnungen etc. der einzelnen Versicherungsnehmer für den Tarif N/2. Dies käme allenfalls dann in Betracht, wenn es nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür gäbe, dass die Beklagte Belege falsch erfasst und gebucht hätte. Dies ist nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts aber nicht der Fall.

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4. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist schließlich entgegen der Auffassung der Revision die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts. Dieses war nicht gehalten, der Beklagten die Kosten erster Instanz aufzuerlegen, weil diese die "Technischen Berechnungsgrundlagen" erst in zweiter Instanz offiziell in das Verfahren eingebracht hat. Ohne Beachtung der §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG durch das erstinstanzliche Gericht, welches unzutreffend von einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Sachverständigengutachtens ausgegangen war, war die Beklagte zu einem anderen Vorgehen nicht verpflichtet.

Mayen                                  Felsch                                  Harsdorf-Gebhardt

                Dr. Karczewski                        Dr. Bußmann

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