Beschluss vom Bundesgerichtshof (12. Zivilsenat) - XII ZB 480/13

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 18. Familiensenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. August 2013 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 1.000 €

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um den Versorgungsausgleich.

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Die im Juli 1969 geschlossene Ehe der beteiligten Eheleute wurde auf einen im Dezember 2009 zugestellten Scheidungsantrag rechtskräftig geschieden.

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Die Ehegatten haben in der gesetzlichen Ehezeit vom 1. Juli 1969 bis zum 30. November 2009 verschiedene Versorgungsanrechte erlangt. Der 1947 geborene Antragsteller (im Folgenden: Ehemann) hat bei der DRV Bund ein Anrecht der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Ehezeitanteil von 52,5359 Entgeltpunkten und einem Ausgleichswert von 26,2680 Entgeltpunkten (korrespondierender Kapitalwert: 161.414,78 €) erworben. Daneben hat der Ehemann zwei Anrechte der betrieblichen Altersversorgung mit Ausgleichswerten von 39.303 € und 58.955 € erworben, die abschließend in einen gerichtlichen Vergleich der Eheleute über die Vermögensauseinandersetzung einbezogen worden sind. Die 1946 geborene Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) hat ein Anrecht der gesetzlichen Rentenversicherung bei der DRV Baden-Württemberg mit einem Ehezeitanteil von 16,9133 Entgeltpunkten und einem Ausgleichswert von 8,4567 Entgeltpunkten (korrespondierender Kapitalwert: 51.965,75 €) erlangt.

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Beide Ehegatten sind Altersrentner. Der Ehemann bezieht bereits seit dem 1. August 2007 ein um 60 Monate vorgezogenes Altersruhegeld mit einem dementsprechend verminderten Zugangsfaktor von 0,82.

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Das Amtsgericht hat den Versorgungsausgleich unter Ausschluss eines Ausgleichs der übrigen Anrechte dahingehend geregelt, dass es die von beiden Ehegatten erworbenen gesetzlichen Rentenanrechte auf der Grundlage der von den Versorgungsträgern vorgeschlagenen Ausgleichswerte intern geteilt hat. Mit seiner Beschwerde hat sich der Ehemann gegen den Ausgleich der von ihm erworbenen Anrechte bei der DRV Bund gewendet und dabei geltend gemacht, dass mit Blick auf den Halbteilungsgrundsatz der bei seiner Altersrente vorgenommene Versorgungsabschlag im Versorgungsausgleich mindestens wegen der (richtig:) 28 Monate vorzeitigen Rentenbezugs berücksichtigt werden müsse, die vor dem Ende der Ehezeit zurückgelegt worden seien (1. August 2007 bis 30. November 2009). Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ehemanns, mit der er sein Begehren aus dem Beschwerdeverfahren weiterverfolgt.

II.

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Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

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1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass der Versorgungsabschlag bei der internen Teilung eines gesetzlichen Rentenanrechts nicht zu berücksichtigen sei. Bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebe sich, dass die Teilung auf der Ebene der jeweiligen Bezugsgrößen des Versorgungssystems erfolge, zu denen der Zugangsfaktor nicht gehöre. Damit sei auch die zum früheren Recht ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinfällig geworden, weil nicht mehr tatsächliche oder fiktive Rentenbeträge, sondern ehezeitlich erworbene Bezugsgrößen geteilt würden.

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2. Gegen diese Ausführungen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.

9

a) Mit Recht und mit zutreffender Begründung hat das Beschwerdegericht die vom Ehemann während der Ehezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Entgeltpunkte hälftig geteilt, ohne hierbei den durch vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente verringerten Zugangsfaktor zu berücksichtigen.

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aa) Schon nach früherem Recht schloss § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB für die gesetzliche Rentenversicherung eine Berücksichtigung des geminderten Zugangsfaktors aus. Danach war bei Renten oder Rentenanwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Betrag zugrunde zu legen, der sich am Ende der Ehezeit aus den auf die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkten ohne Berücksichtigung des Zugangsfaktors als Vollrente wegen Alters ergäbe. Der Zugangsfaktor sah gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 lit. a SGB VI bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung für jeden Kalendermonat einen Abschlag von "0,003 niedriger als 1,0" vor.

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bb) Allerdings wurden durch die §§ 1587 ff. aF BGB im Versorgungsausgleich Rentenbeträge und nicht Entgeltpunkte ausgeglichen. Aus diesem Grunde hatte der Senat eine einschränkende Auslegung des § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB für geboten erachtet und einen verminderten Zugangsfaktor im Versorgungsausgleich insoweit berücksichtigt, als die für die Verminderung des Zugangsfaktors maßgeblichen Zeiten des vorgezogenen Rentenbezugs innerhalb der Ehezeit zurückgelegt worden waren. Nur dadurch sah der Senat unter der Geltung des früheren Rechts gewährleistet, dass das auszugleichende laufende Rentenanrecht mit seinem wirklichen (Renten-)Wert zum Stichtag am Ehezeitende - und nicht mit einem fiktiven höheren Wert, der von der ausgleichspflichtigen Person bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nicht mehr erreicht werden konnte - bei der Berechnung des Ausgleichsbetrages Berücksichtigung finden und es nicht zu einer (rentenbetragsbezogenen) Verfehlung des Halbteilungsgrundsatzes kommen konnte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 1. Oktober 2008 - XII ZB 34/08 - FamRZ 2009, 28 Rn. 11 mwN und vom 22. Juni 2005 - XII ZB 117/03 - FamRZ 2005, 1455, 1457).

12

cc) Diese Rechtsprechung des Senats, die eine Berücksichtigung des Zugangsfaktors bei ehezeitlicher Inanspruchnahme vorgezogenen Altersruhegelds ausnahmsweise zuließ, hat der Gesetzgeber im Rahmen der Strukturreform des Versorgungsausgleichs ausdrücklich nicht aufgreifen und in das neue Recht übertragen wollen (vgl. BT-Drucks. 16/10144 S. 80). Eine Berücksichtigung des Zugangsfaktors im Versorgungsausgleich ist nach neuem Recht bei der gesetzlichen Rentenversicherung deshalb ausgeschlossen, weil der Ausgleich nicht mehr durch die Teilung tatsächlicher oder fiktiver Rentenbeträge, sondern nach §§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 1 VersAusglG durch die Teilung ehezeitlich erworbener Bezugsgrößen erfolgt. Teilungsgegenstand in der gesetzlichen Rentenversicherung sind dabei nach §§ 41 Abs. 1, 39 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG i.V.m. § 109 Abs. 6 SGB VI die ehezeitlich erworbenen Entgeltpunkte aus der Berechnung einer Vollrente wegen Erreichens der Regelaltersgrenze, nicht aber die mit dem individuellen Zugangsfaktor der ausgleichspflichtigen Person multiplizierten persönlichen Entgeltpunkte.

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Auf dieser Grundlage wird auch der Halbteilungsgrundsatz nicht verletzt. Das während der Ehezeit erworbene Stammrecht in Form der erworbenen Entgeltpunkte wird zwischen den Ehegatten hälftig geteilt. Ob der Ausgleichspflichtige aus dem bei ihm verbleibenden Teil dieselbe Rente wie der Ausgleichsberechtigte bezieht oder der Rentenbetrag wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme und der daraus folgenden längeren Rentenbezugsdauer durch einen geänderten Zugangsfaktor gemindert wird, hängt von seiner eigenen Entscheidung und damit von individuellen Umständen ab. Es handelt sich somit um personenbezogene, nicht anrechtsbezogene Umstände, die im Versorgungsausgleich nicht zu berücksichtigen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 9. September 2015 - XII ZB 211/15 - FamRZ 2016, 35 Rn. 16 mwN).

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dd) Zwar verbleibt für den Ehemann aus dem geteilten Anrecht nur eine geringere Altersrente, als sie der Ehefrau ab dem Erreichen ihrer Regelaltersgrenze zusteht. Damit geht jedoch einher, dass der Ehemann die um den Versorgungsabschlag gekürzte Rente vorgezogen beantragt hat und diese bereits vor dem Erreichen seiner Regelaltersgrenze bezieht. Sein vorgezogener und damit verlängerter Rentenbezug spiegelt den versicherungsmathematischen Barwert einer betragshöheren Rente, die erst nach Erreichen der Regelaltersgrenze in Anspruch genommen würde und nach seiner Wahl auch von ihm hätte bezogen werden können (Senatsbeschlüsse vom 9. September2015 - XII ZB 211/15 - FamRZ 2016, 35 Rn. 17 und vom 18. Mai 2011 - XII ZB 127/08 - FamRZ 2011, 1214 Rn. 17).

15

b) Bleibt bei einem unmittelbar zu bewertenden Anrecht der verminderte Zugangsfaktor trotz ehezeitlicher Verminderungszeiten im Versorgungsausgleich unberücksichtigt, kann das durch formale Halbteilung der in der Ehezeit erworbenen Bezugsgrößen erzielte Ausgleichsergebnis auch nicht ohne weiteres über die Anwendung des § 27 VersAusglG korrigiert werden. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, dass die Nichtberücksichtigung eines - verminderten - Zugangsfaktors den gesetzlich bestimmten Regelfall darstellt. Wie der Senat in seiner ständigen Rechtsprechung betont hat, können Härteklauseln im Versorgungsausgleich keine generelle Korrektur rein systembedingter Belastungen für den ausgleichspflichtigen Ehegatten ermöglichen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. April 2015 - XII ZB 252/14 - FamRZ 2015, 1004 Rn. 10 und vom 8. April 2015 - XII ZB 428/12 - FamRZ 2015, 1001 Rn. 17). Allein der bloße Rentenbezug durch den Ausgleichspflichtigen mit einem geminderten Zugangsfaktor ist deshalb noch kein ausreichender Grund für die Anwendung des § 27 VersAusglG, auch wenn die Zeiten des vorzeitigen Rentenbezugs ganz oder teilweise in die Ehezeit fallen (vgl. Wick Der Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rn. 177; Palandt/Brudermüller BGB 75. Aufl. § 43 VersAusglG Rn. 10; NK-BGB/Rehbein 3. Aufl. § 41 VersAusglG Rn. 12).

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c) Das schließt es freilich nicht aus, dass der Versorgungsausgleich in Fällen eines - ganz oder teilweise - in die Ehezeit fallenden vorzeitigen Rentenbezugs einer wertenden Korrektur nach § 27 VersAusglG unterliegen kann, wenn die Nichtberücksichtigung des verminderten Zugangsfaktors bei einer Gesamtwürdigung aller bedeutenden Umstände des Einzelfalls zu einem grob unbilligen Ergebnis führen würde (vgl. Johannsen/Henrich/Holzwarth Familienrecht 5. Aufl. § 41 VersAusglG Rn. 15; NK-BGB/Rehbein 3. Aufl. § 41 VersAusglG Rn. 12; vgl. bereits BT-Drucks. 16/10144 S. 80).

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aa) Anlass zu einer solchen Prüfung mag dann bestehen, wenn der vorzeitige Renteneintritt - sofern er vor dem Ende der Ehezeit erfolgt ist - vom gemeinsamen Willen der Ehegatten getragen wurde (vgl. Wick Der Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rn. 177) und der ausgleichsberechtigte Ehegatte dabei von der vorzeitigen Inanspruchnahme des Ruhegelds durch den ausgleichspflichtigen Ehegatten unterhaltsrechtlich profitiert hat (vgl. auch Borth Versorgungsausgleich 7. Aufl. Rn. 326). In solchen Sachverhaltskonstellationen kann es im Einzelfall unbillig im Sinne des § 27 VersAusglG erscheinen, wenn der ausgleichspflichtige Ehegatte die mit dem geminderten Zugangsfaktor einhergehende wirtschaftliche Belastung - soweit diese auf den vor dem Ehezeitende zurückgelegten Verminderungszeiten beruht - nach der Durchführung des Versorgungsausgleichs künftig allein tragen soll, während sein Ehegatte demgegenüber in den Genuss einer ungekürzten Rente aus dem geteilten Anrecht kommt. Auch diese Wertung setzt allerdings eine umfassende Gesamtwürdigung aller Umstände voraus, zu denen insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten gehören (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2016, 53, 55).

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bb) Nach diesen Maßstäben hat das Beschwerdegericht die Anwendung von § 27 VersAusglG nicht in Betracht ziehen müssen.

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(1) Das Gericht braucht trotz des in Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 26 FamFG) nicht von sich aus nach Umständen zu forschen, die Anlass zur Prüfung der Härteklausel geben könnten. Vielmehr darf das Gericht davon ausgehen, dass die ausgleichspflichtige Person von sich aus die ausschlussrelevanten Tatsachen vorträgt und damit eine Kürzung des Ausgleichs anregt (vgl. Senatsbeschluss vom 23. März 1988 - IVb ZB 51/87 - FamRZ 1988, 709, 710; Wick Der Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rn. 554).

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(2) Der Ehemann hat sich allein darauf berufen, dass ihm seine gesetzliche Altersrente zum 1. August 2007 mit einem verminderten Zugangsfaktor bewilligt und ein Teil der für den Versorgungsabschlag maßgebenden Verminderungszeit vor dem Ende der Ehezeit am 30. November 2009 zurückgelegt worden ist. Dies vermag eine Anwendung des § 27 VersAusglG für sich genommen nicht zu rechtfertigen. Darüber hinaus fehlt es an jedem belastbaren Tatsachenvortrag oder sonstigen erkennbaren Gesichtspunkten, die unter den obwaltenden Umständen eine nähere Befassung mit der Härteklausel des § 27 VersAusglG hätten gebieten können. Ausweislich der Angaben des Ehemanns im Scheidungsantrag lebten die beteiligten Eheleute - nur unterbrochen durch einen kurzfristigen gescheiterten Versöhnungsversuch - schon seit längerer Zeit getrennt, als der Ehemann im August 2007 in den vorzeitigen Ruhestand ging.

Der Ehemann behauptet selbst nicht, dass - was die Ehefrau auch ausdrücklich in Abrede genommen hat - die Entscheidung zum vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand auf einer gemeinsamen Willensentschließung der Eheleute beruhte. Schließlich ist auch weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Ehefrau von der Gewährung einer vorgezogenen Altersrente an den Ehemann (gegenüber dem Verzicht auf die Inanspruchnahme einer solchen Vorruhestandsregelung) in unterhaltsrechtlicher Hinsicht profitiert hätte.

Dose     

        

Klinkhammer     

        

RiBGH Schilling ist im
Urlaub und kann deswegen
nicht unterschreiben.

                                   

Dose   

        

Botur     

        

Guhling     

        

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