Beschluss vom Bundesgerichtshof (1. Zivilsenat) - I ZB 34/15

Tenor

Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Senats vom 29. September 2016 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Gründe

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Die gemäß § 321a ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge ist nicht begründet.

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I. Die Schuldnerin macht geltend, der Senat habe dadurch, dass er den Unterlassungstenor dahin ausgelegt habe, er verpflichte die Schuldnerin auch dazu, bereits ausgelieferte Produkte von ihren Vertriebspartnern zurückzurufen, unter Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) damit tatsächliche Annahmen verbunden, die im Verfahren nicht erörtert worden seien und zu denen die Schuldnerin folglich nicht habe Stellung nehmen können. Der Senat habe ohne Anhörung der Parteien die Prämisse aufgestellt, dass ein Vertriebsverbot nicht zum gewünschten Erfolg führe. Sein Petitum, ohne den Rückruf von Restbeständen aus dem Handel könne der Störungszustand nicht beendet werden, entbehre jeder tatsächlichen Feststellung.

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Die Rüge ist nicht begründet. Die Beurteilung des Senats, die Erfüllung der titulierten Verpflichtung zur Unterlassung der Bewerbung und des Vertriebs der Produkte „RESCUE TROPFEN“ und „RESCUE NIGHT SPRAY“ erfordere den Rückruf von Produkten, die bereits vor Erlass des Urteils an Apotheken ausgeliefert worden seien, beruht auf der Feststellung des Beschwerdegerichts, die den Unterlassungsanspruch begründende Verletzungshandlung der Schuldnerin - also die Auslieferung der Produkte an die Apotheken - habe die Gefahr begründet, dass die Apotheken diese Produkte bewerben und vertreiben und damit weiter in Verkehr bringen; diese Gefahr bestehe fort, solange die von der Schuldnerin ausgelieferten Produkte weiterhin in den Apotheken erhältlich seien (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2016, GRUR 2017, 208 Rn. 5 bis 8 und 31 bis 33 ). Der Senat hatte diese rechtsfehlerfreie und von der Rechtsbeschwerde auch nicht beanstandete Feststellung des Beschwerdegerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 577 Abs. 2 Satz 3 und 4, § 559 ZPO).

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II. Die Schuldnerin macht weiter geltend, die Auffassung des Senats, seine Auslegung des Unterlassungstenors verwische nicht die Grenze zwischen dem Unterlassungs- und dem Beseitigungsanspruch, sei rechtslogisch fehlerhaft und verstoße gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Soweit der Senat die Kerntheorie auch auf Fälle anwenden wolle, in denen der Antrag in Kenntnis der Sachlage ohne ausdrücklichen Hinweis auf den Wunsch nach Erweiterung auf eine Auswahl von Verletzungsformen beschränkt sei, verstoße dies gegen das Analogieverbot (Art. 104 Abs. 1 GG).

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1. Mit diesen Rügen kann die Schuldnerin schon deshalb keinen Erfolg haben, weil mit der Anhörungsrüge allein geltend gemacht werden kann, das Gericht habe den Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Auf die Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte (hier des Willkürverbots) oder Grundrechte (hier des Analogieverbots) ist die Anhörungsrüge weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Eine entsprechende Anwendung scheidet aus, weil keine planwidrige Regelungslücke besteht (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2009 - V ZR 149/07, NJW-RR 2009, 144 Rn. 1 mwN; offengelassen für einen Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch eine Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2006 - I ZR 151/02, GRUR 2006, 346 Rn. 6 = WRP 2006, 467 - Jeans II, mwN). Der Gesetzgeber hat sich bewusst gegen eine Erstreckung des § 321a ZPO auf die Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte entschieden (BT-Drucks. 15/3706, S. 14; Saenger in Saenger, ZPO, 7. Aufl., § 321a Rn. 6).

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2. Im Übrigen ist weder von der Schuldnerin dargelegt noch sonst ersichtlich, dass der Beschluss des Senats gegen das Willkürverbot oder das Analogieverbot verstößt.

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a) Ein Richterspruch verstößt gegen das Willkürverbot, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfG, NJW 2017, 1232 Rn. 16; BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 299 f., jeweils mwN). Die Schuldnerin macht zwar geltend, die Argumentation des Senats verletze das Willkürverbot, weil sie auf der fehlerhaften Prämisse beruhe, dass die Unterlassung auch die Beseitigung umfasse. Die Schuldnerin legt jedoch nicht dar, weshalb die - näher begründete - Annahme des Senats, der Gläubiger könne, wenn eine Verletzungshandlung einen andauernden rechtswidrigen Verletzungszustand hervorgerufen habe, mit dem Unterlassungsanspruch die Beseitigung des Verletzungszustands verlangen (vgl. BGH, GRUR 2017, 208 Rn. 28), unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sein soll.

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b) Die Behauptung der Schuldnerin, der Senat habe gegen das Analogieverbot verstoßen, beruht nach ihrem Vorbringen auf der Annahme, der Senat habe die Kerntheorie in einem Fall angewandt, in dem der Antrag in Kenntnis der Sachlage ohne ausdrücklichen Hinweis auf den Wunsch nach Erweiterung auf eine Auswahl von Verletzungsformen beschränkt gewesen sei. Diese Annahme der Schuldnerin ist unzutreffend. Der Senat ist bei seiner Beurteilung davon ausgegangen, dass die Gläubigerinnen ihren Unterlassungsantrag nicht auf den Vertrieb der Produkte „RESCUE TROPFEN“ oder „RESCUE NIGHT SPRAY“ beschränkt, sondern auf das aus ihrer Sicht Charakteristische dieser konkreten Verletzungsformen, nämlich die Verwendung der Bezeichnung „RESCUE“ gestützt haben. Danach erfasst das entsprechend dem Unterlassungsantrag titulierte Verbot den Vertrieb der Produkte „RESCUE SPRAY“ und „RESCUE NIGHT TROPFEN“ als kerngleiche Verletzungshandlungen (vgl. BGH, GRUR 2017, 208 Rn. 36 bis 40).

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Büscher   

        

Schaffert   

        

   Koch

        

Löffler   

        

Richter am BGH Feddersen ist in
Urlaub und daher gehindert zu
unterschreiben.

        
                          

Büscher

        

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