Beschluss vom Bundesgerichtshof (3. Zivilsenat) - III ZR 48/17

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19. Januar 2017 gemäß § 552a Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit einem verpassten Flug auf Schadensersatz beziehungsweise Entschädigung in Anspruch.

2

Der Kläger begab sich am frühen Morgen des 8. Juli 2012 - frühestens um kurz vor 4.00 Uhr, der genaue Zeitpunkt ist zwischen den Parteien streitig - mit seiner Lebensgefährtin und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern zum Sicherheitskontrollpunkt B im Terminal 1 des Flughafens Frankfurt am Main, um eine Urlaubsreise anzutreten. Der planmäßige Abflug war um 4.55 Uhr. Die Familie hatte bereits am Abend zuvor eingecheckt, und die Reise ging in einen Staat des Schengen-Raums, so dass nur noch das mitgeführte Handgepäck zu überprüfen war. Bei der Röntgenkontrolle des Handgepäcks der Lebensgefährtin des Klägers hatte das Sicherheitspersonal den Verdacht, dass sich darin eine Bombe, Sprengstoff oder Sprengstoffspuren befanden. Das Gepäckstück wurde erneut kontrolliert und im Röntgentunnel vor- und zurückgefahren. Der Mitarbeiter des Sicherheitspersonals hielt Rücksprache mit einer Vorarbeiterin, welche in einem angrenzenden Büro einen Vorgesetzten informierte. Dieser erschien nach ein paar Minuten, um sich ebenfalls die Bilder anzusehen und das Handgepäck mehrfach zu röntgen. Eine weitere Person der Sicherheitskontrolle führte sodann einen Sprengstofftest mittels eines Pappstreifens durch. Nachdem dieser Test negativ ausgefallen war, wurde die Tasche manuell erneut kontrolliert. Als sich herausstellte, dass der Verdacht unbegründet war, durften der Kläger und seine Familie die Sicherheitskontrolle um 4.40 Uhr passieren. Zu diesem Zeitpunkt war das "Boarding" für den gebuchten Flug bereits abgeschlossen und befand sich das Flugzeug auf dem Rollfeld.

3

Der Kläger begehrt die Erstattung der von ihm behaupteten Aufwendungen für den Erwerb von Ersatztickets für einen anderen Flug zum Zielort am selben Tage in Höhe von 1.409 €. Seine Klageforderung hat er auf den Vorwurf von Amtspflichtverletzungen sowie auf einen Entschädigungsanspruch aus dem Rechtsinstitut der öffentlich-rechtlichen Aufopferung beziehungsweise des enteignenden Eingriffs gestützt.

4

Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Ersturteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

II.

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Der Senat ist davon überzeugt, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und das Rechtsmittel auch in der Sache selbst keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 552a Satz 1 ZPO).

6

1. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

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a) Das Berufungsgericht hat die Revision mit der Begründung zugelassen, dass die Klärung der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Versäumen des Flugs infolge einer rechtmäßigen Sicherheitskontrolle des Handgepäcks nach § 5 Abs. 1 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) ein zu entschädigendes Sonderopfer darstellt, im Hinblick auf die massenhaft vorkommenden Sicherheitskontrollen an Flughäfen von grundsätzlicher Bedeutung sei. Hiernach spricht viel dafür, dass es die Zulassung der Revision auf den Entschädigungsanspruch wegen öffentlich-rechtlicher Aufopferung beziehungsweise enteignenden Eingriffs aufgrund rechtmäßiger hoheitlicher Maßnahmen beschränken wollte, was zulässig wäre (s. Senatsurteil vom 27. Mai 1993 - III ZR 59/92, NJW 1993, 2173; vgl. auch Senatsurteile vom 1. Dezember 1994 - III ZR 33/94, NVwZ 1995, 620, 621 und vom 11. Juli 1996 - III ZR 133/95, NJW 1996, 3151, 3152). Ob das Berufungsgericht die Revision beschränkt zugelassen hat, bedarf jedoch keiner Entscheidung, weil die Voraussetzungen des § 552a Satz 1 ZPO für alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen erfüllt sind.

8

b) Soweit es um den Anspruch aus öffentlich-rechtlicher Aufopferung oder enteignendem Eingriff und die damit zusammenhängende Frage nach dem Vorliegen eines entschädigungspflichtigen Sonderopfers geht, wirft die Sache keine entscheidungserhebliche klärungsbedürftige Rechtsfrage von fallübergreifender, allgemeiner Bedeutung auf und ergibt sich auch keine Veranlassung für die Entwicklung höchstrichterlicher Leitsätze. Es ist weder aufgezeigt noch sonst ersichtlich, dass es für die fallrelevanten Rechtsfragen an einer richtungweisenden Orientierungshilfe fehlt und in der Rechtspraxis daher ein Bedürfnis für Leitentscheidungen besteht. Schließlich sind weder Rechtsprechungsdivergenzen zu besorgen noch ist die Behebung zulassungsrelevanter ("symptomatischer") Rechtsfehler erforderlich.

9

aa) Zutreffend hat das Berufungsgericht die Anwendbarkeit von § 51 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 Bundespolizeigesetz (BPolG) verneint, weil die gemäß § 4 Satz 1 BPolG von der Bundespolizei durchzuführende Gepäckkontrolle nach § 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1, § 11 Abs. 1 LuftSiG weder eine konkrete "Gefahr" noch eine polizeirechtliche Verantwortlichkeit als "Störer" voraussetzt (vgl. Borsdorff/Deyda, Luftsicherheitsgesetz für die Bundespolizei, S. 32; Graulich in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, § 4 BPolG Rn. 14) und der Besitzer oder Eigentümer der kontrollierten Gepäckstücke auch kein "unbeteiligter Dritter" im Sinne von § 51 Abs. 2 Nr. 2 BPolG ist. Abzustellen ist stattdessen auf einen Entschädigungsanspruch aus dem Rechtsinstitut der öffentlich-rechtlichen Aufopferung beziehungsweise des enteignenden Eingriffs. Erforderlich hierfür ist das Vorliegen eines Sonderopfers.

10

bb) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats und den damit übereinstimmenden Ausführungen des Berufungsgerichts setzt ein entschädigungspflichtiges Sonderopfer voraus, dass eine an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahme bei einem Betroffenen unmittelbar zu Nachteilen führt, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen; die Einwirkungen auf die Rechtsposition des Betroffenen müssen die Sozialbindungsschwelle überschreiten, also im Verhältnis zu anderen ebenfalls betroffenen Personen eine besondere Schwere aufweisen oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirken. Ob in diesem Sinn eine hoheitliche Maßnahme die Sozialbindungsschwelle überschreitet oder sich noch als Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums begreifen lässt, kann nur aufgrund einer umfassenden Beurteilung der Umstände des Einzelfalles entschieden werden (s. z.B. Senatsurteile vom 14. März 2013 - III ZR 253/12, BGHZ 197, 43, 46 f, Rn. 7 f und vom 15. Dezember 2016 - III ZR 387/14, NJW 2017, 1322, 1324 f Rn. 25, für BGHZ 213 vorgesehen; jeweils mwN).

11

cc) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht keinen allgemeinen Rechtssatz dahin gehend aufgestellt, dass ein Passagier sich stets zwei bis drei Stunden vor dem Abflug bei der Sicherheitskontrolle einfinden müsse, um erfolgreich einen Entschädigungsanspruch geltend machen zu können. Vielmehr hat es sowohl im Obersatz als auch bei der konkreten Würdigung zum Ausdruck gebracht, dass die Frage des "rechtzeitigen Erscheinens" an der Kontrollstelle nach umfassender Beurteilung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden ist. Hierzu gehören neben den örtlichen Verhältnissen (etwa der Größe und Frequenz des Flughafens) auch die vom Berufungsgericht herangezogenen Empfehlungen der Fluggesellschaften oder des Flughafenbetreibers.

12

dd) Die Würdigung des Berufungsgerichts, es stehe einem entschädigungspflichtigen Sonderopfer entgegen, dass der Kläger mit seinen Angehörigen erst (frühestens) kurz vor 4.00 Uhr, also weniger als eine Stunde vor dem Abflug und etwa eine halbe Stunde vor dem Beginn des "Boardings", bei der Sicherheitskontrolle eingetroffen war, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

13

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann von dem Abverlangen eines Sonderopfers im öffentlichen Interesse und damit einem gleichheitswidrigen, entschädigungspflichtigen staatlichen Verhalten regelmäßig keine Rede sein, wenn sich der nachteilig Betroffene freiwillig in eine gefährliche Situation begeben hat, deren Folgen dann letztlich von ihm herbeigeführt und grundsätzlich selbst zu tragen sind. Der Betroffene darf nicht durch eigenes Verhalten, auch wenn dieses rechtlich erlaubt ist, einen vorher noch nicht vorhandenen Interessenkonflikt aktiviert haben; sonst sind die Folgen regelmäßig seiner Sphäre zuzuordnen und stellen kein gleichheitswidriges Sonderopfer dar (s. Senatsurteile vom 14. März 2013 aaO S. 48 f Rn. 11 und vom 15. Dezember 2016 aaO S. 1325 Rn. 25, jeweils mwN).

14

Jeder Passagier muss einen ausreichenden "Zeitpuffer" für die Sicherheitskontrollen am Flughafen einkalkulieren, da diese von ihm und den Sicherheitsmitarbeitern nicht vollständig beeinflussbaren Betriebsabläufe einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen können. Hierauf muss er sich einstellen. Derjenige, der erst eine knappe Stunde vor dem Abflug und eine halbe Stunde vor dem "Boarding" bei der Sicherheitskontrolle eintrifft, begibt sich in die von vornherein vermeidbare Gefahr, infolge einer sachgemäß verlaufenden Handgepäckkontrolle seinen Flug zu verpassen. Der für diese Kontrolle dann noch zur Verfügung stehende Zeitraum ist üblicherweise und so auch hier äußerst knapp bemessen und mit unnötiger Verspätungsgefahr verbunden. Verwirklicht sich diese Gefahr, so hat der Passagier die hieraus folgenden Nachteile zu tragen, da er die Gefahrenlage und das mit ihr verbundene Verspätungsrisiko maßgeblich mit geschaffen hat.

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ee) Soweit die Revision geltend macht, dass die Sicherheitskontrolle möglicherweise erst kurz vor Erscheinen des Klägers und seiner Familie geöffnet habe, ist dieser Vortrag neu und gemäß § 559 ZPO nicht zu berücksichtigen.

16

Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht hätte einen Hinweis gemäß § 139 ZPO darauf erteilen müssen, dass der Zeitpunkt der Öffnung der Kontrollstelle für die Beurteilung der Rechtslage von Bedeutung sein werde, und der Kläger hätte daraufhin noch in der Tatsacheninstanz vorgetragen, das Kontrollpersonal habe mit den Sicherheitsüberprüfungen erst kurz vor dem Eintreffen der Familie am Kontrollpunkt begonnen, ist unbegründet. Für den von der Revision vermissten Hinweis bestand keine Veranlassung, da die Beklagte bereits in ihrer Klageerwiderung geltend gemacht hat, der Kläger und seine Angehörigen hätten sich unter Berücksichtigung der Abflugzeit zu spät an der Kontrollstelle eingefunden. Hiernach lag es auf der Hand, dass es entscheidungserheblich sein konnte, wenn mit den Sicherheitskontrollen erst kurz vor Eintreffen der Reisegruppe angefangen worden wäre, mithin ein früheres Erscheinen nicht zu einem größeren "Zeitpuffer" geführt hätte.

17

Ergänzend ist - ohne dass dies im vorliegenden Verfahrensstadium entscheidungserheblich ist - anzumerken, dass dem Vorbringen des Klägers die Angaben im Protokoll über das E.   -Sprengstoffdetektionsgerät vom 8. Juli 2012 (Anlage B 3) entgegenstehen, wo bereits seit 3.09 Uhr Eintragungen vorgenommen wurden.

18

c) Ein Revisionszulassungsgrund ist auch nicht in Bezug auf Ansprüche wegen Amtspflichtverletzungen (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) oder rechtswidriger Polizeimaßnahmen (§ 51 Abs. 2 Nr. 1 BPolG) gegeben. Das Berufungsgericht hat einen - schadenskausalen - Organisationsmangel nicht festzustellen vermocht. Die hiergegen erhobenen Angriffe der Revision sind unbegründet. Sie erschöpfen sich im unbestimmten Vorwurf eines "Kompetenzgerangels" sowie in Mutmaßungen über eine ungenügende Ausbildung der Mitarbeiter und lassen zudem außer Betracht, dass die hier etwa gebotene Heranziehung des "Entschärfertrupps" nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts zu weiteren Verzögerungen geführt hätte. Entgegen der Meinung der Revision trifft die Beklagte keine sekundäre Darlegungslast dazu, ob die Röntgenbilder den Verdacht auf das Vorhandensein von Sprengstoff gerechtfertigt haben oder nicht. Denn der Kläger hat diesen Punkt in den Vorinstanzen nicht angesprochen. Er hat insbesondere nicht behauptet, dass die hier konkret verdachtsauslösende Überlagerung einer Spiegelreflexkamera und eines Pakets mit Feuchttüchern im Röntgenbild nicht als (Plastik-)Sprengstoff habe gedeutet werden dürfen. Dementsprechend bestand seitens der Beklagten keine Veranlassung dazu, hierzu näher vorzutragen.

19

2. Wie aus den vorstehenden Darlegungen (zu 1) ersichtlich ist, befindet sich das Berufungsurteil im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und hat die Revision in der Sache selbst keine Aussicht auf Erfolg.

20

3. Der Senat gibt nach alldem im Kosteninteresse zu erwägen, die Revision zurückzunehmen.

Herrmann     

      

Hucke     

      

Tombrink

      

Remmert     

      

Arend     

      

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