Beschluss vom Bundesgerichtshof (2. Strafsenat) - 2 StR 163/17

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 2. Juni 2016, soweit es ihn betrifft, aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Bildung einer Gesamtstrafe unterblieben ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „gemeinschaftlich begangenen Mordes“ zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und bestimmt, dass drei Monate der Strafe als vollstreckt gelten. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.

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1. Den Verfahrensrügen bleibt aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen der Erfolg versagt. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge des Angeklagten, seine Angaben seien unverwertbar, weil er entgegen § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. (jetzt: § 136 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StPO) im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmungen nicht darüber belehrt worden sei, dass ihm unter den Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 und 2 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt werden könnte. Sie greift im Ergebnis nicht durch.

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Tatsächlich sind zwar die notwendigen Belehrungen nach § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. nicht erfolgt. Daraus aber folgt – entgegen der Ansicht der Revision – kein Verwertungsverbot.

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Die Frage, ob das Unterbleiben des gesetzlich vorgeschriebenen Hinweises auf die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung zu einem Beweisverwertungsverbot führt, hat der Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden; er hat allerdings bereits vor der gesetzlichen Einführung dieser Belehrungspflicht auch ohne gesetzliche Vorgabe im Einzelfall eine Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer unentgeltlichen Verteidigung bejaht und bei einem Verstoß hiergegen ein grundsätzliches Beweisverwertungsverbot abgelehnt (BGH NStZ 2006, 236, 237). Dies hat er im Wesentlichen damit begründet, dass nur gravierende Verfahrensverstöße zu einem Beweisverwertungsverbot führen könnten und die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung nicht annähernd einer Verletzung der Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer Verteidigerkonsultation gleich komme, die grundsätzlich ein Verwertungsverbot nach sich ziehe.

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Der Senat hält auch nach der Einfügung der Belehrungspflicht in § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. die Annahme eines absoluten Beweisverwertungsverbots nicht für geboten (ebenso: Meyer-Goßner/Schmitt, 60. Aufl., § 136 Rn. 21). Weder dem Gesetz, das Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren umsetzt, noch den Gesetzgebungsmaterialien oder auch der genannten Richtlinie lässt sich entnehmen, dass die Neuregelung das Ziel verfolgt, die Verletzung der Belehrungspflicht hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen den von der Rechtsprechung für Verstöße gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO entwickelten Grundsätzen gleichzustellen. Dies gilt auch, wenn davon auszugehen ist, dass die neu eingefügte Regelung der Sache nach eine Erweiterung der Pflicht zur Belehrung über die Verteidigerkonsultation nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO darstellt (so im Ergebnis auch Schuhr, in: Münchener Kommentar zur StPO, § 136, Rn. 38). Hieraus folgt nicht, dass auch hinsichtlich der Rechtsfolgen an diese Regelung anzuknüpfen wäre (a.A. aber Schuhr, aaO). Wie der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen zur alten Rechtslage ausgeführt hat, bleibt die Verletzung der Pflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StPO a.F. in ihrer Bedeutung hinter derjenigen nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zurück, die die grundsätzliche Zugangsmöglichkeit zu einem Verteidiger als solchen betrifft. Es handelt sich insoweit um eine für die Rechtsstellung des Beschuldigten als Verfahrenssubjekt konstitutive Bestimmung, deren Verletzung in aller Regel zur Annahme eines Beweisverwertungsverbots führen muss (vgl. dazu Schneider, NStZ 2016, 552, 554). Damit sind die Regelungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers, die nicht absolut gelten und vom Vorliegen der in § 140 Abs. 1 und 2 StPO genannten Voraussetzungen abhängig sind, nicht vergleichbar. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren kein eigenes Antragsrecht auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat, sondern lediglich anregen kann, dass die Staatsanwaltschaft von ihrem Antragsrecht Gebrauch macht. Hieran sollte im Übrigen – wie die Gesetzesbegründung klarstellt – die Ergänzung der Vorschrift nichts ändern (vgl. BT-Drucks. 17/12578, 16).

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Die nach § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. bzw. § 136 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StPO n.F. unterbliebene Belehrung des Angeklagten begründet deshalb kein absolutes Verwertungsverbot. Aber auch die Annahme eines relativen, im Rahmen einer einzelfallbezogenen Abwägung festzustellendes Verwertungsverbot kommt hier nicht in Betracht. Das Landgericht hat in seinem den Widerspruch gegen die Verwertung zurückweisenden Beschluss zutreffend in den Blick genommen, dass das staatliche Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse – wie hier – bei einem Tötungsdelikt besonders hoch ist, die Belehrung nicht bewusst oder willkürlich, sondern aus Unkenntnis der Vernehmungsbeamten über die Neuregelung unterblieben ist und damit der festgestellte Verstoß von geringerem Gewicht ist. Zudem fehlen – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, die Angeklagten hätten im Rahmen ihrer ersten Vernehmung Angaben zur Sache gemacht, weil sie mangels wirtschaftlicher Mittel keine Möglichkeit gesehen hätten, sich eines Verteidigers zu bedienen. Auch die Revision hat hierzu nichts vorgetragen.

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2. Der Schuldspruch hält auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens rechtlicher Nachprüfung stand.

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3. Ebenso weist der Strafausspruch an sich – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat – keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler auf. Er kann jedoch insoweit keinen Bestand haben, als die Prüfung einer nachträglichen Gesamtstrafe unterblieben ist. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragschrift Folgendes dargelegt:

„a) Das Urteil verhält sich nicht zu der Frage, ob die mit Beschluss des Amtsgerichts Mühlhausen vom 20. Oktober 2011 auf eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten und zwei Wochen zurückgeführten Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Erfurt vom 22. November 2010 und des Amtsgerichts Mühlhausen vom 17. März 2011 (UA S. 14 Ziff. 24-26) bereits erledigt sind. Den Urteilsgründen ist insoweit lediglich zu entnehmen, dass eine im Oktober 2013 gewährte Aussetzung des Strafrests widerrufen wurde; der Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung und die Frage der Vollstreckung der Reststrafe bleiben offen. Auch den Vollstreckungsstand der Geldstrafe von 90 Tagessätzen aus dem Urteil des Amtsgerichts Stadtroda vom 27. November 2014 (UA S. 15) teilt das Landgericht nicht mit. Feststellungen zum Vollstreckungsstand der genannten Strafen wären hier indes erforderlich gewesen, weil sie – die Geldstrafe vom 27. November 2014 unter der Voraussetzung einer Erledigung der Strafe aus dem Beschluss vom 20. Oktober 2011 – mit der abgeurteilten Strafe grundsätzlich gesamtstrafenfähig sind. Dass die Strafen im Zeitpunkt der Urteilsverkündung jeweils vollständig vollstreckt waren, versteht sich angesichts der zeitlichen Umstände – der Angeklagte wurde am 10. Oktober 2014 im hiesigen Verfahren verhaftet – auch nicht von selbst, zumal die Erledigung aller weiteren Vorstrafen im Urteil ausdrücklich festgestellt ist (UA S. 11-14).

b) Dieser Rechtsfehler zwingt nicht zur Aufhebung der Freiheitsstrafe. Denn die noch nachzuholende Prüfung des § 55 StGB wirkt sich – unabhängig von ihrem Ergebnis – auf deren Höhe nicht aus. Sollte sich herausstellen, dass die genannten Strafen vollstreckt sind und die Anwendung des § 55 StGB daher nicht möglich ist, läge darin keine bei der Strafzumessung auszugleichende Härte. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass der Angeklagte nach der hier abzuurteilenden Tat und vor den Verurteilungen zu den möglicherweise einzubeziehenden Strafen zu (zahlreichen) weiteren Strafen verurteilt worden ist, deren Vollstreckung erledigt ist (UA S. 11-14).

aa) Das Landgericht hat insoweit einen – wenn auch nicht als solchen bezeichneten – Härteausgleich wegen der Bezahlung der durch Beschluss des Amtsgerichts Erfurt vom 22. Juni 1998 auf eine Gesamtgeldstrafe zurückgeführten Geldstrafe aus den Entscheidungen des Amtsgerichts Gotha vom 6. September 1996 und des Amtsgerichts Erfurt vom 21. April 1997 vorgenommen (UA S. 11 f., 90 Abs. 2). Hierzu bestand indes keine Veranlassung, weil in der Nichteinbeziehung bezahlter Geldstrafen in eine Freiheitsstrafe keine Benachteiligung liegt (Senat, Beschluss vom 17. September 2014 – 2 StR 325/14, BeckRS 2014, 19308; Beschluss vom 15. März 2016 – 4 StR 7/16, BeckRS 2016, 6302; Fischer, StGB 64. Aufl. § 55 Rn. 21a).

bb) Unabhängig von dem bereits gewährten Ausgleich folgt aus der Bezahlung der im Beschluss vom 22. Juni 1998 festgesetzten Gesamtgeldstrafe, dass die – mögliche – Erledigung der Strafen aus dem Beschluss vom 20. Oktober 2011 sowie dem Urteil vom 27. November 2014 für den Angeklagten ebenso wenig eine Härte bedeutet wie die Erledigung der Strafen aus allen weiteren zwischen diesen Entscheidungen ergangenen Verurteilungen. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Wäre die mit Beschluss vom 22. Juni 1998 gebildete Gesamtstrafe noch nicht vollstreckt gewesen, hätte – nach deren Auflösung – gemäß § 55 StGB eine nachträgliche Gesamtstrafe aus den Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Gotha vom 6. September 1996 und des Amtsgerichts Erfurt vom 21. April 1997 sowie der Strafe für die jetzt abzuurteilende Tat gebildet werden müssen. Diese – der materiellen Rechtslage entsprechende – Gesamtstrafenbildung hätte die Anwendung des § 55 StGB hinsichtlich aller späteren Verurteilungen ausgeschlossen, ohne dass sich die Frage nach der Erforderlichkeit eines Härteausgleichs stellen würde. Nichts anderes kann aber gelten, wenn die Bildung einer solchen Gesamtstrafe zwar nicht möglich ist, eine darin liegende Härte jedoch ausgeglichen wird oder – wie es hier aufgrund der Bezahlung der Geldstrafe der Fall ist – schon nicht vorliegt. Die Möglichkeit der Anwendung des § 55 StGB auf die hier möglicherweise noch nicht vollstreckten Strafen beruht nicht auf der Notwendigkeit, durch getrennte Aburteilung verschiedener Taten entstehende Nachteile zu verhindern, sondern ist allein dem Umstand geschuldet, dass die zuvor verhängten Strafen angesichts ihrer Erledigung keine Zäsurwirkung entfalten. Die Unmöglichkeit einer solchen dem Angeklagten vorteilhaften Gesamtstrafenbildung aufgrund der Vollstreckung auch der Strafen aus dem Beschluss vom 20. Oktober 2011 und dem Urteil vom 27. November 2014 ließe vor diesem Hintergrund nur eine an sich nicht erforderliche Vergünstigung entfallen. Darin liegt keine ausgleichsbedürftige Härte. Denn den Grundsätzen über den Härteausgleich liegt der Gedanke zu Grunde, dass der Täter durch die Zufälligkeiten gemeinsamer oder getrennter Entscheidungen zwar nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden soll (Sander, NStZ 2016, 656, 659).“

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Dem schließt sich der Senat an.

Schäfer     

      

Krehl     

      

Bartel

      

Grube     

      

Schmidt     

      

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