Beschluss vom Bundesgerichtshof (1. Zivilsenat) - I ZB 57/17

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 4. Mai 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf 200.000 € festgesetzt.

Gründe

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I. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen einer Werbung für Matratzen auf Unterlassung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Auskunft in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin ihre ladungsfähige Anschrift nicht substantiiert dargelegt habe. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht gemäß § 522 Abs. 1 ZPO verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

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II. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Berufung der Klägerin sei nicht in der gesetzlichen Form begründet. Dazu hat es ausgeführt:

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Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung weiterhin die Auffassung vertrete, bei der für sie im Handelsregister als Geschäftsanschrift eingetragenen Anschrift N.  W.   an ihrem satzungsgemäßen Sitz H.   handele es sich um eine ladungsfähige Anschrift, habe sie keinen Rechtsfehler des Landgerichts dargelegt. Vielmehr halte sie schlicht an ihrer Rechtsansicht fest, ohne sich mit der Begründung des Landgerichts auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen. Das Landgericht habe ausgeführt, bei der Adresse N.  W.   handele es sich trotz Firmenschild und Empfangsvollmacht insbesondere deshalb nicht um eine ladungsfähige Anschrift, weil die Klägerin nicht vorgetragen habe, sie übe unter dieser Adresse eine Geschäftstätigkeit aus und ihr gesetzlicher Vertreter sei dort erreichbar. Es reiche nicht aus, die Anschrift eines Dritten anzugeben, der es vertraglich etwa als Büroservice übernehme, eingehende Sendungen entgegenzunehmen und weiterzuleiten. Die Klägerin sei diesen Ausführungen des Landgerichts in der Berufungsbegründung lediglich mit dem pauschalen Vorwurf der Rechtsfehlerhaftigkeit entgegengetreten.

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III. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts genügt die Berufungsbegründung der Klägerin den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.

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1. Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen er die Fehlerhaftigkeit dieser Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet (BGH, Beschluss vom 4. November 2015 - XII ZB 12/14, NJW-RR 2016, 80 Rn. 6; Beschluss vom 14. Juli 2016 - IX ZB 104/15, NJW-RR 2016, 1269 Rn. 7). Jedoch bestehen grundsätzlich keine besonderen formalen Anforderungen für die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit ergeben. Insbesondere ist es ohne Bedeutung, ob die Ausführungen des Berufungsklägers schlüssig, hinreichend substantiiert und rechtlich haltbar sind (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2012 - XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rn. 10; BGH, NJW-RR 2016, 1269 Rn. 7). Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, lediglich auf das Vorbringen in der ersten Instanz zu verweisen. Erforderlich ist eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger weshalb bekämpft (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2015 - VI ZB 18/15, NJW-RR 2015, 1532 Rn. 8; BGH, NJW-RR 2016, 1269 Rn. 7).

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2. Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der Klägerin. Sie setzt sich mit den die Klageabweisung als unzulässig tragenden Erwägungen des Landgerichts in ausreichender Weise auseinander.

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a) Die Klägerin hat in der Berufungsbegründung ausgeführt, das Landgericht habe die Klage rechtsfehlerhaft als unzulässig abgewiesen. Spätestens mit der nun beantragten Änderung des Rubrums durch Angabe des tatsächlichen Verwaltungssitzes in Berlin, wo sich zwischenzeitlich auch ein Briefkasten und ein Türschild befänden, sei die Klage zulässig. Ob die in der Klageschrift angegebene Adresse N.  W.  eine ladungsfähige Anschrift im Sinne von § 130 Nr. 1 ZPO sei, könne insoweit dahinstehen. Die Klägerin sei aber weiterhin der Auffassung, dass es sich bei der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift N.  W.   am Satzungssitz H.   um eine ladungsfähige Anschrift handele. Auch an den Tagen, an denen die Klägerin die dort angemieteten Räumlichkeiten nicht nutze und ihr Geschäftsführer dort nicht anzutreffen sei, könnten ihr dort Klagen zugestellt werden. Dies sei durch die Bevollmächtigung der dort tätigen Mitarbeiter der E.    B.    C.   GmbH sichergestellt. Auf den dortigen Geschäftssitz der Klägerin weise ein entsprechendes Firmenschild hin.

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b) Mit diesen Ausführungen wendet sich die Berufung in zulässiger Weise gegen die die Zurückweisung der Klage als unzulässig tragende Beurteilung des Landgerichts, die Klägerin habe eine ladungsfähige Anschrift nicht dargelegt. Die Klägerin hat sich dabei weder auf formelhafte, austauschbare Wendungen noch auf einen bloßen Verweis auf erstinstanzlichen Vortrag beschränkt. Sie hat das Urteil des Landgerichts auch nicht pauschal als rechtsfehlerhaft bezeichnet. Damit erfüllt die Berufungsbegründung der Klägerin die Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.

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Die Klägerin hat in der Berufungsbegründung geltend gemacht, sie habe durch Bevollmächtigung von Mitarbeitern des E.    B.    C.   GmbH sichergestellt, dass ihr unter der Anschrift N.  W.   in H.   stets Klagen zugestellt werden könnten; auf ihren dortigen Geschäftssitz weise auch ein entsprechendes Firmenschild hin. Die Klägerin hat sich damit gegen die Ansicht des Landgerichts gewandt, der Kläger selbst - bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung also der Geschäftsführer - müsse an der angegebenen Adresse nicht nur irgendwann, sondern mit gewisser Wahrscheinlichkeit angetroffen werden, und es genüge nicht, wenn es etwa ein Büroservice übernehme, eingehende Sendungen entgegenzunehmen und weiterzuleiten. Damit hat die Klägerin die Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das Landgericht ihrer Ansicht nach ergibt, und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ausreichend bezeichnet. Der insoweit maßgebliche Umstand ist die laut Klägerin tatsächliche Gewährleistung von Zustellungen durch Beauftragung der Mitarbeiter des B.    C.   . Die damit in der Berufungsbegründung gerügte Rechtsverletzung durch das Landgericht war für das angefochtene erstinstanzliche Urteil auch erheblich, weil die Klage nicht mangels Angabe einer ladungsfähigen Anschrift der Klägerin als unzulässig hätte abgewiesen werden dürfen, falls die Angabe der Geschäftsanschrift N.  W.   ausgereicht hätte.

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Eine weitergehende, substantiierte Auseinandersetzung mit den Rechtsausführungen, die das Landgericht nahezu vollständig aus einem Schriftsatz der Beklagten im Parallelverfahren LG Köln 84 O 155/15 übernommen hat, wäre in der Berufungsbegründung zwar zweckmäßig gewesen, stellt jedoch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keinen für die Zulässigkeit der Berufung zwingenden Inhalt der Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO dar. Insbesondere führt das Festhalten an einer im Urteil erster Instanz zurückgewiesenen Rechtsansicht auch dann nicht zur Unzulässigkeit der Berufung, wenn in der Berufungsbegründung lediglich bereits in erster Instanz vorgetragene rechtliche Argumente wiederholt werden. Ein unzulässiger Verweis nur auf das Vorbringen erster Instanz (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1995 - IX ZR 143/94, NJW 1995, 1560 [juris Rn. 8]; BGH, NJW 2013, 174 Rn. 10) liegt darin nicht. Sinn der Berufung ist es gerade, dem Berufungskläger die Überprüfung der Rechtsansicht der ersten Instanz zu ermöglichen. Aus dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz ist das verfassungsrechtliche Gebot abzuleiten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weiter gehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (vgl. BVerfGE 88, 118, 124; BVerfG, NJW 1997, 2941). Das gilt auch für die Prüfung der Anforderungen an die Zulässigkeit der Berufung gemäß § 522 ZPO (vgl. Zöller/Heßler aaO § 522 Rn. 2a).

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IV. Danach hat das Berufungsgericht die Berufung rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen. Die Sache ist zur Entscheidung über die Begründetheit des Rechtsmittels an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

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Für das wiedereröffnete Berufungsverfahren gibt der Senat folgende Hinweise:

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1. Mit Beschluss vom 30. November 2017 hat der Senat die Revision gegen das vom Berufungsgericht im Verfahren 6 U 6/16 zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 verkündete Urteil, das im vorliegenden Verfahren in Bezug genommen worden ist, im Hinblick auf die Beurteilung der Frage der ordnungsgemäßen Angabe einer ladungsfähigen Anschrift zugelassen. Verhandlungstermin für diese unter dem Aktenzeichen I ZR 257/16 geführte Revision ist auf den 28. Juni 2018 bestimmt worden.

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2. Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz neu vorgetragen, für sie sei als ladungsfähige Anschrift in das Rubrum ihr Verwaltungssitz Ba.    Straße  in Be.  aufzunehmen, an dem sich nun auch ein Briefkasten und ein Türschild befänden. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handelte es sich dabei nicht um nur nach Maßgabe des § 531 Abs. 2 ZPO zulässigen neuen Vortrag.

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Die nach Ansicht des Landgerichts fehlende Angabe einer ladungsfähigen Anschrift der Klägerin in der Klageschrift konnte noch in den Tatsacheninstanzen und damit durch entsprechenden Vortrag in der Berufungsbegründung geheilt werden (BGH, Urteil vom 20. Mai 2011 - V ZR 99/10, NJW 2011, 3237 Rn. 9). Bei der Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Klägers handelt es sich um eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2014 - I ZR 113/13, GRUR 2015, 694 Rn. 13 - Bezugsquellen für Bachblüten). Daraus folgt, dass diesbezügliches Vorbringen vom Berufungsgericht nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 2004 - XI ZR 40/03, BGHZ 159, 94, 98 f. [juris Rn. 16]; BAG, NJW 2015, 269 Rn. 13; Zöller/Althammer, ZPO, 32. Aufl., § 56 Rn. 2). Die Klägerin konnte ihre Berufung daher auch darauf stützen, dass sie zumindest nunmehr eine ladungsfähige Anschrift in der Ba.    Straße in Be.  habe.

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Ob dieser Vortrag zutraf, war für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung. Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Berufungsklägers ist keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Berufung (BGHZ 102, 332, 333 [juris Rn. 6]). Ob die Klägerin, wie vorgetragen, eine ladungsfähige Anschrift in der Ba.    Straße in Be.  hatte, war vom Berufungsgericht vielmehr erst auf der Stufe der Begründetheit der Berufung zu prüfen.

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Soweit das Berufungsgericht ausführt, aus dem Verfahren 6 U 6/16, das einen Streit derselben Parteien über dieselbe Werbung betrifft, sei ihm lediglich das (bestrittene) tatsächliche Vorbringen der Klägerin zu einem Geschäftssitz in der Ba.    Straße  in Be.  bekannt, konnte dies nicht zur Unbeachtlichkeit dieses Vortrags im vorliegenden Berufungsverfahren führen, sondern allenfalls zur Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme zu dieser Frage.

Koch     

      

Schaffert     

      

Kirchhoff

      

Löffler     

      

Schwonke     

      

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