Beschluss vom Bundesgerichtshof (5. Zivilsenat) - V ZB 218/17

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 21. September 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.270,78 €.

Gründe

I.

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Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Die auf dem Grundstück der Beklagten 1970/1971 errichtete Garage ragt 42 bis 50 cm in das Grundstück des Klägers hinein. Etwa parallel zu dieser Garage steht in einem Abstand von ca. 15 cm die Garage des Klägers. Im Oktober 2013 führten die Beklagten Arbeiten an ihrer Garage durch, die zu einer Erhöhung des Daches führten. An der zur Garage des Klägers gelegenen Seite des Daches befindet sich nunmehr eine Attika mit Zinkblechabdeckung. Die Attika ist mit einer Dachpappe versehen, die mit einer Bitumenmasse auf der Zinkblechabdeckung der Garage des Klägers fest verklebt worden ist. An der zur Straße gelegenen Seite der Garage der Beklagten ist eine Dachrinne angebracht.

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Gestützt auf die Behauptung, die Beklagen hätten im Zuge der Arbeiten 2013 die Attika unter Inanspruchnahme der Zinkblechabdeckung der Garage des Klägers errichtet und dabei den Spalt zwischen den Garagen geschlossen, verlangt der Kläger mit der Klage die Entfernung der Attika und der Dachrinne in der Weise, dass beides nicht über die auf seinem Grundstück liegende Seite des Dachs der Garage der Beklagten hinaus ragt, sondern bündig mit diesem abschließt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Den Streitwert hat es auf 3.000 € festgesetzt. Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

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Das Berufungsgericht sieht die Berufung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO als unzulässig an. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteige nicht 600 €. Durch den im Jahr 2013 vorgenommenen Überbau habe der (zusätzlich) überbaute Grundstücksteil - der 15 cm breite Spalt zwischen den Garagen - keinen Wertverlust erlitten, weil er für sich genommen bereits zuvor nicht nutzbar gewesen sei. Eine etwaige Nutzungsbeeinträchtigung beschränke sich auf die Garage des Klägers und könne in einem ggf. höheren Wartungs- und Reparaturaufwand bzw. in einer gesteigerten Korrosionsanfälligkeit bestehen. Der Wert dieser Beeinträchtigung entspreche aber nicht den dadurch bedingten Kosten. Ebensowenig erhöhe eine durchgeführte Reparatur den Grundstückswert in Höhe der aufgewendeten Kosten. Zudem sei zu berücksichtigen, dass entsprechende Reparaturen nicht regelmäßig, sondern lediglich in größeren Zeiträumen von mehreren Jahren anfielen und deshalb umzulegen seien. Gründe dafür, dass das Amtsgericht die Berufung hätte zulassen müssen, bestünden nicht. Die Rechtssache habe weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordere die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.

III.

4

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

5

1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ein Zulassungsgrund ist gegeben. Die Frage nach der Bemessung der Rechtsmittelbeschwer im Fall der Abweisung einer Klage auf Beseitigung einer Eigentumsstörung, die den Eigentümer in der Nutzung der Sache zwar beeinträchtigt, die sich aber nach Art bzw. Umfang der Störung nicht in einer Wertminderung niederschlägt, ist höchstrichterlich nicht geklärt. Das macht eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) erforderlich.

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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts übersteigt die Beschwer des Klägers 600 €. Seine Berufung ist daher zulässig.

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a) Maßgebend für den Wert der Beschwer im Rechtsmittelverfahren ist das Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Der Wert einer Beseitigungsklage wird allgemein durch das Interesse des Klägers an der Beseitigung bestimmt. Dieses bemisst sich bei der Störung von Grundeigentum grundsätzlich nach dem Wertverlust, den die Sache durch die Störung erleidet (vgl. Senat, Beschluss vom 8. März 2012 - V ZB 247/11, Grundeigentum 2012, 683 Rn. 7; Beschluss vom 10. April 2008 - V ZR 154/07, juris Rn. 6 mwN; BGH, Beschluss vom 17. Mai 2006 - VIII ZB 31/05, NJW 2006, 2639, 2640). Der für die Beseitigung der Besitzstörung erforderliche Kostenaufwand ist für die Bemessung der Beschwer eines in seinem Eigentum gestörten Klägers dagegen grundsätzlich unerheblich und auch nicht dem Wert der Beschwer hinzuzurechnen (Senat, Beschluss vom 10. April 2008 - V ZR 154/07 aaO; BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2004 - XII ZR 110/02, NJW-RR 2005, 224). Diese Kosten können nur mittelbar für die Bestimmung der Beschwer von Bedeutung sein, wenn sich aus ihnen ein Anhaltspunkt für die Wertminderung der Sache durch die Störung ergibt (Senat, Beschluss vom 10. April 2008 - V ZR 154/07 aaO; BGH, Beschluss vom 17. Mai 2006 - VIII ZB 31/05, aaO).

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b) Daran gemessen hält es rechtlicher Prüfung zunächst stand, dass das Berufungsgericht für die Ermittlung des Wertverlustes, den das Grundstück des Klägers infolge der von dem Beklagten im Jahr 2013 durchgeführte Baumaßnahme erleidet, den Verkehrswert des Grundstücks vor mit demjenigen nach der baulichen Maßnahme vergleicht und sodann eine nennenswerte Wertminderung verneint. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde beträgt der Wertverlust nicht mindestens 450 €. Eine Wertminderung in dieser Höhe ergibt sich nicht aus dem Vorbringen des Klägers, sein Grundstück habe eine Größe von 1.900 qm, der Wert des Grundstücks belaufe sich auf 250 €/qm und der Beklagte habe durch die Schließung des Spalts zwischen den Garagen eine Fläche von 1,775 qm zusätzlich überbaut, die einen Wert von (aufgerundet) 450 € hätte. Aus der von dem Kläger vorgelegten Skizze, in der der Zustand der Garagen vor den Bauarbeiten dargestellt ist, ergibt sich nämlich, dass bereits damals die Garage des Beklagten einen Dachvorsprung aufwies, der dazu führte, dass der Spalt zwischen den Garagen, der in Bodenhöhe 15 cm betrug, in der Höhe deutlich schmaler war. Dementsprechend bezieht sich das Beseitigungsverlangen des Klägers nicht auf den ganzen Bereich zwischen den Garagen, sondern nur auf den Teil der neu errichteten Attika, der über das Dach der Garage des Beklagten hinausragt und nicht mit diesem bündig abschließt. Die infolge der Baumaßnahme in Deckenhöhe zusätzlich überbaute Fläche ist so gering, dass der Überbau keine nennenswerten Auswirkungen auf den Wert des Grundstücks des Klägers hat.

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Die Beschwer des Klägers kann deshalb entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht in Höhe von 2 % des Grundstückswerts bemessen werden. Zwar hat der Senat eine solche Schätzung des Werts der Beschwer im Fall der Abweisung einer Klage auf Beseitigung eines Überbaus bei geringer Beanspruchung des Grundstücks mit der Begründung zugelassen, diese wirke wie eine durch Gestattung abgesicherte Mitbenutzung (Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - V ZB 115/09, GE 2010, 265 Rn. 13). Diese Vorgehensweise setzt aber voraus, dass die Eigentumsstörung tatsächlich zu einer Wertminderung des Grundstücks führt, woran es hier von vornherein fehlt.

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c) Das bedeutet aber, anders als das Berufungsgericht meint, nicht, dass eine 600 € übersteigende Beschwer des Klägers im Sinne des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zwingend zu verneinen ist. Bei Abweisung einer Klage auf Beseitigung einer Eigentumsstörung richtet sich das für die Rechtsmittelbeschwer maßgebliche Interesse des Eigentümers, wenn sich die Störung nach Art bzw. Umfang nicht in einer Wertminderung der Sache niederschlägt, nämlich ausnahmsweise nach den Kosten, die dem Eigentümer durch die Störung entstehen und die ohne diese nicht angefallen wären.

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aa) Eine Eigentumsstörung kann im Einzelfall nach ihrer Art bzw. ihrem Umfang so ausgestaltet sein, dass sie nicht zu einem Wertverlust der Sache führt, der Eigentümer aber gleichwohl ein Interesse an der Beseitigung der Störung hat, weil er in der Nutzung der Sache beeinträchtigt ist. In einem solchen Fall ist die reine Verkehrswertbetrachtung zur Ermittlung der Beschwer des Klägers ausnahmsweise ungeeignet. Ist das Fehlen einer Wertminderung trotz Beeinträchtigung des Eigentums - wie hier - evident oder glaubhaft gemacht, können zur Bestimmung des Interesses des Grundstückseigentümers an der Beseitigung der Störung andere Kriterien herangezogen werden. Ein solches Kriterium kann eine Belastung mit Kosten sein, die der Eigentümer allein aufgrund der Störung erleidet.

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bb) So ist es hier. Der Kläger hat dargelegt, aufgrund der neu errichteten Attika habe er nicht mehr die Möglichkeit, Arbeiten an seiner eigenen Garage, insbesondere an der Zinkblechabdeckung (Zink-Abschlussprofil) auszuführen. Deshalb drohten weitere Schäden. Das Zink-Abschlussprofil leide altersbedingt an Korrosion und müsse erneuert werden. Zum Austausch des Abschlussprofils müsse die von den Beklagten angebrachte Attikaüberbebauung nebst Bitumenverklebung entfernt und nach der Reparatur wieder errichtet werden. Dafür entstünden Mehrkosten von 1.270,78 € brutto. Zur Glaubhaftmachung hat er ein Angebot einer Fachfirma vorgelegt.

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Die Beschwer des Klägers beläuft sich jedenfalls in Höhe dieser Brutto-Kosten von 1.270,78 € und übersteigt 600 €. Der Betrag ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht auf mehrere Jahre umzulegen, denn der Kläger muss bei der Erneuerung des Zink-Abschlussprofils den Betrag in voller Höhe aufwenden.

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3. Soweit das Berufungsgericht seiner Pflicht, die Entscheidung über die Zulassung der Berufung nachzuholen, nachgekommen ist, besteht Anlass zu dem Hinweis auf den bei der Zulassungsentscheidung anzulegenden Maßstab des § 511 Abs. 4 ZPO. Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) ist nicht nur dann gegeben, wenn ein abweichender abstrakter Obersatz formuliert wird, sondern auch bei einer verdeckten Obersatzdivergenz (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2011 - IX ZR 212/08, WM 2011, 1196 Rn. 5). Zudem kann auch ein Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall zur Zulassung führen, wenn andernfalls das Vertrauen in die Rechtsprechung als Ganzes gefährdet wäre oder wenn das Recht des Beschwerdeführers auf ein objektiv willkürfreies Verfahren verletzt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Juli 2002 - V ZR 75/02, WM 2002, 1811,1812 zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

IV.

15

Danach durfte die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € übersteigt. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Für die weitere Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass ein Eingriff in das Recht des Nachbarn auch dann vorliegt, wenn ein bestehender Überbau erweitert wird (vgl. Staudinger/Roth, BGB [2016], § 912 Rn. 19 mwN).

Stresemann     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Kazele

      

Haberkamp     

      

Hamdorf     

      

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