Beschluss vom Bundessozialgericht (11. Senat) - B 11 AL 113/09 B

Tatbestand

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Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg) ab 20. Oktober 2003.

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Die Beklagte bewilligte und zahlte dem Kläger für die Zeit ab 20. Oktober 2003 Alg nach einem Bemessungsentgelt von 410 Euro in Höhe von 159,32 Euro bzw später 162,75 Euro wöchentlich (Bescheid vom 12. November 2003, Änderungsbescheid Januar 2004, Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2004). Mit der Klage machte der Kläger geltend, die Höhe des Alg stehe in keinem Verhältnis zu seinem früheren Arbeitsentgelt.

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Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 20. Mai 2008). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung dem Berichterstatter gemäß § 153 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) übertragen und nach mündlicher Verhandlung durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter die Berufung gegen den Gerichtsbescheid zurückgewiesen (Urteil vom 3. März 2009). In den Entscheidungsgründen hat das LSG ua ausgeführt: Die Berufung sei zulässig, aber nicht begründet. Die Beklage habe Alg in der gesetzlichen Höhe geleistet (§§ 129, 130, 133, 135 Sozialgesetzbuch Drittes Buch idF des Arbeitsförderungsreformgesetzes). Da der Kläger in den letzten 52 Wochen vor Entstehung des Anspruchs Krankengeld und davor Alg bezogen habe, sei grundsätzlich das dem Krankengeld zugrunde liegende Entgelt maßgebend, mindestens aber das Entgelt, nach dem das Alg bemessen worden sei (410 Euro). Auf früheres Arbeitsentgelt des Klägers komme es nicht an.

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Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger Verfahrensmängel und macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Er trägt im Wesentlichen vor, er habe im Jahre 2004 Klage erhoben, woraufhin das SG bis Anfang 2008 untätig geblieben sei und dann mitgeteilt habe, es wolle durch Gerichtsbescheid entscheiden. Seine Anträge auf Überlassung von Anlagen zu Schriftsätzen der Beklagten und seine Ankündigung, er wolle sich nach Einholung einer Beratung zum Streitgegenstand äußern, seien nicht beschieden, vielmehr sei im Mai 2008 der Gerichtsbescheid ergangen. Im Berufungsverfahren habe er erneut Zusendung der Anlagen und Prozesskostenhilfe (PKH) mit Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Weil ihm keine Entscheidung über den PKH-Antrag mitgeteilt worden sei, habe er am 2. März 2009 Verlegung der auf 3. März 2009 anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt, worüber das LSG nicht entschieden habe. In der mündlichen Verhandlung am 3. März sei ihm der Beschluss des LSG vom 2. März 2009 über die Versagung von PKH ausgehändigt worden. In diesem Augenblick habe sich der im Gerichtssaal anwesende Rechtssekretär K., der ihn schon in einem anderen Verfahren vertreten habe, bereit erklärt, ihm zur Seite zu stehen. Er habe K. Prozessvollmacht erteilt und dieser habe Vertagung beantragt. Dennoch sei das Berufungsurteil verkündet worden.

Entscheidungsgründe

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Die Beschwerde ist zulässig.

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Zwar genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, soweit sie die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage zur Auslegung des Art 13 der Europäischen Menschenrechtskommission (EMRK) geltend macht. Dagegen ist ein Verfahrensmangel in der Beschwerdebegründung in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet.

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Die Beschwerde ist auch begründet.

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Aus der Sitzungsniederschrift über den Termin vor dem LSG am 3. März 2009 geht hervor, dass der anwesende Rechtssekretär K. im Termin für diesen Rechtsstreit die Vertretung des Klägers übernommen und Vertagung beantragt hat, da er sich weitere Kenntnisse verschaffen wolle. Das LSG hat sich mit dem Vertagungsantrag nicht befasst, sondern nach Beratung das die Berufung zurückweisende Urteil verkündet.

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Aus diesem Sachverhalt ergibt sich, dass das angefochtene Urteil unter Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs in Verbindung mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens ergangen ist. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung beauftragte Prozessbevollmächtigte K. konnte aufgrund der Kurzfristigkeit seiner Beauftragung mit dem Sachverhalt noch nicht hinreichend vertraut sein. Dass der Prozessbevollmächtigte K. für den Kläger vor dem LSG ebenfalls am 3. März 2009 in einem anderen Rechtsstreit (L 8 AL 269/08; s B 11 AL 114/09 B) aufgetreten war, steht dem nicht entgegen. Denn es handelte sich um unterschiedliche Rechtsstreite. Damit hat der Prozessbevollmächtigte einen erheblichen Grund iS des § 227 Zivilprozessordnung (ZPO) geltend gemacht; das LSG war deshalb zur Terminsverlegung bzw zur Vertagung verpflichtet (vgl BSG SozR 4-1750 § 227 Nr 1). Denn das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs hat insbesondere zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben müssen; dies gilt auch und gerade für die mündliche Verhandlung (vgl BSG, Urteil vom 11. Dezember 2002, B 6 KA 8/02 R, USK 2002-149 mwN). Insoweit bedarf es keiner weiteren Vertiefung, dass die fehlende Bescheidung des Vertagungsantrages (vgl § 202 SGG iVm § 227 Abs 4 Satz 2 ZPO) einen zusätzlichen Verfahrensmangel darstellt (vgl BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 3; Stöber in Zöller, ZPO, 28. Aufl 2010, § 227 RdNr 26).

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Abgesehen davon, dass sich das LSG zur etwaigen Rechtsmissbräuchlichkeit des Vertagungsantrags nicht geäußert hat, ist er auch nicht deshalb unbeachtlich, weil der Kläger - was möglicherweise für die Vorgehensweise des LSG ausschlaggebend gewesen ist - seinen Antrag auf PKH spät gestellt (23. Februar 2009) und erst in der mündlichen Verhandlung vom 3. März 2009 seinen Prozessbevollmächtigten beauftragt hat. Auch wenn dem Kläger dies vorzuhalten ist, so ist dennoch zu beachten, dass der Kläger bereits die Verfahrensweise des SG (Verweigerung der Übersendung von Anlagen, Entscheidung durch Gerichtsbescheid trotz Antrags auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung) gerügt und seine Auffassung, er benötige die Übersendung von Anlagen zur Einholung von Rechtsrat, auch dem LSG vorgetragen hatte, was von diesem gänzlich unbeachtet geblieben ist. Da bereits das SG vor Erlass des Gerichtsbescheides auf das ausdrückliche Ersuchen des Klägers bezüglich fehlender Anlagen nicht reagiert hatte, wäre es für das LSG nahe liegend gewesen, vor der Entscheidung über das PKH-Gesuch mit unmittelbar nachfolgender Entscheidung in der Hauptsache auf das Vorbringen des Klägers und dessen ersichtliches Bemühen um Einholung von Rechtsrat in irgendeiner Weise einzugehen. Die Vorgehensweise des LSG verletzt mithin den Kläger in seinem aus Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG abgeleiteten Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (vgl hierzu BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1; BSG, Urteile vom 5. Dezember 2001, B 7 AL 2/01 R, AP Nr 1 zu § 57 ArbGG 1979, und vom 25. März 2003, B 7 AL 76/02 R, juris). Das vom BVerfG in ständiger Rechtsprechung entwickelte Prozessgrundrecht verlangt Rücksichtnahme auf die Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation (vgl etwa BVerfGE 38, 105, 111 ff; 78, 123, 126); insbesondere darf das Gericht nicht aus eigenen oder zurechenbaren Versäumnissen Verfahrensnachteile für Beteiligte ableiten (vgl BVerfGE 51, 188, 192; 60, 1, 6; 75, 183, 190). Unter den geschilderten Umständen liegt darin, dass sich das LSG ohne Eingehen auf das konkrete Vorbringen des Klägers über den gestellten Vertagungsantrag hinweggesetzt hat, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in Verbindung mit einem Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.

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Die angefochtene Entscheidung kann auf dem festgestellten Verfahrensmangel beruhen. Da der Kläger durch das Verhalten des LSG daran gehindert worden ist, sich in der mündlichen Verhandlung zu dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung durch seinen Prozessbevollmächtigten hinreichend zu äußern, ist unter Berücksichtigung der bereits erwähnten Rechtsprechung des BSG (ua BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1) von einer Beeinflussung der ergangenen Entscheidung auszugehen.

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Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Letzteres ist - wie ausgeführt - der Fall. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

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