Beschluss vom Bundessozialgericht (6. Senat) - B 6 KA 48/10 B

Tenor

Auf die Beschwerden des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 12. Mai 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhand-lung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 82 746 Euro festgesetzt.

Gründe

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I. Der Kläger, der als Zahnarzt an der vertragszahnärztlichen Versorgung in Niedersachsen teilnimmt, begehrt von der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung die Gewährung eines Härtefallzuschlages für das Jahr 1999.

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Er erhielt für das Jahr 1999 ein Jahreshonorar in Höhe von 509 913,48 DM bei einem angeforderten Honorarvolumen von 701 246,35 DM. Nachdem er im September 2003 einen Härtefallzuschlag beantragt hatte, gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 26.2.2004 auf der Grundlage des § 2a ihres Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) einen Härtezuschlag in Höhe von 31 557,59 Euro, der mit Bescheid vom 6.4.2006 degressionsbedingt um 2061,49 DM verringert wurde. Der hiergegen erhobene Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24.3.2004). Das SG hat die daraufhin erhobene Klage mit Urteil vom 26.9.2007 abgewiesen.

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Das LSG hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG aufgehoben, die Bescheide der Beklagten geändert und sie verurteilt, den Härtefallantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden (Urteil vom 12.5.2010). Es hat zunächst ausgeführt, dass die gegen die ehrenamtlichen Richter Dr. Reinstrom und Dr. Näfe in der mündlichen Verhandlung gestellten Befangenheitsanträge des Klägers rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig seien, weil mit ihnen verfahrensfremde Zwecke verfolgt würden. Der nach § 2a Abs 1 HVM gewährte Zuschlag sei nicht zu beanstanden. Es habe aber Anlass bestanden, den Antrag des Klägers darauf zu überprüfen, ob ihm weitergehende Ansprüche aus einer generellen Härteklausel zustünden.

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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger absolute Revisionsgründe im Zusammenhang mit Verfahrensmängeln (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend, die Beklagte rügt ebenfalls Verfahrensfehler und macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sowie eine Divergenz (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) geltend.

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II. Auf die Beschwerden der Beteiligten war gemäß § 160a Abs 5 SGG das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuweisen. Es liegt ein Verfahrensfehler gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, auf dem das Urteil beruht.

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1. Der ehrenamtliche Richter Dr. Reinstrom war zwar nicht gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 41 Nr 4 ZPO von der Mitwirkung im Berufungsverfahren ausgeschlossen. Der Senat verweist insoweit auf die Beschlüsse vom heutigen Tag in den Streitsachen B 6 KA 47/10 B, B 6 KA 50/10 B, B 6 KA 51/10 B, B 6 KA 52/10 B, B 6 KA 54/10 B, B 6 KA 55/10 B, B 6 KA 56/10 B und B 6 KA 57/10 B.

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2. Die Mitwirkung von Dr. Reinstrom war aber verfahrensfehlerhaft, weil er nach § 60 Abs 2 SGG ausgeschlossen ist. Danach ist von der Ausübung des Amtes als Richter ausgeschlossen, wer am vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat. Das war hier der Fall. Anders als bei den Honorarbescheiden und den hierzu erlassenen Widerspruchsbescheiden handelte es sich bei den Entscheidungen über Zahlungen aufgrund einer Härteklausel nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung, für das nach § 16 Satz 1 der Satzung der Beklagten (in der ab 31.3.1983 geltenden Fassung, zuletzt geändert durch Beschluss der Vertreterversammlung vom 15.7.1998) der Geschäftsführer in eigener Verantwortung zuständig war. Ob ein Vergütungszuschlag unter Härtegesichtspunkten zu zahlen war, entschied vielmehr nach § 2a Abs 1 Buchst b des HVM der Vorstand. Dementsprechend liegt dem angefochtenen Bescheid ein einstimmiger Beschluss des Vorstands vom 29.11.2003 und damit in der Amtszeit von Dr. Reinstrom zugrunde.

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Die Mitwirkung des kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richters Dr. Reinstrom stellt einen absoluten Revisionsgrund iS des § 202 SGG iVm § 547 Nr 2 ZPO dar. Die Entscheidung ist als auf der Rechtsverletzung beruhend anzusehen. Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts führt in einem Revisionsverfahren - nach entsprechender Rüge - zur Aufhebung und Zurückverweisung, weil unwiderlegbar feststeht, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruht. § 170 Abs 1 Satz 2 SGG ist dagegen grundsätzlich nicht anwendbar, wenn ein absoluter Revisionsgrund vorliegt. Deshalb dürfte der Senat die Revision selbst dann nicht zurückweisen, wenn die LSG-Entscheidung sich aus anderen Gründen als richtig darstellen sollte (vgl näher BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 13 mwN). Da ein Revisionsverfahren mithin zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht führen würde, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerden gemäß § 160a Abs 5 SGG das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

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3. In der Sache dürften die Rügen der Beteiligten im Übrigen ohne Erfolg bleiben. Der Senat verweist insoweit auf seine Entscheidungen zu Härtefallklauseln, vor allem auf die vom LSG und auch von der Beklagten in Bezug genommene Entscheidung vom 8.2.2006 (BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23), die den auch hier streitigen HVM der Beklagten betraf. Dort hat der Senat ausgeführt, dass eine ungeschriebene generelle Härteklausel dann anzuwenden ist, wenn ein HVM keine oder eine zu eng gefasste Härteklausel enthält. Der Senat hat zunächst einen Härtefall nach § 2a HVM der Beklagten und sodann eine ungeschriebene generelle Härteklausel geprüft. Daraus ist ersichtlich, dass eine geschriebene Härteklausel dann die weitere Prüfung einer generellen Härteklausel nicht ausschließt, wenn die geschriebene Klausel zu eng gefasst ist. Wenn das BSG sodann § 2a HVM und eine generelle Härteklausel prüft, wird daraus ebenfalls deutlich, dass die geschriebene Härteklausel des HVM nicht alle denkbaren Härtefälle erfasst. Ohne Weiteres erhellt dies ein Blick auf die vom Senat genannten Beispiele für den Anwendungsbereich der generellen Härteklausel. So hat der Senat als mögliche Anwendungsfälle überraschende Veränderungen der Versorgungsstruktur durch Ausscheiden eines von wenigen Zahnärzten in einer Region oder die Änderung der Behandlungsausrichtung einer zahnärztlichen Praxis genannt (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 27 S 196; BSGE 83, 52, 61 = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 S 210). Derartige Einzelfälle kann eine Härteklausel, die allgemein auf den Versorgungsgrad und die Quote der Vergütung des Jahresabrechnungsvolumens abstellt, nicht abdecken. Soweit dazu Anlass besteht, ist mithin neben der geschriebenen Härteklausel auch eine stillschweigend anzunehmende generelle Härteklausel zu prüfen.

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4. Der Streitwert entspricht der Differenz von beanspruchtem und tatsächlich für das Jahr 1999 erhaltenem Honorar einschließlich des gewährten Härtezuschlags (§ 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG). Für eine Halbierung des Streitwertes sieht der Senat keinen Raum (vgl BSG vom 13.10.2010 - B 6 KA 2/10 B - Juris RdNr 20 mwN, zur Veröffentlichung in SozR 4-1500 § 110 Nr 1 vorgesehen).

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