Beschluss vom Bundessozialgericht (1. Senat) - B 1 KR 110/13 B
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. Juli 2013 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Restkostenerstattung von 1456,56 Euro für die Versorgung mit Zahnersatz und funktionsanalytischen Maßnahmen bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat seine Berufung gegen den in erster Instanz ergangenen klageabweisenden Gerichtsbescheid wegen Versäumung der Berufungsfrist unter Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen (Urteil vom 3.7.2013).
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Der Kläger rügt mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.
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II. Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet.
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1. Das LSG-Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), den der Kläger entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG bezeichnet. Das LSG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 S 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention, § 62 SGG) verletzt. Es hat am 3.7.2013 in der Sache entschieden, obwohl der Kläger annehmen durfte, eine instanzbeendende Entscheidung werde jedenfalls an diesem Tage nicht ergehen.
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Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Grundsätzlich bedarf es keines weiteren Vortrags zum "Beruhen" der angegriffenen Entscheidung auf dem Verfahrensfehler, wenn ein Beschwerdeführer behauptet, um sein Recht auf eine mündliche Verhandlung gebracht worden zu sein (vgl BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2 RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62). Wird einem Beteiligten ein vom Gericht anberaumter Verhandlungstermin nicht mitgeteilt, reicht es wegen der besonderen Wertigkeit der mündlichen Verhandlung als Kernstück des sozialgerichtlichen Verfahrens vielmehr aus, dass eine andere Entscheidung nicht auszuschließen ist, wenn der Betroffene Gelegenheit gehabt hätte, in der mündlichen Verhandlung vorzutragen (BSGE 44, 292, 295 = SozR 1500 § 124 Nr 2; BSG Beschluss vom 17.2.2010 - B 1 KR 112/09 B - Juris RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 18.12.2012 - B 1 KR 90/12 B - Juris RdNr 5). So liegt es hier.
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Das LSG hat den Kläger nicht ordnungsgemäß über den für den 3.7.2013 anberaumten Verhandlungstermin informiert. Es hat ihm die Terminsbestimmung weder wirksam bekannt gegeben noch zugestellt. Obwohl Terminsbestimmungen und Ladungen bekannt zu geben "sind" (§ 63 Abs 1 S 2 SGG idF durch Art 1 Nr 26 Sechstes Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17.08.2001, BGBl I 2144), kann das Gericht deren Zustellung auch weiterhin anordnen, wenn es dies für zweckmäßig hält (BT-Drucks 14/5943 S 24 zu Nr 26; Hauck in Zeihe, SGG, Stand November 2012, § 63 RdNr 7). Die vom LSG angeordnete Zustellung durch die Post mit Postzustellungsurkunde erfolgte unwirksam, auch wenn das LSG dies nicht erkennen konnte. Die ausweislich der Zustellungsurkunde beabsichtigte Ersatzzustellung durch Niederlegung (§ 63 Abs 2 S 1 SGG; § 181 ZPO) setzt ua voraus, dass der Zustelladressat unter der Zustellanschrift tatsächlich eine Wohnung oder einen Geschäftsraum etc hat (vgl BVerfG NStZ-RR 1997, 70; BVerfG NJW 1992, 224, 225; Hauck in Zeihe, SGG, Stand November 2012, Anhang 8 S 403, § 181 ZPO Anm 4 a bb). Daran fehlte es. Der Kläger hat seinen Auszug aus seiner Wohnung in H. durch das Übergabeprotokoll vom 24.4.2013 überzeugend bewiesen. Es liegt auch nichts dafür vor, dass dieser Zustellungsmangel vor dem 3.7.2013 geheilt worden ist (§ 63 Abs 2 S 1 SGG; § 189 ZPO).
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Es ist mangels wirksamer Zustellung unerheblich, dass der Kläger seinerseits nicht alles Notwendige getan hat, damit ihn Zustellungen des Gerichts tatsächlich erreichten. So waren Postzustellungen nach den vorgelegten Unterlagen nicht vom Nachsendeauftrag des Kläger umfasst. Ebenso ist es ohne Bedeutung, dass die Richter des LSG kein Verschulden trifft, weil sie allein anhand der Postzustellungsurkunde nicht erkennen konnten, dass die Zustellung unwirksam war.
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2. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
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3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.
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Referenzen
- SGG § 160a 1x
- § 124 Nr 2; BSG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 181 Ersatzzustellung durch Niederlegung 2x
- 1 KR 112/09 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 189 Heilung von Zustellungsmängeln 1x
- 1 KR 90/12 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 62 1x
- SGG § 160 2x