Beschluss vom Bundessozialgericht (8. Senat) - B 8 SO 59/13 B

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. April 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

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I. Im Streit ist ein Anspruch der Klägerin auf höhere Leistungen der Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit ab dem 14.5.2008.

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Die 1928 geborene Klägerin erhielt von der Beklagten ua seit dem 14.5.2008 Hilfe zur Pflege auf der Grundlage eines Bedarfs für die hauswirtschaftliche Versorgung im Umfang von 10,75 Stunden pro Woche (Bescheid vom 30.5.2008; Widerspruchsbescheid vom 29.10.2008). Die Klage, gerichtet auf eine zusätzliche hauswirtschaftliche Hilfe im Umfang von drei Stunden täglich, blieb beim Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main ohne Erfolg (Urteil vom 28.2.2012). Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte für die Zeit vom 1.12.2012 bis zum 30.11.2013 häusliche Pflege durch Übernahme der Kosten für besondere Pflegekräfte im Umfang von elf Stunden und zehn Minuten wöchentlich und daneben weitere vier Stunden wöchentlich für sonstige Verrichtungen bewilligt (Bescheid vom 9.1.2013). Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung nach Anhörung der Beteiligten (Schreiben vom 22.2.2013) zurückgewiesen (Beschluss vom 24.4.2013). Zur Begründung hat es ausgeführt, das Vorbringen der Klägerin sei dahin auszulegen, dass lediglich noch die Änderung des Bescheids vom 9.1.2013 begehrt werde. Der Rechtsstreit, soweit er die Vergangenheit betreffe, habe sich dagegen erledigt; denn die Inanspruchnahme einer Sachleistung für die Vergangenheit sei nicht möglich. Entsprechende Pflegeleistungen habe sich die Klägerin auch nicht zwischenzeitlich selbst beschafft, sodass ein Kostenerstattungsanspruch ausscheide. Ein Anspruch in der Sache bestehe nicht.

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Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Sie rügt einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz ). Das LSG habe unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden und damit § 153 Abs 4, § 62 SGG verletzt. Hierin liege zugleich ein absoluter Revisionsgrund nach § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 Zivilprozessordnung (ZPO), weil das Berufungsgericht fehlerhaft nur mit Berufsrichtern besetzt gewesen sei.

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II. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet. Die gerügten Verfahrensmängel liegen vor. Das LSG hat mit seinem Vorgehen § 153 Abs 4 SGG und damit zugleich den Anspruch auf rechtliches Gehör der Klägerin (§ 62 SGG) verletzt; in dem Verstoß gegen § 153 Abs 4 SGG liegt wegen der fehlerhaften Besetzung der Richterbank zugleich ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), bei dem nähere Ausführungen zur Kausalität entbehrlich sind (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 5 RdNr 10 mwN). Gemäß § 160a Abs 5 SGG konnte deshalb der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

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Das LSG hätte nach dem von der Klägerin in der Begründung der Beschwerde zutreffend dargestellten Sachstand nicht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden dürfen. Nach § 153 Abs 4 SGG kann das LSG, außer in den Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Zwar steht die Entscheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zurückzuweisen, in pflichtgemäßem Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzung, überprüft werden (BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13; SozR 4-1500 § 153 Nr 7). Die Einschätzung des LSG, nach § 153 Abs 4 SGG entscheiden zu können, war hier aber deshalb fehlerhaft, weil es über einen Bescheid (vom 9.1.2013) entschieden hat, der noch nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war, und sich mit Erlass dieses Bescheides aus Sicht des LSG die Prozesssituation in entscheidungserheblicher Weise geändert hat. Vorliegend ist das LSG davon ausgegangen, dass mit dem Bescheid vom 9.1.2013 nicht lediglich eine Bewilligung für die Zukunft erfolgt ist, die jedenfalls keine weitergehende Beschwer für die Klägerin bedeutet, sondern sich der Rechtsstreit für die Vergangenheit ohne Weiteres erledigt hat. Damit hat sich aus Sicht des LSG gegenüber der Entscheidung des SG die prozessuale Situation maßgeblich verändert. In einer solchen Konstellation ist den Beteiligten grundsätzlich Gelegenheit zu geben, aus ihrer Sicht entscheidungserhebliches Vorbringen in einer mündlichen Verhandlung zu erörtern (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 153 RdNr 15b mwN). Dies gilt umso mehr, als die Klägerin nicht damit rechnen musste, dass das LSG ihre Anträge anders als das SG auslegen und davon ausgehen würde, sie wolle Ansprüche für die Vergangenheit gar nicht (mehr) geltend machen.

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Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

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