Urteil vom Bundessozialgericht (1. Senat) - B 1 KR 28/14 R

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Gültigkeit der in der Gruppe der Versicherten im Jahr 2011 durchgeführten Wahl zum Verwaltungsrat der beklagten Krankenkasse (KK).

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Die Klägerin ist eine Fachgewerkschaft, in der nach § 1 Abs 2 ihrer Satzung Beschäftigte und frühere Beschäftigte aller Träger der sozialen Sicherung und ihrer Verbände sowie von Einrichtungen, die mit diesen organisatorisch oder finanziell verbunden sind, gewerkschaftlich organisiert sind. Die Klägerin beteiligte sich an den Sozialwahlen 2011 in der Gruppe der Versicherten bei der Beklagten mit einer Vorschlagsliste, die 1086 gültige Unterschriften umfasste. Der Wahlausschuss der Beklagten wies die Vorschlagsliste zurück, weil sie nicht von der erforderlichen Zahl von Wahlberechtigten unterzeichnet sei. Zwar erfülle sie das Unterschriftenquorum von 1000 Unterschriften (§ 48 Abs 2 SGB IV), jedoch stammten entgegen § 48 Abs 3 S 2 SGB IV 303 und damit mehr als 25 vH der gesamten Unterschriften von (aktiv) Beschäftigten der Beklagten, die nach § 51 Abs 6 Nr 5 und 6 SGB IV vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen seien. Eine Wahlhandlung finde nicht statt, da sowohl aus der Wählergruppe der Arbeitgeber als auch für die Gruppe der Versicherten nur eine Vorschlagsliste (Vorschlagsliste der "unternehmer nrw" und Vorschlagsliste der Beigeladenen) zugelassen worden sei. Die in den zugelassenen Vorschlagslisten genannten Bewerber würden mit Ablauf des 1.6.2011 als zum Mitglied bzw stellvertretenden Mitglied des Verwaltungsrates der Beklagten gewählt gelten (Beschluss des Wahlausschusses vom 20.1.2011; sog Friedenswahl). Die gegen die Zurückweisung (21.1.2011) der Vorschlagsliste der Klägerin eingelegte Beschwerde blieb erfolglos (Beschluss des Beschwerdeausschusses vom 7.2.2011). Während das SG die gegen die Gültigkeit der Wahl erhobene Klage abgewiesen hat (Urteil vom 23.10.2012), hat das LSG das SG-Urteil geändert, die in der Gruppe der Versicherten durchgeführte Wahl zum Verwaltungsrat der Beklagten für ungültig erklärt und festgestellt, dass die Wahl wiederholt werden müsse. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, bei der Gesamtzahl der Unterzeichner iS von § 48 Abs 3 S 2 SGB IV sei auf die Gesamtzahl der für die Erfüllung des Unterschriftenquorums maßgebenden Anzahl an Unterstützerunterschriften abzustellen. Es sei daher für die Gültigkeit der Vorschlagsliste ausreichend, dass - wie hier - von 1000 gültigen Unterschriften 750 von nicht beim Versicherungsträger oder der Aufsichtsbehörde Beschäftigten stammten (Urteil vom 5.6.2014).

3

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 48 Abs 3 S 2 SGB IV und § 23 Abs 2 S 1 Nr 6 Wahlordnung für die Sozialversicherung (SVWO). Der Wortlaut des § 48 Abs 3 S 2 SGB IV sei nicht auslegungsfähig, die Formulierung "Gesamtzahl der Unterzeichner" sei eindeutig. Zweck und Systematik der gesetzlichen Regelungen rechtfertigten die vom LSG vorgenommene Einschränkung nicht.

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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Juni 2014 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23. Oktober 2012 zurückzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

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Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der beklagten KK ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und festgestellt, dass die in der Gruppe der Versicherten durchgeführte Wahl zum Verwaltungsrat der Beklagten ungültig ist und wiederholt werden muss. Die von der klagenden Gewerkschaft erhobene Klage ist zulässig (dazu 1.) und begründet (dazu 2.).

9

Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler, die einer Sachentscheidung entgegenstehen, liegen nicht vor. Insbesondere sind im Anfechtungsverfahren, das die Wahl insgesamt betrifft, außer den hier Beigeladenen weder die einzelnen Gewählten noch der Landes- oder Bundeswahlbeauftragte notwendig beizuladen. Dies folgt aus den Besonderheiten des Wahlanfechtungsverfahrens (eingehend dazu BSGE 54, 104, 105 f = SozR 2100 § 57 Nr 1 S 2 f; BSGE 71, 175, 180 f = SozR 3-1500 § 55 Nr 14 S 26; aA BSGE 39, 244, 252 = SozR 5334 Art 3 § 1 Nr 1 S 10).

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1. Müsste der erkennende Senat noch den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit prüfen (vgl aber § 17a Abs 5 GVG), würde er ihn - wovon schon das SG zu Recht ausgegangen ist - bei Wahlanfechtungsklagen bejahen. Streitigkeiten über die Gültigkeit von Wahlen zur Vertreterversammlung einer KK sind "öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung" iS von § 51 Abs 1 SGG (zur Wahlanfechtungsklage im Kassenarztrecht BSGE 71, 175, 177 = SozR 3-1500 § 55 Nr 14 S 23, Coseriu in Zeihe/Hauck, SGG, Stand 1.4.2015, § 51 Anm 17b ll). Dies verdeutlicht auch § 131 Abs 4 SGG, der die Wahlanfechtungsklage voraussetzt. Die gegen den Versicherungsträger - hier die Beklagte - zu richtende (§ 57 Abs 2 SGB IV idF der Bekanntmachung der Neufassung des SGB IV vom 12.11.2009 - BGBl I 3710) Wahlanfechtungsklage ist als Klage besonderer Art statthaft (eingehend BSGE 23, 92, 93; aA Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 24: Feststellungsklage). Sie zielt nicht nur auf die Feststellung, dass die Wahl ungültig ist, sondern auch auf die gerichtlich zu bestimmenden Folgerungen, die sich aus ihrer Ungültigkeit ergeben (§ 131 Abs 4 SGG; vgl auch Begründung zu Art 2 § 4 Nr 3 <§ 131 Abs 4 SGG> des Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Selbstverwaltungsgesetzes, BT-Drucks V/1674 S 25).

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Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Die Klägerin gehört zu dem Kreis der Anfechtungsberechtigten. Nach § 57 Abs 2 SGB IV können die in § 48 Abs 1 SGB IV (idF der Bekanntmachung der Neufassung des SGB IV) genannten Personen und Vereinigungen, der Bundeswahlbeauftragte und der zuständige Landeswahlbeauftragte die Wahl durch Klage gegen den Versicherungsträger anfechten. Die Klägerin ist als Gewerkschaft nach § 48 Abs 1 Nr 1 SGB IV berechtigt, Vorschlagslisten einzureichen. Sie hat auch den vor Klageerhebung obligatorischen Rechtsbehelf der Beschwerde gegen die Entscheidung des Wahlausschusses (§ 57 Abs 4 SGB IV idF der Bekanntmachung der Neufassung des SGB IV iVm § 24 Abs 1 SVWO idF durch Art 1 Nr 12 der Zweiten Verordnung zur Änderung der SVWO vom 10.11.2003 - BGBI I 2274 mit Wirkung vom 20.11.2003), die Vorschlagsliste der Klägerin zurückzuweisen (§ 23 Abs 2 S 1 Nr 6 SVWO, idF der Zweiten Verordnung zur Änderung der SVWO, aaO), erfolglos eingelegt (vgl dazu BSGE 18, 278, 281). Ein Vorverfahren iS von §§ 83 ff SGG war hingegen nicht durchzuführen (§ 57 Abs 3 S 3 SGB IV); die Klagefrist gemäß § 57 Abs 3 S 2 SGB IV hat die Klägerin eingehalten.

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2. Die Klage ist auch begründet. Gegenstand der Wahlanfechtung ist die Wahl (dazu a). Zu Unrecht wies der Wahlausschuss der Beklagten die Vorschlagsliste der Klägerin nach § 23 Abs 2 S 1 Nr 6 SVWO zurück. Die Zurückweisung der Vorschlagsliste der Klägerin war rechtswidrig (dazu b). Die Vorschlagsliste wies die erforderlichen Unterschriften auf (dazu c) und unterlag auch nicht anderen Mängeln, die eine Vorschlagsliste ungültig machen (dazu d). Die Wahl ist ungültig und muss wiederholt werden (dazu e).

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a) Gegenstand der Wahlanfechtung ist allein die Wahl selbst, hier die im Jahr 2011 durchgeführte Wahl zum Verwaltungsrat der Beklagten. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 57 Abs 2 SGB IV. Hiernach können die in § 48 Abs 1 SGB IV genannten Personen und Vereinigungen, der Bundeswahlbeauftragte und der zuständige Landeswahlbeauftragte "die Wahl" durch Klage gegen den Versicherungsträger anfechten. Die während des Wahlverfahrens ergangenen Beschlüsse der Wahlausschüsse sind dagegen nicht Gegenstand der Wahlanfechtungsklage (BSGE 92, 59 RdNr 10 = SozR 4-2400 § 48 Nr 1, RdNr 9; BSGE 54, 104, 105 = SozR 2100 § 57 Nr 1 S 2; zu der bis 2.8.1984 anzuwendenden Fassung des § 57 SGB IV vgl aber BSGE 57, 42, 43 = SozR 2100 § 48 Nr 1 S 2; BSGE 54, 104, 105 = SozR 2100 § 57 Nr 1 S 2). Dass die Wahlanfechtungsklage nicht auf die während des Wahlverfahrens ergangenen Beschlüsse der Wahlausschüsse abzielt, ergibt sich zusätzlich sinngemäß daraus, dass das diesbezügliche Beschwerdeverfahren zwar nach § 57 Abs 4 SGB IV Zulässigkeitsvoraussetzung für die spätere Klage ist, aber nicht ein Vorverfahren darstellt. Denn ein solches findet nach § 57 Abs 3 S 3 SGB IV nicht statt. Dementsprechend führt eine nach § 131 Abs 4 SGG erfolgreiche Wahlanfechtung (lediglich) dazu, dass das Gericht ausspricht, die Wahl sei ungültig, und die Folgerungen bestimmt, die sich aus der Ungültigkeit der Wahl ergeben.

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b) Die Zurückweisung der Vorschlagsliste der Klägerin war rechtswidrig. Die Voraussetzungen über die Zulassung von Wahllisten ergeben sich aus der SVWO, zu deren Erlass der Verordnungsgeber (BMAS) in § 56 S 1 iVm § 56 S 2 Nr 5 SGB IV ausdrücklich ermächtigt wird. Danach entscheidet der Wahlausschuss der Beklagten über die Zulassung der Vorschlagslisten (§ 23 Abs 1 SVWO). Ungültig ist ua eine Vorschlagsliste, die nicht von der nach § 48 Abs 2 bis 5 SGB IV erforderlichen Zahl von Wahlberechtigten unterzeichnet ist (§ 23 Abs 2 S 1 Nr 6 SVWO). Vorschlagslisten, die ungültig sind oder Mängel aufweisen, die innerhalb der Mängelbeseitigungsfrist oder der eingeräumten Nachfrist nicht behoben worden sind, hat der Wahlausschuss zurückzuweisen (§ 23 Abs 2 S 2 SVWO). Diese Voraussetzungen einer Zurückweisung der Vorschlagsliste der Klägerin waren nicht erfüllt. Die Vorschlagsliste der Klägerin war nämlich gültig. Sie wies die erforderliche Zahl von Unterschriften Wahlberechtigter auf (dazu c) und litt auch nicht an anderen wesentlichen Mängeln (dazu d).

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c) Nach § 48 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB IV haben Gewerkschaften sowie andere selbständige Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) sowie deren Verbände das Recht, Vorschlagslisten einzureichen. Vorschlagslisten müssen bei einem Versicherungsträger mit 1 000 001 bis 3 000 000 Versicherten (am 31. 12. des zweiten Kalenderjahres vor dem Kalenderjahr der Wahlausschreibung, § 48 Abs 2 S 2 SGB IV) von 1000 Personen unterzeichnet sein (§ 48 Abs 4 iVm § 48 Abs 2 S 1 SGB IV), wenn sie bisher nicht mit einer eigenen Vorschlagsliste oder über eine Gemeinschaftsliste in dem Verwaltungsrat der Beklagten vertreten waren (§ 48 Abs 4 S 2 und 3 SGB IV). Berechtigt zur Unterzeichnung einer Vorschlagsliste sind Personen, die am Tag der Wahlausschreibung die Voraussetzungen des Wahlrechts nach § 50 SGB IV oder der Wählbarkeit nach § 51 Abs 1 S 2 SGB IV erfüllen (§ 48 Abs 4 iVm § 48 Abs 3 S 1 SGB IV).

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Die Klägerin war nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) als Gewerkschaft berechtigt, eine Vorschlagsliste einzureichen (s oben) und bisher nicht mit einer eigenen Vorschlagsliste oder über eine Gemeinschaftsliste in dem Verwaltungsrat der Beklagten vertreten. Die Vorschlagsliste der Klägerin war auch von der Mindestzahl von 1000 der nach § 48 Abs 3 S 1 SGB IV unterzeichnungsberechtigten Personen unterschrieben worden. Die Mindestzahl beruht darauf, dass die Beklagte am Stichtag mehr als 1 000 000 und weniger als 3 000 001 Versicherte hatte. Die von der Klägerin vorgelegte Vorschlagsliste trug 1147 Unterschriften. Gültig hiervon waren 1086 Unterschriften. Zwei Unterschriften waren doppelt. Die übrigen ungültigen Unterschriften stammten von familienversicherten Personen, die zwar versichert (§ 10 SGB V), nicht aber Mitglieder der KK sind und deshalb nicht zur Gruppe der wahlberechtigten Versicherten gehören (vgl § 47 Abs 1 Nr 1 SGB IV). Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

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Die Vorschlagsliste der Klägerin erfüllte auch die Voraussetzung von mindestens 750 Unterschriften behördenfremder Unterstützer (§ 48 Abs 3 S 2 SGB IV). Die Regelung des § 48 Abs 3 S 2 SGB IV ist in diesem Sinne teleologisch zu reduzieren.

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aa) Nach dem Wortlaut dieser Rechtsnorm dürfen "von der Gesamtzahl der Unterzeichner" höchstens fünfundzwanzig vom Hundert dem Personenkreis angehören, der - wegen Behördenangehörigkeit - nach § 51 Abs 6 Nr 5 und 6 SGB IV nicht wählbar ist (§ 48 Abs 4 iVm § 48 Abs 3 S 2 SGB IV). Behördenangehörige in diesem Sinne sind Personen, die als Beamter, Angestellter oder Arbeiter bei dem Versicherungsträger, als leitender Beamter oder Angestellter bei einer Behörde, die Aufsichtsrechte gegenüber dem Versicherungsträger haben, oder als anderer Beamter oder Angestellter bei einer solchen Behörde im Fachgebiet Sozialversicherung beschäftigt sind oder regelmäßig für den Versicherungsträger oder im Rahmen eines mit ihm abgeschlossenen Vertrags freiberuflich oder in Geschäftsstellen der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See in knappschaftlich versicherten Betrieben tätig sind.

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Die "Gesamtzahl der Unterzeichnenden" bezieht sich nicht etwa zwingend auf die tatsächlich vorhandene Gesamtzahl der Unterzeichnenden der Vorschlagsliste. Eine an Sinn und Zweck der Regelung orientierte Auslegung lässt es vielmehr zu, auf die jeweils - in Abhängigkeit von der Anzahl der Versicherten - unterschiedliche Mindestgesamtzahl der Unterschriften abzustellen, die jeweils zur Erreichung des Quorums notwendig sind. Nur dieses einschränkende Verständnis wird dem Regelungsziel gerecht, eine Mindestqualität durch behördenfremde Unterstützer zu gewährleisten, ohne willkürliche Verzerrungen hervorzurufen. Diese Voraussetzung ist bereits dann erfüllt, wenn - bezogen auf das hier maßgebende Unterschriftenquorum von 1000 Unterschriften - mindestens 750 der Unterschriften von behördenfremden Personen stammen, die also nicht behördenangehörig sind iS der Regelung des § 51 Abs 6 Nr 5 und 6 SGB IV. Dies gilt auch dann, wenn die Gesamtzahl der Unterschriften auf der Vorschlagsliste größer ist als 1000 und mehr als 250 Unterschriften von Behördenangehörigen im oben genannten Sinne stammen.

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bb) Sinn der Mindestanforderung an die Zahl behördenfremder Unterstützer, die die Vorschlagsliste unterzeichnen müssen, ist es, flankierend zu den generellen Anforderungen an vorschlagsberechtigte Vereinigungen Missbrauch speziell bei Unterzeichnung der Vorschlagslisten zu vermeiden, ohne willkürliche Verzerrungen zu bewirken.

21

Die generellen Anforderungen an vorschlagsberechtigte Vereinigungen konkretisiert § 48a Abs 3 SGB IV. Danach ist eine Arbeitnehmervereinigung, der mehr als 25 vH Bedienstete des Versicherungsträgers angehören, in deren Vorstand Bedienstete einen Stimmanteil von mehr als 25 vH haben oder in der ihnen auf andere Weise ein nicht unerheblicher Einfluss eingeräumt ist, nicht vorschlagsberechtigt. Dies soll verhindern, dass die Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane zu stark durch die Bediensteten des Versicherungsträgers beeinflusst wird (BT-Drucks 10/1162 S 7 zu Nr 4).

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Die Mindestanforderung an die Zahl behördenfremder Unterstützer, die die Vorschlagsliste unterzeichnen müssen (§ 48 Abs 3 S 2 SGB IV), dient dem gleichen Ziel (BT-Drucks 10/1162 S 6 und 7 zu § 48a Abs 3 zu Nr 3b). Bis zur Einfügung von § 48 Abs 3 S 2 und § 48a Abs 3 SGB IV durch das Gesetz zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen vom 27.7.1984 (Wahlrechtsverbesserungsgesetz - BGBl I 1029) kannte das Gesetz lediglich das Unterschriftenquorum. Es kam vor Einführung dieser neuen gesetzlichen Regelungen bei den Sozialversicherungswahlen auf der Basis des Quorums zu Vorschlagslisten, bei denen die Zahl behördenangehöriger Unterstützer erheblich dominierte. Dies warf die Frage auf, ob die Kontrollfunktion der Selbstverwaltungsorgane gegenüber der Verwaltung durch Angehörige dieser Verwaltung ausgeübt werden solle (BT-Plenarprotokoll 10/64 S 4532 B). Die "gewaltige Hürde" (Weiß, WzS 2014, 211, 215) des Unterschriftenquorums sollte nicht (mehr) durch einen beherrschenden Einfluss aktiv Beschäftigter des Versicherungsträgers genommen werden können.

23

Ein Normenverständnis des § 48 Abs 3 S 2 SGB IV im Sinne einer starren, fixierten Quotierung der tatsächlichen Unterstützer würde zwar dem aufgezeigten Grundanliegen des Gesetzes dienen, einen beherrschenden Einfluss aktiv Beschäftigter des Versicherungsträgers im Rahmen der Kontrollinstitutionen zu verhindern. Es hätte aber zugleich willkürliche Verwerfungen und Unzuträglichkeiten zur Folge: So müssten nach Erfüllung der Mindestbedingungen zB von 1000 Unterschriften (750 behördenfremde und 250 behördenangehörige Wahlberechtigte) - bei Hinzutreten von weiteren 25 behördenangehörigen Unterstützern 75 zusätzliche behördenfremde Unterstützer die Vorschlagslisten unterschreiben. Dies würde zugleich Abwehrmechanismen gegen weitere Unterstützung auslösen, wenn die Grundvoraussetzungen der Unterschriften für die Vorschlagslisten erfüllt sind, die dem Gesamtanliegen des Unterstützungsvorgangs abträglich wären. Zugleich wären willkürliche Verzerrungen die Folge, bewirkte doch das Hinzutreten behördenangehöriger Unterstützer nach Erfüllung der Grundvoraussetzungen der Unterschriften für die Vorschlagslisten, dass die zuvor zulässigen Listen nunmehr unzulässig würden. Das war nicht der Wille des Gesetzgebers.

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cc) Die Vorschlagsliste der Klägerin entspricht den dargelegten gesetzlichen Anforderungen. Von den gültigen 1086 Unterschriften stammten 783 Unterschriften von behördenfremden Personen, deren passives Wahlrecht nicht wegen ihrer Nähe zum Versicherungsträger nach § 51 Abs 6 Nr 5 und 6 SGB IV ausgeschlossen ist. Lediglich 303 Behördenangehörige unterschrieben, die gemäß § 51 Abs 6 Nr 5 und 6 SGB IV nicht wählbar sind. Auch wenn die Vorschlagsliste mehr als 1000 Unterschriften aufweist, war zu ihrer Gültigkeit iS von § 23 Abs 2 S 1 Nr 6 SVWO iVm § 48 Abs 3 S 2 SGB IV - wie oben dargelegt - nicht notwendig, dass von der Gesamtzahl aller Unterzeichner der vorgelegten Vorschlagsliste höchstens 25 vH dem nach § 51 Abs 6 Nr 5 und 6 SGB IV nicht wählbaren Personenkreis angehören.

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d) Sonstige Zurückweisungsgründe, bei denen die Vorschlagsliste ungültig ist, liegen ebenfalls nicht vor. Nach § 23 Abs 2 S 1 Nr 1 bis 5 SVWO ist eine Vorschlagsliste ungültig und dementsprechend nach § 23 Abs 2 S 2 SVWO zurückzuweisen, die nicht innerhalb der Einreichungsfrist bei der Stelle, bei der die Vorschlagslisten einzureichen sind, eingeht (Nr 1), die unter einer Bedingung eingereicht worden ist (Nr 2), deren Listenträger bereits eine Vorschlagsliste eingereicht und diese nicht zurückgenommen hat (Nr 3), die nicht die Form des § 15 Abs 1 S 1, 2 und 4 SVWO wahrt (Nr 4) oder deren Listenträger nicht das Recht hat, Vorschlagslisten einzureichen, oder deren Listenträger die Feststellung seiner Vorschlagsberechtigung entgegen den §§ 48b und 48c SGB IV nicht rechtzeitig beantragt hat (Nr 5). Nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs 2 S 1 Nr 1 bis 5 SVWO nicht erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

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Ohne Bedeutung für die Gültigkeit der Vorschlagsliste ist die fehlende eigenhändig unterschriebene Zustimmungserklärung (§ 15 Abs 4 S 1 SVWO) des Bewerbers S. Dies führt nach § 15 Abs 4 S 2 SVWO lediglich dazu, dass der Name des Bewerbers auf der Vorschlagsliste zu streichen ist.

27

e) Die rechtwidrige Zurückweisung der Vorschlagsliste hat die Ungültigkeit der Wahl zur Folge. Das Demokratiegebot sowie die Rechte von Wahlberechtigten und Wahlbewerbern verpflichten den Gesetzgeber einerseits, ein Wahlprüfungsverfahren vorzusehen, um die Richtigkeit der Ermittlung des Wählerwillens so weit wie möglich sicherzustellen. Andererseits kann der Zweck des Prüfungsverfahrens nicht weiterreichen als derjenige der Wahl selbst: Da es dabei ausschließlich um die Feststellung der Mandatsverteilung geht, beschränkt sich auch das Prüfungsverfahren auf Fehler bei Zwischenentscheidungen, die diese Verteilung beeinflussen können; die Verletzung von Wahlvorschriften, die sich auf das Wahlergebnis letztlich nicht auswirkt (sog mandatsirrelevante Wahlfehler), bleibt infolgedessen im Wahlprüfungsverfahren unbeachtlich (zum Ganzen BSGE 81, 268, 270 f = SozR 3-2500 § 80 Nr 3 S 22 mwN zur Rechtsprechung des BVerfG und des BSG). Nach diesen Kriterien ist die Rüge der Klägerin im Wahlprüfungsverfahren beachtlich, die von ihnen eingereichte Bewerberliste sei zu Unrecht zurückgewiesen worden. Abgesehen davon, dass bei zwei zugelassenen Vorschlagslisten die Vorgeschlagenen nicht nach § 46 Abs 3 SGB IV durch Friedenswahl ohne Wahlhandlung als gewählt gegolten hätten, ist nicht ohne Weiteres anzunehmen, dass keiner der Kandidaten der Liste der Klägerin ein Mandat erhalten hätte. Deshalb handelt es sich um einen mandatsrelevanten Wahlfehler. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass es infolge der Nichtzulassung der Liste der Klägerin zu keiner Wahl mit Wahlhandlung gekommen ist.

28

Zu Recht hat das LSG als Folge der Ungültigkeit der Wahl (§ 131 Abs 4 SGG) auch festgestellt, dass die Wahl zu wiederholen ist. Jedenfalls zur Klarstellung ist eine Aussage zur Wahlwiederholung zulässig (BSGE 92, 59 = SozR 4-2400 § 48 Nr 1).

29

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 2 und § 47 Abs 1 GKG. Für Wahlanfechtungsklagen ist der Regelstreitwert gemäß § 52 Abs 2 GKG zu Grunde zu legen, da genügende Anhaltspunkte für eine Bewertung des Streitgegenstandes nach dem wirtschaftlichen Interesse der Klägerin fehlen (vgl BSG Beschluss vom 14.9.2006 - B 6 KA 24/06 B - Juris RdNr 2).

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