Beschluss vom Bundessozialgericht (6. Senat) - B 6 KA 61/17 B

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 2017 wird verworfen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 450 955,95 Euro festgesetzt.

Gründe

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I. Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung.

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Der 1954 geborene Kläger war seit 2001 als Internist mit dem Schwerpunkt Pneumologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Wegen Falschabrechnung von Leistungen nach GOP 01622 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) in den Quartalen I/2009 bis IV/2012 und systematischen Falschansatzes der GOP 30901 (kardiorespiratorische Polysomnographie/sog Großes Schlaflabor) machte die Beigeladene zu 1. im Jahr 2013 Honorarrückforderungen gegenüber dem Kläger in Höhe von 216 492,33 Euro geltend. Nach einer Verständigung gem § 257c StPO verurteilte das Amtsgericht Fürth den Kläger wegen Betrugs in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde (Urteil vom 28.4.2015 - 411 Ls 953 Js 162406/13). Mit weiterem Bescheid vom 26.5.2015 machte die Beigeladene zu 1. gegenüber dem Kläger eine Honorarberichtigung wegen Falschabrechnung der GOP 30900 und 30901 EBM-Ä in den Quartalen I/2013 bis III/2014 geltend.

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Auf Antrag der zu 1. beigeladenen KÄV entzog der Zulassungsausschuss dem Kläger mit Beschluss vom 2.12.2015 die Zulassung wegen gröblicher Verletzung seiner vertragsärztlichen Pflichten. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der beklagte Berufungsausschuss (BA) mit Bescheid vom 17.5.2016 (Beschluss vom 21.4.2016) zurück. Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg (SG Urteil vom 17.11.2016 - S 1 KA 2/16, LSG Urteil vom 28.6.2017 - L 12 KA 130/16).

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Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, zu deren Begründung er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend macht.

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II. 1. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Er hat in seiner Beschwerdebegründung eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 160 Abs 2 Nr 1 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).

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Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet (vgl BVerfG Beschluss vom 14.6.1994 - 1 BvR 1022/88 - BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 31; BSG Beschluss vom 13.5.1997 - 13 BJ 271/96 - SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG wird bei der Grundsatzrüge nur genügt, wenn der Beschwerdeführer eine Frage formuliert, deren Beantwortung nicht von den Umständen des Einzelfalles abhängt, sondern die mit einer verallgemeinerungsfähigen Aussage beantwortet werden könnte (zu dieser Anforderung vgl BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10). Zudem muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt. Bei einer Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde ist es Aufgabe des Prozessbevollmächtigten, die einschlägige Rechtsprechung aufzuführen und sich damit zu befassen; eine Beschwerdebegründung, die es dem Gericht überlässt, die relevanten Entscheidungen zusammenzusuchen, wird den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 S 3 SGG nicht gerecht. Auch lediglich kursorische Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs reichen nicht aus (vgl BVerfG Beschluss vom 7.11.1994 - 2 BvR 2079/93 - DVBl 1995, 35, Juris RdNr 15).

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Das Vorbringen des Klägers genügt diesen Anforderungen nicht. Der Kläger hat geltend gemacht, dass vorliegend eine "konkrete Rechtsfrage, die entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist", bestehe. Um welche Frage es sich dabei handeln soll, ist der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht ohne Weiteres zu entnehmen. Der Kläger führt aus, dass sich das LSG die Feststellungen aus dem Strafurteil des Amtsgerichts Fürth zu eigen gemacht habe. Die Feststellungen beruhten jedoch auf einer Verständigung iS des § 257c StPO. Insoweit existiere noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, inwieweit Feststellungen aus Strafurteilen, denen eine Verständigung vorausgegangen ist, ohne jedwede konkrete Prüfung in anderen Verfahren verwendet werden dürfen.

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Soweit diesem Vorbringen eine Rechtsfrage entnommen werden kann, dann am ehesten diejenige, "inwieweit Feststellungen aus Strafurteilen, denen eine Verständigung vorausgegangen ist, ohne jedwede konkrete Prüfung in anderen Verfahren verwertet werden dürfen". Die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage hat der Kläger zwar allgemein behauptet, aber nicht näher begründet und nur allgemein angegeben, dass die Feststellungen des Amtsgerichts "ohne eigene Sachaufklärungen" des SG oder des LSG in das sozialgerichtliche Verfahren übernommen worden seien. Die oben genannte Frage wäre indes nur entscheidungserheblich, wenn das LSG die Feststellungen aus dem Strafurteil hier "ohne jedwede konkrete Prüfung verwertet" hätte. Das hat der Kläger nicht dargelegt und es trifft im Übrigen auch in der Sache nicht zu. Vielmehr hat sich das LSG die Feststellungen aus dem Strafurteil nach eigener Prüfung zu eigen gemacht und dabei neben den Feststellungen aus dem Strafurteil nicht nur den Inhalt des Erstattungsbescheides aus dem Jahr 2013 zur Honorarrückforderung in Höhe von 216 492,33 Euro berücksichtigt, sondern auch den Inhalt der Strafakten ausgewertet, aus denen hervorgeht, dass sich das Urteil des Amtsgerichts Fürth nicht allein auf das Geständnis des Klägers stützt, sondern auch auf das Ergebnis einer umfangreichen Beweisaufnahme.

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Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung bereits geklärt, dass die Sozialgerichte bei ihrer Feststellung, ob ein Arzt ein Delikt begangen und damit seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt und sich als ungeeignet für die vertragsärztliche Tätigkeit erwiesen hat, vorliegende bestandskräftige Entscheidungen anderer Gerichte und auch die Ergebnisse staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen verwerten dürfen (BSG Beschluss vom 2.4.2014 - B 6 KA 58/13 B - Juris RdNr 17; BSG Beschluss vom 27.6.2007 - B 6 KA 20/07 B - Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 5.5.2010 - B 6 KA 32/09 B - MedR 2011, 307 RdNr 9; BSG Beschluss vom 31.8.1990 - 6 BKa 33/90 - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 27.2.1992 - 6 BKa 15/91 - Juris RdNr 27).

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Ferner hat der Kläger geltend gemacht, dass das LSG das Urteil des BSG vom 17.10.2012 (B 6 KA 49/11 R - BSGE 112, 90 = SozR 4-2500 § 95 Nr 26 ) bezogen auf die Grundsätze zum Wohlverhalten des Arztes während des gerichtlichen Verfahrens, das die Zulassungsentziehung zum Gegenstand hat, und zum Vertrauensschutz "nicht richtig beachtet" habe. Eine entsprechende klärungsbedürftige Rechtsfrage hat er jedoch nicht formuliert, sondern allein die Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG geltend gemacht. Zudem wendet der Senat die Rechtsprechung, nach der Verhaltensänderungen des Arztes aus der Zeit nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens um die Zulassungsentziehung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sind, auf Entscheidungen der Berufungsausschüsse, die nach Veröffentlichung des Urteils vom 17.10.2012 ergangen sind, nicht mehr an (aaO RdNr 56). Da der beklagte BA hier mehrere Jahre nach der genannten Entscheidung des Senats - mit Bescheid vom 17.5.2016 (Beschluss vom 21.4.2016) - über die Zulassungsentziehung entschieden hat, kommt eine Anwendung der Maßstäbe aus der Rechtsprechung zum Wohlverhalten hier nicht in Betracht.

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Auch das weitere umfangreiche Vorbringen des Klägers enthält keine klar formulierte Rechtsfrage. Vielmehr wiederholt er zur weiteren Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde im Wesentlichen wörtlich die Berufungsbegründung einschließlich der Beweisantritte. Auch wenn in diesen Ausführungen Rechtsfragen enthalten sein sollten, wird den nach § 160a Abs 2 S 3 SGG an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde zu stellenden Anforderungen nicht entsprochen, weil es jedenfalls an der unmissverständlichen Bezeichnung einer bestimmten Rechtsfrage des revisiblen Rechts fehlt. Es ist nicht Aufgabe des entscheidenden Senats, aus dem Vortrag des Klägers möglicherweise klärungsbedürftige und klärungsfähige Fragen selbst "herauszufiltern" (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 14a mwN).

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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da diese keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO).

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Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der (im Urteil des SG näher begründeten) Festsetzung der Vorinstanzen, die von keinem Beteiligten in Frage gestellt worden ist.

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