Urteil vom Bundessozialgericht (2. Senat) - B 2 U 6/17 R

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juli 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Der Kläger ist selbstständiger landwirtschaftlicher Unternehmer. Er wendet sich dagegen, dass ihm wegen der Sonderregelung in § 80a Abs 1 S 1 SGB VII kein Anspruch auf eine Verletztenrente zusteht, obwohl die Beklagte wegen der gesundheitlichen Folgen einer anerkannten Berufskrankheit (BK) eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH anerkannt hat.

2

Der 1953 geborene Kläger war bis zum 31.12.2012 als selbstständiger landwirtschaftlicher Unternehmer tätig. Zum 1.1.2013 gab er seine Tätigkeit mit Heben und Tragen schwerer Lasten und in extremer Rumpfbeugehaltung endgültig auf. Die Beklagte erkannte das Bestehen einer BK nach Nr 2108/2110 der Anlage 1 zur BKV mit einem am 1.1.2013 eingetretenen Versicherungsfall an, lehnte jedoch die Gewährung einer Verletztenrente ab, weil die gesundheitlichen Folgen der BK lediglich eine MdE von 20 vH bedingten. Nach § 80a Abs 1 S 1 SGB VII dürfe eine Rente erst beim Vorliegen einer MdE von wenigstens 30 vH gewährt werden (Bescheid vom 16.6.2015 und Widerspruchsbescheid vom 29.7.2015). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 30.11.2015), das LSG die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 25.7.2016). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, zwar sei der Versicherungsfall einer BK am 1.1.2013 eingetreten, die anerkannten Folgen der Wirbelsäulenerkrankung bedingten aber lediglich eine MdE von 20 vH, sodass gemäß § 80a Abs 1 S 1 SGB VII ein Anspruch des Klägers auf Verletztenrente ausscheide. Jedenfalls für landwirtschaftliche Unternehmer wie den Kläger sei die Erhöhung der Mindest-MdE von 20 vH auf 30 vH für einen Anspruch auf Verletztenrente durch § 80a Abs 1 S 1 SGB VII verfassungsgemäß und insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG vereinbar. Die landwirtschaftliche Unfallversicherung habe genossenschaftlichen Charakter. Deshalb komme dem Umstand, dass der Berufsstand der Landwirte selbst die Leistungseinschränkung vorgeschlagen habe, um die Landwirte als Beitragszahler finanziell zu entlasten, besondere Bedeutung als Rechtfertigungsgrund zu. Auch ein Verstoß gegen das in Art 14 GG verankerte Eigentumsgrundrecht sei nicht ersichtlich.

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Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG und der Art 14 iVm Art 20 GG. Landwirte würden durch § 80a Abs 1 S 1 SGB VII gegenüber allen anderen Unfallversicherten ungerechtfertigt benachteiligt. Ein Vorschlag des Berufsstandes der Landwirte könne die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Eine Entlastung der Beitragszahler sei nicht ersichtlich. Auch verstoße die Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII gegen das Rechtsstaatsprinzip, weil jegliche Vertrauensschutz- und Übergangsregelung fehle.

4

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

        

1.    

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25.7.2016, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30.11.2015 sowie den Bescheid vom 16.6.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.7.2015 aufzuheben,

        

2.    

das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art 100 GG vorzulegen.

5

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

        

die Revision zurückzuweisen.

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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung gegen den die Klage abweisenden Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 16.6.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.7.2015 ist rechtmäßig, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente, weil bei ihm die von § 80a Abs 1 S 1 SGB VII geforderte MdE von 30 vH nicht vorliegt.

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1. Zu entscheiden war im Revisionsverfahren über die Rechtmäßigkeit der Verfügung in dem Bescheid der Beklagten vom 16.6.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.7.2015, mit der die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt und die der Kläger mit einer zulässigen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) angegriffen hat, sowie über den Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente. Sein im Revisionsverfahren verfolgtes Begehren war gemäß § 123 SGG dahin auszulegen, dass er neben der Anfechtungsklage auch seine in den Vorinstanzen ausdrücklich erhobene zulässige Leistungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG aufrechterhalten hat. Allein daraus, dass der Kläger in seinem schriftsätzlichen Antrag nicht ausdrücklich die Gewährung einer Verletztenrente benannt hat, kann nicht geschlossen werden, dass er sein Leistungsbegehren nicht mehr verfolgt, weil er nur mit einer Leistungsklage die Verurteilung der Beklagten zu der von ihm begehrten Verletztenrente erreichen konnte. Ein Klageantrag ist unabhängig von seinem Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens so auszulegen, dass das Begehren des Klägers weitgehend zum Tragen kommt (vgl zB BSG vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21 RdNr 29 mwN).

9

2. Der Kläger hat gemäß § 80a Abs 1 S 1 SGB VII keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente, weil seine Erwerbsfähigkeit infolge der durch die anerkannte BK Nr 2108/2110 verursachten Gesundheitsstörungen nicht um wenigstens 30 vH gemindert ist. Anspruch auf Verletztenrente haben gemäß § 56 Abs 1 S 1 SGB VII Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist. Abweichend von § 56 Abs 1 S 1 SGB VII haben gemäß der durch Art 1 Nr 7 des Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG - vom 18.12.2007, BGBl I 2984) mit Wirkung zum 1.1.2008 geschaffenen Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII Versicherte nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a und b SGB VII nur Anspruch auf eine Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 30 vH gemindert ist. Gemäß § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a und b SGB VII versichert sind Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens und ihre im Betrieb mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner (Buchst a) sowie die im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitenden Familienangehörigen (Buchst b). § 80a SGB VII ist auf Versicherungsfälle anzuwenden, die nach dem 31.12.2007 eingetreten sind (§ 221 Abs 2 SGB VII). Die für einen Anspruch auf Verletztenrente erforderlichen Voraussetzungen dieser Vorschriften erfüllt der Kläger nicht.

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Beim Kläger liegt zwar eine BK und damit ein Versicherungsfall vor. Die Folgen der als BK anerkannten Wirbelsäulenerkrankung bedingen auch eine MdE von 20 vH. § 80a Abs 1 S 1 SGB VII schließt jedoch einen Anspruch des Klägers auf Verletztenrente aus. Der Kläger gehörte als selbstständig tätiger Landwirt zum Kreis der Versicherten nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII, die nach § 80a Abs 1 S 1 SGB VII einen Anspruch auf Rente erst ab einer MdE in Höhe von mindestens 30 vH haben, sodass ein Anspruch auf eine Verletztenrente nicht besteht (dazu unter a). Die Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (dazu unter b).

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a) Beim Kläger liegt als Versicherungsfall nach § 9 Abs 1 SGB VII eine BK nach Nr 2108/2110 der Anlage 1 zur BKV vor. Dieser Versicherungsfall ist am 1.1.2013 eingetreten, was die Beklagte bindend festgestellt hat (vgl § 77 SGG). Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind (§ 163 SGG), bedingen die Folgen der als BK anerkannten Wirbelsäulenerkrankung eine MdE des Klägers von 20 vH. (vgl dazu BSG vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R - BSGE 122, 232 = SozR 4-2700 § 56 Nr 4, RdNr 15 f mwN). § 80a Abs 1 S 1 SGB VII ist im vorliegenden Fall gemäß § 221 Abs 2 SGB VII anwendbar, weil der Versicherungsfall am 1.1.2013 eingetreten ist.

12

Der Kläger hat die BK als nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII Versicherter erlitten. Er war als Unternehmer eines landwirtschaftlichen Betriebes Versicherter iS des § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII, weil er nach den bindenden Feststellungen des LSG bis zum 31.12.2012 als Landwirt selbstständig tätig war. Dementsprechend hat die Beklagte das Vorliegen einer BK nach Nr 2108/2110 der Anlage 1 zur BKV aufgrund dieser Tätigkeit und der Versicherteneigenschaft als landwirtschaftlicher Unternehmer anerkannt. Unerheblich ist, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls am 1.1.2013 seine Tätigkeit als selbstständiger Landwirt bereits aufgegeben hatte. Gemäß § 80a Abs 1 S 1 SGB VII setzt der Verletztenrentenanspruch für als selbstständige Landwirte nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII Versicherte eine MdE von mindestens 30 vH voraus, unabhängig davon, ob der Versicherte während des Rentenbezugs noch als Landwirt selbstständig tätig ist. Weder dem Wortlaut noch der Entstehungsgeschichte des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII (vgl hierzu Gesetzentwurf der Bundesregierung zum LSVMG BT-Drucks 16/6520 S 1 ff, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales BT-Drucks 16/6984 S 1 ff) ist zu entnehmen, dass für dessen Anwendung die Eigenschaft als Versicherter nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII auch während des Leistungszeitraums einer Verletztenrente fortbestehen müsste. Die Verwendung des Begriffs "Versicherte" in § 80a Abs 1 S 1 SGB VII spricht gerade nicht für eine solche Auslegung der Vorschrift. Denn auch in § 56 Abs 1 S 1 SGB VII, auf den § 80a Abs 1 S 1 SGB VII verweist, ist dieser Begriff enthalten. § 56 Abs 1 S 1 SGB VII knüpft mit dem Begriff "Versicherte" aber an das Vorliegen eines Versicherungsfalls an, der seinerseits in ursächlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen muss, ohne dass nach Eintritt des Versicherungsfalls für den fortlaufenden Bezug einer Verletztenrente die versicherte Tätigkeit weiterhin ausgeübt werden muss. Dafür, dass der Verwendung des Begriffs "Versicherte" in § 80a Abs 1 S 1 SGB VII, der sich auf § 56 Abs 1 SGB VII bezieht, eine andere Bedeutung als in § 56 Abs 1 S 1 SGB VII zukommt, fehlt es an Anhaltspunkten.

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b) § 80a Abs 1 S 1 SGB VII verstößt nach Überzeugung des Senats nicht gegen höherrangiges Recht, sodass eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 GG ausscheidet. Ebenso bedarf es keiner verfassungskonformen Auslegung der Norm zugunsten des Klägers, denn die Regelung ist in ihrer Anwendung auf den Kläger verfassungsgemäß. Insbesondere ist er nicht in seinem Eigentumsgrundrecht (Art 14 Abs 1 GG) verletzt (dazu unter aa). Der Ausschluss der Rentenansprüche für landwirtschaftliche Unternehmer, deren Erwerbsfähigkeit nicht um wenigstens 30 vH gemindert ist, berührt zwar den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Die Regelung ist jedoch durch sachliche Gründe gerechtfertigt, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen (dazu unter bb). Schließlich ist durch die Neuregelung in § 80a Abs 1 S 1 SGB VII auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art 14 Abs 1 S 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG) nicht verletzt (dazu unter cc).

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aa) Anders als Ansprüche und Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung (BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3588/08, 1 BvR 555/09 - BVerfGE 128, 128 = SozR 4-2600 § 77 Nr 9; BVerfG vom 28.2.1980 - 1 BvL 17/77 ua - BVerfGE 53, 257; BVerfG vom 1.7.1981 - 1 BvR 874/77 ua - 58, 81 <109>; BVerfG vom 4.6.1985 - 1 BvL 12/83 - BVerfGE 70, 101 <110>; stRspr) oder Ansprüche auf Arbeitslosengeld (BVerfGE vom 10.2.1987 - 1 BvL 15/83 - BVerfGE 74, 203; BVerfG vom 12.2.1986 - 1 BvL 39/83 - BVerfGE 72, 9), die teilweise durch einkommensbezogene eigene Beiträge der Versicherten finanziert werden, ist zweifelhaft, ob Ansprüche auf Verletztenrenten der gesetzlichen Unfallversicherung überhaupt dem Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG unterliegen (wie hier offen gelassen BVerfG vom 16.3.2011 - 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 - NZS 2011, 895; BVerfG vom 18.2.1988 - 1 BvR 1017/87 - SozR 2200 § 568 Nr 9; BSG vom 10.10.2002 - B 2 U 10/02 R - HVBG-INFO 2002, 3454; bejahend Papier in Maunz/Dürig, GG, Stand September 2017, Art 14 RdNr 142). Dies kann jedoch offen bleiben, denn selbst wenn man unterstellt, dass der Kläger durch die langjährige Versicherung und die Zahlung von Beiträgen ein geschütztes Anwartschaftsrecht erworben hat, wäre sein Eigentumsgrundrecht nicht verletzt, denn § 80a Abs 1 S 1 SGB VII stellt jedenfalls eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 S 2 GG dar.

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Die Einbeziehung des Anspruchs auf Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in den Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber nicht befugt wäre, in gewissem Umfange in eine dem Anspruchsberechtigten bereits erwachsene Position einzugreifen. Denn die konkrete Reichweite des Schutzes der Eigentumsgarantie ergibt sich erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art 14 Abs 1 S 2 GG Aufgabe des Gesetzgebers ist (BVerfG vom 28.2.1980 - 1 BvL 17/77 ua - BVerfGE 53, 257; BVerfG vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78; BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3588/08, 1 BvR 555/09 - BVerfGE 128, 128 = SozR 4-2600 § 77 Nr 9 mwN).

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Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentumsrechts ist auf den Kernbereich der erworbenen öffentlich-rechtlichen Rechtsposition beschränkt, weil ein starres Festhalten an den jeweils durch Gesetz oder Satzung festgelegten Beträgen oder Leistungen die einfache Gesetzgebung weitgehend blockieren und eine Anpassung des Rechts an die Veränderung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse verhindern würde, auch wenn eine solche Veränderung im Interesse der Verbesserung oder Erhaltung der Funktionsfähigkeit und Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung unerlässlich erscheint (zur gesetzlichen Rentenversicherung BVerfG vom 28.2.1980 - 1 BvL 17/77 - BVerfGE 53, 257; vgl Wannagat, BArbl 1974, 261, 264). Wird in bestehende Anwartschaften eingegriffen, ist zu berücksichtigen, dass in ihnen von vornherein die Möglichkeit einer Änderung angelegt ist (BVerfG vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78; BVerfG vom 11.11.2008 - 1 BvL 3/05 ua - BVerfGE 122, 151). Eine Unabänderlichkeit der bei ihrer Begründung bestehenden Bedingungen widerspräche dem Sozialversicherungsverhältnis, das im Unterschied zu einem privaten Versicherungsverhältnis von Anfang an nicht allein auf dem Versicherungsprinzip, sondern auch auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht (vgl BVerfG vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78; BVerfG vom 13.6.2006 - 1 BvL 9/00 ua - BVerfGE 116, 96; BVerfG vom 11.11.2008 - 1 BvL 3/05 ua - BVerfGE 122, 151).

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Durch § 80a Abs 1 S 1 SGB VII wird der Rentenanspruch für landwirtschaftliche Unternehmer zwar eingeschränkt, er wird aber nicht gänzlich entzogen. Es handelt sich mithin lediglich um die inhaltliche Modifikation einer Anwartschaft. Eine solche Regelung ist zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt ist (BVerfG vom 14.2.1967 - 1 BvL 17/63 - BVerfGE 21, 150 <155>; BVerfG vom 12.2.1986 - 1 BvL 39/83 - BVerfGE 72, 9; BVerfG vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78; Maunz/Herzog/Dürig/Scholz, Kommentar zum GG, Stand September 2017, Art 14 RdNr 38). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Regelung dient einem legitimen Ziel, der Eingriff ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich und die Einschränkung ist für den Kläger nicht unzumutbar.

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§ 80a Abs 1 SGB VII wurde durch Art 1 des LSVMG vom 18.12.2007 in das SGB VII eingefügt und trat zum 1.1.2008 in Kraft. Zweck des Gesetzes war eine Weiterentwicklung und Reform des Rechts der landwirtschaftlichen Unfallversicherung mit den Zielen einer angemessenen Beitragsbelastung und innerlandwirtschaftlicher Beitragsgerechtigkeit im Hinblick auf den sich beschleunigenden landwirtschaftlichen Strukturwandel und im Gesamtkontext der Reformen der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland. Die landwirtschaftliche Unfallversicherung erhält seit 1963 Bundeszuschüsse, um die Beiträge der zuschussberechtigten land- und forstwirtschaftlichen Unternehmer zu senken und zu einer Annäherung der Belastungsunterschiede zwischen den Regionen beizutragen (Gesetzentwurf der Bundesregierung - BT-Drucks 16/6520, S 2 f). Im Interesse der Haushaltskonsolidierung sollte das weitere finanzielle Engagement des Bundes in der mittelfristigen Finanzplanung von 200 Mio Euro auf 100 Mio Euro abgesenkt werden. Zielsetzung der gesetzgeberischen Entscheidung war somit, Spielräume zu schaffen, damit die Beiträge der Landwirtschaft ab 2011 trotz eines auf 100 Mio Euro reduzierten Bundeszuschusses zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung entweder konstant gehalten oder sogar gesenkt werden könnten. Hierbei handelt es sich um ein legitimes Ziel, das im öffentlichen Interesse liegt. Denn die Regelung dient dazu, die Funktions- und Leistungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Unfallversicherung im Interesse der versicherten landwirtschaftlichen Unternehmer und ihrer Familienangehörigen im Kontext veränderter Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft zu erhalten (BT-Drucks 16/6520, S 1).

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Eine Verringerung der Ausgaben der landwirtschaftlichen Unfallversicherung stellt ein geeignetes Mittel dar, dieses Ziel zu erreichen. Bei der Feststellung der Eignung steht dem Gesetzgeber ein weiter prognostischer Spielraum zu. Ihm obliegt dabei die Einschätzung der Lage und der zukünftigen Entwicklung sowie der Zweckmäßigkeit des Mittels. Auch die Bemessung der zu erwartenden Einsparungen stellt eine prognostische Wertung des Gesetzgebers dar (vgl BVerfG vom 12.2.1986 - 1 BvL 39/83 - BVerfGE 72, 9; BVerfG vom 5.2.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93 - BVerGE 105, 17). Kernstücke der Reform waren die Kapitalisierung von Bestandsrenten, was zu einer Reduzierung der Ausgaben im Jahr 2011 um rund 140 Mio Euro führen sollte - bis 2014 auf 150 Mio Euro ansteigend - (Ausschuss-Drucks 16(11)754, S 33 ff), sowie Maßnahmen zur Reduzierung von Verwaltungskosten. Nach dem Bericht des Haushaltsausschusses vom 8.11.2007 (BT-Drucks 16/7018) konnten die geplanten Änderungen im Leistungsrecht kurzfristig zu jährlichen Minderbelastungen in Höhe von 30 bis 40 Mio Euro für die landwirtschaftlichen Unternehmen führen. Im Gesetzgebungsverfahren wurde jedoch auch darauf hingewiesen (insbesondere Stellungnahme Dr. Peter Mehl Braunschweig - Ausschuss-Drucks 16(11)752; Stellungnahme des Deutschen Bauernverbands vom 17.10.2007 - Ausschuss-Drucks 16(11)747), dass allein die Abgeltung von Bestandsrenten und die vorgesehenen Maßnahmen zur Reduzierung von Verwaltungskosten nicht ausgereicht hätten, um das angestrebte Ziel der Beitragsstabilität zu erreichen. Der Deutsche Bauernverband forderte deshalb in seiner Stellungnahme vom 17.10.2007 (Ausschuss-Drucks 16(11)747) als weitere ausgabenrelevante Maßnahme, einen Unfallrentenanspruch erst ab einer MdE von 30 vH anzuerkennen. Diese Maßnahme durfte der Gesetzgeber zur Erreichung des genannten Ziels mithin insgesamt betrachtet als geeignet ansehen.

20

Unter dem Gesichtspunkt des aufgezeigten Sparziels sind die angegriffenen Regelungen auch erforderlich. An der Erforderlichkeit der Maßnahmen würde es nur fehlen, wenn evident wäre, dass die angestrebten Einsparungen mit weniger eingreifenden Mitteln hätten erreicht werden können (BVerfG vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78). Solche weniger belastenden Maßnahmen sind nicht erkennbar. In Betracht wäre allenfalls die Streichung anderer Leistungen der landwirtschaftlichen Unfallversicherung zu ziehen gewesen, die jedoch mit mindestens vergleichbaren Belastungen verbunden wären.

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Schließlich belastet die Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII den Kläger auch nicht in unzumutbarer Weise. Eine Gesamtabwägung der öffentlichen, im Gemeinwohl stehenden Belange mit den privaten Interessen des Klägers ergibt, dass dessen Rechte nicht in einer außer Verhältnis zu den Zielen der Einschränkung stehenden Weise - und damit unverhältnismäßig - beeinträchtigt werden. Die Gewährung einer Verletztenrente erst ab einer MdE von wenigstens 30 vH betrifft nur einen kleinen Teilbereich des durch die Entrichtung von Beiträgen erworbenen Versicherungsschutzes, der regelmäßig weder die Lohnersatzfunktion noch den existenziellen Kernbereich der sozialen Absicherung betrifft. Eine Rente nach einer MdE von 20 vH hatte ausgehend von dem ab 1.7.2012 geltenden pauschalierten Jahresarbeitsverdienst nach dem Revisionsvortrag der Beklagten einen monatlichen Zahlbetrag von 127,18 Euro, der aufgrund der jährlichen Anpassung (§ 93 Abs 1 S 2, 1. Halbs SGB VII iVm § 95 SGB VII) auf einen monatlichen Zahlbetrag von 140,59 Euro ab 1.7.2017 angestiegen wäre. Alle übrigen vom SGB VII vorgesehenen Leistungen zur Kompensation von Erwerbsschäden bleiben dem landwirtschaftlichen Unternehmer vollständig erhalten; dies sind insbesondere die ärztliche Behandlung, die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln, die Behandlung in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie ggf zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, Haushalts- und Betriebshilfen, Reisekosten und Pflegeleistungen. Der durch § 80a Abs 1 S 1 SGB VII vorgenommene Eingriff in die Ansprüche des Einzelnen durch eine Heraufsetzung der Mindest-MdE auf 30 vH ist demgegenüber eher untergeordnet. Der Gesetzgeber durfte für die landwirtschaftlichen Unternehmer zudem typisierend davon ausgehen, dass bei einer MdE von weniger als 30 vH kein oder allenfalls ein geringer materieller Schaden für den Betroffenen insgesamt entsteht. Diese relativ geringfügige Reduzierung der Leistungen für den Einzelnen führt jedoch zu einem substanziellen Einsparvolumen für die Gesamtheit der Beitragszahler.

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bb) Auch eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Zwar wird der Kläger und die von ihm repräsentierte Ausgangsgruppe der pflichtversicherten landwirtschaftlichen Unternehmer durch die Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII gegenüber den übrigen Versicherten in der gesetzlichen Unfallversicherung ungleich behandelt, da ein Rentenanspruch erst ab einer MdE von 30 vH und nicht wie nach § 56 Abs 1 S 1 SGB VII bereits ab einer MdE von 20 vH besteht. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch im Hinblick auf die Besonderheiten der Versicherung landwirtschaftlicher Unternehmer gerechtfertigt.

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Der allgemeine Gleichheitssatz iS des Art 3 Abs 1 GG gebietet zwar, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfG vom 27.2.2007 - 1 BvL 10/00 - BVerfGE 117, 272 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 - stRspr). Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (BVerfG vom 26.1.1993 - 1 BvL 38/92 ua - BVerfGE 88, 87; BVerfG vom 8.4.1997 - 1 BvR 48/94 - BVerfGE 95, 267; BVerfG vom 6.7.2010 - 1 BvL 9/06; BVerfG vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - BVerfGE 130, 240). Vorliegend hat eine über das bloße Willkürverbot hinausgehende, an den Grundsätzen der freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung orientierte Prüfung zu erfolgen. Denn die Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII behandelt verschiedene Personengruppen ungleich. Zudem berührt die Zwangsmitgliedschaft der landwirtschaftlichen Unternehmer in der Sozialversicherung den Schutzbereich des Art 2 Abs 1 GG (BVerfG vom 11.1.1995 - 1 BvR 892/88 - BVerfGE 92, 53).

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Gemessen am folglich anzuwendenden Maßstab verhältnismäßiger Gleichbehandlung bestehen für die Einschränkung des Rentenanspruchs landwirtschaftlicher Unternehmer durch § 80a Abs 1 S 1 SGB VII auch Gründe von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen. Die Einschränkung der Leistungen auf der Ausgabenseite ist geeignet, das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der kurz- oder mittelfristigen Senkung des Umlagesolls der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft trotz reduzierter Bundeszuschüsse zu erreichen. Der hinreichende Sachgrund für die Ungleichbehandlung folgt aus der Besonderheit der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, die der Pflichtversicherung der landwirtschaftlichen Unternehmer einen weitgehenden Unfallversicherungsschutz bei festgeschriebenem Jahresarbeitsverdienst gegenüber stellt.

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Grundsätzlich sind in der gesetzlichen Unfallversicherung die Unternehmer selbst nicht kraft Gesetztes versichert (vgl § 3 Abs 1 Nr 1 SGB VII - Versicherung kraft Satzung bzw § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VII - freiwillige Versicherung). Eine Ausnahme bilden die landwirtschaftlichen Unternehmer. Dabei wird der ursprüngliche Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung, nämlich die Ablösung der gesetzlichen Haftpflicht des Unternehmers gegenüber den im Unternehmen Tätigen bei alleiniger Beitragstragung, durchbrochen. Dem selbst versicherten Unternehmer stehen keine Schadenersatzansprüche gegen sich selbst zu. Es handelt sich vielmehr um eine gemeinschaftliche Absicherung von Gesundheitsgefahren, welche die bei einem Versicherungsträger zusammengeschlossenen Unternehmer selbst begünstigt (Angermaier in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 3 RdNr 24) und mit Steuermitteln bezuschusst wird. Der Zweck der Versicherung besteht in einer genossenschaftlichen, auf versicherungsrechtlicher Basis aufbauenden Eigenhilfe der landwirtschaftlichen Unternehmen (Bieresborn in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 2 RdNr 108; Schwerdtfeger in Lauterbach, SGB VII, Stand 6/2014, § 2 RdNr 193).

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Gleichzeitig wird der Unfallversicherungsschutz auf Tätigkeiten erweitert, die außerhalb der landwirtschaftlichen Unfallversicherung nicht versichert wären. Welche Tätigkeiten dem landwirtschaftlichen Unternehmen dienen, ist stark von den Besonderheiten der bäuerlichen Arbeit geprägt. Neben den klassischen Bestellungs-, Bearbeitungs- und Aberntungstätigkeiten eines Landwirtes gehören insbesondere die maschinelle Nachbarschaftshilfe, die Teilnahme an berufsbezogenen Versammlungen, der Besuch von Messen und Ausstellungen, die Teilnahme an Demonstrationen des Berufsstandes, die Kindererziehung als Teil der landwirtschaftlichen Haushaltstätigkeit, verwaltende Tätigkeiten im Wohnhaus, das sowohl privaten als auch betrieblichen Zwecken dient, zu den versicherten Tätigkeiten (Koch, LSV im Wandel - Änderungen im agrarsozialen Sondersystem, WzS 2008, 257, 269).

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Der pflichtversicherte landwirtschaftliche Unternehmer, der gleichzeitig Beitragsschuldner ist (vgl § 150 Abs 1 S 1 iVm § 183 Abs 5 SGB VII), profitiert somit einerseits vom umfassenden Schutz der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, andererseits hat er Interesse an einem möglichst niedrigen Umlagesoll. Stabile Beiträge gereichen zu seinem unmittelbaren finanziellen Vorteil. Dies unterscheidet ihn von den in der Landwirtschaft Beschäftigen iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII, aber auch von den in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbstständig Tätigen (§ 2 Abs 1 Nr 5 Buchst c SGB VII), die zwar in der Regel maßgebenden Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft haben, die aber nicht unmittelbar am Ertrag des Unternehmens teilhaben.

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Schließlich durfte der Gesetzgeber hinsichtlich der Funktion der Verletztenrente zutreffend davon ausgehen, dass beim Personenkreis der landwirtschaftlichen Unternehmer und ihrer Ehegatten oder Lebenspartner regelmäßig bei Verletzungen, die eine MdE von weniger als 30 vH bedingen, kein Erwerbsschaden durch die Verletzungsfolgen eintritt, sondern bei den niedrigen Erwerbsminderungsstufen (MdE 20 vH und 25 vH) ausschließlich immaterielle Schäden ausgeglichen werden (Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Drucks 16/6984 S 15; vgl hierzu auch BVerfG vom 7.11.1972 - 1 BvL 4/71 ua - BVerfGE 34,118 = SozR Nr 95 zu Art 3 GG). Die Verletztenrente kompensiert neben ihrer Einkommensersatzfunktion auch immaterielle Schäden. Der monatliche Wert des Rechts auf Verletztenrente wird nach dem sog Prinzip der abstrakten Schadensberechnung (vgl hierzu und zur Rechtsnatur der Verletztenrente umfassend Scholz in Schlegel/Voelzke, JurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014 § 56 RdNr 17 ff und Kranig in Hauck/Noftz, K § 56 SGB VII, Stand Februar 21018, RdNr 3 ff) allein nach dem Maß der eingetretenen Beeinträchtigung der Gesundheit (Verlust an körperlicher, geistiger oder seelischer Integrität) unabhängig davon ermittelt, ob und inwieweit konkrete materielle und immaterielle Schäden infolge der Gesundheitsbeeinträchtigung eingetreten sind. Von den konkreten Auswirkungen der Gesundheitsbeeinträchtigungen auf Erwerbseinkommen oder Vermögen etc wird also "abstrahiert", insbesondere davon, welche Verdiensteinbußen tatsächlich durch den Versicherungsfall hervorgerufen werden (vgl zB BSG vom 24.2.1977 - 8 RU 58/76 - BSGE 43, 208, 209 = SozR 2200 § 581 Nr 10). Ausgehend von einem landwirtschaftlichen Betrieb, der als Familienbetrieb geführt wird, durfte der Gesetzgeber typisierend davon ausgehen, dass eine geringe MdE von weniger als 30 vH in der Regel noch keine Auswirkungen auf die konkrete Einkommenssituation dieses Betriebs hat. Dafür spricht auch, dass für Landwirte und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten bzw Lebenspartner Grundlage für die Bemessung der Höhe der Verletztenrente - abweichend von der gewerblichen Unfallversicherung - nicht der tatsächliche Jahresarbeitsverdienst, sondern gemäß § 93 Abs 1 SGB VII ein Festbetrags-Jahresarbeitsverdienst ist, der grundsätzlich jährlich angepasst wird und weit unter dem tatsächlichen Ertrag des Betriebs liegen kann.

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cc) Der Gesetzgeber war bei Zugrundelegung des Maßstabs des Art 14 GG iVm dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) abgeleiteten Vertrauensschutzprinzip verfassungsrechtlich auch nicht gehalten, von der Anwendung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII diejenigen Unternehmer auszunehmen, bei denen die der BK zugrunde liegende Erkrankung bereits vor Inkrafttreten des LSVMG und Eintritt des Versicherungsfalls eingetreten ist. Der Anwendungszeitpunkt der Norm beruht auf einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Abwägung zwischen den öffentlichen Belangen und den schutzwürdigen Interessen des betroffenen Personenkreises und ist nicht unverhältnismäßig (vgl BVerfG vom 10.5.1983 - 1 BvR 820/79 - BVerfGE 64, 87; BVerfG vom 16.7.1985 - 1 BvL 5/80 ua - BVerfGE 69, 272).

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Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Abwägung sind die Anforderungen, die an die Zulässigkeit einer tatbestandlichen Rückanknüpfung zu stellen sind. Dieser Rückwirkungstatbestand ist gegeben, wenn - im Gegensatz zur Rückbewirkung von Rechtsfolgen (sog echte Rückwirkung) - die Rechtsfolgen eines Gesetzes erst nach Verkündung der Norm eintreten, ihr Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits vor der Verkündung "ins Werk gesetzt" wurden (BVerfG vom 14.5.1986 - 2 BvL 2/83 - BStBl II 1986, 628; BVerfG vom 5.2.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93 - BVerfGE 105, 17). Ist ein Sachverhalt durch die Rechtsordnung geregelt, bezieht der Einzelne in seine Überlegungen auch die Erwartung ein, dass diese Regelung für die Zukunft verbindlich bleibt (BVerfG vom 5.2.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93 - BVerfGE 105, 17). Dieses Vertrauen der Versicherten auf den unveränderten Fortbestand einer über viele Jahre gewährten Rechtsposition ist zwar grundsätzlich schützenswert (BVerfG vom 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86, 1 BvR 1484/86 - BVerfGE 97, 271; BVerfG vom 24.3.1998 - 1 BvL 6/92 - BVerfGE 97, 378 - RdNr 36). Die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich jedoch nicht geschützt (BVerfG vom 5.2.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93 - BVerfGE 105, 17). Die Gewährung vollständigen Schutzes durch ein Fortbestehen der jeweiligen bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten demokratischen Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen (vgl BVerfG vom 30.9.1987 - 2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 256 <348>). Daher ist gerade in der Sozialversicherung die Möglichkeit zur Anpassung an geänderte Verhältnisse angelegt. Im Einzelfall bedarf es einer Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (BVerfG vom 16.7.1985 - 1 BvL 5/80 ua - BVerfGE 69, 272).

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Das Inkrafttreten der Regelung am 1.1.2008 hat zur Folge, dass diejenigen landwirtschaftlichen Unternehmer, bei denen zu diesem Zeitpunkt der Versicherungsfall bereits eingetreten war, weiterhin eine Verletztenrente auch bei einer MdE von weniger als 30 vH beanspruchen können, während Versicherte, bei denen der Versicherungsfall - möglicherweise allein deshalb, weil die Tätigkeit noch nicht aufgegeben worden ist - noch nicht eingetreten ist, keine Rente bei einer MdE von 20 vH erhalten. Das ist das Ergebnis der vom Gesetzgeber gewählten Stichtagsregelung. Härten, die jeder derartigen Regelung innewohnen, müssen dann hingenommen werden, wenn die Einführung eines Stichtages notwendig und die Wahl des Zeitpunkts, orientiert am gegebenen Sachverhalt, damit sachlich vertretbar ist (BVerfG vom 1.7.1981 - 1 BvR 874/77 ua - BVerfGE 58, 81; BVerfG vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Damit die gesetzliche Neuordnung ihr Ziel in absehbarer Zeit erreichen konnte, bedurfte es einer Stichtagsregelung. Wenn der Gesetzgeber durch die Wahl des Zeitpunkts des Inkrafttretens der Regelung diejenigen Versicherten, bei denen der Versicherungsfall bereits eingetreten war gegenüber denjenigen, bei denen dies noch nicht der Fall war, bevorzugte, so ist dies nicht zu beanstanden (BVerfG vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78).

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Dem Ziel des Gesetzgebers, Einsparungen bei den Leistungen der landwirtschaftlichen Unfallversicherung möglichst schnell durchzusetzen, um auf die Reduzierung des Bundeszuschusses zu reagieren, steht als allein denkbare Disposition der landwirtschaftlichen Unternehmer das Unterlassen einer anderweitigen privaten Absicherung gegenüber. Das bloße Unterlassen einer Disposition ist jedoch qualitativ mit der aktiven Gestaltung von Rechtsansprüchen und Vermögenspositionen im Vertrauen auf eine bestehende Rechtslage nicht vergleichbar. Zudem ist nicht erkennbar, inwieweit die alte Rechtslage, welche die Zahlung einer Verletztenrente ab einer MdE von 20 vH vorgesehen hätte, den Kläger daran hinderte, ohnehin ergänzend eine private Versicherung abzuschließen, da auch in der Vergangenheit Einbußen aufgrund einer MdE von weniger als 20 vH nicht abgesichert waren. Zudem ist der von der tatbestandlichen Rückanknüpfung betroffene Personenkreis eng abgegrenzt. In Frage kommen nur diejenigen landwirtschaftlichen Unternehmer, deren BK bereits vor dem 31.12.2007 bekannt war, bei denen der Versicherungsfall aber erst nach dem 1.1.2008 eintrat und denen deshalb zu diesem Zeitpunkt bereits die Möglichkeit zur privaten Vorsorge verschlossen war. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber dem Ziel der Einsparung von Aufwendungen in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung den Vorrang vor dem geringen wirtschaftlichen Interesse der von einer BK betroffenen landwirtschaftlichen Unternehmer eingeräumt hat.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

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