Nichtannahmebeschluss vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 1. Kammer) - 1 BvR 1409/14

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführer wenden sich als Großeltern ihres im Jahr 2002 geborenen Enkels dagegen, vom Familiengericht nicht nach § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB als dessen Vormund bestimmt worden zu sein.

2

1. Die Beschwerdeführer sind die Großeltern mütterlicherseits des betroffenen Kindes. Dessen alleinsorgeberechtigte Mutter ist im Oktober 2010 verstorben, der Vater kann sich krankheitsbedingt nicht um seinen Sohn kümmern. Nach dem Tod der Mutter wurde im November 2010 zunächst der Sozialdienst katholischer Frauen und Männer e.V. zum Vormund des Kindes bestellt. Dieser hat den Jungen zuletzt in einer heimähnlichen Einrichtung (sog. individualpädagogische Projektstelle) untergebracht, in der das Kind bis heute lebt. Der Junge ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Die Mutter war im Jahr 1980 mit ihren Eltern aus Polen nach Deutschland gekommen. Die Beschwerdeführer sind im Jahr 2008 nach Polen zurückgekehrt und wünschen, ihren Enkelsohn - entsprechend dem Wunsch ihrer verstorbenen Tochter - nunmehr zu sich zu nehmen.

3

a) Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts wies den Antrag der Beschwerdeführer auf Übertragung der Vormundschaft zurück. Dabei hatte das Gericht selbst keine Bedenken gegen die grundsätzliche Eignung der Großeltern als Vormund, sah jedoch den Willen des damals 9jährigen Kindes, das seine Großeltern zwar besuchen, nicht aber bei ihnen leben wollte, als entscheidend an. Der Beschluss enthielt eine Rechtsmittelbelehrung mit Hinweis auf das Rechtsmittel der Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG.

4

b) Das Oberlandesgericht änderte den amtsgerichtlichen Beschluss auf die Beschwerde der Großeltern ab und setzte diese mit Wirkung ab Februar 2013 als Vormund ein. Die Beschwerdeberechtigung nach § 59 FamFG sah das Oberlandesgericht dabei ausnahmsweise als gegeben an, weil die Kindesmutter die Auswahl ihrer Eltern als Vormund für ihr Kind ausdrücklich gewünscht habe. Dieser Wunsch sei auch bei der Abwägungsentscheidung nach § 1779 BGB zu berücksichtigen, wobei für eine Vormundschaft der Großeltern vor allem der Umstand spreche, dass dem Jungen die Chance gewährt werde, eine dauerhafte stabile Familienbeziehung zu erleben. Dem stehe auch der Wille des Jungen nicht entgegen. Das Oberlandesgericht ließ die Rechtsbeschwerde im Hinblick auf die Frage der Beschwerdeberechtigung einer vom sorgeberechtigten Elternteil als Vormund ausgewählten Person zu. Das Kind legte Rechtsbeschwerde ein.

5

c) Der Bundesgerichtshof hob den Beschluss des Oberlandesgerichts auf und verwies die Sache zur weiteren Behandlung als Rechtspflegererinnerung an das Amtsgericht zurück. Eine Beschwerdeberechtigung nach § 59 FamFG sah der Bundesgerichtshof als nicht gegeben an. Eine solche folge auch nicht aus dem schriftlichen Wunsch der Mutter, da dieser nicht der Form der §§ 1776, 1777 BGB entsprechend geäußert sei. Da in erster Instanz die Rechtspflegerin des Amtsgerichts eine Entscheidung getroffen habe, sei die Beschwerde der Großeltern als Erinnerung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG zu behandeln, um eine der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie genügende richterliche Kontrolle zu gewährleisten. Für die Erinnerungsbefugnis reichten insoweit ein berechtigtes Interesse der Großeltern an der Entscheidung und der Umstand, dass sie in dem Verfahren vor dem Amtsgericht auch beteiligt worden seien, aus.

6

d) Die Rechtspflegerin half der Erinnerung der Großeltern unter Hervorhebung des Willens des mittlerweile 11jährigen Kindes nicht ab. Der Junge habe sich an seinem jetzigen Aufenthaltsort gut eingefügt und sei über die Jahre bei seinem Wunsch geblieben, dort bleiben und nicht zu seinen Großeltern ziehen zu wollen. Der Familienrichter wies die Erinnerung der Beschwerdeführer zurück. Auch er ging davon aus, dass eine Einsetzung der Großeltern als Vormund gegen den erklärten Willen des Kindes nicht dem Kindeswohl entsprechen würde.

7

e) Die hiergegen von den Beschwerdeführern erhobene Anhörungsrüge hat das Amtsgericht als unzulässig behandelt. Die nach § 44 FamFG für eine Rüge erforderliche Beschwer liege nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht vor, auch seien die Großeltern nicht Beteiligte des Verfahrens.

8

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Grundrechts auf Beachtung ihrer nahen Verwandtenstellung aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG in Verbindung mit ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz und eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Der Staat müsse so handeln, dass die normale Entwicklung des Familienlebens auch zwischen Großeltern und Enkeln ermöglicht werde. Sie hätten Anspruch auf eine der Sache nach richtige Abwägungsentscheidung, weshalb auch zur Einsichtsreife und Verstandesreife des Jungen weitere Ermittlungen hätten angestellt werden müssen. Der Bundesgerichtshof habe das aus der Verwandtenstellung folgende subjektive Recht zu einem bloßen berechtigten Interesse degradiert und damit die Beschwerdeberechtigung grundgesetzwidrig verneint.

II.

9

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Weder kommt ihr grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten.

10

1. Die amtsgerichtlichen Entscheidungen zur Auswahl eines Vormunds sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

11

a) Zwar können sich die Beschwerdeführer als Verwandte, die die Stellung als Vormund erst anstreben, nicht auf das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG berufen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 2926/13 -, juris, Rn. 14). Als Großeltern haben die Beschwerdeführer aber ein eigenes Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG, bei der Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers in Betracht gezogen zu werden. Der grundrechtliche Schutz familiärer Beziehungen zwischen nahen Verwandten jenseits des Eltern-Kind-Verhältnisses umfasst deren Recht, bei der Entscheidung über die Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers in Betracht gezogen zu werden, sofern tatsächlich eine engere familiäre Bindung zum Kind besteht. Großeltern und sonstigen nahen Verwandten kommt bei der Auswahl des Vormunds oder Ergänzungspflegers der Vorrang gegenüber nicht verwandten Personen zu, sofern nicht im Einzelfall konkrete Erkenntnisse darüber bestehen, dass dem Wohl des Kindes durch die Auswahl einer dritten Person besser gedient ist (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 2926/13 -, juris, Rn. 20 ff. m.w.N.).

12

b) Die angegriffenen Entscheidungen der Amtsgerichte genügen den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 GG an die Berücksichtigung naher Verwandter bei der Auswahl eines Vormunds. Ob hier tatsächlich eine engere familiäre Bindung besteht, kann daher dahinstehen.

13

aa) Das Bundesverfassungsgericht überprüft die fachgerichtlichen Entscheidungen hier nach allgemeinen Grundsätzen. Danach sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestands sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr). Der im Falle der Trennung eines Kindes von seinen Eltern strengere Prüfungsmaßstab kommt im Fall der Überprüfung der gerichtlichen Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers auf deren Vereinbarkeit mit den Grundrechten naher Verwandter nicht zur Anwendung, denn die Eingriffsintensität einer gegen Verwandte ausfallenden Auswahlentscheidung im Rahmen des § 1779 BGB bleibt regelmäßig hinter der einer Trennung des Kindes von den Eltern zurück (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 2926/13 -, juris, Rn. 27 ff.).

14

bb) Die angegriffenen Entscheidungen haben die Tragweite der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Belange der Beschwerdeführer nicht verkannt. Das Familiengericht hat sich ausführlich der Frage gewidmet, ob eine Bestellung der Beschwerdeführer als Großeltern zum Vormund des Kindes in Betracht kommt, ist dabei von deren grundsätzlicher Eignung ausgegangen, kam jedoch wegen des über Jahre konstant geäußerten Willens des zuletzt fast 12jährigen Kindes zu dem nachvollziehbaren Ergebnis, dass ein Wechsel zu den Großeltern und damit der Umzug nach Polen gegen den erklärten Willen des Kindes nicht dessen Wohl entspräche. Dabei ist das Amtsgericht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass mit dem entgegenstehenden Willen des Jungen konkrete Erkenntnisse darüber bestanden, dass das Wohl des Kindes durch Auswahl des jetzigen Vormunds, der das Kind an seinem derzeitigen Aufenthaltsort belassen würde, besser gewahrt ist als durch die Bestellung der Großeltern.

15

cc) In diesem Zusammenhang haben die Gerichte auch nicht ihre Pflicht zur ausreichenden Ermittlung des Sachverhalts verletzt. Das gerichtliche Verfahren muss geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen. Dabei bleibt es dem erkennenden Gericht grundsätzlich selbst überlassen, welchen Weg es im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen (vgl. BVerfGE 79, 51 <62>). Die Fachgerichte sind danach verfassungsrechtlich nicht stets gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Wenn sie aber von der Beiziehung eines Sachverständigen absehen, müssen sie anderweit über eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügen (vgl. BVerfGK 9, 274 <279>). Letzteres war hier der Fall. Das Kind wurde von dem Familiengericht mehrfach angehört, ohne dass es von seinem Standpunkt abgerückt wäre. Zudem hat das Gericht ihm einen Verfahrensbeistand bestellt und hat einen den Jungen betreffenden Befundbericht eines Klinikums verwertet. Danach musste das Gericht den als konstant, klar und bestimmt angesehenen Willen des Kindes nicht noch zusätzlich durch einen Sachverständigen überprüfen lassen.

16

dd) Es liegt demgemäß auch keine Gehörsverletzung vor, zumal sich das Amtsgericht zuletzt auch mit dem Antrag der Beschwerdeführer auf Einholung eines Sachverständigengutachtens auseinandergesetzt hat.

17

2. Die Versagung der Beschwerdemöglichkeit nach § 59 FamFG durch den Bundesgerichtshof verletzt die Beschwerdeführer ebenfalls nicht in ihren Grundrechten. Die Garantie effektiven Rechtsschutzes umfasst, dass das Gesetz die Möglichkeit einer Überprüfung durch den Richter eröffnet, wie es in § 11 Abs. 2 Satz 3 RPflG auch vorgesehen ist (vgl. hierzu BVerfGE 101, 397 <407 ff.>). Die Garantie einer gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit sichert hingegen keinen Instanzenzug (BVerfGE 107, 395 <402>; stRspr). Auch die Auslegung des § 59 FamFG durch den Bundesgerichtshof ist nicht willkürlich und begegnet daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 2926/13 -, juris, Rn. 35).

18

3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Anhörungsrügen-entscheidung des Amtsgerichts richtet, bleibt ihr ebenfalls der Erfolg versagt.

19

Zwar kann die Entscheidung über die Anhörungsrüge selbst Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sein, wenn und soweit es - wie vorliegend - um die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Zugang zum Anhörungsrügeverfahren geht und in der Behandlung der Anhörungsrüge eine eigenständige, verfassungsrechtlich erhebliche Beschwer liegt (vgl. BVerfGE 119, 292 <295>). Gegen die Auffassung des Amtsgerichts, dass die Anhörungsrüge im konkreten Fall nach § 44 FamFG unzulässig sei, bestehen auch durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken. Das Amtsgericht führt dazu unter Bezugnahme auf die hier angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus, die Anhörungsrüge sei unzulässig, da die Beschwerdeführer nicht Beteiligte des Verfahrens und sie nicht beschwert seien. Dabei verkennt das Amtsgericht, dass der Bundesgerichtshof die Erinnerungsbefugnis wegen der Rechtsschutzgarantie - aus verfassungsrechtlicher Sicht zutreffend - bejaht hat. Da die Anhörungsrüge sich vorliegend gegen die Entscheidung im Erinnerungsverfahren richtet und der Gewährleistung rechtlichen Gehörs in diesem Verfahren dient, verstieße die Verwehrung einer Abhilfemöglichkeit ihrerseits gegen das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 107, 395).

20

Trotz dieses Verfassungsverstoßes ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde auch insoweit nicht angezeigt. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Sie wirft keine Fragen auf, die nicht ohne weiteres anhand des Grundgesetzes beantwortbar wären oder die noch nicht geklärt wären, da sich die Anforderungen an den fachgerichtlichen Rechtsschutz bei vorgetragenen Gehörsverletzungen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003 (BVerfGE 107, 395) ergeben. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Denn die Anhörungsrüge hätte nach Vorstehendem [Ziff. II.1.b) cc) und dd)] keinen Erfolg gehabt, so dass der Umstand der Bescheidung derselben als unzulässig nicht zu einem die Annahmenotwendigkeit begründenden Nachteil führt (vgl. BVerfGE 119, 292 <301 f.>).

21

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

22

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen