Stattgebender Kammerbeschluss vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 1. Kammer) - 1 BvR 1040/17

Tenor

1. Das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 2017 - 52 C 134/16 - verletzt die Beschwerdeführerin zu 1) in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Insoweit wird das Urteil aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht Düsseldorf zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 30. März 2017 - 52 C 134/16 - gegenstandslos.

2. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2) wird nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin zu 1) ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

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1. Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Entscheidung ihres Rechtsstreits im Verfahren nach billigem Ermessen gemäß § 495a der Zivilprozessordnung (ZPO) ohne vorangegangene mündliche Verhandlung. Sie wurden gerichtlich auf Zahlung in Anspruch genommen. Das Amtsgericht ordnete die Entscheidung im Verfahren nach § 495a ZPO an. Die Beschwerdeführer beantragten gemäß § 495a Satz 2 ZPO, die mündliche Verhandlung durchzuführen. Gleichwohl gab das Amtsgericht der Klage durch Urteil statt, ohne zuvor über den Rechtsstreit mündlich verhandelt zu haben.

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Die Beschwerdeführerin zu 1) erhob Anhörungsrüge und rügte die unterbliebene mündliche Verhandlung. In dieser hätte sie zur Unbegründetheit der Klage in einzelnen Punkten weiter vorgetragen und eine Zeugin sistiert. Das Amtsgericht wies die Anhörungsrüge mit der Begründung zurück, es habe den vor Erlass des Urteils schriftlich gehaltenen Vortrag der Beschwerdeführer bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Die unterbliebene mündliche Verhandlung sei nicht entscheidungserheblich, weil der ergänzende Vortrag der Beschwerdeführer un-substantiiert, mangels tauglichen Beweisangebots nicht entscheidungserheblich und zudem als verspätet zurückzuweisen gewesen sei.

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2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG. Das Amtsgericht habe trotz des Antrags nach § 495a Satz 2 ZPO unter Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG ohne mündliche Verhandlung entschieden. Zudem habe es gehörswidrig ein angebotenes Sachverständigengutachten nicht eingeholt und damit die Beweisanforderungen in unvertretbarer Weise überspannt.

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3. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens und das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie haben von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben vorgelegen.

II.

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1. Die Verfassungsbeschwerde wird, soweit sie vom Beschwerdeführer zu 2) eingelegt ist, nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie unzulässig ist. Die nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG gebotene Erschöpfung des Rechtswegs ist nicht dargelegt (vgl. dazu BVerfGE 112, 304 <314 f.>). Der Beschwerdeschrift ist nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer zu 2) gegen das amtsgerichtliche Urteil die Anhörungsrüge nach § 321a Abs. 1 Satz 1 ZPO erhoben hat.

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2. Im Übrigen nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des grundrechtsgleichen Rechts der Beschwerdeführerin zu 1) aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.

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a) Das Urteil des Amtsgerichts vom 13. Februar 2017 verletzt die Beschwerdeführerin zu 1) in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.

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aa) Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung (vgl. BVerfGE 5, 9 <11>; 112, 185 <206>; stRspr). Vielmehr ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise rechtliches Gehör gewährt werden soll (vgl. BVerfGE 5, 9 <11>; 89, 381 <391>). Hat eine mündliche Verhandlung aber von Gesetzes wegen stattzufinden, wie dies in den Fällen des § 495a Satz 2 ZPO auf Antrag einer Partei vorgeschrieben ist, begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG ein Recht auf Äußerung in der mündlichen Verhandlung und zugleich auf deren Durchführung durch das Gericht (vgl. BVerfGK 19, 377 <382>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Juni 2015 - 1 BvR 367/15 -, juris, Rn. 7).

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Damit ist das amtsgerichtliche Urteil nicht in Einklang zu bringen. Gemäß § 495a Satz 2 ZPO hätte das Amtsgericht entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführer vor Erlass seines Urteils mündlich verhandeln müssen. Danach war die Durchführung der mündlichen Verhandlung zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin zu 1) verfassungsrechtlich geboten.

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bb) Die Entscheidung beruht auch auf dem Gehörsverstoß. Unterbleibt eine einfachrechtlich zwingend gebotene mündliche Verhandlung, kann in aller Regel nicht ausgeschlossen werden, dass bei Durchführung der mündlichen Verhandlung eine andere Entscheidung ergangen wäre, weil die mündliche Verhandlung grundsätzlich den gesamten Streitstoff in prozess- und materiellrechtlicher Hinsicht zum Gegenstand hat und je nach Prozesslage, Verhalten der Gegenseite und Hinweisen des Gerichts zu weiterem Sachvortrag, Beweisanträgen und Prozesserklärungen führen kann, ohne dass dies im Einzelnen sicher vorhersehbar wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Juni 2015 - 1 BvR 367/15 -, juris, Rn. 9).

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Angesichts der Ankündigung der Beschwerdeführerin zu 1), in einer mündlichen Verhandlung weiter vorzutragen und eine Zeugin zu sistieren, hätte das Amtsgericht die Entscheidungserheblichkeit des Gehörsverstoßes nicht unter Verweis auf die fehlende Substantiierung des Parteivortrags oder ein unzureichendes Beweisangebot verneinen dürfen. In der vom Amtsgericht in Betracht gezogenen Zurückweisung etwa in der mündlichen Verhandlung gehaltenen Vortrags wegen Verspätung nach § 296 Abs. 1 ZPO läge zudem ein erneuter Gehörsverstoß, weil die Beschwerdeführerin zu 1) über den möglichen Ausschluss nicht rechtzeitigen Vortrags nicht belehrt worden ist (vgl. BVerfGE 60, 1 <6 f.>; BGHZ 86, 218 <225 f.>; BGH, Urteil vom 16. Mai 1991 - III ZR 82/90 -, NJW 1991, S. 2773 <2774>).

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b) Angesichts der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die unterbliebene mündliche Verhandlung bedarf es keiner Prüfung, ob das amtsgerichtliche Urteil zugleich weitere Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte der Beschwerdeführerin zu 1) verletzt.

III.

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Danach war festzustellen, dass das Urteil des Amtsgerichts die Beschwerdeführerin zu 1) in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Insoweit war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Der die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin zu 1) zurückweisende Beschluss des Amtsgerichts vom 30. März 2017 wird insoweit gegenstandslos.

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Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin zu 1) folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

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