Nichtannahmebeschluss vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 1. Kammer) - 1 BvR 2715/18

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Ablehnung eines kombinierten Vaterschaftsanfechtungs- und Feststellungsantrags. Er ist der leibliche Vater eines Kindes, dessen Mutter wenige Wochen vor der Geburt des Kindes einen anderen Mann geheiratet hat. Mit den angegriffenen Entscheidungen wurde der Antrag des Beschwerdeführers unter Bezugnahme auf § 1600 Abs. 2 und 3 BGB zurückgewiesen, weil der rechtliche Vater eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind habe. Der Beschwerdeführer macht unter anderem geltend, er werde in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Regelungen in § 1592 Nr. 1 BGB und in § 1600 Abs. 2 und 3 BGB, jedenfalls aber durch die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung dieser Normen verletzt.

II.

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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Die Verfassungsbeschwerde ist insgesamt unzulässig. Ihre Begründung lässt eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers nicht in der nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG erforderlichen Weise erkennen. Das gilt sowohl soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Anwendung von § 1592 Nr. 1 BGB und § 1600 Abs. 2 und 3 BGB in den angegriffenen Entscheidungen wendet als auch soweit der Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit der vorgenannten einfachrechtlichen Bestimmungen geltend macht.

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1. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde legt nicht dar, dass nach geltendem Recht Auslegungs- oder Ermessensspielräume bestehen, die das Gericht zugunsten des Beschwerdeführers hätte nutzen können oder müssen.

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2. Dass das geltende Recht Grundrechte des Beschwerdeführers verletzen könnte, ist ebenfalls nicht dargelegt. Er setzt sich insbesondere nicht in der gebotenen Weise mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auseinander.

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a) Aus der Verfassungsbeschwerde muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffenen Maßnahmen das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll. Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits vor, so ist der behauptete Grundrechtsverstoß in Auseinandersetzung mit den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. BVerfGE 130, 1 <21> m.w.N.).

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b) Dem genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht.

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aa) So hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Abstammung wie die sozial-familiäre Verantwortungsgemeinschaft gleichermaßen den Gehalt des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ausmachen; es gibt kein Rangverhältnis zwischen leiblicher und sozialer Vaterschaft. Die jeweiligen Interessen sind vom Gesetzgeber zu berücksichtigen und abzuwägen. Zu berücksichtigen sind dabei die Interessen der einzelnen Mitglieder des Familienverbands (vgl. BVerfGE 108, 82 <105 ff.>). Es ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber dem leiblichen Vater die Anfechtung der Vaterschaft ‒ selbst wenn er eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind hat ‒ nicht ermöglicht, um einen bestehenden familiären Zusammenhalt zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern zu wahren, weil durch den Wechsel in der Vaterstellung zum leiblichen Vater dieser Familienverband durch die Auflösung der Rechtsbeziehungen beeinträchtigt würde (vgl. BVerfGE 108, 82 <109 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. Dezember 2013 - 1 BvR 1154/10 -, Rn. 5 und vom 24. Februar 2015 - 1 BvR 562/13 -, Rn. 7).

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bb) Hier legt der Beschwerdeführer die Interessen der Beteiligten weder allgemein noch auf den Einzelfall bezogen hinreichend dar. Er setzt sich in keiner Weise mit der vom Gesetzgeber allgemein vorgenommenen Interessenabwägung auseinander (BTDrucks 15/2253, S. 11), so dass sich aus der Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht ergibt, dass in diesem Fall das Interesse des Beschwerdeführers, die Stellung als rechtlicher Vater zu erhalten, die Interessen der übrigen Mitglieder des Familienverbands an der Beibehaltung der rechtlichen Vaterschaft überwiegt.

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c) Nicht anders als bezüglich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss sich die Begründung der Verfassungsbeschwerde auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auseinandersetzen, wenn deren Orientierungs- und Leitfunktion (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2018 - 2 BvR 745/18 -, Rn. 41; siehe auch BVerfGE 141, 186 <218 Rn. 73> m.w.N.) für die Auslegung des als verletzt gerügten Grundrechts bedeutsam ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, Rn. 6 sowie BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. September 2019 - 1 BvR 1763/18 -, Rn. 5).

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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte fällt die Frage, ob dem vermeintlichen biologischen Vater die Vaterschaftsanfechtung zu gestatten ist, wenn die rechtliche und die soziale Vaterschaft übereinstimmen, in den Ermessenspielraum der Staaten (EGMR, Kautzor v. Deutschland, Urteil vom 22. März 2012, Nr. 23338/09 § 78 f.; Ahrens v. Deutschland, Urteil vom 22. März 2012, Nr. 45071/09 § 74 f.; K. v. Deutschland, Urteil vom 11. Dezember 2012, Nr. 11858/10 § 20). Mit dieser Rechtsprechung setzt sich der Beschwerdeführer nicht auseinander, obwohl er mit seiner Verfassungsbeschwerde gerade geltend macht, die angegriffenen innerstaatlichen Regelungen und ihre Anwendung durch die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen stünden mit den Gewährleistungen der Konvention nicht in Einklang. Er legt jedoch nicht dar, dass in diesem Fall der konventionsrechtlich eröffnete Ermessensspielraum des Staates überschritten ist. Dieses ist auch nicht ersichtlich.

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3. Von einer Begründung im Übrigen wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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