Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (2. Wehrdienstsenat) - 2 WD 10/09

Tatbestand

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Der ... alte frühere Berufssoldat, ..., wurde zuletzt mit Urkunde vom ... zum Hauptmann befördert. Bis zu seiner Krankschreibung ... war er ... in B. eingesetzt. Mit Ablauf des ... ist er in den Ruhestand getreten.

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1. Mit Anschuldigungsschrift vom 25. April 2008 hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Heeresamtes dem früheren Soldaten folgende schuldhafte Dienstpflichtverletzungen zur Last gelegt:

"1. Der Soldat hat am 28.08.2004 gegen 13.00 Uhr, vermutlich an seinem Wohnort in W., ..., unter dem bei AOL Germany seiner Person zugeordneten Namen '...', fünf E-Mails an den einer anderen Person zugeordneten AOL-Namen '...' gesendet, die die auf Blatt 19 und Blatt 21 bis Blatt 31 der Strafakte der Staatsanwaltschaft H. zu ... abgedruckten 17 Bilddateien beinhalteten, obwohl er zumindest hätte erkennen können und müssen, dass in den Bilddateien dem äußeren Anschein nach Kinder bei der Vornahme sexueller Handlungen an sich selbst, an anderen Personen oder unter bildlich betonter Hervorhebung ihrer Geschlechtsteile dargestellt sind.

2. Am 27.06.2005 hat er, vermutlich erneut an seinem Wohnort, unter dem bei AOL seiner Person zugeordneten Namen '...', mit seinem Computer ..., und dem E-Mailprogramm 'AOL', eine E-Mail an den einer anderen Person zugeordneten AOL-Namen '...' gesendet, die die im Beweismittelheft der Staatsanwaltschaft H. zum oben angegebenen Aktenzeichen auf Bl. 59-61 abgedruckten 3 Bilddateien mit dem Empfänger '...' beinhaltete, obwohl er zumindest hätte erkennen können und müssen, dass in den Bilddateien dem äußeren Anschein nach Kinder bei der Vornahme sexueller Handlungen an sich selbst oder unter bildlich betonter Hervorhebung ihrer Geschlechtsteile dargestellt sind.

3. Am 04.07. und 05.07.2005 hat er, vermutlich wiederum an seinem Wohnort, unter Nutzung seines o.a. Computers und des Kommunikationsprogramms 'NetMeeting', nachfolgend aufgeführte Bilddateien von Kommunikationsteilnehmern (sog. 'Chat-Teilnehmer') erhalten und auf seinem Rechner abgespeichert, obwohl er zumindest hätte erkennen können und müssen, dass in den Bilddateien dem äußeren Anschein nach Kinder bei der Vornahme sexueller Handlungen an sich selbst, an anderen Personen oder unter bildlich betonter Hervorhebung ihrer Geschlechtsteile und in mindestens einem Fall ein Erwachsener bei der Vornahme sexueller Handlungen an einem dem äußeren Anschein nach Kind dargestellt sind, und zwar

a) am 04.07.2005 die in dem Beweismittelheft der Staatsanwaltschaft H. zum oben angegebenen Aktenzeichen auf Bl. 16-25 abgedruckten 18 Bilddateien und

b) am 05.07.2005 die in dem Beweismittelheft auf Bl. 15 abgedruckten 2 Bilddateien.

4. Er hat zumindest am 07.07.2005, die im oben angegebenen Beweismittelheft der Staatsanwaltschaft H. abgedruckten 107 Bilddateien, obwohl er zumindest hätte erkennen können und müssen, dass in den Bilddateien dem äußeren Anschein nach Kinder bei der Vornahme sexueller Handlungen an sich selbst, an anderen Personen oder unter bildlich betonter Hervorhebung ihrer Geschlechtsteile oder Erwachsene bei der Vornahme sexueller Handlungen an dem äußeren Anschein nach Kindern dargestellt sind und obwohl er zumindest hätte wissen können und müssen, dass sich die Bilddateien auf der Festplatte seines oben angegebenen Computers befinden, gegen 7.00 Uhr in den Bereich ... in B. eingebracht, bis sein Computer dort am 07.07.2005 gegen 09.00 Uhr im Rahmen einer Durchsuchung durch die Polizei ... beschlagnahmt wurde.

Durch sein Verhalten hat der Soldat die ihm obliegenden Dienstpflichten verletzt,

- der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (zu Ziffer 5. des Tatvorwurfs),

- der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert (zu Ziffer 5. des Tatvorwurfs) und

- sich außer Dienst, außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt (zu Ziffer 1. bis 4. des Tatvorwurfs)

wobei er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein schlechtes Beispiel gegeben hat.

Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 Soldatengesetz (SG) in Verbindung mit §§ 7, 17 Abs. 2 Satz 1 und 2 SG unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 SG."

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2. Das gegen den früheren Soldaten geführte sachgleiche Strafverfahren "wegen Bezug und Besitz von Kinderpornografie gemäß § 184b Abs. 4 StGB" wurde durch die Staatsanwaltschaft H. nach Zahlung eines Betrages von 3.000 € an den Deutschen Kinderschutzbund am 2. März 2009 gemäß § 153a Abs. 1 StPO endgültig eingestellt.

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3. Auf der Grundlage der Anschuldigungsschrift vom 25. April 2008 hat die 4. Kammer des Truppendienstgerichts Nord durch Urteil vom 2. Dezember 2008 gegen den damals noch aktiven Soldaten ein Beförderungsverbot für die Dauer von 48 Monaten verhängt und zugleich seine Dienstbezüge für die Dauer von fünf Jahren um ein Zwanzigstel gekürzt. Dabei hat die Kammer u.a. festgestellt, dass im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen der Kreispolizeibehörde S. gegen einen Dritten der Soldat als Empfänger und Versender von elektronischer Post mit kinderpornografischen Bilddateien identifiziert worden sei. Am 7. Juli 2005 sei deshalb eine richterlich angeordnete Durchsuchung seines Wohnhauses ... und - da sich der Soldat zu diesem Zeitpunkt bereits an seinem Dienstort aufgehalten habe - seines Kraftfahrzeugs in der ... in B. erfolgt. In seinem Kraftfahrzeug sei ein privater tragbarer Computer aufgefunden worden; die Auswertung des Datenspeichers habe zum Auffinden von mehr als 100 der im Tatvorwurf benannten kinderpornografischen Dateien geführt, die der Soldat entweder besessen oder im angeschuldigten Umfang auch an Dritte weitergegeben habe. Der Soldat habe sämtliche Vorwürfe eingeräumt. Nach den überzeugenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen sei dem Soldaten für das ihm vorgeworfene Fehlverhalten eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB zuzubilligen.

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Die Truppendienstkammer hat das festgestellte Fehlverhalten des damals aktiven Soldaten als vorsätzliche Verletzung seiner soldatischen Pflicht gewertet, sich so zu verhalten, dass er der Achtung und dem Vertrauen gerecht werde, die sein Dienst als Soldat erfordere (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Wer sich als Soldat Kinderpornografie verschaffe, diese auf dem Rechner speichere, sie wenigstens vorübergehend in der Kaserne aufbewahre und schließlich sogar an Dritte weitergebe, schädige durch diese Handlungen, die strafrechtlich als "Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften" gemäß § 184b StGB zu qualifizieren seien und demnach kriminelles Unrecht darstellten, seine eigene innerdienstliche Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit. Er habe ein Dienstvergehen im Sinne des § 23 Abs. 1 SG begangen und hafte dafür als Vorgesetzter, der in Haltung und Pflichterfüllung ein schlechtes Beispiel gegeben habe, gemäß § 10 Abs. 1 SG verschärft.

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Im Rahmen der Bemessungserwägungen hat das Truppendienstgericht u.a. mildernd berücksichtigt, dass es sich weitestgehend um ein außerdienstliches Fehlverhalten handele, welches sich - was den Erwerb und die Weitergabe entsprechenden Bildmaterials anbelange - ausschließlich in der Privatsphäre des Soldaten abgespielt und andere Soldaten nicht in den Kreis der Beteiligten einbezogen habe. Es seien keine dienstlichen Mittel oder Einrichtungen verwendet worden. Das Fehlverhalten des Soldaten sei auch im Kameradenkreis nicht weiter bekannt geworden. Dass der Soldat das Bildmaterial in seinem Fahrzeug vorübergehend auf dem Kasernenparkplatz gelagert habe, sei mehr dem Umstand geschuldet gewesen, dass er den Rechner nicht unbeaufsichtigt zu Hause habe lassen wollen, als seinem Bestreben, entsprechende Aktivitäten in den dienstlichen Bereich zu tragen.

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4. Gegen das ihm am 20. Dezember 2008 zugestellte Urteil hat der frühere Soldat durch seinen Verteidiger am 19. Januar 2009 Berufung eingelegt mit dem Antrag, das gerichtliche Disziplinarverfahren unter Feststellung eines Dienstvergehens einzustellen. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend:

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Einzige Ursache des Dienstvergehens sei sein "nervenaufreibendes jahrelanges Doppelleben" gewesen. Als er im Jahr 2003 erfahren habe, dass ihn sein "Freund betrüge", habe er mehrere Nervenzusammenbrüche und Weinkrämpfe erlitten und wiederholt vor der Entscheidung gestanden, sich das Leben zu nehmen. Um sich von den schlimmsten Depressionen abzulenken, sei es zum kritiklosen anonymen Konsum von Pornografie im Internet gekommen. Zudem sei bei der Hausdurchsuchung nur eine vergleichsweise geringe Anzahl kinderpornografischer Dateien aufgefunden worden. Dementsprechend sei wegen des äußerst geringen Verschuldens das Strafverfahren gegen Zahlung von 3.000 € eingestellt worden. Er, der Soldat, habe über einen sehr langen Zeitraum seine Pflichten vorbildlich erfüllt. Das Truppendienstgericht habe zu Recht festgestellt, dass sich das Dienstvergehen ausschließlich in seiner Privatsphäre abgespielt habe, d.h. andere Soldaten nicht in den Kreis der Beteiligten einbezogen worden seien. Er bedauere sein Fehlverhalten außerordentlich.

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Auf den gerichtlichen Hinweis, dass es sich wohl um eine "auf die Disziplinarmaßnahme beschränkte Berufung" handele, hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 4. Juni 2009 mitgeteilt, dass sich die Berufungsbegründung gegen die erstinstanzliche Bemessung der Disziplinarmaßnahme richte. Die Feststellung eines Dienstvergehens werde nicht angegriffen; es sei allerdings nur fahrlässig begangen worden. Der frühere Soldat habe nicht beabsichtigt gehabt, den privaten Laptop innerhalb der Kaserne zu benutzen. Er habe damals einfach nur vergessen gehabt, ihn zu Hause aus dem Kofferraum zu nehmen. Von einem absichtlichen und damit vorsätzlichen Einführen von Dateien auf das Gelände der Bundeswehr könne keine Rede sein.

Entscheidungsgründe

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Die vom früheren Soldaten eingelegte Berufung hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Nord zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung, weil ein schwerer Mangel des Verfahrens vorliegt (§ 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO).

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Die Entscheidung ergeht durch Beschluss außerhalb der Hauptverhandlung (§ 120 Abs. 1 WDO) in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 WDO). Den Beteiligten ist gemäß § 120 Abs. 2 WDO vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Der frühere Soldat hat durch seinen Verteidiger mitgeteilt, dass von einer Stellungnahme zur Sache abgesehen werde. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat erklärt, das erstinstanzliche Urteil leide zwar an einem Mangel. Dieser wiege jedoch nicht schwer, so dass es keiner Zurückverweisung der Sache bedürfe.

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1. Die zulässige Berufung ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt eingelegt worden. Dies ergibt sich aus dem Berufungsschriftsatz vom 19. Januar 2009. Mit seiner Berufungsbegründung macht der frühere Soldat nur Umstände geltend, die für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sein können. Weder werden die erstinstanzlichen Tat- und Schuldfeststellungen angegriffen noch wird die Qualifizierung des festgestellten Fehlverhaltens als vorsätzlich begangenes Dienstvergehen in Zweifel gezogen. Diese Auslegung des Berufungsschriftsatzes hat der Verteidiger des früheren Soldaten mit seinem ergänzenden Schreiben vom 4. Juni 2009 grundsätzlich bestätigt, allerdings nunmehr erstmals die Feststellungen des Truppendienstgerichts zur Schuldform des Dienstvergehens gerügt. Danach dürfte nunmehr eine unbeschränkt eingelegte Berufung gewollt sein. Denn die Bestimmung der richtigen Schuldform ist nicht nur für die Disziplinarbemessung, sondern zugleich auch - als sogenannter doppelrelevanter Umstand - für die Schuldfrage, d.h. den subjektiven Tatbestand des Dienstvergehens von Bedeutung. Fahrlässigkeit ist kein "minus" zum Vorsatz; beide Schuldformen stehen als "aliud" nebeneinander (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile vom 26. März 1996 - BVerwG 1 D 56.94 - Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 6 - und vom 9. April 2002 - BVerwG 1 D 17.01 - Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 25, jeweils mit weiteren Nachweisen - zum Beamtendisziplinarrecht).

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Die nachträgliche Rüge der erstinstanzlichen Feststellungen zur Schuldform ist allerdings rechtlich unerheblich; das eingelegte Rechtsmittel bleibt gemäß dem Berufungsschriftsatz vom 19. Januar 2009 auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Dies folgt aus dem Umstand, dass das wehrdisziplinargerichtliche Verfahren keine gesonderte Frist für die Berufungsbegründung kennt. Das Rechtsmittel ist vielmehr innerhalb der Einmonatsfrist zur Einlegung der Berufung zu begründen (vgl. § 115 Abs. 1, § 116 Abs. 2 WDO; Beschluss vom 24. Mai 2000 - BVerwG 2 WDB 3.00 und 4.00 - Buchholz 235.0 § 111 WDO Nr. 3 = NZWehrr 2001, S. 77). Nach Ablauf der Berufungsfrist - hier am 20. Januar 2009 - kann die wirksam gewordene Rechtsmittelbeschränkung als Prozesshandlung nicht mehr widerrufen oder zurückgenommen werden (vgl. dazu Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 116 Rn. 24 m.w.N.).

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2. Da das Rechtsmittel mithin nach dem maßgeblichen Inhalt der Begründung in beschränktem Umfang eingelegt worden ist, hat der Senat von Rechts wegen die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 327 StPO) und nur noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden, wobei er an das Verschlechterungsverbot (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO) gebunden ist. Auf dieser Grundlage kann der Senat im vorliegenden Fall jedoch nicht entscheiden. Das Urteil des Truppendienstgerichts weist einen so schweren Verfahrensmangel auf, dass es mit seinen tatsächlichen und disziplinarrechtlichen Feststellungen zur Schuld des früheren Soldaten nicht ausreicht, um eine Grundlage für die Entscheidung des Senats über die Maßnahmebemessung abzugeben.

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a) Ein schwerer Mangel des Verfahrens im Sinne der genannten Bestimmung liegt vor, wenn gegen eine Verfahrensvorschrift verstoßen worden ist, deren Verletzung schwerwiegend und für den Ausgang des Verfahrens (noch) von Bedeutung ist. Das ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Rechte eines Verfahrensbeteiligten wesentlich beeinträchtigt worden sind oder wenn der Verfahrensverstoß den Zweck einer Formvorschrift wesentlich vereitelt. Für den Ausgang des Berufungsverfahrens sind solche Mängel des truppendienstgerichtlichen Verfahrens dann (noch) von Bedeutung, wenn die Entscheidung über das eingelegte Rechtsmittel im Falle einer Behebung des Verfahrensfehlers anders als im Vergleich zu dessen Nichtbehebung ausfallen kann. Als schwerwiegender Mangel des Verfahrens im dargelegten Sinne ist in der Rechtsprechung u.a. das Fehlen von ausreichenden und widerspruchsfreien Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage anerkannt (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 10. Dezember 2008 - BVerwG 2 WD 8.08 - Buchholz 450.2 § 91 WDO 2002 Nr. 3 = NZWehrr 2009 S. 212 - 214 m.w.N.). Dies ist insbesondere bei einer beschränkten Berufung der Fall, bei der die Tatfeststellungen des erstinstanzlichen Urteils sowie die darin vorgenommene disziplinarrechtliche Würdigung des Verhaltens des Soldaten als Dienstvergehen für das Berufungsgericht nach § 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 327 StPO bindend und nicht mehr nachprüfbar sind, weil der Prozessstoff des Berufungsverfahrens bei einer beschränkten Berufung durch die unnachprüfbar gewordenen Tat- und Schuldfeststellungen des Urteils des Truppendienstgerichts festgelegt wird und vom Berufungsgericht nicht mehr geändert werden kann.

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Im gerichtlichen Disziplinarverfahren muss der Tatrichter den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen erforschen und feststellen sowie diesen und die daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen in den Urteilsgründen darlegen (§ 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO). Grundsätzlich muss jedes Strafurteil und damit auch jedes Urteil in einem gerichtlichen Disziplinarverfahren aus sich selbst, d.h. aus den Urteilsgründen heraus verständlich sein. Erfüllt ein Urteil nach seinen Entscheidungsgründen diese Anforderungen nicht, liegt - wie hier - ein schwerwiegender Mangel des Verfahrens im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO bzw. § 121 Abs. 2 WDO vor (vgl. Urteil vom 10. Dezember 2008 a.a.O. m.w.N.). Denn Voraussetzung für die im Berufungsverfahren zu treffende Entscheidung über die gebotene und angemessene Disziplinarmaßnahme ist, dass die durch die Beschränkung der Berufung unangreifbar gewordenen tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, wie sie sich aus den Urteilsgründen ergeben, sowie die auf dieser Grundlage getroffenen Feststellungen zu den schuldhaften Pflichtverletzungen (= Schuldfeststellungen) des Angeschuldigten nachvollziehbar, in sich schlüssig und widerspruchsfrei sind. Unklare, widersprüchliche oder lückenhafte Feststellungen können keine ausreichende Grundlage für das festzusetzende Disziplinarmaß abgeben (vgl. Urteil vom 10. Dezember 2008 a.a.O. m.w.N).

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b) Dies ist hier der Fall. Zwar sind die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil der Truppendienstkammer nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei. Die auf dieser Grundlage vom Gericht getroffenen Schuldfeststellungen einschließlich der disziplinarrechtlichen Würdigung sind jedoch grob fehlerhaft und können keine ausreichende Grundlage für das im Berufungsverfahren vom Senat festzusetzende Disziplinarmaß abgeben.

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Soweit die Truppendienstkammer im angefochtenen Urteil hinsichtlich aller vier Anschuldigungspunkte insgesamt einen vorsätzlichen Verstoß des früheren Soldaten gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 SG, beruhend auf einer Straftat im Sinne des § 184b StGB, angenommen hat, steht diese Schuldfeststellung und disziplinarrechtliche Würdigung sowohl im offenkundigen und klaren Widerspruch zu den tatsächlichen Urteilsfeststellungen als auch zu Ausführungen im Rahmen der Disziplinarbemessung; danach handelte es sich "weitestgehend um ein außerdienstliches Fehlverhalten".

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Zunächst hat das Gericht - in Übereinstimmung mit den Anschuldigungspunkten 1 bis 3 - festgestellt (Urteilsabdruck S. 8), dass der Soldat aufgrund der Durchsuchung seines Wohnhauses und seines Kraftfahrzeugs mittels seines privaten tragbaren Computers, d.h. im privaten Bereich, als Empfänger und Versender von elektronischer Post (E-Mail) mit kinderpornografischen Bilddateien identifiziert worden sei; da sich der frühere Soldat im Durchsuchungszeitpunkt aber bereits in der Kaserne aufhielt, erfolgte die Durchsuchung seines privaten Kraftfahrzeugs auf dem Dienstgelände (vgl. Anschuldigungspunkt 4). Dennoch würdigte die Truppendienstkammer ihre Feststellungen - ohne nähere Begründung - insgesamt als rein innerdienstliches Fehlverhalten (Urteilsabdruck S. 9 unten, S. 10 oben). Der frühere Soldat habe vorsätzlich seine soldatische Pflicht verletzt, sich so zu verhalten, dass er der Achtung und dem Vertrauen gerecht werde, die sein Dienst als Soldat erfordere (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Denn wer sich als Soldat Kinderpornografie verschaffe, auf seinem Rechner speichere, wenigstens vorübergehend in der Kaserne aufbewahre und schließlich sogar an Dritte weitergebe, schädige durch diese nach § 184b StGB strafbaren Handlungen seine eigene "innerdienstliche Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit". Im Rahmen der anschließenden Disziplinarbemessung hat die Kammer u.a. aber ausgeführt (Urteilsabdruck S. 12), dass es sich hier "weitestgehend um ein außerdienstliches Fehlverhalten" handele, welches sich - was den Erwerb und die Weitergabe entsprechenden Bildmaterials anbelange - ausschließlich in der Privatsphäre des Soldaten abgespielt habe. Weder seien andere Soldaten in den Kreis der Beteiligten einbezogen worden noch sei das Fehlverhalten im Kameradenkreis bekannt geworden. Es seien auch keine dienstlichen Mittel oder Einrichtungen verwendet worden.

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Dieser offenkundig bestehende Widerspruch zwischen den tatsächlichen Feststellungen sowie den Schuldfeststellungen und der disziplinarrechtlichen Würdigung lässt sich anhand der Urteilsgründe nicht auflösen.

21

Es spricht zunächst nichts dafür, dass die Einstufung aller Pflichtverletzungen als innerdienstliches Dienstvergehen auf einem offensichtlichen Schreibversehen beruht. In Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 1 SG hat die Truppendienstkammer ausdrücklich einen Verstoß gegen die "innerdienstliche" Wohlverhaltenspflicht angenommen, zumal im Anschuldigungspunkt 4 dem früheren Soldaten auch zur Last gelegt wird, die Bilddateien in den Kasernenbereich eingebracht zu haben.

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Die Widersprüchlichkeit der erstinstanzlichen Feststellungen lässt sich auch nicht mit dem Hinweis des Bundeswehrdisziplinaranwalts lösen, § 17 Abs. 2 SG enthalte als "einheitliche ratio" die grundlegende Pflicht des Soldaten, sein gesamtes, d.h. inner- wie außerdienstliches Verhalten, jederzeit so auszurichten, dass die ihm zukommende Achtung und das in ihn gesetzte Vertrauen nicht beschädigt würden. Das Truppendienstgericht habe lediglich versäumt, § 17 Abs. 2 Satz 2 SG, der das Schwergewicht des Dienstvergehens präge, zu zitieren. Diese Auffassung ist nicht geeignet, die Widersprüchlichkeit der Schuldfeststellungen aufzulösen und damit eine Zurückverweisung zu vermeiden.

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Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG muss das Verhalten eines Soldaten dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf als Soldat erfordert. Satz 2 der Vorschrift bestimmt, dass sich der Soldat außer Dienst außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten hat, dass er das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt. § 17 Abs. 2 SG regelt damit zwar die Anforderungen an die allgemeine Wohlverhaltenspflicht eines Soldaten in räumlicher und zeitlicher Hinsicht - im und außer Dienst sowie innerhalb und außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen - umfassend und abschließend. Das Verhalten eines Soldaten ist jedoch entweder nach § 17 Abs. 2 Satz 1 oder nach Satz 2 SG zu beurteilen. Nur wenn sich der Soldat außer Dienst und außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 SG befindet - beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen -, bestehen weniger strenge Anforderungen an seine allgemeine Wohlverhaltenspflicht (vgl. Urteil vom 14. Oktober 2009 - BVerwG 2 WD 16.08, juris). Der Senat hat deshalb in seiner ständigen Rechtsprechung auch stets zwischen innerdienstlichem (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) und außerdienstlichem Fehlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG) unterschieden und eine außerdienstliche Pflichtverletzung im Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen in der Regel als weniger schwerwiegend eingestuft (vgl. zuletzt z.B. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG 2 WD 9.09 m.w.N.; dazu auch Dau a.a.O. § 38 Rn. 26 m.w.N.).

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Kann dem mit der "beschränkten Berufung" angefochtenen Urteil des Truppendienstgerichts nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnommen werden, ob und ggf. in welchem Umfang inner- und/oder außerdienstliche Pflichtverletzungen vorliegen, fehlt es an der notwendigen Grundlage für die vom Senat zu treffende Entscheidung über die zulässige und angemessene Disziplinarmaßnahme. Insbesondere im Hinblick auf "Eigenart und Schwere des Dienstvergehens" (§ 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO) muss eindeutig feststehen, welche Dienstpflichten der frühere Soldat schuldhaft verletzt hat. Da der Senat aufgrund der Berufungsbeschränkung gehindert ist, die widersprüchlichen Schuldfeststellungen der Truppendienstkammer von sich aus zu ändern oder eigene Schuldfeststellungen zu treffen, kann der (heilbare) Verfahrensmangel nicht im Berufungsverfahren geheilt werden.

25

c) Dies führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Nord.

26

Zwar steht die Entscheidung darüber gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO im gerichtlichen Ermessen. Da der Senat aber mangels eindeutiger Schuldfeststellungen und disziplinarrechtlicher Würdigung des Sachverhalts aufgrund der "beschränkten Berufung" nicht in der Sache entscheiden kann, ist eine Zurückverweisung geboten (vgl. z.B. Urteile vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 34.02 - BVerwGE 118, 262 ff. = Buchholz 235.01 § 108 WDO 2002 Nr. 2 = NZWehrr 2004, S. 36 - und vom 10. Dezember 2008 a.a.O.; Beschluss vom 19. August 2009 - BVerwG 2 WD 31.08, juris). Das Beschleunigungsgebot (§ 17 Abs. 1 WDO) steht einer solchen Entscheidung schon deshalb nicht entgegen, weil die Zurückverweisung zur Sicherstellung des Anspruchs auf ein faires rechtsstaatliches Disziplinarverfahren (speziell zum gerichtlichen Wehrdisziplinarverfahren BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Juni 2000 - 2 BvR 993/94 - ZBR 2001, 208) und zur Herbeiführung einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage unvermeidbar ist. Die gemäß § 120 Abs. 2 WDO erforderliche Anhörung der Verfahrensbeteiligten ist - wie erwähnt - erfolgt.

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Für eine Zurückverweisung an ein anderes Truppendienstgericht sieht der Senat keine Veranlassung.

28

3. Im Rahmen einer erneuten Hauptverhandlung wird die nun zuständige Truppendienstkammer u.a. festzustellen und näher zu begründen haben, ob und ggf. inwieweit der frühere Soldat seine Dienstpflichten gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 und/oder § 17 Abs. 2 Satz 2 SG "schuldhaft" verletzt hat. Bislang war das Truppendienstgericht insgesamt von einem vorsätzlichen Dienstvergehen ausgegangen, hatte jedoch im Rahmen der Bemessungserwägungen (zu Anschuldigungspunkt 4) folgendes ausgeführt (Urteilsabdruck S. 12):

"Dass der Soldat das Bildmaterial vorübergehend auf dem Kasernenparkplatz in seinem Fahrzeug lagerte, ist mehr dem Umstand geschuldet, dass er den Rechner nicht unbeaufsichtigt zu Hause lassen wollte, als seinem Bestreben, entsprechende Aktivitäten in den dienstlichen Bereich zu tragen."

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Dies könnte darauf hindeuten, dass der frühere Soldat nach Auffassung der Kammer insoweit eigentlich nur fahrlässig gehandelt hat, was hilfsweise wohl auch angeschuldigt ist; insoweit lässt es das erstinstanzliche Urteil ebenfalls an Eindeutigkeit vermissen.

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Im Rahmen der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme wird die nun zuständige Truppendienstkammer u.a. zu beachten haben, dass sich der frühere Berufssoldat inzwischen im Ruhestand befindet, sodass als zulässige Maßnahme nach § 58 Abs. 2 WDO nur noch eine Kürzung seines Ruhegehalts (§ 64 WDO, vgl. aber auch § 58 Abs. 4 Satz 3 WDO) in Betracht kommt; alle weiteren in § 58 Abs. 2 WDO genannten Disziplinarmaßnahmen scheiden wegen der Geltung des Verschlechterungsverbotes aus. Das Gericht wird dann allerdings gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO zu prüfen haben, ob im Hinblick auf die Einstellung des sachgleichen Strafverfahrens nach § 153a Abs. 1 StPO noch eine Kürzung des Ruhegehalts verhängt werden darf.

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