Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (8. Senat) - 8 B 93/10
Gründe
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Die Klägerin begehrt die Rückübertragung der von ihr im Jahre 1942 veräußerten Grundstücke Flurstücke Nrn. ... am B. in C., eingetragen im Grundbuch von G., Blatt Nr. ... der Gemarkung G. Ihre gegen die Nichtzulassung der Revision in dem klagabweisenden Urteil des Verwaltungsgerichts gerichtete Beschwerde hat Erfolg. Die Klägerin hat zwar keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dargelegt. Das angegriffene Urteil beruht jedoch auf einem von ihr geltend gemachten Verfahrensmangel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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1. Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist hinsichtlich der von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage nicht gegeben.
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Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung nur dann zu, wenn die Beschwerde eine abstrakte Rechtsfrage aufwirft, die einer revisionsgerichtlichen Klärung bedarf und von fallübergreifendem Gewicht ist. Daran fehlt es bezüglich der allein aufgeworfenen Frage:
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Hat eine Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche an Grundstücken, die in der Anmeldung nicht konkret durch Grundbuchblatt, Flurstück oder Adresse bezeichnet sind, die zur Individualisierung erforderliche Anstoßwirkung, wenn sich der mögliche Schädigungstatbestand aus den Grundakten für Grundstücke ergibt, die von einem in der Anmeldung konkret angegebenen Grundstück abgetrennt wurden, und die in der Anmeldung angegebenen Grundbuchblätter und Flurstücke zu einem Grundbuch und Stammflurstück hinführen, von dem auch die in der Anmeldung nicht konkret bezeichneten Flurstücke abgeschrieben/abgetrennt worden sind?
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Es handelt sich lediglich um eine von den Umständen des Einzelfalles geprägte, nicht jedoch um eine abstrakte Rechtsfrage von fallübergreifender Bedeutung. Sofern sie sich gegen die richterliche Überzeugungsbildung im angefochtenen Urteil und gegen dessen Annahme wendet, Ziffer 1.a) Nr. 11 der Anmeldung führe nur zu den auf dem Grundbuchblatt des Restflurstücks erwähnten Parzellen, wird lediglich die Rechtsanwendung im konkreten Fall angegriffen. Legt man die Grundsatzrüge dahin aus, dass sie geklärt wissen will, ob ein "Hinführen" ein Erwähnen des Vermögenswertes in der Anmeldung oder den dort in Bezug genommenen Unterlagen voraussetzt oder ob es genügt, dass diese zu anderen Unterlagen führen, in denen er erwähnt wird, bedarf es zur Klärung keines Revisionsverfahrens. Die Frage ist auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung für die Globalanmeldung im Sinne der ersten Alternative zu beantworten (Urteil vom 28. November 2007 - BVerwG 8 C 12.06 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 41 = juris Rn. 16 ff.) und für die Einzelanmeldung - etwa von ehemaligen Betriebsgrundstücken eines Unternehmens, die nicht in der Anmeldung oder den dort bezeichneten Unterlagen selbst benannt sein müssen - im Sinne der zweiten Alternative. Bei Einzelanmeldungen muss die Anmeldung, um fristwahrend zu sein, Angaben enthalten, die zu dem bestimmten oder den bestimmten Vermögensgegenständen hinführen und damit deren späteren Austausch oder die Möglichkeit einer späteren Substantiierung durch einen beliebigen Vermögenswert ausschließen (Beschluss vom 21. Februar 2006 - BVerwG 7 B 83.05 - juris Rn. 10).
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2. Das angefochtene Urteil beruht jedoch auf einem Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wonach das Tatsachengericht aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet.
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a) § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthält als prozessrechtliche Vorschrift Vorgaben, die die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts als Vorgang steuern (vgl. Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 = juris Rn. 5; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 48). Das Gericht hat seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Es darf nicht einzelne nach seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung entscheidungserhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Zu dem Gesamtergebnis des Verfahrens gehören insbesondere die Erklärungen der Verfahrensbeteiligten, der Inhalt der vom Gericht beigezogenen Akten sowie die im Rahmen einer Beweiserhebung getroffenen tatsächlichen Feststellungen, unbeschadet der Befugnis des Gerichts, die Erklärungen der Verfahrensbeteiligten, den Inhalt beigezogener Akten sowie das Ergebnis einer Beweisaufnahme frei zu würdigen (vgl. u.a. Beschluss vom 14. Januar 2010 - BVerwG 6 B 74.09 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 87 = juris Rn. 2 m.w.N.).
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Die "Freiheit", die dieser sogenannte Überzeugungsgrundsatz dem Tatsachengericht zugesteht, bezieht sich auf die Bewertung von Tatsachen und Beweisergebnissen, d.h. auf die Würdigung der für die Feststellung des Sachverhalts maßgebenden Umstände. Die Einhaltung der daraus entstehenden verfahrensmäßigen Verpflichtungen ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter ein aus seiner Sicht fehlerhaftes Ergebnis der gerichtlichen Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO deshalb grundsätzlich nicht begründen (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 1 <4>, vom 2. November 1995 a.a.O. S. 18 ff., vom 8. April 2008 - BVerwG 9 B 13.08 - Buchholz 451.29 Schornsteinfeger Nr. 44 = juris Rn. 10 und vom 28. Oktober 2010 - BVerwG 8 B 23.10 - juris).
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Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz hat aber den Charakter eines Verfahrensfehlers, wenn das Tatsachengericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt, sondern den Prozessstoff nur unvollständig oder unzutreffend erfasst hat. Das ist etwa der Fall, wenn das angegriffene Urteil nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt (Urteil vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339 f.> = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 145; Beschluss vom 26. Mai 1999 - BVerwG 8 B 193.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 4 = juris Rn. 2).
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b) Ein solcher Verfahrensmangel liegt hier vor.
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Das Verwaltungsgericht ist bei seiner Würdigung des Anmeldeschreibens des Nachtragsliquidators der Klägerin vom 11. Oktober 1990 von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen. Es hat bei der Zusammenstellung und Berücksichtigung des entscheidungserheblichen Prozessstoffs die in den Verfahrensakten belegte, vor 1945 erfolgte Veräußerung und Umschreibung des im Anmeldeschreiben in Ziffer 1.a) Nr. 7 aufgeführten, im Grundbuch von A., Band ..., Blatt Nr. ... eingetragenen Flurstücks übergangen. Dieses Grundstück war laut Veräußerungsanzeige vom 17. Januar 1944 mit Vertrag vom 29. Dezember 1943 an Kurt F. verkauft worden (vgl. Blatt 4192 der Behördenakten - BA 7). Der Erwerber wurde am 17. November 1944 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen (Blatt 4192 bis 4208 der Behördenakten - BA 7). Da sich das Verwaltungsgericht an anderer Stelle seines Urteils (UA S. 21 unter 2.b) bb)) mit der vor 1945 erfolgten Veräußerung eines weiteren - unter Ziffer 1.a) Nr. 13 des Anmeldeschreibens aufgeführten Flurstücks (Flurstück Nr. ... der Gemarkung G., eingetragen in Band ..., Blatt Nr. ...) - ausdrücklich auseinandergesetzt und darauf bezogen eine Indizwirkung für eine Anmeldung von vor dem 8. Mai 1945 erfolgten Schädigungen nur deshalb verneint hat, weil die Umschreibung nicht mehr vor Kriegsende vorgenommen wurde (UA S. 21 unter 2.b) bb)), stellte der Fall des Eigentumsübergangs eines einzelnen angemeldeten Grundstücks vor 1945 die Annahme, es fehle "jeglicher Bezug" zu einer Schädigung nach § 1 Abs. 6 VermG, in Frage.
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Damit fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die dem angegriffenen Urteil zugrunde liegende Überzeugungsbildung, wonach sich aus diesem Anmeldeschreiben nicht der Schluss ziehen lasse, dass damit auch Vermögenswerte angemeldet worden seien, die durch Veräußerung in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis 8. Mai 1945 aus dem Vermögen der Klägerin ausgeschieden seien. Bei Beachtung des Umstandes, dass jedenfalls dieses Grundstück in A. vor dem 8. Mai 1945 veräußert wurde, hätte das Verwaltungsgericht zu der Auffassung gelangen können, dass nicht nur "die 'per Kriegsende' im Eigentum der Klägerin stehenden, in der sächsischen Bodenreform enteigneten Grundstücke zurückgefordert werden sollten" (UA S. 22, zweiter Absatz), sondern dass auch Vermögensverluste der Klägerin in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 von der Anmeldung des Nachtragsliquidators vom 11. Oktober 1990 erfasst sind. Denn das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 28. November 2007 - BVerwG 8 C 12.06 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 41 = LKV 2008, 364 <365>) davon ausgegangen, dass mit der konkreten Anmeldung bestimmter Vermögensgegenstände auch inzident eine Schädigung im Sinne von § 1 VermG behauptet wird, sodass es eines Hinweises auf einen bestimmten Schädigungstatbestand nach § 1 VermG bei der Anmeldung nicht bedurfte.
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Es ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht bei Berücksichtigung der Veräußerung und Umschreibung des in Ziffer 1.a) Nr. 7 erwähnten Grundstücks die für seine Entscheidung maßgebliche Annahme, es fehle der Anmeldung "jedweder" Bezug zu einer NS-Schädigung, revidiert hätte.
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3. Angesichts des Vorliegens des insoweit geltend gemachten Verstoßes gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kommt es auf die weiteren von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen nicht mehr an.
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Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der ihm in § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die angegriffene Entscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Anlass für eine Entscheidung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der Senat nicht gesehen.
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