Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (3. Senat) - 3 B 8/11

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 10. September 2010 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1

Die Klägerin beansprucht die Auskehr des Erlöses aus der Veräußerung zweier Flurstücke durch die beklagte Stadt. Rechtsträger der im Grundbuch als Volkseigentum eingetragenen Flächen war der Rat der Stadt Coswig. Das darauf errichtete Gebäude stand im gesonderten Eigentum der LPG (P) Coswig, später der Vermögensverwaltungsgesellschaft dieser LPG. Im Verfahren nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz wurde das Boden- und Gebäudeeigentum im Jahre 1995 bei der Gebäudeeigentümerin zusammengeführt. Die Beklagte erhielt für die Flurstücke einen Geldausgleich in Höhe von 71 250 DM (= 36 429,55 €).

2

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 16. Juli 2007 stellte das Bundesamt für Zentrale Dienste und offene Vermögensfragen fest, dass die Flurstücke am 4. September 1990 in das Eigentum der Treuhandanstalt, später Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), übergegangen und mit Sammelzuordnungsbescheid vom 18. Juni 1996 auf die Klägerin übertragen worden seien.

3

Auf die am 13. Mai 2008 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 36 429,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 14. Mai 2008 zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Anspruch der Klägerin aus § 8 Abs. 4 Satz 2 des Vermögenszuordnungsgesetzes - VZOG - ergebe, dieser wegen der 30jährigen Verjährungsfrist nicht verjährt sei und eine Verrechnung mit Verwaltungskosten der Beklagten nicht in Betracht komme; sie könnten nur einem Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen entgegengehalten werden. Soweit die Beklagte gemäß § 8 Abs. 5 VZOG Ersatzgrundstücke angeboten habe, seien diese nicht in vergleichbarer Weise wie das veräußerte Grundstück verwertbar. Während das veräußerte Grundstück wegen seiner Bebauung nicht auf dem Markt habe angeboten werden müssen, weil ein Erwerber zu dem durch das Sachenrechtsbereinigungsrecht vorgegebenen Bodenwert festgestanden habe, sei das zunächst angebotene Ersatzgrundstück unbebaut und befinde sich in einem Baugebiet, das seit Jahren nur teilweise erfolgreich von der Beklagten vermarktet werde. Von vergleichbarer Verwertbarkeit könne daher keine Rede sein. Bereits dies lasse eine Gesamtwürdigung zulasten der Beklagten ausfallen. Hinzu komme, dass es selbst nach den Berechnungen der Klägerin (gemeint ist offenbar die Beklagte) mit einem Wert von 88 % des von ihr vereinnahmten Erlöses wertmäßig deutlich abfalle. Das zweite, hilfsweise zum Ersatz angebotene Grundstück habe zwar nach den Angaben der Beklagten einen höheren Bodenpreis. Ob dieser Preis auch erzielt werden könne, bedürfe jedoch keiner weiteren Vertiefung; denn das Grundstück sei ebenfalls unbebaut und könne nicht bequem dem Gebäudeeigentümer im Wege einer Sachenrechtsbereinigung überlassen werden; es sei mithin in seiner Verwertbarkeit nicht vergleichbar.

II

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Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat Erfolg. Zwar weist die Rechtssache weder die nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung auf, noch gibt es die nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerügte Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Das angegriffene Urteil beruht jedoch auf einer Missachtung der gerichtlichen Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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1. Die von der Beklagten als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

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a) Soweit diese Fragen auf die nähere Konkretisierung des in der Rechtsprechung des Senats verwendeten Begriffs der "annähernden Wertgleichheit" des Ersatzgrundstücks zielen (vgl. Urteil vom 26. April 2007 - BVerwG 3 C 14.06 - BVerwGE 128, 351 ), müssten sie in einem Revisionsverfahren nur im Hinblick darauf beantwortet werden, dass das in erster Linie angebotene Ersatzgrundstück nach der Einschätzung des Verwaltungsgerichts auch unter Zugrundelegung der Berechnungen der Beklagten mit 88 % des für das veräußerte Grundstück erzielten Erlöses wertmäßig deutlich gegenüber dem zu ersetzenden Grundstück abfällt. Dies erfordert jedoch nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens. Abgesehen davon, dass sich die Beurteilung des Verwaltungsgerichts offenkundig im Rahmen der begrifflichen Vorgaben des Senats hält, ist deren Umsetzung im Einzelfall Aufgabe der Tatsachengerichte. Dabei spielt nicht nur die prozentuale, sondern auch die absolute Wertdifferenz eine Rolle; zudem darf nicht aus den Augen verloren werden, dass auch die konkreten Verwertungsmöglichkeiten Einfluss auf die wirtschaftliche Bewertung der Fläche haben. Eine weitere generalisierende Konkretisierung der revisionsgerichtlichen Vorgaben ist daher erst dann angezeigt, aber auch erst dann überhaupt nur möglich, wenn sich ein entsprechend breites Anschauungsmaterial in der Rechtsprechung der Tatsachengerichte herausgebildet hat.

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b) Die damit zusammenhängenden weiteren Fragen, ob eine Wertgleichheit durch den finanziellen Ausgleich von Wertdifferenzen hergestellt werden kann und ob verbleibende Wertdifferenzen exakt ausgeglichen werden müssen, führen ebenso wenig zum Erfolg des Rechtsbehelfs. Da der Senat in der erwähnten Entscheidung (a.a.O.) klargestellt hat, dass ein Grundstück, um als Ersatz geeignet zu sein, annähernd wertgleich sein muss, liegt auf der Hand, dass sich die dort bereits angesprochene und offen gelassene Frage eines Ausgleichs von Wertdifferenzen erst dann stellt, wenn die Vergleichbarkeit - auch unter Wertgesichtspunkten - zuvor bejaht worden ist. Daraus ergibt sich zugleich, dass die Eignung eines Grundstücks als Ersatzgrundstück durch solche Ausgleichsleistungen nicht hergestellt werden kann. Die Frage, ob und inwieweit verbleibende Wertdifferenzen ausgeglichen werden sollen, wäre daher hier in einem Revisionsverfahren von vornherein nicht zu beantworten, weil dies die Eignung der Ersatzgrundstücke voraussetzt, die das Verwaltungsgericht gerade nicht festgestellt hat. Ebenso wenig würde sich in einem Revisionsverfahren die weitere von der Beklagten aufgeworfene Frage stellen, ob eine Ersetzungsbefugnis wirksam und bindend ausgeübt wird, wenn der Ausgleich verbleibender Wertdifferenzen angeboten wird; denn ein solches Angebot hat es hier nicht gegeben, einmal abgesehen davon, dass es für die Vergleichbarkeit des Grundstücks ohne Bedeutung wäre.

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c) Soweit die Beklagte geklärt wissen will, ob bei der Beurteilung der vergleichbaren Verwertbarkeit des Ersatzgrundstücks auf eine Gesamtwürdigung der Umstände wie Größe, Zuschnitt, Lage, Bebauung und sonstige Ausstattung sowie Nutzbarkeit verzichtet werden könne, ist die Durchführung eines Revisionsverfahrens ebenfalls nicht erforderlich; denn der Senat hat in seinem Urteil vom 26. April 2007 (a.a.O.) eine Gesamtwürdigung dieser wertbestimmenden Faktoren des Ersatzgrundstücks verlangt, ohne dass nun Umstände vorgetragen werden oder ersichtlich sind, die dies grundsätzlich in Frage stellen. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall einer dieser bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Gesichtspunkte die vergleichende Beurteilung der Verwertbarkeit so maßgebend bestimmt, dass die anderen Faktoren nicht mehr entscheidend ins Gewicht fallen.

9

Die ebenfalls in diesen Zusammenhang gehörende Frage, ob ein Grundstück, das nicht dem Sachenrechtsbereinigungsrecht unterliegt, per se kein taugliches Ersatzgrundstück nach § 8 Abs. 5 Satz 1 VZOG sei, wenn das zu ersetzende Grundstück im Wege der Sachenrechtsbereinigung habe veräußert werden können, ist dementsprechend zu verneinen. Die Vorteile einer Veräußerung nach dem Sachenrechtsbereinigungsrecht können zwar im Einzelfall geeignet sein, andere der Verwertung des Grundstücks entgegenstehende Umstände zu überwinden; es ist jedoch offensichtlich und bedarf nicht erst der Antwort in einem Revisionsverfahren, dass es sich mit der gebotenen Gesamtwürdigung der für die Verwertbarkeit maßgebenden Umstände nicht vereinbaren lässt, die Verwertungsmöglichkeit nach dem Sachenrechtsbereinigungsrecht ungeachtet der übrigen Umstände generell für ausschlaggebend zu halten.

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d) Schließlich zeigt die Beklagte auch mit ihrer abschließenden Frage, ob gegenüber dem Erlösauskehranspruch nach § 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG mit allgemeinen Verwaltungskosten aufgerechnet werden könne, keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Dabei zielt die Frage nicht auf die Aufrechenbarkeit berechtigter Kostenforderungen; denn diese ergäbe sich zweifelsfrei aus § 387 BGB. Vielmehr möchte die Beklagte der Sache nach geklärt wissen, ob solche allgemeinen Verwaltungskosten - gemeint sind nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Kosten der laufenden Verwaltung -, die dem nach § 8 Abs. 1 VZOG Verfügungsbefugten bis zur Veräußerung entstanden sind, vom nachträglich festgestellten Eigentümer erstattet verlangt und demzufolge mit dem Erlösauskehranspruch verrechnet werden können. Selbst wenn man solche, im Vermögenszuordnungsgesetz jedenfalls im Rahmen der Restitution (§ 11 Abs. 2 Satz 4) ausdrücklich ausgeschlossenen Ansprüche mit dem Bundesgerichtshof grundsätzlich für möglich hielte, was hier offen bleiben kann, wäre die aufgeworfene Frage vom Bundesgerichtshof bereits entschieden worden, ohne dass die Beklagte einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf aufzeigt. Mit dem vom Verwaltungsgericht herangezogenen Urteil vom 23. März 2000 - III ZR 217/99 - (BGHZ 144, 100) hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass solche Kosten, soweit sie - wie die hier geltend gemachten (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 8. Mai 2009, S. 35 ff. der VG-Akte) - nach dem 9. April 1991 entstanden sind, nur nach den Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses geltend gemacht werden können mit der Folge, dass kein Anspruch auf Erstattung der gewöhnlichen Erhaltungskosten besteht, wenn dem Besitzer die Nutzungen verbleiben, und auch sonstige Aufwendungen nur mit einem Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen verrechnet werden können.

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2. Eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO kommt ebenfalls nicht in Betracht; denn das angegriffene Urteil beruht nicht auf der von der Beklagten gerügten Divergenz. Eine solche Abweichung sieht die Beklagte darin, dass das Verwaltungsgericht für die Frage der vergleichbaren Verwertbarkeit der beiden angebotenen Ersatzgrundstücke allein auf die fehlende Möglichkeit ihrer Verwertung nach den Vorschriften des Sachenrechtsbereinigungsrechts abgestellt und damit die nach dem erwähnten Urteil des Senats (a.a.O.) gebotene Gesamtwürdigung unterlassen habe.

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a) Soweit diese Rüge auf die vergleichende Bewertung des zunächst angebotenen Ersatzgrundstücks zielt, kann das Urteil nicht auf der vermeintlichen Divergenz beruhen, weil es insoweit zugleich und eigenständig tragend darauf gestützt ist, dass dieses Grundstück nicht annähernd wertgleich ist und die dagegen erhobene Grundsatzrüge erfolglos bleibt.

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b) Demgegenüber wäre die vermeintliche Abweichung hinsichtlich des hilfsweise genannten Ersatzgrundstücks entscheidungserheblich; eine Divergenz im Rechtssinne ist jedoch nicht feststellbar. Das Verwaltungsgericht hat die maßgebenden Grundsätze des Senatsurteils zur Ermittlung der vergleichenden Verwertbarkeit wiedergegeben und ausdrücklich zur Grundlage seines Urteils gemacht. Zwar hat es dann bei der Anwendung dieser Grundsätze auf das zweite Ersatzgrundstück ausschließlich auf den Aspekt der Sachenrechtsbereinigung abgestellt, ohne weitere für die Verwertung maßgebliche Umstände zu prüfen. Daraus lässt sich jedoch nicht ohne weiteres schließen, dass das Gericht - wie es die Beklagte in einer ihrer Grundsatzrügen ausdrückt - diesen Umstand "per se" also generell für unüberwindlich hält und insoweit einen abweichenden Rechtssatz aufstellen will. Vielmehr muss gerade wegen der Bezugnahme auf die vom Senat aufgestellten Grundsätze und dem Bekunden, ihnen folgen zu wollen, davon ausgegangen werden, dass das Gericht es - aus welchem Grund auch immer - versäumt hat, diese Grundsätze vollständig umzusetzen. Ein solcher Rechtsanwendungsfehler rechtfertigt keine Rüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

14

3. Dieser Rechtsanwendungsfehler offenbart aber einen Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem das Urteil, soweit es um das hilfsweise angebotene Ersatzgrundstück geht, beruht. Da das Verwaltungsgericht die vom Senat aufgestellten Grundsätze zur Ermittlung der vergleichbaren Verwertbarkeit zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, bestimmen sie auch den Umfang der nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotenen Sachaufklärung. Die Beklagte rügt daher zu Recht, dass das Verwaltungsgericht sich mit diesem einen Gesichtspunkt begnügt und weitere Ermittlungen nicht angestellt hat; denn das Verwaltungsgericht hätte ausgehend von der von ihm für geboten gehaltenen Gesamtwürdigung die bessere Verwertbarkeit nach den Sachenrechtsbereinigungsvorschriften nur für ausschlaggebend halten dürfen, wenn es zuvor Feststellungen zu den übrigen Umständen der Verwertbarkeit getroffen und aufgezeigt hätte, warum diese Umstände im vorliegenden Fall die Vorteile, die das Sachenrechtsbereinigungsrecht bietet, nicht kompensieren können.

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Angesichts dieses durchgreifenden Verfahrensmangels kann offen bleiben, ob die übrigen Verfahrensrügen der Beklagten berechtigt sind; von diesen Rügen bezieht sich jedenfalls keine auf die Frage der Wertgleichheit des in erster Linie angebotenen Ersatzgrundstücks.

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Der Senat nimmt den geschehenen Verfahrensfehler zum Anlass, das angegriffene Urteil nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

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