Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (8. Senat) - 8 B 54/11

Gründe

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Die Klägerin macht als Rechtsnachfolgerin ihres 1984 verstorbenen Vaters vermögensrechtliche Ansprüche an dessen früherer Fleischerei geltend. Der Beklagte lehnte den Antrag auf Rückübertragung der Fleischerei ab und stellte fest, dass ein Anspruch auf Entschädigung nicht bestehe. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Vater habe den Betrieb der Fleischerei vor seiner Flucht aus der DDR aufgegeben; in Betracht kämen nur Ansprüche auf Singularrestitution wegen der "Ausschlachtung" des stillgelegten Betriebes nach der Flucht.

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Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht (§ 133 Abs. 6 VwGO). Das Urteil beruht auf Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), nämlich auf einer Verletzung von § 86 Abs. 1 VwGO und § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat den Sachverhalt nicht umfassend geklärt und gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen.

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1. Das Verwaltungsgericht hat seine Sachaufklärungspflicht verletzt.

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§ 86 Abs. 1 VwGO verpflichtet das Gericht, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären. Dabei sind zwar die Beteiligten heranzuziehen, denen es insbesondere obliegt, auf eine Erforschung ihnen günstiger Umstände durch Beweisanträge hinzuwirken. Auch ohne derartige Beweisanträge - zumal wenn der Beteiligte nicht anwaltlich vertreten ist - ist das Gericht aber zu solchen Ermittlungen von Amts wegen verpflichtet, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen.

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Hiergegen hat das Verwaltungsgericht verstoßen. Es ist davon ausgegangen, dass der Vater der Klägerin am 15. Juli 1958 den selbstständigen Gewerbebetrieb seiner Fleischerei aufgegeben und sein Gewerbe abgemeldet habe. Es ist aber nicht der Frage nachgegangen, was aus der Fleischerei in der Folge geworden ist. Vielmehr hat es ohne weitere Sachaufklärung unterstellt, der Betrieb sei stillgelegt worden, weshalb die spätere Vermietung oder der spätere Verkauf einzelner Gegenstände des Betriebsvermögens nur als ein "Ausschlachten" des Betriebes angesehen werden könnten. Die Aufgabe des Gewerbebetriebes durch den bisherigen Inhaber bedeutet aber keineswegs zwangsläufig die Stilllegung des Betriebes selbst; ebenso nahe liegt eine Weiterführung des Betriebes durch einen anderen Inhaber (vgl. Urteil vom 18. Januar 1996 - BVerwG 7 C 45.94 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 17). Im vorliegenden Fall drängten sich dahingehende Ermittlungen geradezu auf. Die Klägerin hatte stets behauptet, ihr Vater sei zur Übergabe seines Betriebes an einen HO-Kreisbetrieb gezwungen worden. Tatsächlich wurde die Fleischerei in demselben Ladengeschäft offenbar von einem HO-Kreisbetrieb weitergeführt. Dafür sprechen verschiedene Unterlagen in den Behördenakten und in dem beigezogenen Akt des Verwaltungsgerichts Chemnitz. In dem streitgegenständlichen Bescheid vom 3. Juli 2009 ist die Rede davon, dass der Vater der Klägerin das vorhandene Ladengeschäft auf dem in seinem Eigentum stehenden Grundstück in der H.straße ... in O. an den HO-Kreisbetrieb verpachtet hat. Die Stadt O. teilte mit Schreiben vom 18. November 2008 dem Verwaltungsgericht Chemnitz auf dessen Anfrage mit, es sei bekannt, dass die Fleischerei zumindest bis zur Rückübertragung des Grundstücks an die Klägerin betrieben worden sei (vgl. Bl. 207 der Akte des VG Chemnitz).

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Ob die Fleischerei nach der vom Verwaltungsgericht angenommenen Aufgabe des Gewerbebetriebes von einem anderen Inhaber fortgeführt wurde, war aber für die anstehende Entscheidung erheblich. Bejahendenfalls hätte das Verwaltungsgericht nämlich den Anspruch auf Unternehmensrestitution nicht schon deshalb verneinen können, dass der Vater der Klägerin das Unternehmen vor einem möglichen schädigenden Ereignis bereits stillgelegt habe.

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2. Das Verwaltungsgericht hat aber auch den Überzeugungsgrundsatz verletzt.

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Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner Überzeugung, die es aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewinnt. Dies schließt ein, dass die richterliche Überzeugung ihre Grundlage in dem Gesamtergebnis des Verfahrens haben muss. Das Gericht darf weder Umstände, die zum Gegenstand des Verfahrens gehören, ohne zureichenden Grund ausblenden, noch darf es seine Überzeugung umgekehrt auf Umstände gründen, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens zählen (Beschluss vom 14. Juni 2011 - BVerwG 8 B 74.10 - ZOV 2011, 170 Rn. 5).

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Auch hiergegen hat das Verwaltungsgericht verstoßen. Mit Recht rügt die Klägerin, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung wesentlichen Akteninhalt nicht beachtet. Wie bereits erwähnt, sprechen mehrere aus den Akten ersichtliche Umstände für die Annahme, dass die Fleischerei über 1958 hinaus bis 1990 fortgeführt wurde. Hiermit hat sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt; es hat diese Bestandteile des Akteninhalts vielmehr bei seiner Sachwürdigung ausgeblendet, ohne hierfür eine tragfähige Begründung zu liefern.

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3. Ob auch die weiteren Rügen, die die Klägerin mit ihrer Beschwerde erhebt, begründet sind, bedarf keiner Entscheidung. Denn selbst bei Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung oder einer Divergenz und einer Zulassung der Revision würden die festgestellten Verfahrensverstöße voraussichtlich zur Zurückverweisung führen (Beschluss vom 3. Februar 1993 - BVerwG 11 B 12.92 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 10 = NVwZ-RR 1994, 120).

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Der Senat macht zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil im Beschlusswege aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).

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