Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 B 139/11

Gründe

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Die auf einen Verfahrensmangel im Sinne von § 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 Landesdisziplinargesetz Nordrhein-Westfalen (LDG NRW), § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Der Beklagte ist durch rechtskräftiges Strafurteil vom Februar 2007 u.a. wegen gemeinschaftlichen Betruges in 19 Fällen und gemeinschaftlichen Veruntreuens und Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 14 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt worden. Im sachgleichen Disziplinarklageverfahren ist der Beamte aus dem Dienst entfernt worden. Seine hiergegen eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt:

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Der Beklagte habe die Berufungsbegründungsfrist von einem Monat (§ 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW) durch ihm nach § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 173 VwGO und § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht eingehalten; Wiedereinsetzungsgründe lägen nicht vor. Bei der Berufungsbegründungsfrist in einem Disziplinarklageverfahren handele es sich um eine atypische Rechtsmittelfrist, deren Kontrolle nicht auf eine Kanzleikraft übertragen werden dürfe. Abgesehen davon sei der Bevollmächtigte vor Fristablauf noch zweimal mit der Angelegenheit befasst gewesen, nämlich bei der Besprechung mit dem Beklagten und bei Einlegung der Berufung. Hätte er sich hierbei entsprechend der ihm obliegenden anwaltlichen Sorgfaltspflicht mit der Begründungsfrist auseinander gesetzt, wäre ihm das Versehen seiner Kanzleiangestellten aufgefallen.

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2. Der Beklagte rügt ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe § 60 VwGO fehlerhaft angewandt und damit zugleich seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO) und die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzt.

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Zwar kann ein Anwalt grundsätzlich davon ausgehen, dass eine gewöhnlich zuverlässige Kanzleikraft eine von ihm errechnete Frist, die sie auf seine Weisung und in seinem Beisein notiert hat, anschließend auch ordnungsgemäß in den Fristenkalender überträgt. Allerdings besteht im Disziplinarklageverfahren die Besonderheit, dass die Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Berufung auf denselben Tag fallen, sodass das Notieren(lassen) zweier Fristen statt nur einer gemeinsamen Frist bereits besonders fehleranfällig ist. In jedem Fall begründet diese besondere Regelung über die Rechtsmittelfristen im Disziplinarklageverfahren eine gesteigerte Sorgfaltspflicht.

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Dies muss aber nicht weiter vertieft werden. Denn das Berufungsgericht geht in einer zweiten, seine Entscheidung selbständig tragenden Begründung zutreffend davon aus, dass eine Überprüfung der Rechtsmittelbegründungsfrist immer dann notwendig ist, wenn ein Anwalt während des Fristenlaufs erneut mit der Angelegenheit befasst ist. Dahinstehen kann, ob eine solche Befassung mit der Angelegenheit bereits dann anzunehmen ist, wenn der Anwalt bei Gelegenheit eines Telefonats mit dem Mandanten den Auftrag zur Berufungseinlegung erhält. Das Berufungsgericht ist aber zutreffend davon ausgegangen, dass ein dem Beklagten zurechenbares Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung vorliegt, weil der Prozessbevollmächtigte die ihm obliegende Pflicht verletzt hat, bei Einlegung der Berufung die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist erneut und eigenverantwortlich zu prüfen (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 7. März 1995 - BVerwG 9 C 390.94 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 194 S. 8 m.w.N. und vom 1. Februar 2012 - BVerwG 2 B 131.11 - Rn. 4; ebenso BVerfG, Beschluss vom 27. März 2002 - 2 BvR 636/01 - NJW, 2002, 3014 § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG>). Unerheblich ist, ob ihm in diesem Zusammenhang die Akte tatsächlich vorgelegt worden ist. Ein Anwalt, der in einem Disziplinarklageverfahren das Fertigen von Berufungsschriften seiner Kanzleikraft überlässt und diese ohne Vorlage der Akte und ohne gesonderte Prüfung unterschreibt, ob die Begründungsfrist noch eingehalten werden kann und ordnungsgemäß notiert ist, handelt sorgfaltswidrig. Gerade weil in Disziplinarklageverfahren die Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Berufung identisch sind, bestand im Streitfall für den Prozessbevollmächtigten des Beklagten in dem Zeitpunkt, als ihm nur ein Schriftsatz zur Einlegung des Rechtsmittels vorgelegt wurde, gesteigerter Anlass zu prüfen, wie es um die Einhaltung der weiteren Frist zur Begründung des Rechtsmittels stand, es sei denn er wäre sich sicher gewesen, dass deren Ablauf noch nicht drohte. Dies war hier aber nicht der Fall; nach der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages (S. 6 Mitte) hatte der Prozessbevollmächtigte "den Fristablauf am 23.08.2010 nicht im Kopf". Dies gilt ungeachtet dessen, dass Rechtsanwälte - wie die Beschwerde geltend macht - unter einem gewissen Zeit- und Wettbewerbsdruck stehen. Dies entbindet nicht von der Notwendigkeit zur Beachtung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten.

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