Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (5. Senat) - 5 C 18/12

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um die Höhe eines jugendhilferechtlichen Kostenbeitrags für die Zeit vom 7. Juli bis 31. Oktober 2008.

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Die am 1. Mai 1984 geborene Klägerin ist alleinerziehende Mutter einer Tochter. In dem in Rede stehenden Zeitraum erhielt sie Kindergeld in Höhe von monatlich 154 € sowie bis zum 24. Oktober 2008 Elterngeld in Höhe von monatlich 521,82 €.

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Ab dem 7. Juli 2008 gewährte die Beklagte der Klägerin Hilfe nach § 19 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII a.F. - und brachte diese gemeinsam mit ihrer zu diesem Zeitpunkt fast ein Jahr alten Tochter in einer Mutter-Kind-Einrichtung unter.

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Mit Bescheid vom 8. August 2008 zog die Beklagte die Klägerin zu einem monatlichen Kostenbeitrag heran, den sie für die Zeit vom 7. Juli bis zum 31. Juli 2008 auf 404,80 €, für August und September 2008 jeweils auf 506 € und für Oktober 2008 auf 428 € festsetzte. Bei der Ermittlung des hierfür maßgeblichen Einkommens rechnete die Beklagte neben dem Kindergeld das Elterngeld vollständig als Einkommen der Klägerin an und kürzte das so ermittelte Gesamteinkommen gemäß § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII a.F. um pauschal 25 v. H.

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Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren auf Reduzierung des Kostenbeitrags bis zur Höhe des gezahlten Kindergeldes und Erstattung des zuviel gezahlten Betrages gerichtete Klage abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat der Berufung der Klägerin insoweit stattgegeben, als für Juli 2008 ein Kostenbeitrag von mehr als 225,49 €, für August und September 2008 jeweils ein Kostenbeitrag von mehr als 281,86 € und für Oktober 2008 ein Kostenbeitrag von mehr als 203,59 € gefordert wurde. Im Übrigen hat er die Berufung zurückgewiesen. Das Elterngeld sei zwar als Einkommen im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII in Ansatz zu bringen. Seine Berücksichtigung als Einkommen scheide nicht gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII aus. Denn das Elterngeld werde nicht aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht. Jedoch könne die Klägerin verlangen, dass der monatliche Mindestbetrag des Elterngeldes von 300 € in analoger Anwendung des § 10 Abs. 1 Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit - Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) - anrechnungsfrei bleibe.

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Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 10 Abs. 1 BEEG.

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Die Klägerin, der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht sowie die Landesanwaltschaft Bayern verteidigen das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit der Verwaltungsgerichtshof das Elterngeld, das der Klägerin vom 7. Juli bis zum 24. Oktober 2008 gezahlt wurde, bei der Ermittlung der Berechnungsgrundlage für den jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag in Höhe von 300 € nicht als Einkommen in Ansatz gebracht hat.

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Zwischen den Beteiligten steht nicht im Streit, dass die Beklagte der Klägerin vom 7. Juli bis 31. Oktober 2008 Leistungen der Jugendhilfe nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch vom 26. Juni 1990 (BGBl I S. 1163) in der im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 2006 (BGBl I S. 3134) - SGB VIII a.F. - gewährt hat und daher die Klägerin dem Grunde nach kostenbeitragspflichtig ist. Des Weiteren ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass das auf die betreute Tochter entfallende Kindergeld als Einkommen der Klägerin im Sinne des § 93 Abs. 1 SGB VIII a.F. zählt. Die Beteiligten haben zu Recht auch nicht in Abrede gestellt, dass die Berücksichtigung des Kindergeldes weder nach § 93 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII a.F. noch nach § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII a.F. ausgeschlossen ist. Zu entscheiden ist allein darüber, ob und in welchem Umfang das der Klägerin vom 7. Juli bis zum 24. Oktober 2008 gezahlte Elterngeld bei der Berechnung ihres Einkommens zu berücksichtigen ist.

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Der Verwaltungsgerichtshof ist im Ansatz zu Recht davon ausgegangen, dass das Elterngeld zu den Einkünften der Klägerin im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII a.F. zu rechnen ist (1.). Der Anrechnung des Elterngeldes steht nicht die Ausnahmevorschrift des § 93 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII a.F. entgegen (2.). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch zutreffend entschieden, dass die Berücksichtigung des Elterngeldes nicht an § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII a.F. scheitert (3.). Rechtsfehlerhaft hat er aber angenommen, dass das Elterngeld in analoger Anwendung des § 10 Abs. 1 Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit - Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - vom 5. Dezember 2006 (BGBl I S. 2748) - BEEG a.F. - in Höhe von 300 € nicht als Einkommen anzusetzen ist (4.). Die Anrechnung des Elterngeldes in vollem Umfang ist unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten nicht zu beanstanden (5.).

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1. Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII a.F. gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Grundrente nach oder entsprechend dem Bundesversorgungsgesetz sowie der Renten und Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für einen Schaden an Leben sowie an Körper und Gesundheit gewährt werden bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Einkommen ist danach alles das, was jemand in der Bedarfs- oder Hilfezeit wertmäßig dazu erhält (vgl. Urteile vom 19. März 2013 - BVerwG 5 C 16.12 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung Buchholz vorgesehen - Rn. 23 und vom 18. Februar 1999 - BVerwG 5 C 35.97 - BVerwG 108, 296 <299> = Buchholz 436.0 § 76 BSHG Nr. 28 S. 3).

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Die Auszahlung des Elterngeldes an die Klägerin ist ein Zufluss im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII a.F.

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2. Das Elterngeld muss nicht gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII a.F. als Einkommen unberücksichtigt bleiben. Danach zählen Geldleistungen, die dem gleichen Zweck wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienen, nicht zum Einkommen und sind unabhängig von einem Kostenbeitrag einzusetzen. An der nach dieser Vorschrift vorausgesetzten Zweckidentität fehlt es hier.

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Die Zweckgleichheit der Leistung ist bezogen auf die konkrete Maßnahme der Jugendhilfe zu ermitteln (vgl. Urteil vom 22. Dezember 1998 - BVerwG 5 C 25.97 - BVerwGE 108, 221 <224> = Buchholz 436.511 § 94 KJHG/SGB VIII Nr. 1 S. 3). Bei der hier in Rede stehenden Leistung nach § 19 SGB VIII a.F. stellt sich die Frage der Zweckgleichheit nicht im Hinblick auf die dem allein sorgenden Elternteil durch pädagogische Fachkräfte gewährte Unterstützungsleistung bei der Pflege und Erziehung des Kindes, sondern allein im Hinblick auf den gemäß § 19 Abs. 3 SGB VIII a.F. als Annex zu zahlenden notwendigen Unterhalt der betreuten Personen. Dieser umfasst die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII a.F.). Zu den Kosten für den Sachaufwand gehören bei vollstationärer Betreuung insbesondere die Kosten für Unterkunft, einschließlich anteiliger Unterkunftsnebenkosten, Ernährung, Bekleidung, Dinge des persönlichen Bedarfs sowie einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung. Zum notwendigen Unterhalt gehört ferner die Vergütung der im Rahmen des § 19 SGB VIII a.F. gewährten Unterstützungsleistung der pädagogischen Fachkräfte (vgl. BTDrucks 16/9299 S. 16). Art, Umfang und Dauer des im Rahmen der Hilfeleistung nach § 19 SGB VIII a.F. gewährten notwendigen Unterhalts wird maßgeblich von dem durch die Persönlichkeitsentwicklung bedingten Unterstützungsbedarf des jeweiligen Elternteils bestimmt.

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Eine vergleichbare unterhaltsbezogene Zweckprägung besitzt das Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz a.F. nicht. Es wird vielmehr zweckneutral gewährt. Das Elterngeld dient dazu, Eltern, die im ersten Lebensjahr auf eine volle Erwerbstätigkeit verzichten, um ihr Kind selbst zu betreuen und zu erziehen, bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage zu unterstützen. Es will dazu beitragen, dass sich die gegenwärtige individuelle wirtschaftliche Situation und späteren Möglichkeiten der Daseinsvorsorge für Mütter und Väter wegen der vorrangigen Betreuung ihres Kindes nicht verschlechtern (vgl. BTDrucks 16/1889 S. 1, 2, 14, 15 und 16). Dementsprechend ist es als Kompensationsleistung für den geburtsbedingten Einkommensverlust ausgestaltet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2011 - 1 BvR 1853/11 - NJW, 2012, 214 <216>). Über den Mindestbetrag von 300 € (§ 2 Abs. 5 Satz 1 BEEG a.F.) und den Mindestgeschwisterbonus von 75 € (§ 2 Abs. 4 Satz 1 BEEG a.F.) hinaus orientiert sich das Elterngeld bis zum Höchstauszahlungsbetrag von 1 800 € an dem vor der Geburt liegenden Einkommen der berechtigten Person (§ 2 Abs. 1 BEEG a.F.). Den Mindestbeträgen kommt dabei ersichtlich der Zweck einer einheitlichen Honorierung der Erziehungs- und Betreuungsleistungen zu, was durch § 2 Abs. 6 BEEG a.F., wonach bei Mehrlingsgeburten das Elterngeld um je 300 € erhöht wird, untermauert wird (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 10 EG 2/08 R - juris Rn. 29). Die Zielsetzung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, die durch die erforderliche Kinderbetreuung entgangenen Einkünfte durch das Elterngeld jedenfalls teilweise auszugleichen, spricht dafür, dass Elterngeld einheitlich, also auch in den Fällen, in denen die berechtigte Person vor der Geburt des Kindes kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hatte (vgl. § 2 Abs. 5 Satz 2 BEEG a.F.), als Einkommensersatzleistung zu qualifizieren (vgl. BFH, Beschluss vom 21. September 2009 - VI B 31/09 - BFHE 226, 329). Einer Leistung, die lediglich einkommensersetzende Funktion besitzt, kann aber keine bestimmte Zweckwidmung zukommen. Der Berechtigte kann über das Elterngeld frei verfügen und entscheiden, wozu er es einsetzt.

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3. Zutreffend hat der Verwaltungsgerichtshof auch das Eingreifen der Ausnahmevorschrift des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII a.F. verneint. Danach sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Dabei muss der ausdrücklich genannte Zweck der anderen Geldleistung ein anderer sein als derjenige, zu dem die im Einzelfall in Frage stehende Leistung der Jugendhilfe gewährt wird (vgl. Urteil vom 12. Mai 2011 - BVerwG 5 C 10.10 - BVerwGE 139, 386 = Buchholz 436.511 § 93 KJHG/SGB VIII Nr. 2, jeweils Rn. 17 m.w.N.). Das Elterngeld wird zwar aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften gewährt. Es fehlt aber bereits an einem ausdrücklich genannten Zweck im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII a.F. Das gilt auch für den Mindestbetrag des Elterngeldes gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 BEEG a.F. von 300 €.

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Für die Annahme eines ausdrücklich genannten Zwecks ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass sich eine Zwecksetzung eindeutig aus dem Gesetz entnehmen lässt. Das Wort "Zweck" muss in dem jeweiligen Gesetz nicht verwendet werden (vgl. Urteil vom 12. Mai 2011 a.a.O. jeweils Rn. 13 m.w.N.). Ein ausdrücklicher, im Gesetzestext niedergelegter Zweck des Elterngeldes ist dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz a.F. nicht zu entnehmen. Keine Vorschrift nennt ausdrücklich eine besondere Zweckbestimmung des Elterngeldes oder des Mindestbetrages. Die unter Ziffer 2. dargelegte, aus der Gesetzesbegründung ermittelte Zielsetzung des Elterngeldes und des Mindestbetrages von 300 € kommen in den Bestimmungen des Gesetzes nicht in der für die Annahme einer ausdrücklichen Zweckbestimmung erforderlichen Eindeutigkeit zum Ausdruck. Damit erübrigt sich die Frage, ob der Einsatz des Elterngeldes oder immerhin des Mindestbetrages - wie von der Klägerin geltend gemacht - für die Berechnung des jugendhilferechtlichen Kostenbeitrags dieser Zielsetzung zuwiderläuft.

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4. Aus dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz a.F. ergibt sich auch kein Anrechnungsverbot. Der Verwaltungsgerichtshof hat die unmittelbare Anwendung des § 10 Abs. 1 BEEG a.F. zu Recht verneint (a). Zu Unrecht hat er indessen angenommen, dass das Elterngeld in Höhe des Mindestbetrags von 300 € in analoger Anwendung des § 10 Abs. 1 BEEG a.F. bei dem jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist (b).

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a) Nach § 10 Abs. 1 BEEG a.F. bleibt Elterngeld bei Sozialleistungen, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist, bis zu einer Höhe von insgesamt 300 € im Monat als Einkommen unberücksichtigt. Zu den genannten Sozialleistungen gehört die der Klägerin gewährte Leistung der Jugendhilfe nach § 19 SGB VIII a.F. nicht.

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Zwar stellt die Jugendhilfeleistung nach § 19 SGB VIII a.F. eine Sozialleistung dar, da hierzu auch Dienstleistungen in Form der persönlichen und erzieherischen Hilfen zählen (vgl. § 11 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -). Allerdings wird die Leistung nach § 19 SGB VIII a.F. nicht durch Zahlung erbracht, sondern durch die Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes in Form der Unterbringung des allein sorgenden Elternteils gemeinsam mit dem Kind in einer geeigneten Wohnform. Zudem ist die Leistung nach § 19 SGB VIII a.F. nicht einkommensabhängig (vgl. § 91 Abs. 5 SGB VIII a.F.). Leistungsgrund und Leistungsvoraussetzung ist eine defizitäre Persönlichkeitsentwicklung des allein sorgenden Elternteils, die eine Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes durch eine gemeinsame Unterbringung und Betreuung in einer geeigneten Wohnform erforderlich macht.

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b) Eine Anwendung der von § 10 Abs. 1 BEEG a.F. angeordneten Rechtsfolge auf die Berechnung des jugendhilferechtlichen Kostenbeitrags im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung scheidet aus.

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Jede Art der richterlichen Rechtsfortbildung (hier die Analogie oder teleologische Extension) setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (vgl. Urteile vom 15. November 2012 - BVerwG 3 C 12.12 - LKV 2013, 78 Rn. 19 und vom 20. Mai 1999 - BVerwG 3 C 3.98 - Buchholz 451.512 MGVO Nr. 134 S. 5). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen (vgl. Urteil vom 27. Oktober 2004 - BVerwG 6 C 30.03 - BVerwGE 122, 130 <133> = Buchholz 355 RBerG Nr. 52 S. 10; BVerfG, Beschluss vom 9. März 1995 - 2 BvR 1437/93 u.a. - NStZ 1995, 399 <400>). Ob eine Gesetzeslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (vgl. Urteile vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 2 C 71.10 - juris Rn. 18 und vom 18. Mai 2006 - BVerwG 3 C 29.05 - Buchholz 428 § 11 VermG Nr. 4 Rn. 21). Eine derartige Feststellung kann hier nicht getroffen werden.

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(aa) Der allgemeinen Zielsetzung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes a.F. sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass es der Gesetzgeber des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes a.F. versehentlich unterlassen hat, das Elterngeld hinsichtlich des Kostenbeitrags für die einkommensunabhängigen Leistungen der Jugendhilfe bis zu einer Höhe von 300 € anrechnungsfrei zu stellen.

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Das Elterngeld soll - wie dargelegt - Eltern in der Frühphase der Elternschaft bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage unterstützen und dazu beitragen, dass sie in diesem Zeitraum selbst für ihr Kind sorgen können. Es ist dementsprechend als eine Einkommensersatzleistung ausgestaltet, die dem betreuenden Elternteil eine grundsätzlich ausreichende wirtschaftliche Absicherung bietet (vgl. BTDrucks 16/1889 S. 19). Die einkommensersetzende Funktion sagt nichts darüber aus, dass das Elterngeld bei der Heranziehung des betreuenden Elternteils zu einem jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag in Höhe eines bestimmten Betrags zu schonen ist. Entsprechendes gilt für die Entscheidung des Gesetzgebers, dem betreuenden Elternteil zur Honorierung seiner Erziehungs- und Betreuungsleistung im ersten Lebensjahr des Kindes ein Elterngeld von mindestens 300 € zu zahlen, auch wenn er in dem maßgeblichen Zeitraum vor dessen Geburt kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt hat.

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(bb) Der spezielle Zweck des § 10 Abs. 1 BEEG a.F. führt zu keiner anderen Beurteilung.

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Der Gesetzgeber hat nicht übersehen, dass der betreuende Elternteil im Einzelfall neben dem Elterngeld auch Anspruch auf andere Sozialleistungen haben kann, die ebenfalls dazu dienen, seine Lebensgrundlage zu sichern. Dem trägt § 10 Abs. 1 BEEG a.F. Rechnung, der die insoweit aufeinandertreffenden gegensätzlichen Ziele einer tatsächlichen Erhöhung des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens und der Vermeidung einer Überschneidung der verschiedenen Sozialleistungen in einen gerechten Ausgleich bringt (vgl. BTDrucks 16/1889 S. 17), indem er einen bestimmten Betrag des Elterngeldes beim Bezug anderer Sozialleistungen anrechnungsfrei stellt. Daraus ergibt sich noch nicht, dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift - entgegen ihres klaren und eindeutigen Wortlauts ("bei Sozialleistungen, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist") - das Konkurrenzverhältnis zwischen Elterngeld und Sozialleistungen, einschließlich eines für sie erhobenen Kostenbeitrags umfassend regeln wollte. Die Gesetzesmaterialien bieten für eine derartige Annahme keinen hinreichenden Anhalt. Sie weisen vielmehr in die entgegengesetzte Richtung. Denn die Anrechnungsfreiheit des Mindestbetrages von 300 € wird, soweit auf sie im Rahmen der allgemeinen Gesetzesbegründung eingegangen wird (vgl. BTDrucks 16/1889 S. 15 und 17 f.), und im Rahmen der Einzelbegründung zu § 10 Abs. 1 BEEG a.F. (vgl. BTDrucks 16/1889 S. 26) nur in Bezug auf die einkommensabhängigen Sozialleistungen in Form von Geldleistungen erörtert, von denen das Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und die Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ausdrücklich genannt werden. Die nach § 11 SGB I zu den Sozialleistungen gehörenden Dienst- und Sachleistungen sowie die Kostenbeiträge für Sozialleistungen werden in diesem Zusammenhang nicht erwähnt.

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(cc) Ebenso wenig lässt die systematische Gesamtschau mit § 11 BEEG a.F. hinsichtlich der Erhebung des jugendhilferechtlichen Kostenbeitrags auf eine Gesetzeslücke schließen.

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Zwar ist das Elterngeld nach § 11 Satz 1 BEEG a.F. auch im Rahmen des Unterhaltsrechts bis zum Mindestbetrag von 300 € nicht als Einkommen anzurechnen. Auch lehnt sich der Kostenbeitrag der §§ 91 ff. SGB VIII a.F. ungeachtet der eigenständigen öffentlich-rechtlichen Ausformung nach Grund und Bemessung an das zivilrechtliche Unterhaltsrecht an (vgl. Urteil vom 19. August 2010 - BVerwG 5 C 10.09 - BVerwGE 137, 357 Rn. 22). Jedoch sieht § 11 Satz 4 BEEG a.F. Ausnahmen von der Anrechnungsfreiheit vor. So ist insbesondere bei der Bemessung des Unterhalts eines minderjährigen Kindes nach § 1603 Abs. 2 BGB das gezahlte Elterngeld vollständig als Einkommen zu berücksichtigen.

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(dd) Eine Gesetzeslücke lässt sich auch nicht mit der durch Art. 1 Nr. 10 des Gesetzes vom 10. September 2012 (BGBl I S. 1878) eingefügten Vorschrift des § 10 Abs. 6 BEEG (n.F.), welche die entsprechende Anwendung des § 10 Abs. 1 BEEG (n.F.) bei der Erhebung eines Kostenbeitrags anordnet, begründen. Soweit der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in diesem Zusammenhang ausführt, es handele sich bei dieser Neuregelung um eine Klarstellung der bisherigen Rechtslage (vgl. BTDrucks 17/9841 S. 30), ist dies jedenfalls nicht zwingend.

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Dagegen spricht bereits, dass den Gerichten die verbindliche Auslegung von Rechtssätzen obliegt und eine vom Gesetzgeber etwa beanspruchte Befugnis zur authentischen Interpretation nicht anzuerkennen ist (vgl. BVerfG, Urteile vom 2. Mai 2012 - 2 BvL 5/10 - NVwZ 2012, 876 <877> und vom 21. Juli 2010 - 1 BvL 11/06 u.a. - BVerfGE 126, 369 <392>). Im Übrigen weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass die Übergangsvorschrift des § 27 Abs. 1 Satz 1 BEEG (n.F.) für die vor dem 1. Januar 2013 geborenen Kinder in Widerspruch dazu die weitere Anwendung des Gesetzes in der bis zum 16. September 2012 geltenden Fassung ohne entsprechenden Vorbehalt anordnet.

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5. Schließlich unterliegt es unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung keinen Bedenken, dass das Elterngeld nicht nach § 10 Abs. 1 BEEG a.F. bei der Ermittlung der Berechnungsgrundlage für den jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag bis zu einer Höhe von 300 € anrechnungsfrei bleibt.

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Eine Art. 3 Abs. 1 GG verletzende Ungleichbehandlung liegt vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Im Rahmen seines Gestaltungsauftrags ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei bei seiner Entscheidung, an welche tatsächlichen Verhältnisse er Rechtsfolgen anknüpft und wie er von Rechts wegen zu begünstigende Personengruppen definiert. Eine Grenze ist jedoch dann erreicht, wenn durch Bildung einer rechtlich begünstigten Gruppe andere Personen von der Begünstigung ausgeschlossen werden und sich für diese Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt. Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit unterliegt die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise zwar einer weitgehenden Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Aber auch hier muss die von ihm getroffene Regelung durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt sein (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2011 - BVerwG 5 C 24.10 - juris Rn. 15 m.w.N.).

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Nach diesen Maßstäben scheidet eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus, weil zwischen der auf Zahlung eines Kostenbeitrags für die jugendhilferechtliche Leistung nach § 19 SGB VIII a.F. in Anspruch genommenen Klägerin und insbesondere den Empfängern von Arbeitslosengeld II nach dem SGB II und Sozialhilfe nach dem SGB XII Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass eine ungleiche Behandlung nicht als sachwidrig erscheint. Der jugendhilferechtliche Kostenbeitrag ist schon keine Sozialleistung, sondern eine Refinanzierungsleistung des Leistungsberechtigten. Die Leistung nach § 19 SGB VIII a.F. wird zudem im Unterschied zum Arbeitslosengeld II und der Sozialhilfe unabhängig vom Einkommen des Leistungsberechtigten gewährt. Ferner wird der allein sorgende Elternteil im Rahmen der jugendhilferechtlichen Leistung nach § 19 SGB VIII a.F. - anders als die Empfänger von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe - durch pädagogische Fachkräfte bei der Pflege und Erziehung des Kindes unterstützt, sodass von einer vergleichsweise geringeren Betreuungsleistung auszugehen ist. Außerdem stellt der Träger der Jugendhilfe den notwendigen Unterhalt für ihn und sein Kind sicher, während die Empfänger von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe hierfür selbst sorgen müssen.

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