Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (7. Senat) - 7 B 19/13

Gründe

I.

1

Die Klägerin begehrt im Wege einer Fortsetzungsfeststellungsklage die Feststellung, dass das Verbot des Beklagten vom 18. März 2011, den Leistungsbetrieb des Kernkraftwerks Biblis Block B vor Ablauf von drei Monaten wieder aufzunehmen, rechtswidrig gewesen ist.

2

Am 11. März 2011 führten ein Seebeben und ein nachfolgender Tsunami an der Ostküste Japans zur Zerstörung des Kernkraftwerks Fukushima. Das Kernkraftwerk Biblis Block B hatte zu diesem Zeitpunkt die im sogenannten Atomkompromiss des Jahres 2002 festgesetzte Strommenge - unabhängig von deren Ausweitung durch das 11. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 8. Dezember 2010 (BGBl I S. 1814) - noch nicht erzeugt. Aufgrund von regulär angesetzten Revisionsarbeiten befand es sich jedoch nicht im regulären Leistungsbetrieb.

3

Am 14. März 2011 kündigten die Bundeskanzlerin und der Außenminister im Rahmen einer Pressekonferenz eine Sicherheitsüberprüfung aller deutschen Kernkraftwerke und die Aussetzung der kurz zuvor beschlossenen Laufzeitverlängerung an. Am 15. März 2011 beschlossen die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Kernkraftwerken darüber hinaus die Abschaltung der sieben ältesten deutschen Anlagen und kündigten auch dies auf einer Pressekonferenz an. Mit Schreiben vom 16. März 2011 forderte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) die beteiligten Länder auf, gegenüber den Betreibern der betroffenen Anlagen eine dreimonatige Betriebseinstellung anzuordnen und hierbei die in dem Schreiben genannten Ausführungen zur Begründung zu verwenden. Mit der an die Klägerin gerichteten Verfügung vom 18. März 2011 kam der Beklagte dieser Aufforderung nach. Ergänzend führte er aus, dass von einer förmlichen Anhörung nach § 28 HVwVfG habe abgesehen werden können, weil sie vorliegend nicht geboten erscheine; die wesentlichen Inhalte der Anhörung seien der Klägerin bereits bekannt und sie habe sich bereits diesbezüglich gegenüber den öffentlichen Medien zu seiner Kenntnis geäußert.

4

Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass die Anordnung des Beklagten vom 18. März 2011 rechtswidrig gewesen ist. Sie sei formell rechtswidrig, weil die Klägerin nicht angehört worden sei und dies einen beachtlichen Verfahrensfehler darstelle. Die Anordnung sei zudem materiell rechtswidrig, da die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage - § 19 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Satz 2 AtG - nicht vorlägen, der Beklagte das notwendige Ermessen nicht sachgerecht ausgeübt und eine nicht mehr verhältnismäßige Rechtsfolge gesetzt habe.

5

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.

II.

6

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

7

Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund vorliegt (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 28. Oktober 2013 - BVerwG 5 B 66.13 - Rn. 15 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Die Begründung, dass der angegriffene Verwaltungsakt an einem formellen Fehler leide, weil der Beklagte die Klägerin vor seinem Erlass nicht, wie von § 28 HVwVfG gefordert, angehört habe, ein Ausnahmefall nach § 28 Abs. 2 und 3 HVwVfG nicht vorliege und dieser Verfahrensfehler nicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 HVwVfG oder § 46 HVwVfG unbeachtlich sei, trägt die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs selbstständig. Die von dem Beklagten in Bezug auf diese Begründung geltend gemachten Revisionszulassungsgründe (Beschwerdebegründung unter III) liegen nicht vor. Gleiches gilt für die geltend gemachten Zulassungsgründe zu Fragen der Bundesauftragsverwaltung (Beschwerdebegründung unter I), von denen der Beklagte meint, dass sie für alle tragenden Gründe des Urteils von Bedeutung seien.

8

I.1. Als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet der Beklagte die Frage,

ob die Durchführung der Anhörung im Sinne des § 28 HVwVfG ein rechtsverbindliches Handeln der Behörde nach außen darstellt und daher in den Fällen der Bundesauftragsverwaltung dem Bereich der Wahrnehmungskompetenz zuzuordnen ist.

9

Diese Frage wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Selbst wenn die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass es bei der Anhörung im Rahmen des § 28 Abs. 1 HVwVfG darauf ankommt, dass die jeweils zuständige Behörde, d.h. die für die Vornahme der möglichen Anordnung berufene Atomaufsichtsbehörde des Landes, den Betroffenen zur konkret beabsichtigten Maßnahme anhört (UA Rn. 42), nicht zutreffen sollte, würde es hier an der Anhörung der Klägerin fehlen. Der Verwaltungsgerichtshof hat es nicht damit bewenden lassen, festzustellen, dass die zuständige hessische Aufsichtsbehörde die Klägerin nicht angehört hat (UA Rn. 37). Er hat auch geprüft, ob eine andere der gesetzlichen Vorschrift entsprechende Anhörung der Klägerin vorliegt, die die fehlende Anhörung durch die zuständige Behörde ersetzen könnte. Dass eine andere Behörde, insbesondere eine Bundesbehörde wie z.B. das BMU, die Klägerin angehört habe, hat er jedoch ebenfalls nicht festgestellt (UA Rn. 38). Den Hilfsbeweisantrag des Beklagten, den damaligen Bundesumweltminister zum Beweis dafür zu vernehmen, dass zwischen dem 12. und 14. März 2011 ein Gespräch zwischen diesem, der Klägerin und anderen Betreibern von Kernkraftwerken über das beabsichtigte Moratorium stattgefunden habe und die Betreiber der Kernkraftwerke bei diesem Gespräch Gelegenheit gehabt hätten, dazu Stellung zu nehmen, hat der Verwaltungsgerichtshof abgelehnt (UA Rn. 39 - 41). Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge bleibt - wie noch darzulegen ist (I.3) - ohne Erfolg.

10

Unabhängig hiervon bedarf die Frage nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteile vom 22. Mai 1990 - 2 BvG 1/88 - BVerfGE 81, 310 und vom 19. Februar 2002 - 2 BvG 2/00 - BVerfGE 104, 249) und dem Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetz ergibt sich ohne Weiteres, dass die Kompetenzen des Bundes im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG) nichts daran ändern, dass für die nach § 28 Abs. 1 HVwVfG vor Erlass einer atomrechtlichen Aufsichtsmaßnahme erforderliche Anhörung nicht der Bund, sondern allein die für die Vornahme der Anordnung berufene Aufsichtsbehörde des Landes zuständig ist.

11

Beim Vollzug des Atomgesetzes werden die Länder im Auftrag des Bundes tätig (Art. 87c GG i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 1 AtG). Der Bund hat bei der Auftragsverwaltung (Art. 85 GG) im Vergleich zur landeseigenen Ausführung der Bundesgesetze weit stärkere Einwirkungsmöglichkeiten. Seine Aufsicht erstreckt sich nicht nur auf Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Gesetzesausführung; vielmehr unterstehen die Landesbehörden von vornherein den Weisungen der obersten Bundesbehörden. Unentziehbar steht dem Land nur die Wahrnehmungskompetenz, das Handeln und die Verantwortlichkeit nach außen im Verhältnis zu Dritten, zu. Sie bleibt stets Landesangelegenheit. Ein Eintrittsrecht des Bundes ist in Art. 85 GG nicht vorgesehen. Für die Sachbeurteilung gilt dies hingegen nicht. Die Sachkompetenz liegt zwar zunächst ebenfalls beim Land. Der Bund kann sie aber nach eigener Entscheidung dadurch an sich ziehen, dass er das ihm zuerkannte Weisungsrecht in Anspruch nimmt (BVerfG, Urteile vom 22. Mai 1990 a.a.O. S. 332 und vom 19. Februar 2002 a.a.O. S. 264 f.). Der Bund ist zudem nicht auf die Inanspruchnahme des Weisungsrechts beschränkt. Er darf im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung alle Aktivitäten entfalten, die er für eine effektive und sachgerechte Vorbereitung und Ausübung seines grundsätzlich unbeschränkten Direktions- und Weisungsrechts für erforderlich hält, soweit er dadurch die Wahrnehmungskompetenz der Länder nicht verletzt (BVerfG, Urteil vom 19. Februar 2002 a.a.O. S. 265). Hat der Bund im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung die Sachkompetenz auf sich übergeleitet, so ist er berechtigt, sich in jeder von ihm für zweckmäßig gehaltenen Weise Informationen zu beschaffen - sei es von den Betreibern, sei es von den Ländern selbst, sei es durch Sachverständigenkommissionen -, die er zur Ausübung seiner Sachkompetenz für erforderlich erachtet. Die Wahrnehmungskompetenz des Landes verletzt der Bund erst dann, wenn er nach außen gegenüber Dritten und gleichsam an Stelle der auf Grund der Wahrnehmungskompetenz des Landes für eine Entscheidung gegenüber Dritten berufenen Landesbehörde rechtsverbindlich tätig wird oder durch die Abgabe von Erklärungen, die einer rechtsverbindlichen Entscheidung gleichkommen, die Wahrnehmungskompetenz des Landes an sich zieht (a.a.O. S. 267). Die gesetzesvollziehende rechtsverbindliche Entscheidung mit Außenwirkung, vor allem der Erlass von Verwaltungsakten und der Abschluss öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen, bleibt dem Land vorbehalten (a.a.O. S. 266).

12

Die Anhörung des Betroffenen nach § 28 HVwVfG ist zwar nicht selbst eine rechtsverbindliche Entscheidung. Sie ist jedoch Teil des Verwaltungsverfahrens, d.h. der nach außen wirkenden Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet ist und den Erlass des Verwaltungsakts einschließt (§ 9 HVwVfG). Die nach § 28 Abs. 1 HVwVfG erforderliche Anhörung zum beabsichtigten Erlass eines belastenden Verwaltungsakts und der nachfolgende Erlass dieses Verwaltungsakts bilden mithin verfahrensrechtlich eine Einheit. Die Durchführung der Anhörung gehört deshalb ebenso zur unentziehbaren Wahrnehmungskompetenz des Landes wie der Erlass des Verwaltungsakts selbst. Daraus folgt nicht, dass dem Bund ein eigener Kontakt zu betroffenen Dritten verwehrt wäre. Es bleibt ihm unbenommen, Gespräche mit betroffenen Dritten zu führen, um die Ausübung seines Direktions- und Weisungsrechts vorzubereiten. Für die Durchführung der Anhörung nach § 28 HVwVfG bleibt jedoch allein die mit Außenwirkung handelnde Landesbehörde zuständig. Ist ihr bekannt, dass die Betroffenen im Rahmen informaler Kontakte mit dem Bund Gelegenheit hatten, sich auch zu der beabsichtigten Sachentscheidung zu äußern, kann dies allerdings je nach den Umständen des Einzelfalls ein Grund sein, im Rahmen ihres Ermessens nach § 28 Abs. 2 HVwVfG von einer Anhörung abzusehen.

13

2. Mit einer Divergenzrüge macht der Beklagte geltend, der Verwaltungsgerichtshof sei mit dem Rechtssatz, dass die Anhörung im Sinne des § 28 Abs. 1 HVwVfG zur Wahrnehmungskompetenz des Landes gehöre und nicht vom Bund durchgeführt werden dürfe, von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 2002 (a.a.O.) abgewichen. Das Bundesverfassungsgericht habe seiner Entscheidung den Rechtssatz zugrunde gelegt, dass Bestandteil der Aktivitäten des Bundes zur Vorbereitung und Ausübung seines Direktions- und Weisungsrechts auch unmittelbare Kontakte nach außen sein könnten; die Wahrnehmungskompetenz des Landes verletze er erst, wenn er nach außen gegenüber Dritten rechtsverbindlich tätig werde.

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Diese Rüge kann der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil der angeführte Rechtssatz des Verwaltungsgerichtshofs das Urteil nicht allein trägt und in Bezug auf die weitere tragende Begründung ein Zulassungsgrund nicht vorliegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat den auf Vernehmung des damaligen Bundesumweltministers gerichteten Hilfsbeweisantrag nicht allein aus dem Rechtsgrund abgelehnt, dass Gespräche von Mitgliedern der Bundesregierung mit den Betreibern deutscher Kernkraftwerke die Vorgaben des § 28 Abs. 1 HVwVfG nicht erfüllen würden (UA Rn. 42). Daneben tritt selbstständig tragend die Erwägung, dass der Beweisantrag auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis gerichtet sei (UA Rn. 39 - 41). Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge greift nicht durch (siehe unten I.3). Unabhängig hiervon liegt auch die geltend gemachte Divergenz nicht vor. Wie bereits dargelegt, bilden die nach § 28 Abs. 1 HVwVfG erforderliche Anhörung und der nachfolgende Erlass des Verwaltungsakts verfahrensrechtlich eine Einheit. Im Verhältnis zum Bund ist die Anhörung wie der Erlass des Verwaltungsakts selbst dem rechtsverbindlichen Tätigwerden nach außen und damit der Wahrnehmungskompetenz des Landes zugeordnet. Ein Widerspruch zur dargelegten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt nicht vor.

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3. Als Verfahrensmangel macht der Beklagte geltend, dass der Verwaltungsgerichtshof den auf Vernehmung des damaligen Bundesumweltministers gerichteten Hilfsbeweisantrag abgelehnt hat; dadurch habe er seine Aufklärungspflicht verletzt (§ 86 Abs. 1 VwGO).

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Die Rüge ist nicht begründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Hilfsbeweisantrag abgelehnt, weil es sich insoweit um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis handele. Beweisanträge könnten unsubstantiiert und als Ausforschungsbegehren unzulässig sein, wenn sie dazu dienen sollten, Behauptungen und Vermutungen zu stützen, die erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben werden. Einem Prozessbeteiligten könne es etwa verwehrt sein, unter formalem Beweisantritt Behauptungen aufzustellen, deren Wahrheitsgehalt nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben könnte. Ausgehend hiervon hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, es finde sich keine tatsächliche Grundlage für die Behauptung des Beklagten, der benannte Zeuge könne bekunden, dass er oder Dritte - etwa die Bundeskanzlerin - im Vorfeld der in Berlin im BMU stattgefundenen Beratungen über die Folgen des Unfalls in Japan konkrete Gespräche mit der Klägerin geführt habe, deren Gegenstand die beabsichtigte Stilllegung des Kraftwerks Biblis gewesen sei. Der Beklagte habe weder Ort noch Tag oder Stunde benannt, zu denen ein derartiges Gespräch stattgefunden haben solle. Ihm wäre die Einholung entsprechender Auskünfte und schriftlicher Stellungnahmen der an den behaupteten Gesprächen beteiligten Personen ohne Weiteres möglich gewesen (UA Rn. 40). Eine entsprechende Eingrenzung ergebe sich auch nicht aus der Bekundung der Bundeskanzlerin in der Pressekonferenz vom 14. März 2011, die Bundesregierung stehe im Gespräch mit den Betreibern über die Aussetzung der Laufzeitverlängerung. Diese Bekundung lasse weder erkennen, ob und inwieweit es zu diesem Zeitpunkt konkret bereits Gespräche gegeben hatte, noch dass die - am Tag darauf verkündete - Stilllegung einzelner Kernkraftwerke Gegenstand solcher Gespräche gewesen sein könnte (UA Rn. 41).

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Der Beklagte zeigt nicht auf, dass dieser Ablehnungsgrund nicht trägt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Anforderungen an die Substantiierung von Beweisanträgen, die sich auch nach der konkreten prozessualen Situation richten (Beschluss vom 28. Mai 2013 - BVerwG 7 B 46.12 - juris Rn. 5), nicht überspannt. Abgesehen von den fehlenden Angaben zu Zeit und Ort des Gesprächs ließ sich der Beweisbehauptung, es sei über das beabsichtigte "Moratorium" gesprochen worden, nicht entnehmen, dass nicht nur die Aussetzung der Laufzeitverlängerung, sondern auch das Verbot der Wiederaufnahme des Leistungsbetriebs des Kernkraftwerks Biblis Block B Gegenstand des Gesprächs gewesen sein soll. Entsprechendes ergab sich - wie der Verwaltungsgerichtshof dargelegt hat - auch nicht aus den Äußerungen der Bundeskanzlerin, auf die der Beklagte zur Begründung des Beweisantrags Bezug genommen hatte. Auch wenn Vertreter des Beklagten nicht selbst an dem behaupteten Gespräch teilgenommen haben, hätte es ihm möglich sein müssen, entsprechende Auskünfte der für die Bundesregierung anwesenden Personen einzuholen. Zu entsprechenden Nachfragen bei der Bundesregierung hätte er bereits vor Erlass der Anordnung im Zusammenhang mit der Entscheidung nach § 28 Abs. 2 HVwVfG, ob von einer Anhörung abgesehen werden kann, Anlass gehabt.

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4. Der Beklagte möchte in einem Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,

ob § 28 Abs. 1 HVwVfG so auszulegen ist, dass es für die Durchführung der Anhörung einer förmlichen, von der zuständigen Behörde ausgehenden Initiative nicht bedarf, sofern die Anforderungen des Gesetzes an den rein tatsächlichen Vorgang der Anhörung erfüllt sind, d.h. der Betroffene über den beabsichtigten Verwaltungsakt Kenntnis hatte, sich zur Kenntnis der Behörde in einer ihm überlassenen Weise geäußert und die Behörde die Äußerung auch berücksichtigt hat.

19

Diese Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Es unterliegt keinem Zweifel und ist auch im Schrifttum unbestritten, dass nach § 28 Abs. 1 HVwVfG die Behörde dem Betroffenen - in welcher Form auch immer - Gelegenheit zur Äußerung zu geben hat (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 28 Rn. 12; Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 28 Rn. 46; Ziekow, VwVfG, 3. Aufl. 2013, § 28 Rn. 4; Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2013, § 28 VwVfG Rn. 20; Ritgen, in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2010, § 28 Rn. 13; Grünewald, in: Obermayer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 1999, § 28 Rn. 15). Die Anhörung muss sich an einen individualisierten Adressaten richten und die beabsichtigte behördliche Maßnahme konkret benennen (BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - BVerwG 3 C 16.11 - BVerwGE 142, 205 = Buchholz 418.43 lfSG Nr. 1 Rn. 12). Die freie Berichterstattung in den Medien über eine beabsichtigte Verwaltungsmaßnahme ist der Behörde nicht zuzurechnen; zudem fehlt jedenfalls die erforderliche Individualisierung des Adressaten. Im Übrigen kann, selbst wenn sich der Betroffene aufgrund von Medienberichten gegenüber der Öffentlichkeit zu der beabsichtigten Verwaltungsmaßnahme geäußert hat, nicht davon ausgegangen werden, dass er sich gegenüber der Behörde nicht weitergehend geäußert hätte.

20

5. Die Frage,

ob § 28 Abs. 2 HVwVfG dahin auszulegen ist, dass die Landesbehörde von einer Anhörung absehen kann, wenn der Bund die Sachkompetenz an sich gezogen und Gespräche mit dem Betroffenen geführt hat,

würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass der Bund Gespräche mit der Klägerin über das Verbot der Wiederaufnahme des Leistungsbetriebs des Kernkraftwerks Biblis Block B geführt hat. Die Verfahrensrügen gegen das Unterlassen einer solchen Feststellung, auf die der Beklagte zur Begründung der Entscheidungserheblichkeit seiner Grundsatzfrage verweist, sind nicht begründet (I.3, II.2 und 3).

21

6. Die geltend gemachte Abweichung vom Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Februar 1991 - BVerwG 7 B 7.91 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 283 dürfte bereits nicht vorliegen; jedenfalls würde das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs nicht auf dieser Abweichung beruhen.

22

Der Beklagte entnimmt dem angefochtenen Urteil (UA Rn. 52) den Rechtssatz, dass § 46 HVwVfG dann keine Anwendung finde, wenn eine sogenannte Beurteilungsermächtigung vorliege, d.h. wenn die Behörde unbestimmte Rechtsbegriffe anzuwenden habe, die ihr einen Beurteilungsspielraum einräumen. Dass der Verwaltungsgerichtshof die Anwendbarkeit des § 46 HVwVfG unabhängig von der Kausalität des Verfahrensfehlers für die Ausübung des Beurteilungsspielraums verneint hat, dürfte dem Urteil entgegen der Auffassung des Beklagten schon nicht zu entnehmen sein (vgl. UA Rn. 52 a.E.); jedenfalls würde es hierauf nicht beruhen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Unbeachtlichkeit der fehlenden Anhörung selbstständig tragend auch deshalb verneint, weil der Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen über Aufsichtsmaßnahmen nach § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG zu entscheiden hatte und nicht festgestellt werden konnte, dass eine Anhörung der Klägerin rechtlich keine Auswirkungen auf diese Ermessensentscheidung gehabt hätte (UA Rn. 54).

23

7. Die Frage,

ob § 46 HVwVfG dahingehend auszulegen ist, dass im Rahmen der anzustellenden hypothetischen Betrachtung auch politische Entscheidungen berücksichtigt werden können, so dass ein feststehender Behördenwille angenommen werden kann,

würde sich in dieser Allgemeinheit in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass politische Entscheidungen bei der Prüfung des § 46 HVwVfG unter keinen Umständen berücksichtigt werden können, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht aufgestellt. Er hat es hier für möglich gehalten, dass der Verfahrensfehler in Form der unterbliebenen vorherigen Anhörung der Klägerin offensichtlich ohne Einfluss auf die von dem Bundesministerium oder der Aufsichtsbehörde politisch getroffene Entscheidung gewesen sei; die legitime politische Betrachtungsweise sei von der juristischen indes zu trennen. § 46 HVwVfG finde keine Anwendung, wenn eine sogenannte Beurteilungsermächtigung vorliege und zudem in hypothetischer Betrachtungsweise nicht ausgeschlossen werden könne, dass entsprechende Informationen Einfluss auf die zu treffende Entscheidung der Behörde hätten haben können (UA Rn. 52). Der Beklagte habe jedenfalls darüber hinaus nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden gehabt. Bei Ermessensentscheidungen könne im Regelfall bereits die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Behörde bei Beachtung des Verfahrensrechts zu einer anderen Entscheidung in der Sache gekommen wäre. Die hier unterbliebene Ausübung des Ermessens dürfe nicht über § 46 HVwVfG zu dem Ergebnis führen, dass die Anhörung offensichtlich an der Entscheidung in der Sache nichts geändert hätte. Auch dann, wenn die Entscheidung in der Sache für den Beklagten erkennbar zunächst festgestanden hätte, könne gerade nicht festgestellt werden, dass eine Anhörung der Klägerin rechtlich keine Auswirkungen gehabt hätte. Eine Reduzierung des Ermessens auf Null habe im Übrigen weder auf Seiten der hessischen Aufsichtsbehörde noch des BMU bestanden (UA Rn. 54).

24

Der Verwaltungsgerichtshof hat mithin angenommen, die Voraussetzungen des § 46 HVwVfG könnten nicht bereits deshalb als erfüllt angesehen werden, weil dem Erlass des Verwaltungsakts eine entsprechende politisch getroffene Entscheidung vorausgegangen ist, die die zuständige Behörde lediglich umgesetzt hat. Dass diese Rechtsauffassung mit Bundesrecht vereinbar ist, bedarf nicht der Bestätigung in einem Revisionsverfahren. Seit der Neufassung des § 46 VwVfG durch das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vom 12. September 1996 (BGBl I S. 1354) und der entsprechenden Anpassung des § 46 HVwVfG ist ein Verfahrensfehler nicht nur unbeachtlich, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können, sondern immer dann, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung der Verfahrensvorschrift die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Anhörungsfehlern bei Entscheidungen mit Beurteilungs- und/oder Ermessensspielräumen ist geklärt, dass diese Prüfung eine hypothetische Betrachtung erfordert: Es ist zu prüfen, was der Betroffene bei fehlerfreier Anhörung vorgetragen hätte und ob dieser Vortrag objektiv geeignet gewesen wäre, die Sachentscheidung der Behörde zu beeinflussen (Urteile vom 24. Juni 2010 - BVerwG 3 C 14.09 - BVerwGE 137, 199 = Buchholz 442.01 § 13 PBefG Nr. 38 Rn. 40 ff. und vom 22. März 2012 a.a.O. Rn. 20). Die Feststellung, dass die Behörde eine zuvor politisch getroffene Entscheidung lediglich umgesetzt hat, genügt hiernach nicht, um eine Beeinflussung der Sachentscheidung durch den Anhörungsfehler auszuschließen. Auch in einem solchen Fall muss der hypothetische Vortrag des Betroffenen gewürdigt werden. Dass hier die Klägerin im Rahmen einer Anhörung im Kern den gleichen Vortrag wie im späteren Klageverfahren gebracht hätte und dass dieser Vortrag hinreichend gewichtig gewesen wäre, um den Beklagten und gegebenenfalls auch das BMU zu einer Überprüfung der beabsichtigten Entscheidung zu veranlassen, steht außer Frage.

25

8. Mit der Frage,

ob § 46 HVwVfG dahingehend auszulegen ist, dass die materielle Rechtmäßigkeit für die Beurteilung der Kausalität des formellen Fehlers im Rahmen des § 46 HVwVfG von Bedeutung ist,

unterstellt der Beklagte dem Verwaltungsgerichtshof einen Rechtssatz, den dieser seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat geprüft, ob der Anhörungsfehler die Entscheidung des Beklagten in der Sache schon deshalb nicht beeinflusst haben kann, weil der Beklagte das ihm in § 19 Abs. 3 AtG eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat. Diese Frage hat er verneint, weil die Nichtausübung des eigentlich gesetzlich vorgesehenen und notwendigen Ermessens nicht über § 46 HVwVfG zu dem Ergebnis führen dürfe, dass die Anhörung in der Sache nichts geändert hätte (UA Rn. 54). Dass ein formeller Fehler lediglich bei materiell rechtmäßigen Verwaltungsakten unbeachtlich sein könne (so Beschwerdebegründung S. 39), hat der Verwaltungsgerichtshof damit nicht angenommen. Dass die Kausalität eines Anhörungsfehlers für die zu treffende Sachentscheidung mit dem Verwaltungsgerichtshof nicht schon deshalb verneint werden kann, weil die Behörde nicht nur die Notwendigkeit der Anhörung, sondern darüber hinaus verkannt hat, dass sie nicht rechtlich gebunden ist, sondern das ihr vom Gesetz eingeräumte Ermessen auszuüben hat, liegt auf der Hand.

26

II. Die in Bezug auf alle tragenden Urteilsgründe geltend gemachten Zulassungsgründe zu Fragen der Bundesauftragsverwaltung liegen, soweit es um die Anhörung geht, ebenfalls nicht vor.

27

1. Als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet der Beklagte die Frage,

ob es bei einer Anfechtungsklage des Betroffenen mit Art. 85 Abs. 3 GG vereinbar ist, wenn das Verwaltungsgericht/der Verwaltungsgerichtshof die Frage dahinstehen lässt, ob und inwieweit der Bund die Sachkompetenz an sich gezogen hat, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Bund seine Sachkompetenz aktualisiert hat, indem er z.B. eine Entscheidung vorgegeben hat oder die Landesbehörde die Vorgaben des Bundes als verbindlich verstanden hat.

28

Soweit es um die Anhörung geht, ergibt sich aus dieser Frage kein über die bereits abgehandelte Frage I.1 hinausgehender Klärungsbedarf; auf die dortigen Ausführungen kann Bezug genommen werden. Selbst wenn der Bund die Sachkompetenz an sich gezogen hätte und dies zur Folge hätte, dass das Land für die vor Erlass einer atomrechtlichen Aufsichtsmaßnahme nach § 28 HVwVfG erforderliche Anhörung nicht mehr allein zuständig wäre, läge hier ein Anhörungsmangel vor, denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass jedenfalls der Bund die Klägerin zum beabsichtigten Verbot der Wiederaufnahme des Leistungsbetriebs des Kernkraftwerks Biblis Block B angehört hat. Im Übrigen bleibt die Anhörung dem Land als Teil seiner Wahrnehmungskompetenz vorbehalten, auch wenn der Bund die Sachkompetenz an sich zieht. Dass der Verwaltungsgerichtshof unter diesen Umständen für die Anhörung offen lassen konnte, ob und inwieweit der Bund die Sachkompetenz an sich gezogen hat (UA Rn. 33), liegt auf der Hand.

29

2. Als Verfahrensmangel rügt der Beklagte einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof habe den Vortrag des Beklagten zum Vorliegen einer Weisung und zu den Gründen für die Auswahl der streitbefangenen Anlage in den Entscheidungsgründen übergangen.

30

Diese Rüge kann unabhängig davon, dass die Beweiswürdigung revisionsrechtlich regelmäßig - und so auch hier - dem materiellen Recht zuzurechnen ist, keinen Erfolg haben. Soweit es um das Vorliegen einer Weisung geht, verkennt der Beklagte, dass der Prüfung von Verfahrensmängeln die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz zugrunde zu legen ist (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 28. März 2013 - BVerwG 4 B 15.12 - juris Rn. 8). Das Vorliegen einer Weisung war für den Verwaltungsgerichtshof - wie unter I.1 und II.1 dargelegt - nicht entscheidungserheblich. Soweit es um die Gründe für die Auswahl der streitbefangenen Anlage geht, legt der Beklagte in der Beschwerdebegründung lediglich dar, dass die behauptete Nichtberücksichtigung des im Tatbestand festgestellten Sachverhalts für die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme (UA Rn. 90 und 92) von Bedeutung sei. Eine Relevanz des Vorbringens für die Anhörung ist weder dargelegt noch ersichtlich.

31

3. Als Verfahrensmangel rügt der Beklagte schließlich, dass der Verwaltungsgerichtshof den von ihm vorgetragenen und im Tatbestand festgestellten Sachverhalt, der das Zustandekommen der streitbefangenen Anordnung im Rahmen der Regeln über die Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG betreffe, nicht berücksichtigt habe. Dadurch sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

32

Auch diese Rüge ist unbegründet. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn das Gericht den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt gelassen hat, namentlich wenn er nach der materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts nicht entscheidungserheblich war (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 28. März 2013 a.a.O. Rn. 12 m.w.N.). Wie bereits dargelegt, kommt es nach der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs bei der Anhörung im Rahmen des § 28 Abs. 1 HVwVfG darauf an, dass die jeweils zuständige Behörde, d.h. die für die Vornahme möglicher Anordnungen berufene Atomaufsichtsbehörde des Landes, den Betroffenen zur konkret beabsichtigten Maßnahme anhört (UA Rn. 42). Die Frage, ob und inwieweit das BMU die Sachkompetenz an sich gezogen hat, war hiernach für das Vorliegen einer beachtlichen Verletzung von § 28 HVwVfG nicht entscheidungserheblich.

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