Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (8. Senat) - 8 C 11/16
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz für den hälftigen Geschäftsanteil des Dr. H. an der "G. GmbH". Dr. H. gehörte zur Gruppe der im Dritten Reich aus rassischen Gründen Verfolgten. Mit notariellem Vertrag vom 21. Oktober 1935 verkaufte er seinen Anteil.
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Im Dezember 1992 reichte die Klägerin insgesamt drei so genannte Globalanmeldungen ein, mit denen sie die Rückgabe von und hilfsweise Entschädigung für alle feststellbaren Vermögenswerte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 VermG beantragte. Mit Schreiben vom 30. März 2001 präzisierte sie ihre Globalanmeldung vom 23. Dezember 1992 durch Übersendung einer Liste von "Betriebsvermögen". Unter Nr. 477 der Liste war die "Ges. für H. mbH, ..., M.str. ..." aufgeführt. Mit zwei Schreiben vom 10. Juli 2006 meldete die Klägerin die "G. GmbH, Sitzadresse: ... ... bzw. M.str. ..., Quelle: Reichsadressbuch" unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 1a Satz 1 des NS-Verfolgtenentschädigungsgesetzes (NS-VEntschG) und Beschränkung auf Entschädigung an. Im Februar 2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie beabsichtige den Antrag für den Vermögenswert "G. GmbH" abzulehnen. Das Unternehmen sei während der NS-Herrschaft nicht geschädigt worden. In ihrer Erwiderung vom März 2014 führte die Klägerin ergänzend aus, dass jedenfalls Dr. H. seinen Anteil an der Gesellschaft verfolgungsbedingt verloren habe.
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Mit Bescheid vom 16. Mai 2014 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Entschädigung des Unternehmens "G. GmbH" ab. Das Unternehmen habe keinen verfolgungsbedingten Vermögensverlust erlitten. Für die Anteile des Dr. H. an der "G. GmbH" liege keine fristgemäße Anmeldung vor. Mit der Anmeldung eines Unternehmens seien nicht automatisch zugleich auch die Anteile am jeweiligen Unternehmensträger angemeldet.
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Nach Klagerücknahme im Übrigen hat das Verwaltungsgericht den Bescheid mit Urteil vom 24. März 2016 teilweise aufgehoben und die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass der Klägerin wegen des Verlustes des hälftigen Geschäftsanteils des Dr. H. an der "G. GmbH" eine Entschädigung nach Maßgabe des NS-Verfolgtenentschädigungsgesetzes zustehe. Zur Begründung hat es ausgeführt, es liege eine wirksame Anmeldung der Klägerin für den Geschäftsanteil des Dr. H. an der "G. GmbH" vor. Diesen Anteil habe Dr. H. verfolgungsbedingt verloren. Tatsächlich angemeldet habe die Klägerin zwar ausdrücklich nur die Gesellschaft als solche. Diese Anmeldung erfasse aber auch den geltend gemachten Vermögensverlust. Eine Anmeldung nach § 1 Abs. 1a NS-VEntschG könne in gleichem Maße wie eine Anmeldung konkretisiert werden, die unter § 30a VermG falle. Vorliegend würden die Handelsregisterunterlagen zur Beteiligung des Dr. H. an der "G. GmbH" führen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Wirksamkeit der Anmeldung auf die Art und den Umfang der eigentumsrechtlichen Beziehung des Geschädigten zum entzogenen Gegenstand nicht ankomme. Hinzu komme die Vorschrift des § 6 Abs. 6 Satz 4 VermG. Auch wenn sie vorliegend nicht einschlägig sei, spreche ihr Regelungsgehalt, der die Reichweite einer Anmeldung in bestimmten Fällen der Unternehmensrestitution erweitere, dafür, die Anmeldung eines Unternehmens zugleich als Anmeldung der Anteile an dem Unternehmensträger anzusehen.
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Mit der Revision rügt die Beklagte, das Verwaltungsgericht habe § 1 Abs. 1a NS-VEntschG unzutreffend angewandt. Zur Wahrung der Frist des § 1 Abs. 1a NS-VEntschG genüge es nicht, Unterlagen einzureichen, die zu einem Vermögenswert hinführten. Erforderlich sei vielmehr, den Vermögenswert innerhalb der Ausschlussfrist konkret zu benennen. Das sei vorliegend nicht geschehen. Innerhalb der Ausschlussfrist habe die Klägerin lediglich das Unternehmen "G. GmbH" und nicht auch Anteile am Unternehmensträger benannt. Die Anmeldung des Unternehmens erstrecke sich auch nicht von Gesetzes wegen auf die Anteile am Träger des Unternehmens. Solches folge insbesondere nicht aus § 6 Abs. 6 Satz 4 VermG. Die Vorschrift sei ihrem Wortlaut nach nicht einschlägig und könne auf den vorliegenden Fall auch nicht entsprechend angewendet werden.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. März 2016 zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angegriffene Urteil beruht auf einer unrichtigen Anwendung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da der Sachverhalt geklärt ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).
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1. Das angegriffene Urteil verletzt § 1 Abs. 1a des NS-Verfolgtenentschädigungsgesetzes (NS-VEntschG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 13. Juli 2004 (BGBl. I S. 2809), zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 42 des Gesetzes vom 22. September 2005 (BGBl. I S. 2809). Das Verwaltungsgericht geht unzutreffend davon aus, dass an die Benennung eines Vermögenswertes nach § 1 Abs. 1a Satz 1 NS-VEntschG keine weitergehenden Anforderungen als an den Inhalt einer Erstanmeldung nach § 30a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 9. Februar 2005 (BGBl. I S. 205), zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes vom 21. November 2016 (BGBl. I S. 2591) zu stellen sind und es damit zur Wahrung der Frist des § 1 Abs. 1a Satz 1 NS-VEntschG genügt, Unterlagen einzureichen, die zu dem Vermögenswert hinführen.
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Der Anspruch nach § 1 Abs. 1a NS-VEntschG setzt voraus, dass innerhalb der dort genannten Ausschlussfristen ein "bestimmter Vermögenswert" benannt wird. Schon der Wortlaut der Vorschrift gibt damit klar zu erkennen, dass es nicht wie bei der Anmeldefrist des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG genügt, wenn der Vermögenswert aufgrund der Antragsunterlagen "bestimmbar" ist (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2003 - 7 C 62.02 - BVerwGE 119, 145 <149 ff.> = Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 30 S. 41 ff.). Auch eine Auslegung nach Sinn und Zweck spricht gegen eine Übertragung der für die Wahrung der Anmeldefrist des § 30a Abs. 1 VermG geltenden Anforderungen an die Bezeichnung des Vermögenswertes auf den Entschädigungsanspruch nach § 1 Abs. 1a NS-VEntschG. Die Vorschrift soll angesichts einer vom Gesetzgeber als zu eng empfundenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an eine Globalanmeldung (vgl. Urteile vom 23. Oktober 2003 - 7 C 62.02 - BVerwGE 119, 145 = Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 30 und vom 24. November 2004 - 8 C 15.03 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 34) bewirken, dass einem auf Entschädigung begrenzten Anspruch der Klägerin keine Versäumung der Antragsfrist des § 30a Abs. 1 VermG mehr entgegengehalten werden kann. Andererseits sollte die Klägerin die zu entschädigenden Vermögenswerte nunmehr innerhalb einer Ausschlussfrist abschließend konkretisieren (BT-Drs. 15/5576 S. 5 und 15/5684 S. 3). Das bedeutet, dass sich aus den bis zum Ablauf der Frist eingereichten Unterlagen ohne Weiteres ergeben muss, auf welchen "bestimmten" Vermögenswert sich der Entschädigungsanspruch bezieht. Auch die Ausgestaltung der in § 1 Abs. 1a NS-VEntschG genannten Fristen als Ausschlussfristen lässt erkennen, dass bis dahin Klarheit über die zu entschädigenden Vermögenswerte bestehen muss, damit ohne weitere behördliche Ermittlungen hierzu über den geltend gemachten Entschädigungsanspruch entschieden werden kann.
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2. Das Verwaltungsgericht stützt seine Entscheidung auch auf die Annahme, dass die Klägerin den Geschäftsanteil des Dr. H. an der "G. GmbH" innerhalb der Ausschlussfrist des § 1 Abs. 1a NS-VEntschG als zu entschädigenden Vermögenswert hinreichend bestimmt benannt habe. Zwar habe sie ausdrücklich nur eine Schädigung der Gesellschaft als solcher angemeldet. Die Anmeldung einer Schädigung des Unternehmens umfasse jedoch auch die Schädigung von Anteilen an demselben. Auch diese Auffassung verstößt gegen Bundesrecht.
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Zu Unrecht verweist das Verwaltungsgericht für seine Auffassung auf die Rechtsprechung des Senats zur Anmeldung von Miteigentumsanteilen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Oktober 2000 - 8 B 208.00 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 23 S. 23). Der Miteigentumsanteil ist ein ideeller Anteil an einer real ungeteilten Sache (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2010 - 9 C 1.09 - BVerwGE 136, 126 Rn. 29). Daher stellt jede Schädigung eines Grundstücks zugleich eine Schädigung der Miteigentumsanteile an demselben dar. Demgegenüber handelt es sich bei dem "Unternehmen" als Gesamtheit der dem Betrieb dienenden Sachen und Rechte (vgl. Messerschmidt, in: Fieberg/Reichenbach u.a., VermG, Stand Oktober 2016, § 6 Rn. 3) und den Anteilen an einem Unternehmen um verschiedene Vermögenswerte, deren Bestand einen unterschiedlichen Verlauf nehmen kann. Zwar ist als einheitlicher Maßstab für die Bemessung einer Entschädigung nach § 2 Satz 2 NS-VEntschG der Einheitswert anzusetzen (BVerwG, Urteil vom 17. Juli 2009 - 5 C 33.07 - BVerwGE 134, 196 Rn. 18 f.). Die Schädigung eines Unternehmens geht jedoch nicht stets mit einer Schädigung der Anteile an diesem einher oder umgekehrt (vgl. nur § 3 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 VermG). Aus dem von der Klägerin in Bezug genommenen § 6 Abs. 6 Satz 4 VermG folgt nichts anderes. Diese der Einheitlichkeit des Antragsbegehrens bei der Unternehmensrestitution dienende Vorschrift geht vielmehr gerade von getrennten Schädigungen aus, nämlich zunächst von Anteilen am Unternehmen und sodann vom Unternehmen selbst (Messerschmidt, a.a.O. S. 6 Rn. 590). Um der nach § 1 Abs. 1a NS-VEntschG gebotenen abschließenden Konkretisierung des Vermögensverlustes innerhalb der Ausschlussfrist zu genügen, muss die Klägerin demnach angeben, ob sie von einer Schädigung des Unternehmens als solchem oder einer Schädigung von Anteilen an demselben ausgeht.
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3. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zur Klärung der Frage, ob der Anspruch auf Entschädigung nach § 1 Abs. 1 NS-VEntschG neben dem Entschädigungsanspruch nach § 1 Abs. 1a NS-VEntschG geltend gemacht werden kann. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass eine den Anforderungen des § 30a VermG genügende Anmeldung vorliegen könnte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Referenzen
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- VermG § 6 Rückübertragung von Unternehmen 3x
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- VwGO § 144 2x
- § 2 Satz 2 NS-VEntschG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VermG § 30 Antrag 4x
- VermG § 30a Ausschlussfrist 5x
- VwGO § 137 1x
- VermG § 2 Begriffsbestimmung 1x
- § 1 Abs. 1a Satz 1 NS-VEntschG 2x (nicht zugeordnet)
- 5 und 15/56 1x (nicht zugeordnet)