Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (7. Senat) - 7 C 35/15

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen eine abfallrechtliche Verfügung, die ihr die gewerbliche Sammlung von Alttextilien und -schuhen untersagt.

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Unter dem 25. Mai 2012 zeigte die Rechtsvorgängerin der Klägerin die gewerbliche Sammlung von Textilien und Schuhen aus privaten Haushalten an. Die Container- und Straßensammlung sollte sich über einen Zeitraum von 10 Jahren und - über die bereits vorhandenen vier Container hinaus - mit 100 Containern und einer jährlichen Sammelmenge von 350 t auf das gesamte Kreisgebiet erstrecken. Im Rahmen der vom Beklagten angeforderten Stellungnahmen zur Anzeige machten einige kreisangehörige Gemeinden und der ... Abfallwirtschaftsverband als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger geltend, der Sammlung stünden überwiegende öffentliche Interessen entgegen.

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Mit Bescheid vom 13. November 2012 untersagte der Beklagte der Rechtsvorgängerin der Klägerin die Sammlung im gesamten Gebiet der Stadt B. Die Sammlung würde nach ihrer konkreten Ausgestaltung die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers oder des von diesem beauftragten Dritten gefährden. Dieser führe selbst eine haushaltsnahe oder sonstige hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung der Abfälle durch. Die angezeigte Sammlung sei nicht wesentlich leistungsfähiger. Die Untersagung sei erforderlich und nicht unverhältnismäßig.

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Das Verwaltungsgericht hob die Untersagungsverfügung mit Urteil vom 11. September 2014 auf. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 21. September 2015 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen: Der Beklagte sei für den Erlass der Untersagungsverfügung zuständig. Die Frage seiner Neutralität als untere Umweltschutzbehörde stelle sich nicht, weil er nicht zugleich öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger sei. Die Voraussetzungen für eine Untersagung der gewerblichen Sammlung nach § 18 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 KrWG i.V.m. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG hätten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Eingangs der vollständigen Anzeige vorgelegen. Die Untersagungsverfügung habe später als drei Monate nach der Anzeige ergehen dürfen. Bei den von der Klägerin gesammelten bzw. zu sammelnden Alttextilien handele es sich um Abfälle im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Der angezeigten Sammlung stünden überwiegende öffentliche Interessen im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG entgegen. § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG sei als widerlegliche Vermutung oder als Regelfall mit Ausnahmevorbehalt für die Annahme einer Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers zu verstehen. Auch wenn der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger ein hochwertiges Erfassungssystem anbiete, bleibe stets zu prüfen, ob die Umstände des konkreten Einzelfalles zu einer abweichenden Bewertung führten. Dabei seien die Auswirkungen der angezeigten Sammlung im Zusammenwirken mit anderen angezeigten gewerblichen, nicht aber gemeinnützigen Sammlungen auf die Sammelmenge des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers in den Blick zu nehmen. Die erforderliche Einzelfallbetrachtung sei in der Weise zu strukturieren, dass bei einer insgesamt zu berücksichtigenden Sammelmenge von unter 10 % der Sammelmenge des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers ein wesentlicher Einfluss auf das bestehende hochwertige System des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers nicht zu besorgen sei. Im anschließenden Bereich einer Sammelmenge von bis zu 50 % habe der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger konkrete nachteilige Auswirkungen der Sammlung plausibel zu machen. Liege schließlich die zu berücksichtigende Sammelmenge über 50 % der vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger erfassten Sammelmenge, sei regelmäßig von einem wesentlichen Einfluss auf das Erfassungssystem auszugehen. Letzteres sei im Gebiet der Stadt B. der Fall. Die Untersagung sei auch nicht unverhältnismäßig.

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Zur Begründung der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend: Der Landrat des Beklagten stehe dem Abfallwirtschaftsverband als dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger vor; folglich könne er wegen des Interessenkonflikts nicht gleichzeitig zuständige Behörde im Sinne des § 18 Abs. 4 und 5 KrWG sein. Nach Ablauf der dreimonatigen Frist des § 18 Abs. 1 KrWG habe die Sammlung nicht mehr untersagt werden dürfen; Beschränkungen der Sammlung seien nur nach Maßgabe von § 62 KrWG möglich. Der private Sammler sei in seiner Planungssicherheit ebenso schutzwürdig wie der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger. Da die Zweckbestimmung von Gebrauchtkleidung mit dem Einwurf in einen Sammelcontainer nicht entfalle, diese vielmehr als Kleidung weiter verwendet werde, unterfalle sie nicht dem Abfallbegriff des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz würden gewerbliche Sammler gegenüber gemeinnützigen und kommunalen Sammlern in verfassungs- und europarechtswidriger Weise diskriminiert. Schließlich habe der Beklagte bei der Untersagungsentscheidung kein Ermessen ausgeübt.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. September 2015 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. September 2014 zurückzuweisen.

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Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Er verteidigt das angefochtene Urteil im Ergebnis, wendet sich jedoch gegen das Verständnis der Vorschrift des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG als widerlegliche Vermutung und eine seiner Ansicht nach wenig praktikable "Wesentlichkeitsschwelle".

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Der Vertreter des Bundesinteresses hält das Urteil des Oberverwaltungsgerichts im Ergebnis für vertretbar. Allerdings sei die Rechtsauffassung, bei einer berücksichtigungsfähigen hinzutretenden Sammelmenge von mehr als 50 % sei eine Einzelfallprüfung entbehrlich, mit unionsrechtlichen Vorgaben, die einem absoluten Konkurrenzschutz entgegenstünden, nicht vereinbar.

Entscheidungsgründe

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Der Senat entscheidet über die Revision mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).

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Die zulässige Revision ist nicht begründet.

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Das Berufungsurteil verstößt zwar gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit es unzutreffende rechtliche Maßstäbe für die Feststellung einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers zugrunde legt, bei der Bestimmung der für das Entsorgungssystem des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers maßgeblichen Sammelmenge gemeinnützige Sammlungen außer Betracht lässt und dabei auf die zum Zeitpunkt der vollständigen Anzeige der Sammlung maßgebliche Sach- und Rechtslage abstellt. Die Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen, weil sich die Untersagungsverfügung des Beklagten als rechtmäßig erweist.

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1. Ohne Verstoß gegen revisibles Recht ist das Oberverwaltungsgericht von der Zuständigkeit des Beklagten für den Erlass der Untersagungsverfügung ausgegangen.

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Der beklagte Kreis ist nach dem maßgeblichen Landesrecht als untere Umweltschutzbehörde für den Vollzug des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und damit für den Erlass der auf § 18 Abs. 5 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz - KrWG) i.d.F. des Gesetzes vom 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212) gestützten Untersagungsverfügung zuständig (§ 38 des Abfallgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LAbfG) i.d.F. des Gesetzes vom 21. Juni 1988 (GVBl. S. 250), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 7. April 2017 (GVBl. S. 442) i.V.m. § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Zuständigkeitsverordnung Umweltschutz (ZustVO) i.d.F. des Gesetzes vom 3. Februar 2015 (GVBl. NRW S. 267). Der Bundesgesetzgeber hat die Zuständigkeitszuweisung - entsprechend dem Grundsatz der Länderkompetenz für die Verwaltungsorganisation in Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BT-Drs. 17/6645 S. 4 f.) - ausdrücklich den Ländern überlassen, die für die Einhaltung der Vorgaben des Verfassungsrechts wie auch des EU-Wettbewerbsrechts Sorge zu tragen haben (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des zuständigen Ausschusses des Bundestages, BT-Drs. 17/7505 S. 47).

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Diesen Anforderungen widerspricht die Anwendung der landesrechtlichen Bestimmungen im vorliegenden Fall nicht. Eine mangelnde Distanz zum öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und dessen Sonderinteressen kann zwar Anlass zur Prüfung geben, ob rechtsstaatliche Gebote für die Gestaltung eines fairen Verfahrens zur Gewährleistung einer unparteiischen Aufgabenerfüllung (siehe etwa BVerwG, Urteile vom 5. Dezember 1986 - 4 C 13.85 - BVerwGE 75, 214 <230 f.> und vom 18. März 2009 - 9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239 Rn. 24) oder der wettbewerbsrechtliche Missbrauchstatbestand nach Art. 106 Abs. 1, Art. 102 AEUV dem Handeln des Beklagten als zuständige Behörde entgegenstehen. Solche Umstände liegen hier indessen nicht vor. Eine Doppelzuständigkeit des Beklagten im organisationsrechtlichen Sinn ist nicht gegeben, so dass sich die Klägerin auf daran anknüpfende Bedenken gegen die verfassungs- und unionsrechtlich gebotene Neutralitätspflicht nicht berufen kann. Denn der Beklagte ist nicht zugleich öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger. Er hat von der nach § 6 Abs. 1 LAbfG bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, die ihm grundsätzlich gemäß § 5 Abs. 1 LAbfG als öffentlich-rechtlichem Entsorgungsträger obliegende Aufgabe der Abfallentsorgung auf einen Abfallentsorgungsverband - den ... Abfallwirtschaftsverband - als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu übertragen, der sich wiederum eines beauftragten Dritten (§ 22 KrWG) bedient. Die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers einerseits und der Vollzug des Kreislaufwirtschaftsgesetzes andererseits werden damit von unterschiedlichen Rechtsträgern wahrgenommen. Hinzu tritt, dass das eigentliche Wettbewerbsverhältnis bei der Sammlung von Altkleidern vorliegend zwischen der Klägerin als gewerblichem Sammler und der Stadt B. als öffentlich-rechtlichem Entsorgungsträger besteht, der gemäß § 5 Abs. 6 LAbfG für das Einsammeln der Abfälle zuständig ist. Auch insoweit werden die Aufgaben von unterschiedlichen Rechtsträgern wahrgenommen.

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Die Neutralitätspflicht wird auch nicht dadurch verletzt, dass der Landrat sowohl für die Aufgabe der unteren Umweltschutzbehörde als auch als stellvertretender Verbandsvorsitzender des ... Abfallwirtschaftsverbandes für dessen laufende Geschäfte letztverantwortlich zeichnet. Insoweit unterscheidet sich - trotz der organisationsrechtlichen Trennung der beiden Bereiche - die vorliegende Konstellation nicht grundlegend von einer Aufteilung der Funktionen auf verschiedene Abteilungen einer Behörde. Auch in jenem Fall ist in Gestalt des Behördenleiters ein gemeinsamer Vorgesetzter vorhanden. Dies verstößt jedoch nicht gegen das rechtsstaatliche Gebot fairer Verfahrensgestaltung (vgl. zum Planfeststellungsrecht BVerwG, Urteil vom 24. November 2011 - 9 A 23.10 - BVerwGE 141, 171 Rn. 21 f.). Unzulässige Einflussnahmen, die darauf abzielen, eigene Vorstellungen im Entscheidungsprozess durchsetzen zu können, sind gegebenenfalls im Rahmen der Überprüfung der Sachentscheidung zu beanstanden.

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2. Im Einklang mit Bundesrecht hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass der Beklagte die Untersagungsverfügung auch später als drei Monate nach der Anzeige erlassen konnte.

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Nach § 18 Abs. 1 KrWG sind gemeinnützige und gewerbliche Sammlungen spätestens drei Monate vor ihrer beabsichtigten Aufnahme anzuzeigen. Die Frist stellt keine Entscheidungsfrist für die Abfallbehörde dar. Sie kann auch nach Ablauf der Frist Anordnungen nach § 18 Abs. 5 KrWG treffen. Die von der Klägerin vertretene Auffassung, es handele sich um eine Entscheidungsfrist (vgl. auch Beckmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2016, KrWG § 18 Rn. 6), wird nicht durch den Wortlaut der Vorschrift gestützt, wonach die Frist nur den Zeitpunkt der zulässigerweise frühestmöglichen Aufnahme der Sammeltätigkeit regelt. Der durch die Gesetzeshistorie belegte Gesetzeszweck ist nicht eindeutig. Der Regierungsentwurf (BT-Drs. 17/6052 S. 17) sah nur eine einmonatige Wartefrist vor. Um eine angemessene Beteiligung der betroffenen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger - innerhalb einer zweimonatigen Frist (§ 18 Abs. 4 KrWG) - und einen ausreichenden Zeitraum zur Überprüfung der Zulässigkeit der Sammlung zu gewährleisten, wurde die Gesetz gewordene dreimonatige Frist eingeführt (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des zuständigen Ausschusses des Bundestages, BT-Drs. 17/7505 S. 47). Ohne ausdrücklich eine Entscheidungsfrist festzulegen, geht der Gesetzgeber von einer angemessenen Frist für den regelmäßigen Abschluss der Prüfung aus (vgl. BT-Drs. 17/6052 S. 88; siehe auch BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 2015 - 7 C 8.14 - BVerwGE 153, 99 Rn. 20). Systematisch spricht gegen die Annahme einer Entscheidungsfrist die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrens als eines reinen Anzeigeverfahrens, während es keiner Genehmigung der Sammlung bedarf. Ordnungsrechtliches Korrektiv für die Wahrung der Rechtmäßigkeit von Sammlungen sind die Befugnisse der zuständigen Behörde nach § 18 Abs. 5 KrWG. Diese muss auch nach Ablauf der Wartefrist auf Umstände reagieren können, die - wie zum Beispiel Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Anzeigenden - erst nach Fristablauf eintreten. Sind gemäß § 18 Abs. 7 KrWG Anordnungen nach Absatz 5 und 6 gegen bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes durchgeführte Sammlungen möglich, gilt dies auch für danach angezeigte Sammlungen, soweit (auch) bei nachträglichen Anordnungen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durch eine Abwägung des öffentlichen Anordnungs- oder Untersagungsinteresses mit dem schutzwürdigen Vertrauen des Trägers der Sammlung in die weitere Durchführung Rechnung getragen wird (vgl. Karpenstein/Dingemann, in: Jarass/Petersen, Kreislaufwirtschaftsgesetz, 2014, § 18 Rn. 80 m.w.N.). Angesichts der hiernach möglichen Berücksichtigung eines gegebenenfalls grundrechtlich fundierten Vertrauensschutzes bei nach Fristablauf aufgenommenen Sammlungen und darüber hinaus etwa geltend zu machender Haftungs- und Entschädigungsansprüche gehen die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin fehl.

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3. Altkleider und -schuhe, die in öffentlich zugänglichen Containern gesammelt werden, sind Abfall im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 KrWG.

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Danach sind Abfälle alle Stoffe und Gegenstände, derer sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Eine Entledigung ist anzunehmen, wenn der Besitzer Stoffe oder Gegenstände einer Verwertung oder einer Beseitigung zuführt oder die tatsächliche Sachherrschaft über sie unter Wegfall jeder weiteren Zweckbestimmung aufgibt (§ 3 Abs. 2 KrWG). Danach ist eine Entledigung stets gegeben, wenn der Besitzer die Stoffe oder Gegenstände, an denen er kein Gebrauchsinteresse hat, selbst entsorgt oder an Dritte abgibt. Hier ist maßgeblich, dass der Besitzer sich des Stoffes oder Gegenstandes als für ihn wertlos geworden entledigen, d.h. sich davon befreien will, um ihn der Entsorgung zuzuführen oder zuzuführen zu lassen (zum wortgleichen § 3 Abs. 2 KrW-/AbfG: BT-Drs. 12/7284 S. 12). So liegen die Dinge hier. Bereits mit dem Einwurf in einen Sammelcontainer gibt der Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft über die Altkleider und -schuhe auf und überträgt sie zum Zwecke der Verwertung oder gegebenenfalls Beseitigung an den Inhaber der Sachherrschaft über den Sammelcontainer. Der Besitzer hat keine Einflussmöglichkeiten auf die weitere Behandlung der Gegenstände und will sie offensichtlich nicht mehr zum bisherigen Zweck gebrauchen oder anderweitig über sie verfügen. Werden Alttextilien und -schuhe in einen öffentlich zugänglichen Sammelcontainer eingeworfen, besteht daher regelmäßig kein Zweifel an einem Entledigungswillen, so dass es eines Rückgriffs auf die gesetzliche Vermutung in § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KrWG (vgl. BT-Drs. 17/6052 S. 71) nicht bedarf. Die faktische Entledigung indiziert hier den Entledigungswillen (vgl. zu § 3 Abs. 1 und 2 KrW-/AbfG: BVerwG, Urteil vom 19. November 1998 - 7 C 31.97 - Buchholz 451.221 § 3 KrW-/AbfG Nr. 4 S. 3 f).

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4. Im Ergebnis zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass der angezeigten Sammlung der Klägerin überwiegende öffentliche Interessen im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG entgegenstehen, so dass sich die Untersagungsverfügung als rechtmäßig erweist. Die von der Klägerin angezeigte Sammlung war nach § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG für das Gebiet der Stadt B. zu untersagen, weil die Einhaltung der Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG anders nicht zu gewährleisten war.

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a) Das vom Oberverwaltungsgericht zugrunde gelegte Verständnis des Regel-Ausnahmeverhältnisses für die Zulässigkeit gewerblicher Sammlungen im Hinblick auf den besonderen Schutz der vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zur Verfügung gestellten einheitlichen Entsorgungsstruktur steht mit der unionsrechtlich gebotenen Auslegung von § 17 Abs. 2 und 3 KrWG im Wesentlichen im Einklang.

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Soweit das Berufungsurteil allerdings beim Mengenvergleich einen Schwellenwert, bei dessen Überschreitung die Vermutungswirkung für eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG ohne weitere Prüfung eingreift, erst bei 50 % der Sammelmenge ansetzt, verstößt es gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht verletzt Bundesrecht auch dadurch, dass es bei der Gegenüberstellung der durch den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger erzielten Sammelmenge und der Auswirkungen durch andere Sammlungen gemeinnützige Sammlungen außer Betracht lässt und dabei auf den Zeitpunkt der vollständigen Anzeige der Sammlung abstellt.

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aa) Nach dem für die Auslegung des nationalen Rechts maßgeblichen Unionsrecht ist die Regelung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG als widerlegliche Vermutung zu verstehen (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2016 - 7 C 4.15 - BVerwGE 155, 336 Rn. 24). Von einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung und damit von einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers durch eine gewerbliche Sammlung ist danach im Regelfall auszugehen (ebenda Rn. 50). Da eine Untersagung gewerblicher Sammlungen jedoch eine Beschränkung jedenfalls der Warenverkehrsfreiheit (Art. 34, 35 AEUV) darstellt (ebenda Rn. 34 ff.), ist sie nach Art. 106 Abs. 2 AEUV nur gerechtfertigt, wenn sie auf das Maß beschränkt wird, das erforderlich ist, um eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung zu verhindern (Rn. 48 ff.). Denn die flächendeckende und diskriminierungsfreie Entsorgung von Haushaltsabfällen, wozu auch sortenreine Abfallfraktionen wie Alttextilien gehören, stellt eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse dar und fällt damit in den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung des Art. 106 Abs. 2 Satz 1 AEUV (vgl. ebenda Rn. 39 ff.).

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Die von der Klägerin erhobenen Zweifel an der Privilegierung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers wegen der fehlenden Verpflichtung zur Vorhaltung von Entsorgungsangeboten insbesondere für Alttextilien sind unbegründet. Die Einordnung des Sammelns und der Behandlung von Haushaltsabfällen als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse und die diesbezügliche Überlassungspflicht in § 17 Abs. 1 KrWG bezieht sich auf Haushaltsabfälle insgesamt, für die nach § 20 Abs. 1 KrWG eine grundsätzliche öffentlich-rechtliche Entsorgungspflicht besteht. Da die Mitgliedstaaten über ein weites Ermessen bei der Definition dessen verfügen, was sie als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ansehen, und das Unionsrecht einen weiten Ermessensspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden bei der Frage anerkennt, wie solche Dienste auf eine den Bedürfnissen der Nutzer so gut wie möglich entsprechende Weise zur Verfügung zu stellen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2016 - 7 C 4.15 - BVerwGE 155, 336 Rn. 39 und 44, jeweils m.w.N.), können sie auch die Entsorgung von sortenreinem Hausmüll als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse einstufen. Der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger kommt nach § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG nur in den Genuss des Schutzes des Art. 106 Abs. 2 AEUV, wenn er selbst (oder ein beauftragter Dritter) tatsächlich eine hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung der Abfälle durchführt.

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Eine unzulässige Diskriminierung von gewerblichen gegenüber gemeinnützigen Sammlungen liegt nicht vor. Die Bevorzugung gemeinnütziger Sammlungen ist einerseits durch deren besondere Zweckbestimmung (vgl. BT-Drs. 17/6052 S. 73 f.) und andererseits durch die geringe Sammlungsintensität (vgl. BT-Drs. 17/6052 S. 89) gerechtfertigt. Auch wenn gegen gemeinnützige Sammlungen nicht wegen der Gefährdung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers vorgegangen werden kann, können sie in gleicher Weise wie gewerbliche überwacht werden. Durchgreifende Bedenken gegen eine Privilegierung gemeinnütziger Sammlungen bestehen auch deshalb nicht, weil nach der durch § 3 Abs. 17 Satz 2 KrWG abgesicherten Praxis Träger karitativer Einrichtungen Sammlungen durch gewerbliche Unternehmen durchführen lassen können (vgl. BT-Drs. 17/7505 S. 31 f.).

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bb) Ob die Regelvermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG im Einzelfall widerlegt ist, bestimmt sich danach, ob durch den Marktzugang eines gewerblichen Sammlers im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen die Grundstrukturen der Entsorgung, die der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger zur Gewährleistung einer sachgerechten Aufgabenerfüllung nach Maßgabe seiner organisatorischen Grundentscheidungen ins Werk gesetzt hat, wesentlich umgestaltet werden müssten. Dazu sind die Auswirkungen auf die vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu erzielende Sammelmenge zu bestimmen. Hierfür ist unter anderem der Anteil des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers am Gesamtaufkommen der Sammlungen zu ermitteln. Bei der Bewertung der Auswirkungen des Marktzutritts eines gewerblichen Sammlers ist dessen Sammlung im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen zu betrachten. In erster Linie von Bedeutung sind insoweit weitere angezeigte, aber insbesondere wegen einer sofort vollziehbaren Untersagungsverfügung noch nicht durchgeführte Sammlungen. Dabei sind die gemeinnützigen Sammlungen ebenfalls einzustellen. Für diese Beurteilung ist grundsätzlich die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht maßgeblich.

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Die so ermittelten zusätzlichen Sammelmengen auf Seiten der privaten Sammler sind den tatsächlichen bzw. auf der Grundlage konkreter Planungen erwarteten Sammelmengen des Entsorgungsträgers gegenüberzustellen und hiernach die Rückgänge bzw. die verminderten Steigerungspotenziale auf Seiten des Entsorgungsträgers zu prognostizieren und zu bewerten. Im Interesse der Praktikabilität der Regelung ist in generalisierender Weise eine "Irrelevanzschwelle" von 10 bis 15 % zu berücksichtigen, unterhalb derer wesentliche Änderungen der Entsorgungsstruktur typischerweise nicht zu erwarten sind und von der nach unten oder nach oben nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände abgewichen werden kann. Ist diese Irrelevanzschwelle - gegebenenfalls nach deren Modifikation bei ganz außergewöhnlichen Konstellationen - überschritten, bleibt es bei der Regelvermutung. Der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, wonach bei Überschreiten der Irrelevanzschwelle in einer weiteren Verfahrensstufe wiederum in eine einzelfallbezogene Prüfung einzutreten ist, ist nicht zu folgen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2016 - 7 C 4.15 - BVerwGE 155, 336 Rn. 51 ff.).

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Soweit die Klägerin meint, die gesetzliche Regelvermutung einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung könne nicht greifen, wenn der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger Jahr für Jahr höhere Sammelmengen verzeichne, berücksichtigt sie nicht, dass bei der Beurteilung der Veränderungen für das System des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers durch neu hinzutretende private Sammlungen wie auch des status quo grundsätzlich auf einen festen Zeitpunkt abzustellen ist, in dem diese möglichen Entwicklungen Berücksichtigung finden.

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b) Im Ergebnis zutreffend ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass wegen Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG die Vermutung greift, wonach der Sammlung der Klägerin überwiegende öffentliche Interessen im Sinne der wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung der Stadt B. als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger entgegenstehen.

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Nach den bindenden Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) des Oberverwaltungsgerichts hält der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger für das Gebiet der Stadt B. eine hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung von Alttextilien und -schuhen vor. Dem steht nicht entgegen, dass der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger die Altkleider nicht selbst verwertet, sondern sich eines Verwertungsunternehmens bedient. Denn die Beauftragung Dritter mit der Verwertung und Beseitigung ist in § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und § 22 KrWG ausdrücklich vorgesehen. Der Einwand der Klägerin, wegen der gleichen Grundkonzeption bei allen Sammlungen könne es keine leistungsfähigeren Sammlungen geben, so dass die Ausnahme des § 17 Abs. 3 Satz 4 KrWG leer laufe, trägt den in § 17 Abs. 3 Satz 5 und 6 KrWG genannten Kriterien für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht Rechnung, nach denen sich ein differenziertes Leistungsbild von Sammlungen ergeben kann.

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Die nach den weiteren Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts prognostizierte jährliche Sammelmenge von 76 t für die angezeigte Sammlung der Klägerin im Gebiet der Stadt B. reicht bei einer jährlichen Sammelmenge des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers von 510 t bereits an den oberen Rand der Irrelevanzschwelle von 15 %. Zu den nach seiner Rechtsauffassung in den Mengenvergleich einzustellenden Sammlungen kommen bezogen auf das genannte Gebiet weitere 268 t/a hinzu. Diese Größenordnung wird bei Anlegung der insoweit zutreffenden rechtlichen Maßstäbe - Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht, statt Zeitpunkt der vollständigen Sammlungsanzeige - auf der Grundlage der vom Beklagten in der Berufungsinstanz zu den Akten gereichten Liste vom 14. September 2015 gleichfalls erreicht. Der Senat durfte diese sich aus den Gerichtsakten ergebenden Tatsachen berücksichtigen, weil sie unbestritten sind, sich vor Erlass des angefochtenen Urteils verwirklicht haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 1980 - 3 C 42.79 - Buchholz 427.6 § 4 BFG Nr. 31) und deren Feststellung eine Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht nicht rechtfertigen würde. Auf dieser Tatsachengrundlage ist die Irrelevanzschwelle deutlich überschritten, so dass die gesetzliche Vermutung nach § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG nicht widerlegt ist. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts erweist sich insoweit aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

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c) Die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit der Untersagung nach § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG sind von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Zutreffend unterzieht es die in § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG normierte gebundene Untersagung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Untersagung einer Sammlung nach § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG als grundsätzlich gebundene Entscheidung ist nur als ultima ratio zulässig. Sie ist unverhältnismäßig, wenn als milderes Mittel eine Maßnahme nach § 18 Abs. 5 Satz 1 KrWG in Betracht kommt, mit der die Einhaltung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG genannten Voraussetzungen gewährleistet werden kann (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2016 - 7 C 4.15 - BVerwGE 155, 336 Rn. 64). Gegenüber der (Teil-)Untersagung weniger eingreifende Regelungen sind weder von der Klägerin geltend gemacht noch sonst ersichtlich, so dass es insoweit keiner weiteren, über die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und die Erforderlichkeit der Untersagung hinausgehenden Erwägungen des Beklagten bedurfte.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

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