Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (2. Wehrdienstsenat) - 2 WDB 5/17
Tatbestand
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Der frühere Soldat ist mit Urteil des Truppendienstgerichts vom 21. März 2017 wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines Leutnants zur See der Reserve herabgesetzt worden. Gegen das ihm am 1. April 2017 zugestellte Urteil legte er mit Telefax vom 28. April 2017 "Beschwerde/Berufung" ein, beantragte Prozesskostenhilfe und die Erweiterung der Begründungsfrist bis zur Bestellung eines Rechtsbeistandes. Das Truppendienstgericht teilte ihm unter dem 2. Mai 2017 mit, dass Prozesskostenhilfe im gerichtlichen Disziplinarverfahren nicht gewährt werde und dass die Berufungsbegründungsfrist nicht verlängerbar sei. Mit Beschluss vom 15. Mai 2017 verwarf es die Berufung mangels fristgerechter Begründung als unzulässig. Mit seiner Beschwerde vom 15. Juni 2017 macht der frühere Soldat erneut geltend, dass er zur Begründung seiner Berufung anwaltliche Hilfe benötige, sich diese aber aufgrund seiner prekären finanziellen Situation nicht leisten könne.
Entscheidungsgründe
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1. Der Antrag auf Bestellung eines Verteidigers für das Berufungsverfahren ist zulässig, aber unbegründet.
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a) Der Antrag des früheren Soldaten auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist als Antrag auf Bestellung eines Verteidigers für das Berufungsverfahren nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO auszulegen. Es trifft zwar zu, dass das Wehrdisziplinarrecht das Rechtsinstitut der Prozesskostenhilfe nicht kennt (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 137 Rn. 1). Es ermöglicht es jedoch stattdessen in § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO dem Soldaten auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger zu bestellen, wenn die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Daher ist ein Antrag auf Prozesskostenhilfe im Wehrdisziplinarrecht ebenso wie im Strafprozessrecht als Antrag auf Bestellung eines Verteidigers zu verstehen (vgl. § 300 StPO) und inhaltlich zu prüfen (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. November 2013 - 1 Ws 366/13 - NStZ-RR 2014, 51 Rn. 7; KG Berlin, Beschluss vom 14. Januar 1997 - 1 AR 9/97 - 5 Ws 19/97 - juris Rn. 2).
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b) Wird der Antrag erstmals im Berufungsverfahren gestellt, hat darüber nach § 123 Satz 3 i.V.m. § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO der Vorsitzende des Berufungsgerichts zu befinden. Auch insofern gilt im Wehrdisziplinarrecht nichts anders als im Strafprozessrecht (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 90 Rn. 9; OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. November 2013 - 1 Ws 366/13 - NStZ-RR 2014, 51 Rn. 8).
- 5 <dd> c) Allerdings liegen die Voraussetzungen f52;r eine Verteidigerbestellung nicht vor. Ob die Bestellung eines Verteidigers im Sinne von § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO geboten ist, ist - wie bei § 140 Abs. 2 StPO - im Lichte des Rechtsstaatsgebots in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung zu beurteilen. "Geboten" im Sinne von § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO ist die Verteidigerbestellung insbesondere, wenn sie zum Schutz des Angeschuldigten erforderlich ist. Die Gewährleistung eines fairen Verfahrens kann aus in dem Verfahren, seinem Ablauf und Gegenstand liegenden Gründen, aber auch aus in der Person des Angeschuldigten liegenden Umständen und wegen der Auswirkungen der drohenden Sanktion auf den Angeschuldigten die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 5. Mai 2015 - 2 WD 6.14 - Buchholz 450.2 § 90 WDO 2002 Nr. 2 Rn. 24 f. m.w.N.). Dazu gehört auch, dass ein Angeschuldigter, der die Kosten eines Verteidigers nicht aufzubringen vermag, in schwerwiegenden Fällen von Amts wegen einen rechtskundigen Beistand erhält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1977 - 2 BvR 462/77 - BVerfGE 46, 202 <210> zu § 140 StPO).
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Im vorliegenden Fall ließen die Schwierigkeiten der Rechts- oder Sachlage die Beiordnung nicht geboten erscheinen. Die dem früheren Soldaten vorgeworfenen Handlungen und die bemessungsrelevanten Tatsachen stellen einen überschaubaren Lebenssachverhalt dar, den der frühere Soldat aus eigenem Erleben kennt. Materiell-rechtliche Schwierigkeiten wirft weder die Würdigung des Geschehens als Dienstvergehen noch die Bemessung der tat- und schuldangemessenen Maßnahme auf. Auch das Prozessrecht begr2;ndet keine Schwierigkeiten, auf die es zur Entscheidung in der Sache ankäme. Insbesondere wirft die Abfassung einer Berufungsbegründung keine Schwierigkeiten auf, die der Angeschuldigte ohne juristischen Beistand nicht bewältigen könnte. Nach § 116 Abs. 2 WDO ist in der Berufungsschrift das angefochtene Urteil zu bezeichnen und anzugeben, inwieweit es angefochten wird und welche Änderungen beantragt werden. Die Anträge sind zu begründen. Dementsprechend genügt es, wenn der frühere Soldat wenigstens in groben Zügen skizziert, inwiefern er sich durch das Urteil beschwert fühlt, welche Ausführungen im Berufungsurteil aus seiner Sicht fehlerhaft sind und was er mit seiner Berufung erreichen will (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 116 Rn. 9). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsteller, der über die allgemeine Hochschulreife verfügt und die Offizierslaufbahn eingeschlagen hat, dazu im vorliegenden Fall nicht in der Lage wäre.
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Die Beiordnung eines Verteidigers ist auch nicht deswegen geboten, weil die Auswirkungen der drohenden Sanktion für den Angeschuldigten besonders schwerwiegend wären. Zwar ist die Bestellung eines Verteidigers in aller Regel dann geboten, wenn nach den angeschuldigten Pflichtverletzungen - wie hier - die Höchstmaßnahme Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2011 - 2 WD 26.10 - juris Rn. 20). Allerdings bedarf es einer differenzierten Betrachtung der jeweils konkret in Rede stehenden Form der Höchstmaßnahme. Besteht die Höchstmaßnahme in der Aberkennung eines Dienstgrades, ohne dass der frühere Soldat dauernde Einkünfte oder sonstige Zahlungsansprüche gegen den Dienstherrn verliert, ist sein objektives Interesse am Verfahrensausgang deutlich geringer, weil es typischerweise an wirtschaftlichen Auswirkungen fehlt (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Mai 2015 - 2 WD 6.14 - Buchholz 450.2 § 90 WDO 2002 Nr. 2 Rn. 35). So liegt es hier. Der Angeschuldigte ist Reserveoffizier, so dass sogar die Höchstmaßnahme - die Aberkennung des Dienstgrades - nicht zum Verlust der aktuellen wirtschaftlichen Existenzgrundlage führt und primär ideelle Interessen betrifft.
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Schließlich ist die Bestellung eines Verteidigers auch nicht deswegen geboten, weil der Angeschuldigte nach eigenen Angaben die Kosten eines Verteidigers nicht aufzubringen vermag. Das rechtsstaatliche Gebot einer Gleichstellung bemittelter und unbemittelter Angeschuldigter (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) gebietet nur dann die Bestellung eines Verteidigers, wenn das Rechtsmittel bei objektiver Gesamtbetrachtung der möglichen Verfahrensfolgen und -risiken hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, so dass auch ein verständiger Angeschuldigter unter diesen Umständen einen Anwalt als Verteidiger beauftragen würde, auch wenn er diesen von Anfang an selbst zahlen müsste (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Mai 2015 - 2 WD 6.14 - Buchholz 450.2 § 90 WDO 2002 Nr. 2 Rn. 30). Im vorliegenden Fall hat die Berufung des Beschuldigten jedoch deswegen wenig Aussicht auf Erfolg, weil das Truppendienstgericht seine Überzeugung, dass der Angeschuldigte ein Gesundheitszeugnis gefälscht und gegenüber seinem Dienstherrn verwendet hat, auf die tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils des Landgerichts H. vom 25. September 2015 gestützt hat und weil nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils im gerichtlichen Disziplinarverfahren grundsätzlich bindend sind. Allein der Umstand, dass der Angeschuldigte den Tatvorwurf weiterhin bestreitet, ändert an dieser Bindungswirkung nichts. Relevante Gesichtspunkte, die ausnahmsweise zu einer Lösung von dieser Bindungswirkung führen müssten, sind im bisherigen Verfahren - soweit ersichtlich - nicht aufgezeigt worden. Auch im Berufungsverfahren ist seitens des Angeschuldigten hierzu bislang nichts vorgetragen. Unterstellt man die Richtigkeit des Tatvorwurfs sind bei der Bemessung der Disziplinarma3;nahme Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeschuldigten nach vorläufiger Prüfung bislang nicht erkennbar. Überzeugende Gründe, die für eine geringere Disziplinarmaßnahme sprechen würden, sind gleichfalls bis dato nicht vorgetragen.
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2. Der Angeschuldigte ist allerdings aus Gründen der Verfahrensfairness darüber zu belehren, dass er nach § 91 Abs. 1 Satz 2 WDO i.V.m. § 44 StPO Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist beantragen kann (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. November 2013 - 1 Ws 366/13 - NStZ-RR 2014, 51 Rn.7, 10).
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Nach § 44 Satz 1 StPO ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen wird eine Rechtsmittelfrist dann schuldlos versäumt, wenn eine Partei sich wegen ihrer Mittellosigkeit außerstande sehen durfte, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels zu beauftragen, und wenn sie vor Ablauf der Rechtsmittelfrist ordnungsgemäß Prozesskostenhilfe beantragt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 − XII ZB 462/11 - NJW-RR 2012, 757 Rn. 8 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 38. Aufl. 2017, § 233 Rn. 36-38). Die unverschuldete Verhinderung dauert bis zur Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag an (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2013 - XII ZB 174/10 - FamRZ 2013, 1720 Rn. 16).
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Dementsprechend anerkennt auch die strafprozessuale Rechtsprechung die Mittellosigkeit eines Angeklagten als Verhinderungsgrund, wenn er fristgerecht die Beiordnung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO beantragt und das Gericht darüber nicht vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist entschieden hat (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 9. Dezember 2013 - 1 Ss 66/13 - juris Rn. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 1984 - 1 Ws 179/84 - StV 1984, 327).
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Nichts
Anderes kann gelten, wenn jemand im Hinblick auf seine Mittellosigkeit fristgerecht die Beiordnung eines Verteidigers nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO zur Einlegung oder Begründung einer Berufung im disziplinarrechtlichen Verfahren beantragt hat. Auch in diesem Fall kann der Betroffene darauf vertrauen, dass ihm bis zu einer ordnungsgemäßen Entscheidung über seinen Antrag keine Fristnachteile aus der fehlenden Begründung des Rechtsmittels erwachsen.
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Demzufolge kann auch der Beschuldigte nach § 91 Abs. 1 Satz 2 WDO i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO mit dieser Begr2;ndung binnen zwei Wochen nach Zugang dieser Entscheidung Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist beantragen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags - insbesondere die Mittellosigkeit des Angeschuldigten - sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (z.B. durch Vorlage eines ALG-II-Bescheides).
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Innerhalb der zweiwöchigen Antragfrist ist auch die versäumte Handlung, d.h. die Berufungsbegründung, nachzuholen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 45 Abs. 2 Satz 3 StPO). Für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung ist nach § 117 WDO nicht das Truppendienstgericht, sondern das Bundesverwaltungsgericht zuständig (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Juli 2005 - 2 WDB 2.05 - BA S. 4 und vom 11. Dezember 2013 - 2 WDB 7.13 - juris Rn. 6). Daher ist der Antrag auch an das Bundesverwaltungsgericht zu richten.
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Referenzen
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- StPO § 300 Falschbezeichnung eines zulässigen Rechtsmittels 1x
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- 1 Ws 179/84 1x (nicht zugeordnet)
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- § 91 Abs. 1 Satz 2 WDO 2x (nicht zugeordnet)
- StPO § 44 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung 2x
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- XII ZB 174/10 1x (nicht zugeordnet)