Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 B 60/17

Gründe

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Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beklagte beimisst.

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Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, so bereits BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011 - 7 B 45.10 - juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.

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a) Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob eine Festsetzung in einem Bebauungsplan bereits dann nicht mehr geeignet ist, eine Steuerungsfunktion zu erfüllen, wenn diese zwar im Plangebiet überwiegend nicht eingehalten wird, die der Festsetzung zugrundeliegende städtebauliche Ordnungsvorstellung trotz der Nichteinhaltung der Festsetzung im Plangebiet jedoch nach wie vor gewahrt ist.

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Mit dieser Frage möchte die Beklagte klären lassen, ob die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze zur Funktionslosigkeit von Bebauungsplanfestsetzungen (grundlegend BVerwG, Urteil vom 29. April 1977 - 4 C 39.75 - BVerwGE 54, 5) angemessen denjenigen Fall berücksichtigen, in dem - unstreitig - im Plangebiet weit überwiegend die konkrete Festsetzung zwar nicht eingehalten, die mit der Festsetzung verfolgte städtebauliche Zielsetzung jedoch ersichtlich noch gewahrt sei (Beschwerdebegründung S. 11). Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, denn sie würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Sie geht von einem Sachverhalt aus, den der Verwaltungsgerichtshof so nicht festgestellt hat. Das Berufungsgericht hat zwar ausgeführt, dass - im Übrigen - durch das (verfahrensgegenständliche) Bauvorhaben das wesentliche Ziel des ursprünglichen Bauliniengefüges, das Blockinnere von Bebauung freizuhalten, gewahrt werde (UA Rn. 27). Diese Ausführungen betreffen aber die Frage, ob das verfahrensgegenständliche Vorhaben geeignet ist, bodenrechtliche Spannungen zu begründen, was der Verwaltungsgerichtshof verneint hat, weil das wesentliche Ziel des "ursprünglichen" Bauliniengefüges, das Blockinnere von Bebauung freizuhalten, durch das Bauvorhaben gewahrt wurde. Dass die mit der nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs funktionslos gewordenen Festsetzung einer rückwärtigen Baugrenze verfolgte städtebauliche Zielsetzung, das Quartiersinnere von Bebauung freizuhalten und Blickachsen zu ermöglichen (UA Rn. 16, 17), im Geviert ersichtlich auch jetzt noch gewahrt ist, ergibt sich hieraus nicht. Der Verwaltungsgerichtshof ist im Gegenteil ausdrücklich davon ausgegangen, dass sich die tatsächliche Entwicklung so weit von der bauleitplanerischen Festsetzung entfernt habe, dass die Festsetzung nicht mehr verwirklicht werden könne.

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b) Die Beschwerde wirft ferner die Frage auf,

ob eine Bebauung, die durch Planung einem eigenständigen städtebaulichen Ordnungssystem unterworfen ist, bei der Beurteilung der näheren Umgebung für die Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB auch dann unberücksichtigt bleiben kann, wenn sich diese Bebauung strukturell nicht optisch wahrnehmbar von dem zu beurteilenden Bauvorhaben unterscheidet.

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Zur Zulassung der Revision führt auch diese Frage nicht. In der Sache geht es der Beklagten um die Klärung der Frage, ob eine Bebauung, die zwar augenscheinlich strukturell gleichförmig ist, der jedoch durch vorangegangene Bauleitplanung (hier: übergeleiteter Baulinienplan) eine eigenständige städtebauliche Zielvorstellung immanent ist, gleichwohl im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB der "näheren Umgebung" des zur Genehmigung anstehenden Vorhabens angehören kann (Beschwerdebegründung S. 17). Auf die Frage lässt sich antworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Der die nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bildende Bereich reicht so weit, wie sich die Ausführung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (stRspr, vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2016 - 4 C 7.15 - BVerwGE 157, 1 Rn. 9 m.w.N), wobei auf das abzustellen ist, was in der Umgebung tatsächlich vorhanden ist (BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 C 5.12 - BVerwGE 148, 290 Rn. 10; Beschluss vom 13. Mai 2014 - 4 B 38.13 - ZfBR 2014, 574 Rn. 7). Hierzu kann auch eine bereits verwirklichte Bebauung in einem durch (einfachen, vorhabenbezogenen oder qualifizierten) Bebauungsplan überplanten Gebiet gehören (BVerwG, Beschlüsse vom 10. Juli 2000 - 4 B 39.00 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 201 und vom 24. November 2009 - 4 B 1.09 - BauR 2010, 443). Mehr ist verallgemeinernd nicht zu sagen.

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c) Auch die Frage,

ob es für die positive Beurteilung des Einfügens im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB nach dem Tatbestandsmerkmal der "Grundstücksfläche, die überbaut werden soll", genügt, dass das geplante Vorhaben und das in der maßgeblichen näheren Umgebung vorhandene Referenzobjekt lediglich in einer maßstabsbildenden Kenngröße (absolute Grundfläche bzw. Bebauungstiefe) übereinstimmen und die jeweils andere maßstabsbildende Kenngröße aus einem weiteren (unterschiedlichen) Referenzobjekt abgeleitet wird, sodass durch die Kombination der jeweils so ermittelten Kenngrößen eine Baulichkeit entsteht, die in dieser Dimension über kein Vorbild in der Umgebung verfügt,

würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, dass sich das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben noch in dem durch die Umgebung vorgegebenen Rahmen halte (UA Rn. 25). Selbst wenn man - so der Verwaltungsgerichtshof weiter - annehmen wollte, dass das Bauvorhaben hinsichtlich der Tiefgarage den Rahmen der näheren Umgebung überschreite, würde dies das Vorhaben gleichwohl nicht unzulässig machen, denn es sei nicht geeignet, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen. Diese weitere Erwägung soll das Urteil erkennbar selbständig tragen. Der Einwand der Beschwerde, diese ergänzende Erwägung beziehe sich lediglich auf den Tiefgaragen-Baukörper, befasse sich aber nicht mit der Frage der absoluten Grundfläche des Vorhabens, ist unberechtigt. Denn der Verwaltungsgerichtshof (UA Rn. 27) hat städtebauliche Spannungen auch hinsichtlich des Hauptbaukörpers ausdrücklich verneint.

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Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2015 - 4 B 53.15 - BA Rn. 2 m.w.N.). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (BVerwG, Beschluss vom 9. September 2009 - 4 BN 4.09 - ZfBR 2010, 67 = juris Rn. 5). Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, das Vorhaben sei nicht geeignet, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen, greift die Beklagte nicht mit einem Grund für die Zulassung der Revision an. Es kann daher offen bleiben, ob hinsichtlich der ersten Begründung, auf die sich die von der Beschwerde formulierte Grundsatzfrage bezieht, ein Revisionszulassungsgrund dargelegt und gegeben ist.

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2. Aus demselben Grund offen bleiben kann auch, ob die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) der Beschwerde durchgreift, der Verwaltungsgerichtshof habe gegen seine Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, weil er die für die Beurteilung des Einfügens (nach dem Maß der baulichen Nutzung) erforderlichen Kenngrößen der Referenzobjekte nur unzureichend ermittelt habe.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

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