Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (2. Wehrdienstsenat) - 2 WD 14/17

Tatbestand

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Entscheidungsgründe

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1. Das Verfahren ist mit Verfügung des Kommandeurs ... vom 20. Juli 2016 eingeleitet worden. Nach Gewährung des Schlussgehörs hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem früheren Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 3. November 2016 folgendes vorsätzliche, zumindest fahrlässige Dienstvergehen zur Last gelegt:

"1. Im Zeitraum April bis September 2015 hat der Soldat in der ...Kaserne, ..., im oder in der Nähe des Gebäudes 2 zu nicht immer mehr genau feststellbaren Zeitpunkten ihm erteilte Aufträge und Befehle seiner damaligen Dezernatsleiterin und Vorgesetzten, Frau Oberfeldarzt Dr. A., vorsätzlich, zumindest aber fahrlässig, nicht befolgt:

a. Den dem Soldaten am 15. April 2015 erteilten Befehl, der am 17. April 2015 hinsichtlich des Erfüllungstermins '20. April 2015' präzisiert und von Hauptmann B. an ihn weitergegeben worden war, sich so einzuarbeiten, dass er in der Lage sei, die notwendigen Schritte bei der anstehenden Regenerierung der Arbeitsplatzcomputer im Dezernat ... vorzunehmen oder, falls er damit Schwierigkeiten hätte, sich vom G6-Feldwebel Oberstabsfeldwebel C. dahingehend einweisen zu lassen, befolgte der Soldat nicht.

b. Er befolgte den ihm am 5. Mai 2015 erteilten Befehl, bis zum 6. Mai 2015 zum Dienstschluss zur Vorbereitung einer Tagung in K. einen Text mittels Computer zu formatieren und das Ergebnis auf verschiedenfarbigem Papier auszudrucken und daraus DIN A5-Flyer herzustellen, trotz 2-maliger Wiederholung unter jeweiliger Terminverlängerung um einen Tag auf den 7. Mai bzw. 8. Mai 2015, nicht.

c. Der Soldat befolgte den ihm am 29. Juni 2015 um 7:20 Uhr erteilten Befehl, bis zum Freitag, dem 3. Juli 2015, seine Frisur, da seine Haare beide Ohren um ca. 1-1,5 cm bedeckten, den Vorgaben des Zentralerlasses A 2630/1 entsprechend schneiden zu lassen, nicht.

d. Er befolgte den ihm am 2. Juli 2015 erteilten Befehl, am selben Tag am wöchentlichen Kommando Sport teilzunehmen, nicht.

e. Er befolgte den ihm am 8. Juli 2015 erteilten Befehl, zur Vorbereitung einer Veranstaltung am 18. Juli 2015 im Casino '...' Menüauswahlkarten in DIN A5 auf Karton und Tischkarten auf farbiges Papier zu drucken und die Arbeitsergebnisse bis zum 9. Juli 2015, 15:00 Uhr, Oberstleutnant D. vorzulegen, nicht.

f. Der Soldat befolgte den ihm am 29. Juni 2015 erteilten Befehl, im Rahmen der Monatsmeldung 'erbrachte Hilfeleistung' Beiträge zum Militärischen Tagebuch bis zum 3. Juli 2015, 11:00 Uhr, vorzubereiten, nicht.

Den ihm am 9. Juli 2015 gegen 11:00 Uhr erteilten Befehl, im Rahmen dieses Auftrags aufgetretene Fehler zu verbessern, die Eintragungen zum G7-Gipfel mit Oberstleutnant D. abzustimmen und das Arbeitsergebnis bis zum 9. Juli 2015, 15:00 Uhr, vorzulegen, befolgte er auch nicht.

Den um 15:15 Uhr desselben Tages befohlenen Verlängerungstermin für diesen Auftrag, der auf 16:00 Uhr festgesetzt wurde, hielt er nicht ein.

Den ihm am 9. Juli 2015 gegen 16:00 Uhr erteilten weiteren Befehl, sich am Freitag, dem 10. Juli 2015 persönlich bei Oberfeldarzt Dr. A. um 7:00 Uhr zu melden, um nochmals über den bis dahin vom Soldaten noch immer nicht fehlerfrei ausgeführten Auftrag zu sprechen, befolgte er ebenfalls nicht.

g. Er befolgte den ihm am 9. Juli 2015 erteilten Befehl, sich pünktlich um 15:00 Uhr desselben Tages nach dem Kommando Sport im Dezernat zurück zu melden, nicht.

h. Er kam am 29. Juli 2015 gegen 7:20 Uhr der Forderung von Frau Oberfeldarzt Dr. A., ihr seine PKI-Karte zu zeigen, um feststellen zu können, ob sie abgelaufen sei, nicht im erforderlichen Umfang nach. Der Soldat hatte nämlich zunächst das auf seiner Karte aufgedruckte Ablaufdatum mit einem gelben Klebezettel unleserlich verdeckt und konnte somit, was er wusste und wollte, mit dem alleinigen kurzen Vorzeigen der so manipulierten Karte den ihm erteilten Befehl nicht erfüllen.

Dem weiteren Befehl, die PKI-Karte seiner Vorgesetzten zu übergeben, folgte er nicht, sondern steckte stattdessen die PKI-Karte in den Kartenslot der Tastatur seines Computers. Auch der 3. Wiederholung des Befehls kam er nicht nach, sondern zeigte seiner Vorgesetzten zwar die PKI-Karte ohne gelben Klebezettel vor, verdeckte diese dabei aber vorsätzlich mit den Fingern so, dass das Ablaufdatum wieder nicht zu erkennen war. Die 4. Befehlserteilung verweigerte der Soldat mit dem Hinweis, dass das seine persönlichen Daten seien, die seine Vorgesetzten nicht zu interessieren hätten. Als der Befehl, die PKI-Karte lesbar vorzuzeigen, ein 5. Mal wiederholt worden war, verweigerte er sich erneut, näherte sich dem Gesicht seiner Vorgesetzten auf ca. 5 cm und sagte mit aggressiven Tonfall, dass er die Daten nicht herausgeben würde, weil diese seine Vorgesetzte nichts angingen.

i. Der Soldat befolgte den ihm am 7. September 2015 erteilten Befehl, sich unmittelbar nach der Beendigung der Dezernatsbesprechung ..., die um ca. 10:10 Uhr beendet war, im Lagezentrum ... bei Hauptfeldwebel E. oder Stabsfeldwebel F. zu melden, nicht.

2. ..."

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Mit Nachtragsanschuldigung vom 6. Februar 2017 hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft unter teilweiser Abänderung der Anschuldigung dem früheren Soldaten Folgendes vorgeworfen:

"1a. Den dem Soldaten am 15. April 2015 erteilten Befehl, sich - nur gegebenenfalls unter Hinzuziehung des Oberstabsfeldwebel C. (G6-Abteilung) - so einzuarbeiten, dass er in der Lage ist, die notwendigen Schritte bei der anstehenden Regenerierung des Arbeitsplatzcomputer (APC) im Dezernat ... vorzunehmen, um bei Entstehen der entsprechenden Notwendigkeit, die jeweiligen APC-Nutzer bei den Regenerierungsschritten unterstützen zu können, befolgte er nicht. Obwohl ihm am 20. April 2015 gegen ca. 14:00 Uhr von seiner Dezernatsleiterin, Frau OFA Dr. A., ausdrücklich befohlen worden war, noch an diesem Tag bei der Regeneration des Arbeitscomputers des OLt G. zu unterstützen, meldete er wissentlich und willentlich nicht, dies nicht zu können und tat dieses im Anschluss auch nicht, schon weil er mangels entsprechender Einarbeitung dazu nicht in der Lage war.

1h. Im Zeitraum zwischen dem 29. Juli 2015 und dem 4. August 2015 kam er an einem dieser Tage zwischen ca. 7:00 Uhr und 8:00 Uhr zu einem genauer nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt der Forderung von Frau OFA Dr. A., ihr seine PKI-Karte zu zeigen, um feststellen zu können, ob sie abgelaufen sei, nicht im erforderlichen Umfang nach... Im Weiteren wird auf den Wortlaut des Anschuldigungspunktes 1h in der Anschuldigungsschrift vom 03.11.2016 verwiesen."

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Mit Beweisbeschluss vom 30. Januar 2017 ist Oberstabsarzt H. mit der Erstellung eines Gutachtens zu möglichen Einschränkungen der Schuldfähigkeit des früheren Soldaten beauftragt worden. Dieses Gutachten ist auf der Grundlage des Aufenthaltes des Soldaten im Bundeswehrkrankenhaus B. und der Teilnahme des Gutachters an einem Teil der Hauptverhandlung in dieser mündlich erstattet worden.

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2. Mit Urteil vom 20. März 2017 hat die ... Kammer des Truppendienstgerichts ... gegen den damals noch im aktiven Dienst befindlichen Soldaten ein Beförderungsverbot für die Dauer von zwei Jahren verbunden mit einer Kürzung der Dienstbezüge um ein Zwanzigstel für die Dauer von zwei Jahren verhängt.

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Der Vorwurf nach dem Anschuldigungspunkt 2 ist ausgeklammert worden. Von den Vorwürfen nach den Anschuldigungspunkten 1 a, b, e, f und i wurde der frühere Soldat ganz oder teilweise freigestellt. Im Übrigen hat es die Vorwürfe weitgehend als erwiesen angesehen.

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Die Taten nach den Anschuldigungspunkten 1 c, d, f, g und h hat die Kammer als Verletzung der Gehorsamspflicht (§ 11 SG) und der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG) gewürdigt, die Taten nach Anschuldigungspunkt 1 h zusätzlich als Verletzung von § 7 SG unter dem Teilaspekt der Loyalität zur Rechtsordnung und von § 17 Abs. 1 SG. Der frühere Soldat habe durch sein Verhalten nach dem Anschuldigungspunkt 1 h eine Wehrstraftat nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 WStrG begangen.

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Das pflichtwidrige Verhalten des früheren Soldaten werde im Schwerpunkt durch Gehorsamspflichtverletzungen in großer Zahl geprägt. Die Gehorsamspflicht sei eine zentrale Dienstpflicht, deren Bedeutung sich auch aus der Sanktionierung mit empfindlichen Freiheitsstrafen durch das Wehrstrafgesetz ergebe. Auch Verletzungen der Pflichten zum Treuen Dienen und zur Disziplinwahrung seien nicht leicht zu nehmen. Als Hauptfeldwebel sei der frühere Soldat Vorgesetzter gewesen und hafte wegen § 10 Abs. 1 SG verschärft. Die Auswirkungen des Dienstvergehens hätten sich in Grenzen gehalten. So sei die Entfernung des früheren Soldaten aus dem Dezernat nicht allein Folge seiner Pflichtwidrigkeiten. Milderungsgründe ergäben sich für den früheren Soldaten nicht. Die Beweggründe sprächen gegen ihn, weil sein Ungehorsam aus Unwillen zur Unterordnung oder aus Gleichgültigkeit erfolgt sei. Das Maß der Schuld sei durch Vorsatz bestimmt. Der frühere Soldat sei weder schuldunfähig noch in seiner Schuldfähigkeit erheblich vermindert gewesen. Der Sachverständige sei zu dem Ergebnis gekommen, dass möglicherweise eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und ängstlich-vermeidenden Anteilen nach ICD-10 F61 vorliege: eine erhebliche, krankheitsbedingte Verringerung der Fähigkeit, das Unrecht seines Handelns zu erkennen oder nach dieser Einsicht zu handeln sei jedoch nicht festzustellen. Die Persönlichkeit und die bisherige Führung des früheren Soldaten seien bemessungsneutral. In der Gesamtwürdigung sei ein Beförderungsverbot verbunden mit einer Kürzung der Dienstbezüge um ein Zwanzigstel für die Dauer von zwei Jahren tat- und schuldangemessen.

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3. Gegen dieses Urteil haben der frühere Soldat und die Wehrdisziplinaranwaltschaft jeweils fristgerecht unbeschränkt Berufung eingelegt.

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a) Die Wehrdisziplinaranwaltschaft greift die Teilfreistellungen an und rügt die Bemessungserwägungen. Ein Beförderungsverbot sei zu milde. Zu ahnden sei ein fortgesetztes gleichartiges Versagen gegen die Gehorsamspflicht über eine lange Zeit. Der Vorfall mit der PKI-Karte wiege sehr schwer, weil sich der frühere Soldat mit Wort und Gestik gegen den Befehl aufgelehnt habe. Daher sei eine Verschärfung der Disziplinarmaßnahme notwendig.

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b) Der frühere Soldat will einen Freispruch erreichen. Er greift alle die Verurteilung tragenden Feststellungen an. Er macht mehrfach geltend, dass ihm keine Befehle, sondern nur Aufträge erteilt worden seien, um deren Ausführung er sich stets ausreichend bemüht habe. Die Anschuldigungsschrift sei teilweise zu unbestimmt und das Gericht habe teilweise nicht alle notwendigen Feststellungen für eine Verurteilung getroffen. Zum Anschuldigungspunkt 1 c seien die tatsächlichen Feststellungen des Gerichts unzutreffend und nicht ausreichend. Es habe sich nicht um einen Befehl gehandelt. Dieser sei nicht zur angeschuldigten Zeit erteilt worden. Seine Frisur habe den Vorgaben des Haar- und Barterlasses entsprochen. Vom Anschuldigungspunkt 1 d sei der frühere Soldat ausweislich der mündlichen Urteilsbegründung freigestellt worden. Davon dürfe das schriftliche Urteil nicht abweichen. Zudem sei er auch vom Sport befreit gewesen. Zum Anschuldigungspunkt 1 f sei festzuhalten, dass es für die Meldung einen festen monatlichen Termin gegeben habe. Ihm sei kein Befehl erteilt worden. Dieser könne auch nicht zum angeschuldigten Zeitpunkt erfolgt sein. Die Erstellung der Monatsmeldung habe er zunächst stets zur vollsten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erstellt. Erst seit dem 9. Juli 2017 habe Dr. A. eine Vorlage bei ihr vor der Absendung festgelegt. Die von ihm am 6. Juli 2015 termingerecht abgesandte Monatsmeldung an Kommando ... sei durch Dr. A. am 7. Juli 2015 bemängelt worden. Eine Rückmeldung des Kommando ... habe es nicht gegeben. Zum Anschuldigungspunkt 1 g sei festzustellen, dass er ca. 10 Minuten nach 15:00 Uhr gekommen sei. Dr. A. habe gesagt, er solle gegen 15:00 Uhr zurück sein, nicht exakt 15:00 Uhr. Zudem habe er viele neue Aufträge bekommen und Dr. A. informiert, dass er deswegen nicht zum Dienstsport gehen könne. Außerdem erlaube es die Dienstzeitregelung einem Soldaten, jeden Tag um 15:00 Uhr ohne vorherige Ankündigung in den Dienstschluss zu gehen. Da Dr. A. hierfür keine Ausnahme beantragt habe, sei der Befehl rechtswidrig gewesen. Zum Anschuldigungspunkt 1 h treffe das Gericht unzureichende Feststellungen zu den Zeiten des angeblichen Dienstvergehens. Die zeitlichen Änderungen in der Nachtragsanschuldigung seien unzulässig. Das Gericht hätte einen Hinweis, von welchem Tatablauf es ausgehe, versäumt, sodass die Verteidigung auch keinen Antrag nach § 265 Abs. 3 StPO habe stellen können. Der Soldat habe Dr. A. in Kenntnis gesetzt, dass die PKI-Karte nicht funktioniere. Daher sei der Befehl unverbindlich gewesen. Insgesamt habe es eine gestörte Kommunikation zwischen Dr. A. und dem früheren Soldaten und Mobbing gegen ihn im Dezernat gegeben. Dr. A. habe mehrfach zu seinen Lasten falsch und widersprüchlich ausgesagt sowie rechtswidrig gegen ihn agiert, was auch durch ein Truppendienstgericht festgestellt worden sei. Sie sei daher nicht glaubwürdig. Die Feststellungen des Gerichts zur Schuldfähigkeit seien wegen einer unzureichenden Qualifikation des Gutachters und mangelhafter Leistung des Gutachters durch das Gericht unzureichend.

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Beide Berufungen sind zulässig. Allein die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist auch begründet.

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1. Einer Entscheidung des Senats in der Sache stehen Verfahrenshindernisse oder Verfahrensmängel nicht entgegen. Das Urteil ist nicht nach § 121 Abs. 2 WDO wegen eines Verfahrensfehlers oder wegen Aufklärungsmängeln unter Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz aufzuheben.

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Die Rüge des früheren Soldaten, die Entscheidungsgründe des Urteils der Vorinstanz wichen hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 1 d von der mündlich verkündeten Freistellung ab, ist schon deshalb unerheblich, weil der Senat die Berechtigung dieses Vorwurfes ohne Bindung an mündliche oder schriftliche Ausführungen der Vorinstanz selbst überprüft. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Vorinstanz entgegen § 106 Abs. 1 WDO - wie vom früheren Soldaten gerügt - zu einzelnen Anschuldigungspunkten notwendige Feststellungen unterlassen hat. Bei Aufklärungsmängeln übt der Senat sein ihm durch § 121 Abs. 2 WDO eingeräumtes Ermessen nur dann im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung aus, wenn die Sachaufklärung erstinstanzlich gar nicht erst begonnen wurde oder weitgehend unzulänglich war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 2013 - 2 WD 32.12 - Rn. 39 m.w.N.). Hiervon kann vorliegend angesichts der Vernehmung von 19 Zeugen, der Einsichtnahme einer Vielzahl schriftlicher Dokumente und der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht die Rede sein.

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Es liegt auch kein schwerwiegender Verfahrensfehler darin, dass der Vorsitzende der Truppendienstgerichtskammer einen gebotenen Hinweis analog § 265 StPO unterlassen hätte. Es kann dahin stehen, ob diese Norm nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO im Disziplinarverfahren überhaupt anwendbar ist. Jedenfalls war es entgegen der Rechtsauffassung des Verteidigers nicht geboten, im Rahmen der Beweiserhebung darauf hinzuweisen, zu welchem genauen Tatzeitpunkt die Kammer den Tatvorwurf verwirklicht sah, damit hierzu ein Antrag analog § 265 Abs. 3 StPO gestellt und ergänzend vorgetragen werden konnte. Vielmehr kann auch eine Feststellung der Tat zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt innerhalb eines zeitlichen Rahmens erfolgen, wenn - wie hier - das angeschuldigte Verhalten hinreichend präzise umschrieben ist. Dies entspricht der ständigen Übung der Wehrdienstgerichte, auf die ein Verteidiger auch zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung nicht hingewiesen werden muss.

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2. Beide Rechtsmittel sind in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat daher im Rahmen der Anschuldigung unter Ausklammerung von Anschuldigungspunkt 2 eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Zur Überzeugung des Senats steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Berufungshauptverhandlung Folgendes fest:

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a) Der frühere Soldat ist zum Anschuldigungspunkt 1 a freizustellen. Dies gilt für die in der ursprünglichen Anschuldigung enthaltenen Vorwürfe, die Gegenstand der Prüfung des Senats bleiben (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 99 Rn. 1 m.w.N.) ebenso wie für die mit der Nachtragsanschuldigung verbundenen Vorhaltungen.

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Zur Überzeugung des Senates steht zwar fest, dass Oberfeldarzt Dr. A. dem früheren Soldaten zunächst am 7. April 2015 und erneut am 15. April 2015 die Anweisung erteilt hatte, bei der Vorbereitung eines Austausches der Arbeitsplatzcomputer in der ... Kaserne in ... im Frühjahr 2015 die Mitglieder des Dezernates bei der Sicherung von Daten auf deren für den Austausch vorgesehenen Rechnern zu unterstützen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, sollte er sich in die für die Datensicherung notwendigen Schritte durch Einlesen in die an alle verteilten Informationen und Arbeitshilfen einarbeiten und sich gegebenenfalls bei Oberstabsfeldwebel C. Hilfe holen. Mangels einer entsprechenden Erinnerung der Zeugin Dr. A. ist jedoch nicht feststellbar, dass dem früheren Soldaten für die Einarbeitung in die Datensicherung eine bestimmte Frist gesetzt worden ist. Fest steht dagegen, dass der frühere Soldat am 20. April 2015 durch die Dezernatsleiterin den Auftrag bekommen hat, noch an diesem Tag mit der Datensicherung an dem Computer des Oberleutnant G. zu beginnen. An diesem Tag gegen 15:00 Uhr meldete Oberleutnant G. der Dezernatsleiterin, dass der frühere Soldat noch nicht an seinem Computer gearbeitet habe, weil er sich noch nicht vom Oberstabsfeldwebel C. habe einweisen lassen.

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Die Feststellungen beruhen auf den Aussagen der - wie später noch näher ausgeführt wird - grundsätzlich glaubhaften Zeugin Oberfeldarzt Dr. A., die sich Aufzeichnungen zu den erteilten Anweisungen machte und diese Notizen als Erinnerungsstütze bei ihren Aussagen nutzte. Ihre Aussagen werden durch die weniger konkreten Erinnerungen der Zeugen Oberstleutnant I. und Oberstleutnant D., die der Senat ebenfalls als grundsätzlich glaubwürdig einstuft, bestätigt. Das Vorliegen eines entsprechenden Auftrags und der Befehl zur Unterstützung des Oberleutnant G. werden vom früheren Soldaten im Kern auch nicht bestritten.

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Der festgestellte Sachverhalt trägt jedoch nicht den Vorwurf des Ungehorsams. Zum einen kann dem früheren Soldaten nicht nachgewiesen werden, dass er sich nicht durch Lesen der vorhandenen E-Mails und durch Terminanfragen bei Oberstabsfeldwebel C. um eine fristgerechte Einarbeitung bemüht hat. Es fehlt ein Nachweis dafür, dass dem früheren Soldaten für die Einarbeitung überhaupt eine Frist gesetzt worden ist, und dafür, dass er vor Ablauf dieser Frist eine Einweisung durch Oberstabsfeldwebel C. erlangen konnte. Nach den glaubhaften Aussagen des neutralen Zeugen Oberstabsfeldwebel C. hat er zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im April 2015 die erbetene Einweisung durchgeführt. Der Zeuge konnte aber nicht ausschließen, dass er eine Anfrage des Soldaten um eine frühere Einweisung aus Zeitgründen abgelehnt hat. Des Weiteren kann nicht nachgewiesen werden, dass der frühere Soldat ohne diese Einweisung am 20. April 2015 in der Lage gewesen wäre, den Oberleutnant G. bei der Regeneration von dessen Computer zu unterstützen. Zwar wäre die Sicherung von Nutzerdaten, die auf den zum Austausch anstehenden Computern gespeichert waren, einem computerversierten Mitarbeiter jedenfalls teilweise durch das Verschieben von Dateien auf einen Speicherplatz auf ein nicht vom Austausch betroffenes Laufwerk eines zentralen Servers möglich gewesen. Der frühere Soldat hat jedoch weder eine IT-Ausbildung noch spezielle Kenntnisse oder Erfahrungen auf diesem Gebiet. Daher kann ihm nicht widerlegt werden, dass er ohne vorherige Einweisung dazu nicht in der Lage war, und dass die erforderliche Einweisung am 20. April 2015 trotz seines Bemühens nicht erfolgt war. Auch stand an diesem Tag - ausweislich der vorgelegten E-Mail vom 21. April 2015 - das von der IT-Abteilung zentral zur Verfügung gestellte Datensicherungstool noch nicht als einfache Arbeitshilfe zur Verfügung.

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Hiernach ist der frühere Soldat von den Vorwürfen dieses Punktes freizustellen. Zwar kann die Pflicht zum treuen Dienen aus § 7 SG auch durch eine Schlechterfüllung verletzt werden (BVerwG, Urteil vom 24. November 2015 - 2 WD 15.14 - Rn. 46). Allerdings ist ein Soldat auch nur zur Dienstleistung bis an die Grenze seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit verpflichtet (BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 1988 - 2 WDB 6.87 - BVerwGE 86, 18 Leitsatz 2). Nichts anderes gilt bei der Umsetzung eines Befehls. Da hier nicht zu widerlegen ist, dass der frühere Soldat sich um die Umsetzung der Anweisung bemüht hatte, die Grenze seiner geistigen Leistungsfähigkeit aber aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen erreicht waren, ist ihm sein Scheitern nicht als pflichtwidrig vorzuwerfen.

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Soweit ihm die Nachtragsanschuldigung in Bezug auf die Datensicherung am Computer des Oberleutnant G. die unterbliebene Meldung der Befehlsausführung vorwirft, ist das Unterlassen ihm ebenfalls nicht als Pflichtverletzung anzulasten. Zwar muss ein Soldat, der erkennt, dass er einen Befehl nicht ausführen kann, dies seinem Vorgesetzten unverzüglich melden, es sei denn, die Sachlage ist diesem bekannt (BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 1988 - 2 WDB 6.87 - BVerwGE 86, 18 Leitsatz 3). Hiernach war das Unterlassen einer solchen Meldung nicht pflichtwidrig, weil die Dezernatsleiterin den Grund dafür bereits aus der Meldung des Oberleutnant G. kannte.

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b) Auch vom Anschuldigungspunkt 1 b ist der frühere Soldat freizustellen. Insoweit steht zwar zur Überzeugung des Senates fest, dass der frühere Soldat am 5. Mai 2015 von der Dezernatsleiterin Oberfeldarzt Dr. A. die Anweisung erhielt, den ihm bereits am 28. April 2015 erteilten Auftrag, nach einem ihm übergebenen handschriftlichen Muster Flyer für Workshops einer Tagung in ... zu erstellen, bis zum 6. Mai 2015 fertig zu stellen. Diesen Befehl führte der frühere Soldat nicht fristgerecht aus und meldete erst am 11. Mai 2015, dass der Auftrag noch nicht erledigt sei, weil Papier nicht in ausreichend vielen unterschiedlichen Farben verfügbar sei und es ihm noch nicht gelungen sei, die Flyer im Format DIN A5 auszudrucken. Diese Feststellungen beruhen auf den konsistenten und glaubwürdigen Aussagen der Zeugin Dr. A., die durch die weniger konkreten Aussagen von Oberstleutnant I. und Oberfeldarzt J. bestätigt werden. Auch der frühere Soldat hat den entsprechenden Auftrag und dessen mangelnde Durchführung nicht bestritten.

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Allerdings ist nicht auszuschließen, dass der frühere Soldat den Befehl nicht fristgerecht erfüllen konnte. Zum einen ist ihm nicht zu widerlegen, dass trotz frühzeitiger Nachfrage am 6. Mai 2015 nicht - wie gefordert - Papier in ausreichend vielen unterschiedlichen Farben zur Verfügung stand. Zum anderen ist ihm nicht zu widerlegen, dass er mit der Textformatierung nicht zurande kam, dass Formatierungsproblem aufgrund mangelnder Kenntnisse nicht selbst lösen konnte und dass auch seine Versuche, das Formatierungsproblem mit fremder Hilfe in den Griff zu bekommen, bis zum 6. Mai 2015 scheiterten. Nach der glaubwürdigen Aussage des Oberfeldarztes J. hatte der frühere Soldat ihn zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt um Hilfe gebeten und auch ihm gelang es nicht, den Text passend zur Papiergröße zu formatieren. Es handelte sich somit nicht um ein für jeden Nutzer von Textverarbeitungsprogrammen auch ohne spezifische Vorkenntnisse leicht zu lösendes Problem.

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Nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" ist daher davon auszugehen, dass dem früheren Soldaten eine fristgerechte Auftragserledigung nicht möglich war und dass ihm wegen seines Unvermögens die Nichterfüllung des Auftrages nicht als pflichtwidrig vorwerfbar war (BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 1988 - 2 WDB 6.87 - BVerwGE 86, 18 Leitsatz 2).

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Zwar spricht Vieles dafür, dass der frühere Soldat pflichtwidrig handelte, weil er nicht vor Ablauf der Frist seiner Dezernatsleiterin meldete, dass und warum er den Auftrag nicht rechtzeitig erledigen konnte. Allerdings kann dies nicht Grundlage einer Verurteilung sein, weil es jedenfalls in der hier zugrunde liegenden Anschuldigungsschrift nicht hinreichend deutlich zum Gegenstand eines Vorwurfes gemacht worden ist. Der Senat lässt offen, ob es in jedem Fall entsprechenden Unvermögens erforderlich ist, das Unterbleiben der Meldung gemäß § 99 Abs. 1 WDO explizit anzuschuldigen. Hier jedenfalls wäre dies neben dem Vorwurf, den Auftrag nicht fristgerecht erledigt zu haben, ausdrücklich in den Anschuldigungssatz aufzunehmen gewesen. Denn im Anschuldigungspunkt 1 a der Nachtragsanschuldigungsschrift wird die unterbliebene Meldung neben der unterbliebenen Auftragserfüllung als weiterer Vorwurf separat formuliert. Dies lässt den Gegenschluss zu, dass eine unterbliebene Meldung dort, wo sie anders als in Anschuldigungspunkt 1 a nicht ausdrücklich im Anschuldigungssatz genannt ist, dem Beschuldigten auch nicht vorgeworfen wird. Die damit begründete Unklarheit über die Reichweite der Anschuldigung steht einer Verurteilung entgegen.

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c) Der unter Anschuldigungspunkt 1 c genannte Befehl, sich die Haare bis zum Ende der Woche kürzer schneiden zu lassen, hat der frühere Soldat vorsätzlich nicht fristgerecht befolgt.

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Zur Überzeugung des Senates steht fest, dass die Dezernatsleiterin Oberfeldarzt Dr. A. am 29. Juni 2015 morgens zu einem nicht mehr genauer feststellbaren Zeitpunkt, dem früheren Soldaten die Anweisung erteilte, sich bis Freitag der laufenden Woche die Haare kürzer schneiden zu lassen, weil sie nach ihrer Auffassung nicht den Vorgaben der geltenden Erlasslage entsprachen. Erst am Montag der darauf folgenden Woche erschien der frühere Soldat mit kürzerem Haarschnitt an seiner Dienststelle. Er wusste um die Anweisung der Dezernatsleiterin und wollte sie zunächst nicht befolgen, weil er nach Einsichtnahme in den Text der Zentralen Dienstvorschrift A-2630/1 der Auffassung war, seine Frisur widerspreche deren Vorgaben nicht.

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Der Geschehensablauf ergibt sich in erster Linie aus der Aussage der Zeugin Dr. A. vor dem Senat und dem Truppendienstgericht. Die Zeugin hat den festgestellten Ablauf in der Berufungshauptverhandlung detailreich und nachvollziehbar und im wesentlichen Kern der Darstellung in Übereinstimmung mit ihren auch zuvor gerichtlich und vorgerichtlich getätigten Aussagen erläutert. Der Senat hat auch keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin, die ihre Aussagen beim Truppendienstgericht und vor dem Senat beeidet hat. Die Zeugin war bei ihrer Aussage - insbesondere bei Nachfragen - erkennbar bemüht, sich unter Zuhilfenahme ihrer schriftlichen Dokumentation möglichst genau an die Geschehnisse zu erinnern und nur tatsächlich Erinnertes wiederzugeben. Sie hat auch eigenes Fehlverhalten, das Gegenstand einer Beschwerdeentscheidung des Truppendienstgerichts ... gewesen ist, eingeräumt sowie offen gelegt, dass ein Spannungsverhältnis dem früheren Soldaten gegenüber bestand und dass sie sich bei mehreren Gelegenheiten von seinem Verhalten bedroht gefühlt habe. Ihre Aussage war gleichwohl nicht von Voreingenommenheit gegenüber dem früheren Soldaten geprägt. Die Zeugin hat während der gemeinsamen Dienstzeit zunächst versucht, den früheren Soldaten durch ausdrückliche Anerkennung seiner Arbeitsleistungen zu motivieren und die Probleme in der Zusammenarbeit des Dezernats durch Gespräche einvernehmlich zu lösen. Soweit sie später versucht hat, durch eindeutige Befehle, Fristsetzungen und Kontrollen die Effektivität der Aufgabenerfüllung des früheren Soldaten zu verbessern, lässt dies zwar auf eine zunehmend kritische Distanz, nicht aber auf eine grundlegend feindliche Einstellung gegenüber dem früheren Soldaten schließen. Spannungen mit einem schwer zu führenden Untergebenen begründen noch keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit von Aussagen des Vorgesetzten über dessen Fehlverhalten.

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Entgegen der Annahme des früheren Soldaten sind der Zeugin auch keine Falschaussagen oder Meineide nachzuweisen. Soweit es in einzelnen Punkten zu Abweichungen bzw. Korrekturen von vorangegangenen Aussagen gekommen ist, spricht nichts dafür, dass dieses einen anderen Grund haben könnte als das im Zeitablauf faktisch nachlassende Erinnerungsvermögen, zumal die Mehrzahl der vom früheren Soldaten benannten Abweichungen reine Randfragen des Geschehens betreffen, bei denen das Erinnerungsvermögen naturgemäß mit zunehmendem zeitlichen Abstand nachlässt. Daher liegt eine vorsätzliche oder auch nur fahrlässige Falschaussage der Zeugin fern.

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Der Senat glaubt daher der Zeugin, dass sie dem früheren Soldaten am Morgen des 29. Juni 2015 den eindeutigen Befehl erteilt hat, sich bis zum Ende der Woche die Haare insbesondere im Ohrenbereich schneiden zu lassen, und dass sie als Zeitpunkt der Befehlserteilung 7:20 Uhr notiert hat. Die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben wird auch nicht dadurch erschüttert, dass ausweislich des in der Berufungshauptverhandlung in Augenschein genommenen Buchungsjournals für den 29. Juni 2015 der frühere Soldat sich erst um 8:49 Uhr in das Zeiterfassungssystem eingebucht hat. Diese Unstimmigkeit kann darauf beruhen, dass die Zeugin am 29. Juni 2015 den Zeitpunkt der Befehlserteilung falsch notiert hat oder dass der frühere Soldat bei seinem Eintreffen in der Frühe zunächst vergessen hat, sich einzubuchen. Auch wenn somit nicht mehr definitiv festgestellt werden kann, ob die Anweisung um 7:20 Uhr oder wenige Stunden später erteilt worden ist, ist die exakte Zeitbestimmung der Befehlserteilung für den Tatvorwurf hier ohne entscheidende Bedeutung. Bereits in der Anschuldigungsschrift ist die exakte Uhrzeit erkennbar nur als informatorisches Detail aufgenommen worden, das zur hinreichenden Konkretisierung des angeschuldigten Verhaltens nicht mehr erforderlich gewesen ist. Die Nichterweislichkeit des exakten Befehlserteilungszeitpunktes ist für die hinreichende Bestimmtheit der Anschuldigung im Sinne des § 99 WDO darum ohne Relevanz. Ebenso wenig wird durch die Nichterweislichkeit dieser Randfrage die Glaubhaftigkeit der Belastungszeugin in ihren Kernaussagen infrage gestellt.

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Diese werden vielmehr auch durch andere Zeugen bestätigt. So konnten sich die Zeugen Oberstleutnant I. und Oberstleutnant D. an die Befehlserteilung erinnern. Der Zeuge Oberstleutnant I. bestätigte auch, dass der frühere Soldat die Anweisung zunächst nicht umsetzte. Beide Zeugen haben auch bekundet, dass es in der Folge der Anweisung zu einer Diskussion über die Erlasslage und die konkrete Haarlänge des früheren Soldaten kam. Ihre Angaben waren im Kern in allen Verfahrensstadien identisch, soweit ihnen trotz nachlassendem Erinnerungsvermögen wegen des Zeitablaufes noch Angaben möglich waren. Sie sind daher glaubhaft.

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Ferner konnten sich die Zeugen Hauptmann B., Oberfeldarzt K., Stabsfeldwebel L. und Regierungshauptsekretär M. daran erinnern, dass der frühere Soldat mit ihnen über eine Anweisung seiner Dezernatsleiterin bezüglich seines Haarschnitts und/oder über dessen Vereinbarkeit mit dem Haar- und Barterlass diskutiert hatte. Diese übereinstimmenden und glaubwürdigen Aussagen mehrerer vom früheren Soldaten ins Vertrauen gezogener Personen, lassen auf einen erheblichen Gesprächsbedarf schließen, der ohne das Vorliegen des von Oberfeldarzt Dr. A. bezeugten konkreten Befehls zum Haareschneiden nicht zu erklären wäre.

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Vor diesem Hintergrund stellt die Einlassung des früheren Soldaten, seine Vorgesetzte habe ihn lediglich unverbindlich daran erinnert, wieder einmal zum Friseur zu gehen, eine unglaubwürdige Schutzbehauptung dar. Sein gesamtes Verhalten nach der Anweisung seiner Vorgesetzten am Morgen des 29. Juni 2015 lässt darauf schließen, dass er die Verbindlichkeit des Befehls erkannt und ihn willentlich nicht fristgerecht befolgt hat, weil der Haar- und Barterlass seines Erachtens ein Aufliegen der Haare auf den Ohren zulässt. Dabei war ihm aufgrund seiner Ausbildung und langjährigen Berufserfahrung bekannt, dass Befehle unabhängig von deren Übereinstimmung mit zentralen Dienstvorschriften zu befolgen und dass sie nur bei gravierenden Rechtmäßigkeitsmängeln unwirksam sind (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 WBO, § 11 SG).

39

Indem er wissentlich und willentlich die Anweisung seiner Dezernatsleiterin, sich die Haare kürzer schneiden zu lassen, nicht befolgte, hat der frühere Soldat vorsätzlich seine Gehorsamspflicht aus § 11 Abs. 1 Satz 2 SG verletzt. Die darin zugleich liegende vorsätzliche Verletzung der Treuepflicht aus § 7 SG wird durch § 11 Abs. 1 SG als speziellere Norm verdrängt.

40

Die Verwendung des Wortes "Befehl" ist für das Vorliegen eines solchen nicht ausschlaggebend. Maßgeblich ist allein, dass eine Anweisung die tatbestandlichen Voraussetzungen der Legaldefinition des Befehls in § 2 Nr. 2 WStG erfüllt. Dies ist hier der Fall. Die Aufforderung, sich die Haare binnen bestimmter Frist kürzen zu lassen, verlangt mündlich in einem Einzelfall ein für einen durchschnittlich intelligenten Soldaten - und damit auch für den Beschuldigten - eindeutig erkennbares, bestimmtes Verhalten. Sie stellt nicht nur einen Hinweis auf die Erlasslage oder einen Rat dar und beansprucht schon durch die Fristsetzung erkennbar Anspruch auf Gehorsam.

41

Es liegt weder ein ausdrücklich gesetzlich geregelter Grund für die Unverbindlichkeit eines Befehls nach § 11 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 SG noch ein darüber hinaus in der Rechtsprechung anerkannter Unverbindlichkeitsgrund vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2005 - 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 <310 ff.>). Ob ein Befehl im Übrigen rechtmäßig ist, insbesondere ob er eine innerdienstliche Anweisung korrekt umsetzt, ist für seine Verbindlichkeit ohne Bedeutung. Selbst die Einlegung einer Beschwerde befreit nicht von der Pflicht, möglicherweise rechtswidrige Befehle zu befolgen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 WBO, Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, SG, 10. Aufl. 2018, § 11 Rn. 12 m.w.N.). Sie entfällt erst beim erfolgreichen Antrag auf Aussetzung des Vollzuges nach § 3 Abs. 2 WBO.

42

Unabhängig davon, dass ein Irrtum des früheren Soldaten über das Vorliegen eines verbindlichen Befehls - wie ausgeführt - bereits nicht glaubhaft ist, wäre der frühere Soldat von der Verantwortung für die Nichtbefolgung auch nach Maßgabe von § 11 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 SG nicht befreit. Weder wäre ein solcher Irrtum unvermeidbar noch die Einlegung eines Rechtsbehelfs unzumutbar gewesen.

43

Der wissentliche und willentliche Ungehorsam gegenüber einem Befehl stellt zugleich eine vorsätzliche Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 1 SG dar, weil Ungehorsam das Vertrauen in die Integrität und Zuverlässigkeit eines Soldaten schwer beschädigt.

44

d) Der frühere Soldat hat auch vorsätzlich den Anschuldigungspunkt 1 d genannten Befehl zur Teilnahme am Gemeinschaftssport missachtet.

45

Hierzu hat die Beweiserhebung in der Berufungshauptverhandlung ergeben, dass Oberfeldarzt Dr. A. am 2. Juli 2015 den früheren Soldaten anwies, am selben Tag am sogenannten "Kommandosport" teilzunehmen, es ihm aber freistellte, welchen Sport er in welcher Neigungsgruppe ausüben sollte. Den "Kommandosport" sollten nach einem Befehl des Kommandeurs für den Standort grundsätzlich alle Soldaten des Kommandos absolvieren. Der frühere Soldat kannte die mündlich erteilte Anweisung seiner Dezernatsleiterin, nahm aber gleichwohl am 2. Juli 2015 nicht am "Kommandosport" teil. Er berief sich im Verfahren auf die ihm erteilten Sportbefreiungen. Die in der Berufungshauptverhandlung in Augenschein genommene "Ärztliche Mitteilung für die Personalakte", ausgestellt durch Oberfeldarzt N. unter dem 9. Dezember 2014, bescheinigte, dass Sport nach eigenem Ermessen durchgeführt werden kann. In dem ebenfalls in Augenschein genommenen Krankenmeldeschein, erstellt durch Oberfeldarzt K. am 1. Juli 2015, wird dem früheren Soldaten unter anderem attestiert, dass dieser weiterhin eingeschränkt MSG-tauglich sei, dass bei einer Schießausbildung bestimmte Einschränkungen beim längeren Marschieren und Stehen zu berücksichtigen seien und Lauf- und Sprungsportarten nur nach eigenem Ermessen erfolgen sollten.

46

Der festgestellte Geschehensablauf ergibt sich aus der glaubwürdigen und konsistenten Schilderung der Zeugin Oberfeldarzt Dr. A., der der frühere Soldat nur teilweise entgegengetreten ist. Soweit er bestreitet, am 2. Juli 2015 einen verbindlichen Befehl zur Teilnahme am Gemeinschaftssport erhalten zu haben, ist dies schon deswegen unglaubwürdig, weil er umgehend der Zeugin Dr. A. gegenüber unter Bezugnahme auf die zitierten Bescheinigungen versucht hat, die Unzulässigkeit der Anweisung nachzuweisen. Wäre ihm nicht bewusst gewesen, dass er wegen der Anweisung seiner Vorgesetzten beim Kommandosport zu erscheinen hatte, wäre es nicht notwendig gewesen, die Recht- und Zweckmäßigkeit der Anweisung mit hohem argumentativem Aufwand in Zweifel zu ziehen. Die Darstellung der Zeugin Dr. A. wird darüber hinaus durch die ebenfalls glaubhaften Schilderungen des Oberfeldarztes K. gestützt.

47

Indem der frühere Soldat wissentlich und willentlich die Anweisung seiner Dezernatsleiterin, am 2. Juli 2015 am "Kommandosport" teilzunehmen, nicht befolgte, hat er vorsätzlich seine Gehorsamspflicht aus § 11 Abs. 1 Satz 2 SG verletzt. Auch diese hinreichend bestimmte Anweisung stellte einen Befehl im Sinne von § 2 Nr. 2 WStG dar. Dass die mündliche Anweisung der Vorgesetzten i.S.v. §§ 2, 3, 4 Abs. 1 Nr. 1 VorgV ihrem Untergebenen gegenüber mit dem Anspruch auf Gehorsam verbunden war, ergab sich schon daraus, dass die Vorgesetzte deutlich gemacht hatte, die bisherige Praxis des früheren Soldaten, sich dem "Kommandosport" zu entziehen, nicht mehr hinnehmen zu wollen.

48

Die Anweisung war nicht nach § 11 Abs. 1 Satz 3 oder Abs. 2 SG unverbindlich. Es lag auch kein ungeschriebener Unverbindlichkeitsgrund vor. Insbesondere war die Befolgung des Befehls nicht wegen einer Gefahr für die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit des früheren Soldaten unzumutbar (vgl. BDH, Beschluss vom 8. März 1958 - WB 2/58 - BDHE 4, 181 <182,184>; BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2005 - 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 <318 ff.>). Den ärztlich attestierten Sporteinschränkungen des früheren Soldaten hat die Vorgesetzte vielmehr dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass sie ihm die Entscheidung darüber überlassen hat, welchen Sport er im Rahmen des "Kommandosports" ausüben würde. Es stand ihm lediglich nicht frei, gar nicht erst zum Sport zu erscheinen oder keinen Sport zu betreiben. Der Hinweis von Oberfeldarzt Dr. A., dass es beim "Kommandosport" auch eine Laufgruppe gebe und dass der frühere Soldat sich dieser Gruppe seiner sonstigen Neigung entsprechend anschließen könne, war erkennbar nicht Inhalt des Befehls. Daher gehen die dagegen gerichteten Einwendungen des früheren Soldaten, dass es an diesem Tage eventuell keine Laufgruppe gegeben habe, dass ein Einzellauf dem Sinn des "Kommandosports" als Gemeinschaftsveranstaltung widerspreche oder dass dies aus versicherungsrechtlichen Gründen unzulässig sei, ins Leere. Ohne Bedeutung für die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des früheren Soldaten ist auch der Einwand, dass die Zeugin Dr. A. angekündigt habe, den Vorgang an den Disziplinarvorgesetzten des früheren Soldaten abzugeben. Darin liegt entgegen dem Vortrag des früheren Soldaten weder eine Delegation der Letztentscheidung noch eine Rücknahme des Befehls. Auch ein entsprechender Irrtum des früheren Soldaten über die Verbindlichkeit des Befehls würde ihn aus den bereits dargelegten Gründen nicht von der Verantwortung für sein Fehlverhalten befreien, weil ein etwaiger Irrtum für einen berufserfahrenen Berufssoldaten vermeidbar gewesen wäre.

49

Der vorsätzliche Ungehorsam stellt zugleich eine Beschädigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Öffentlichkeit in die Verlässlichkeit und Integrität des früheren Soldaten und damit eine vorsätzliche Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 1 SG dar.

50

e) Der frühere Soldat hat dem in Anschuldigungspunkt 1 e genannten Befehl fahrlässig nicht fristgerecht befolgt.

51

Zur Überzeugung des Senates steht fest, dass Oberfeldarzt Dr. A. am 8. Juli 2015 dem früheren Soldaten den Auftrag erteilte, nach einem handschriftlichen Muster Menü- und Tischkarten für eine Veranstaltung in einer Gaststätte auf farbigem Papier auszudrucken. Hierfür setzte sie die Frist 9. Juli 2015, 15:00 Uhr. Zu diesem Termin lag trotz ausreichender Zeit kein Ergebnis vor. Der frühere Soldat kannte die Anweisung, setzte sie aber nicht fristgerecht um, weil er sich überlastet sah. Er musste parallel zu diesem Auftrag auch Korrekturen seiner Entwürfe für Beiträge zum Militärischen Tagebuch vornehmen und ab 13:30 Uhr am 9. Juli 2015 am "Kommandosport" teilnehmen. Es lässt sich nicht ausschließen, dass er am 9. Juli 2015, gegen 13:00 Uhr, bei Oberfeldarzt Dr. A. seine Überlastung anzeigte und sie erfolglos ersuchte, nicht am "Kommandosport" teilnehmen zu müssen, sondern stattdessen die Zeit für die genannten Arbeitsaufträge zu nutzen. Daher ist auch nicht auszuschließen, dass er darauf vertraute, den Auftrag fristgerecht umsetzen zu können.

52

Die Feststellungen ergeben sich aus der Einlassung des früheren Soldaten und der glaubhaften und konsistenten Aussage der Zeugin Dr. A. Ihre Angaben stehen der Einlassung des früheren Soldaten nicht entgegen, er habe seine Überlastung angezeigt und erfolglos versucht, eine Sportbefreiung für diesen Tag zu erreichen. Nach dem Zweifelsgrundsatz ist daher davon auszugehen, dass diese Angaben des früheren Soldaten den Tatsachen entsprechen und dass er bestrebt gewesen ist, auf diese Weise gleichsam in den letzten Stunden den Arbeitsauftrag binnen der genannten Frist umzusetzen. Allerdings hätte er mit der Auftragserledigung früher beginnen können und müssen. Er wusste, dass seine Dezernatsleiterin seit Anfang Juli 2015 seine regelmäßige Teilnahme am "Kommandosport" sicherstellen wollte und durfte nicht darauf vertrauen, er werde eine Befreiung vom "Kommandosport" erreichen.

53

Indem der frühere Soldat entgegen den ihm erteilten Auftrag nicht innerhalb der gesetzten Frist Menü- und Tischkarten auf farbigem Papier gedruckt vorlegte, verletzte er seine Gehorsamspflicht aus § 11 Abs. 1 Satz 2 SG. Der genannte Auftrag der Dezernatsleiterin stellt einen Befehl gemäß § 2 Nr. 2 WStG dar, der weder nach § 11 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SG noch aus einem der ungeschriebenen, in der Rechtsprechung anerkannten Gründe unverbindlich gewesen ist. Insbesondere war die fristgerechte Erledigung des Befehls dem früheren Soldaten nicht unmöglich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 1988 - 2 WDB 6.87 - BVerwGE 86, 18 Leitsatz 2). Denn es ist nicht ersichtlich, dass der frühere Soldat faktisch überlastet gewesen wäre. Der Senat ist überzeugt, dass es für einen durchschnittlich leistungsfähigen Portepeeunteroffizier ohne weiteres möglich gewesen wäre, zwischen dem 8. Juli 2015 und 15:00 Uhr am 9. Juli 2015 trotz der Teilnahme am "Kommandosport" sowohl die Nachbesserungen der Beiträge zum Militärischen Tagebuch als auch die Menü- und Tischkarten fertigzustellen. Es handelt sich nämlich um leichte Aufgaben geringen Umfanges.

54

Soweit der frühere Soldat darauf vertraut hat, den Auftrag noch in den letzten Stunden der gesetzten Frist erfüllen zu können, hat er die erforderliche Sorgfalt bei der Befolgung des Befehls außer Acht gelassen. In der fahrlässigen Verletzung der Gehorsamspflicht liegt zugleich eine fahrlässige Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG).

55

f) Vom Anschuldigungspunkt 1 f ist der frühere Soldat mangels hinreichender Bestimmtheit der Anschuldigungsschrift freizustellen. Da zum Gegenstand der Urteilsfindung gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO nur die angeschuldigten Pflichtverletzungen gemacht werden dürfen, muss der in der Anschuldigungsschrift gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO zu bezeichnende Vorwurf so deutlich und klar sein, dass Umfang und Grenzen des Prozessstoffes konkret bestimmt sind und dass der betroffene Soldat seine Verteidigung darauf einstellen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2003 - 2 WD 3.03 - BVerwGE 119, 76 <79 f.> und Beschluss vom 11. Februar 2009 - 2 WD 4.08 - BVerwGE 133, 129 Rn. 12 ff.). Daran fehlt es.

56

Die Anschuldigung vermengt nämlich die voneinander zu trennenden Aufträge zur Monatsmeldung "Erbrachte Hilfeleistungen" einerseits und zum Militärischen Tagebuch andererseits miteinander, sodass nicht mehr hinreichend präzise feststellbar ist, welche der beiden erteilten Befehle Gegenstand der Anschuldigung sein und die Versäumung welcher der jeweils gesetzten Fristen dem früheren Soldaten überhaupt vorgeworfen werden sollen. Diese Unklarheit lässt sich auch nicht durch Auslegung der Anschuldigungsschrift unter Heranziehung der Zeugenaussage von Oberfeldarzt Dr. A. beheben. Nach der Anschuldigungsschrift ist Gegenstand des Vorwurfes ein ursprünglich am 29. Juni 2015 erteilter Auftrag, zu dem es am 9. Juli 2015 gegen 11:00 Uhr und gegen 15:15 Uhr Fristverlängerungen auf zunächst 15:00 Uhr und dann 16:00 Uhr gegeben haben soll. Dieser Auftrag soll hiernach einen Beitrag zum G7-Gipfel zum Gegenstand gehabt haben. Nach der Darstellung der Zeugin ist zu dem Auftrag vom 29. Juni 2015 aber am 9. Juli 2015 gegen 8:30 Uhr eine Fristverlängerung auf 14:00 Uhr erfolgt, während die Fristverlängerungen auf 15:00 Uhr und auf 16:00 Uhr am 9. Juli 2015 einen ursprünglich nicht am 29. Juni 2015, sondern am 7. Juli 2015 erteilten Auftrag betrafen und auch nicht den G7-Gipfel zum Gegenstand hatten. Diese Konfusion kann nicht zulasten des Beschuldigten gehen. Hinzu kommt noch, dass der als zeitlich letzter angeschuldigte Ungehorsam dieses Komplexes nach den übereinstimmenden Angaben der Zeugen Oberfeldarzt Dr. A. und Oberstleutnant D. einen von letzterem erteilten Befehl betrafen. Der Ungehorsam gegenüber Befehlen des Vorgesetzten D. ist aber nicht angeschuldigt.

57

g) Den unter Anschuldigungspunkt 1 g genannten Befehl hat der frühere Soldat vorsätzlich nicht fristgerecht erfüllt.

58

Die Beweiserhebung hierzu hat ergeben, dass die Dezernatsleiterin Oberfeldarzt Dr. A. den früheren Soldaten am 9. Juli 2015 anwies, um 15:00 Uhr bei ihr zu erscheinen, um ihr einen nachgebesserten Entwurf zu einem zuvor nicht korrekt erledigten Auftrag vorzuweisen. An diesem Tag nahm der frühere Soldat zwischen 13:30 Uhr und 14:30 Uhr am "Kommandosport" teil. Danach erschien er gegen 15:15 Uhr bei der Dezernatsleiterin und begründete die Verspätung damit, dass er jemanden getroffen habe. Der frühere Soldat wusste um die Anweisung und befolgte sie willentlich nicht pünktlich.

59

Diese Feststellungen ergeben sich aus der glaubhaften Aussage der Zeugin Dr. A., die das Vorkommnis detailliert und im Wesentlichen übereinstimmend mit ihren vorgerichtlichen und erstinstanzlichen Aussagen geschildert hat. Der frühere Soldat hat nicht in Abrede gestellt, dass er sich bei seiner Vorgesetzten nach 15:00 Uhr gemeldet hat. Er hat sich zu seiner Verteidigung dahingehend eingelassen, dass er nur den Auftrag bekommen habe, "gegen 15:00 Uhr" zu erscheinen. Diesem Vorbringen schenkt der Senat keinen Glauben, weil Oberfeldarzt Dr. A. in dieser Zeit durchgängig das Konzept verfolgte, den früheren Soldaten durch präzise Befehle zu einer schnelleren Auftragserledigung anzuhalten. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, weswegen sie im vorliegenden Fall keinen exakten Termin genannt haben soll. Auch blieb dem früheren Soldaten nach dem Ende des "Kommandosports" um 14:30 Uhr eine halbe Stunde Zeit, um zu duschen und zum Büro zurückzukehren.

60

Indem der frühere Soldat wissentlich und willentlich entgegen der ihm erteilten Anweisung nicht pünktlich um 15:00 Uhr bei seiner Dezernatsleiterin erschien, verletzte er vorsätzlich seine Gehorsamspflicht aus § 11 Abs. 1 Satz 2 SG und missachtete einen Befehl i.S.v. § 2 Nr. 2 WStG, der weder nach § 11 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SG noch aus einem der ungeschriebenen, in der Rechtsprechung anerkannten Gründe unverbindlich war. Ob der Befehl - wie der frühere Soldat meint - wegen Verstoßes gegen die Dienstzeitvereinbarungen am Standort rechtswidrig gewesen ist, erscheint zweifelhaft. Eine entsprechende Rechtswidrigkeit hätte jedoch nicht die Unwirksamkeit des Befehls zur Folge, lässt also - wie bereits ausgeführt - die Pflicht zur Befehlsbefolgung nicht entfallen.

61

In der vorsätzlichen Verletzung der Gehorsamspflicht liegt zugleich eine Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG).

62

h) Der frühere Soldat hat den im Anschuldigungspunkt 1 h beschriebenen Befehl seiner Vorgesetzten, ihr seine PKI-Karte zu zeigen, wiederholt vorsätzlich verweigert und sich dagegen aufgelehnt. Dieser Vorfall ist in zeitlicher Hinsicht hinreichend konkret angeschuldigt. Können Datum und Uhrzeit nach dem Ergebnis der Vorermittlungen oder späterer Vernehmungen nicht eindeutig bestimmt werden, darf die Wehrdisziplinaranwaltschaft das Dienstvergehen unter Angabe einer ungefähren Zeit oder einer Zeitspanne anschuldigen, wenn dies für eine Individualisierung des Geschehens ausreicht. Dieses Vorgehen ist im Strafprozess zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1995 - 1 StR 789/94 - juris Rn. 2) und daher auch im wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren möglich (vgl. § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO). Daher greifen die Einwände der Verteidigung gegen den in der Nachtragsanschuldigung verwendeten Zeitrahmen von wenigen Tagen nicht durch.

63

Zur Überzeugung des Senates steht fest, dass die Dezernatsleiterin bereits im Vorfeld des Geschehens bemerkt hatte, dass der frühere Soldat bei seiner Arbeit am Computer nicht mehr auf besonders gesicherte Daten zurückgreifen konnte. Seine PKI-Karte war abgelaufen und er hatte es versäumt, rechtzeitig einen Ersatz oder deren Verlängerung zu beantragen. Am Morgen des 29. Juli 2015 oder am Morgen des 4. August 2015 wies Oberfeldarzt Dr. A. den früheren Soldaten an, ihr seine PKI-Karte vorzuzeigen. Sie wollte nämlich prüfen, seit wann diese abgelaufen war. Er verweigerte dies mit dem Hinweis, dass er die Karte bereits Oberstleutnant I. gezeigt habe. Dr. A. veranlasste gleichwohl den früheren Soldaten, seine PKI-Karte zu holen und wiederholte die Anweisung, diese ihr vorzuzeigen. Daraufhin hielt ihr der frühere Soldat die Karte, auf die er einen gelben Klebezettel aufgebracht hatte, kurz entgegen, ohne dass die Vorgesetzte in der Lage war, die Gültigkeitsdauer der Karte ablesen zu können. Dr. A. wiederholte die Anweisung, ihr die Karte zu zeigen, erneut. Der frühere Soldat führte die Karte daraufhin in seinen Computer ein. Dr. A. wiederholte die Anweisung ein weiteres Mal, ohne dass der frühere Soldat diese ihr lesbar vorzeigte. Auf die erneute Anweisung, ihr die Karte vorzuzeigen, argumentierte der frühere Soldat, dass es sich um geschützte persönliche Daten handele, die seine Vorgesetzte nichts angehen würden. Auch eine weitere Wiederholung der Anweisung zog seitens des früheren Soldaten nur den Hinweis auf den Schutz seiner Daten nach sich. Der während des Geschehens hinzukommende Hauptmann B. versuchte erfolglos, den früheren Soldaten zu überzeugen, der Dezernatsleiterin die PKI-Karte vorzuzeigen. Dann verließ er den Raum. Als die Dezernatsleiterin und der frühere Soldat wieder allein im Raum waren, wiederholte erstere erneut die Anweisung an den früheren Soldaten, ihr die PKI-Karte vorzuzeigen. Hierauf kam der frühere Soldat ihr bis auf wenige Zentimeter nahe und verweigerte das Vorzeigen der Karte mit aggressivem Tonfall erneut. Die Auseinandersetzung zog sich über eine Dreiviertelstunde hin. Daraufhin ließ die Dezernatsleiterin telefonisch den Disziplinarvorgesetzten des früheren Soldaten Hauptmann T. holen. Als dieser nach etwa einer Stunde erschien, wies er den früheren Soldaten an, die Karte vorzuzeigen. Dieser Anweisung kam der frühere Soldat nach. Der frühere Soldat wusste um die wiederholten Anweisungen seiner Vorgesetzten und entschied sich bei jeder Wiederholung, ihnen nicht Folge zu leisten.

64

Soweit der frühere Soldat die Vorwürfe bestreitet, ist dies durch die glaubhaften Aussagen der Zeugen Dr. A., B. und T. widerlegt. Nach diesen Aussagen ist der Senat auch unter Berücksichtigung der Einwände des früheren Soldaten überzeugt, dass es den angeschuldigten Vorfall tatsächlich gegeben hat und dass dieser auf der Grundlage der glaubhaften Zeitangaben der Zeugin Dr. A. in den zeitlichen Rahmen der Nachtragsanschuldigung zu datieren ist.

65

Die Zeugin hat auf Nachfragen ergänzende Erläuterungen abgeben können. Ihre detailreiche und plastische Darstellung steht im wesentlichen Kern in Übereinstimmung mit ihren eigenen vorherigen mündlichen und schriftlichen Darstellungen des Vorfalles. Die Glaubwürdigkeit der Zeugin wird nicht dadurch infrage gestellt, dass ihre zeitliche Einordnung des Geschehens Zweifeln unterliegt. Nach ihren Angaben hat sie am Morgen des 29. Juli 2015 alsbald nach ihrem Dienstantritt um 7:20 Uhr den früheren Soldaten erstmals aufgefordert, ihr die PKI-Karte zu zeigen. Demgegenüber hat die Inaugenscheinnahme des Buchungsjournals ergeben, dass der frühere Soldat sich erst um 7:47 Uhr von seinem Computer aus in das Zeiterfassungssystem eingetragen hat. Diese Differenz kann daran liegen, dass die Zeugin sich an das etwa eine halbe Stunde spätere Erscheinen des früheren Soldaten nicht mehr erinnern konnte, oder daran, dass der frühere Soldat sich erst deutlich nach seinem Dienstantritt eingebucht hat. Da hier nur eine unwesentliche Randfrage des Geschehens vorliegt, kann selbst eine diesbezügliche unrichtige Erinnerung der Zeugin ihre Glaubwürdigkeit hinsichtlich des Kerngeschehens nicht erschüttern.

66

Gleiches gilt für die Frage, ob der Vorfall am 29. Juli 2015 oder am 4. August 2015 stattgefunden hat. Diese Ungewissheit beruht auf der Aussage der Zeugin, dass Hauptmann T. im Anschluss an die Auseinandersetzung dem früheren Soldaten ein Schreiben ausgehändigt hat. Da dem früheren Soldaten eine Aufforderung zur Überprüfung seiner Dienst- und Verwendungsfähigkeit übergeben worden ist und dieses Formular vom 3. bzw. 4. August 2015 datiert, kann das gesamte Geschehen - entgegen der Aussage der Zeugin - erst am Morgen des 4. August 2015 stattgefunden haben. Nicht auszuschließen ist aber auch, dass am 29. Juli 2015 kein oder ein anderes Schreiben übergeben oder dass das für einen späteren Übergabezeitpunkt datierte Formular vorzeitig ausgehändigt worden ist. Da hier auch andere Zeugen bestätigt haben, dass das angeschuldigte Geschehen tatsächlich stattgefunden hat, wäre ein Irrtum der Zeugin über die zeitliche Einordnung nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben im Übrigen zu erschüttern.

67

Ihre Darstellung wird durch korrespondierende Darstellungen von Teilen des Sachverhaltes durch die Zeugen B. und T. gestützt. Der Zeuge B. konnte sich vor dem Truppendienstgericht an die außergewöhnliche und eskalierende Situation erinnern, in der die Dezernatsleiterin die PKI-Karte des früheren Soldaten sehen wollte, dieser dies aber unter Hinweis auf den Schutz persönlicher Daten verweigerte. Auch wenn der Zeuge im Berufungsverfahren sich nur noch weniger konkret daran erinnern konnte, stehen seine vor dem Senat getätigten Aussagen damit in Übereinstimmung. Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieses dem früheren Soldaten wohlgesonnenen und ihn unterstützenden Zeugen gibt es nicht.

68

Der Zeuge T. hat in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt, dass die Dezernatsleiterin von ihm Unterstützung in Anspruch genommen hatte, um den früheren Soldaten zum Vorzeigen der PKI-Karte zu bewegen. Er hat das Geschehen nach seinem Eintreten in den Raum mit der Dezernatsleiterin und dem früheren Soldaten im wesentlichen Kern übereinstimmend mit der Zeugin Dr. A. beschrieben. Es ist nachvollziehbar, dass dieser Zeuge, der anders als die Zeugin Dr. A. keine schriftliche Dokumentation über Fehlleistungen des früheren Soldaten führte, den Vorfall nicht mehr zeitlich präzise einordnen konnte. Wie ausgeführt hat der Senat keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen.

69

Der objektive Ablauf des Geschehens lässt keinen Zweifel daran offen, dass der frühere Soldat die Anweisungen verstanden hatte und sie nicht befolgen wollte. Aus den bereits zum Anschuldigungspunkt 1 c dargelegten Gründen glaubt der Senat dem früheren Soldaten nicht, dass dieser sich über das Vorliegen eines Befehls oder seine Verbindlichkeit irrte.

70

Indem der frühere Soldat wissentlich und willentlich die Anweisung seiner Dezernatsleiterin, ihr die PKI-Karte vorzuzeigen, nicht befolgte, hat er vorsätzlich seine Gehorsamspflicht aus § 11 Abs. 1 Satz 2 SG verletzt. Auch diese hinreichend bestimmte Anweisung stellt selbst dann einen Befehl im Sinne von § 2 Nr. 2 WStG dar, wenn das Wort "Befehl" nicht verwendet worden ist. Dass die mündliche Anweisung der Vorgesetzten i.S.v. §§ 2, 3, 4 Abs. 1 Nr. 1 VorgV ihrem Untergebenen gegenüber mit dem Anspruch auf Gehorsam verbunden war, ergab sich schon daraus, dass sie ihn mehrere Male wiederholt und zu ihrer Durchsetzung schließlich den Disziplinarvorgesetzten hinzugezogen hat.

71

Die Anweisung war nicht nach § 11 Abs. 1 Satz 3 oder Abs. 2 SG unverbindlich. Es lag auch kein ungeschriebener Unverbindlichkeitsgrund (vgl. dazu Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, SG, 10. Aufl. 2018, § 11 Rn. 17 f. m.w.N.) vor. Insbesondere war die Umsetzung des Befehls weder unmöglich noch im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz privater Daten (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) unzumutbar. Die PKI-Karte ist ausschließlich ein Arbeitsinstrument der Bundeswehr, sodass der frühere Soldat sich gegenüber seiner Dezernatsleiterin nicht auf den Schutz seiner persönlichen Daten berufen konnte. Soweit der frühere Soldat die Zweckmäßigkeit des Befehls bestreitet und darauf verweist, dass er trotz abgelaufener PKI-Karte arbeitsfähig gewesen sei und bereits eine neue PKI-Karte beantragt hatte, ist dies für die Verbindlichkeit des Befehls ohne Bedeutung. Selbst wenn der frühere Soldat sich über die Verbindlichkeit des Befehls geirrt hätte, befreit ihn dies nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 SG nicht von der Verantwortung für sein Fehlverhalten, weil er für einen berufserfahrenen Berufssoldaten ohne weiteres vermeidbar war.

72

Der vorsätzliche Ungehorsam stellt zugleich eine vorsätzliche Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 1 SG und der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) unter dem Teilaspekt der Loyalität gegenüber der Rechtsordnung dar. Denn er hat eine Wehrstraftat nach § 20 Abs. 1 WStG begangen. Indem er trotz des Befehls seiner Vorgesetzten, mit aggressivem Tonfall das Vorzeigen der Karte verweigerte und ihr dabei bis auf wenige Zentimeter nahe kam, hat er sich mit Wort und Tat gegen den Befehl aufgelehnt (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 WStG). Zudem hat er durch die kontinuierliche Verweigerung des Vorzeigens der Karte auf jeden der mehrfach wiederholten Befehle hin auch darauf beharrt, einen Befehl nicht zu befolgen und so den Straftatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 2 WStG zusätzlich verwirklichte. Dies geschah wissentlich und willentlich und damit vorsätzlich.

73

Der frühere Soldat hat durch sein Verhalten des Weiteren vorsätzlich § 17 Abs. 1 SG verletzt. Diese Pflicht erfordert, dass sich der Soldat in das militärische Gefüge selbstbeherrscht einordnet, sich nach Maßgabe der Gesetze und der festgelegten Unterstellungsverhältnisse unterordnet und die militärische Ordnung einhält. Untergebene sind nach § 17 Abs. 1 SG gehalten, die dienstliche Autorität ihrer Vorgesetzten ohne Rücksicht auf persönliche Sympathien oder Antipathien anzuerkennen und ihr Verhalten danach auszurichten; für einen Verstoß gegen § 17 Abs. 1 SG reicht es aus, dass der betreffende Soldat mit seinem Verhalten eine gegenüber Vorgesetzten bestehende Pflicht verletzt und dabei zu erkennen gibt, dass er sich der dienstlichen Autorität seines Vorgesetzten nicht selbstbeherrscht unterordnen will (BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 2 WD 6.07 - juris Rn. 65 m.w.N.). Wer - wie hier der frühere Soldat - eine Gehorsamsverweigerung begeht, lehnt sich damit gegen das hierarchische Gefüge auf und verweigert dem betroffenen Vorgesetzten die Anerkennung seiner Autorität.

74

i) Vom Anschuldigungspunkt 1 i ist der frühere Soldat freizustellen. Nach dem Ergebnis der Beweiserhebung wies Oberfeldarzt Dr. A. den früheren Soldaten am 7. September 2015 an, sich unmittelbar nach der kurz nach 10:00 Uhr beendeten Dezernatsbesprechung im Lagezentrum bei Hauptfeldwebel E. oder Stabsfeldwebel F. zu melden. Einige Zeit später fragte sie telefonisch bei Stabsfeldwebel F. nach, ob sich der frühere Soldat bei ihm gemeldet habe. Dies verneinte Stabsfeldwebel F. Später teilte er ihr mit, dass sich der frühere Soldat gegen 11:30 Uhr bei ihm gemeldet habe. Nicht nachzuweisen war, dass der frühere Soldat sich um 10:00 Uhr bei einem der beiden Lagefeldwebel im Lagezentrum melden konnte.

75

Der frühere Soldat verfügte am 7. September 2015 über keinen Chip, der ihm selbstständig den Zugang zum Lagezentrum ermöglicht hätte. Seine Einlassung ist nicht zu widerlegen, dass er um 10:00 Uhr das Lagezentrum verschlossen vorgefunden hat, dass auf sein Klopfen nicht geöffnet worden ist und dass er die beiden Lagefeldwebel auch nicht in ihren Büros angetroffen hat. Die Zeugen F. und E. hatten keine konkrete Erinnerung, ob das Lagezentrum zu diesem Zeitpunkt besetzt gewesen ist. Auch konnte nicht bewiesen werden, dass ein Klopfen in jedem Fall zu hören gewesen wäre. Schließlich schied nach den vorgelegten Telefonverzeichnissen auch eine telefonische Erreichbarkeit aus, da die Telefonnummer des Lagezentrums seinerzeit darin nicht eingetragen gewesen ist. Daher muss nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" davon ausgegangen werden, dass eine umgehende Meldung im Lagezentrum für den früheren Soldaten unmöglich gewesen ist. Dass er eine entsprechende Meldung über die Unausführbarkeit des Befehls an seine Dezernatsleiterin unterlassen hat, ist nicht angeschuldigt.

76

3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bundeswehr", vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 11. Juni 2008 - 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 WDO i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen.

77

a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen schwer, weil durch einen Soldaten in Vorgesetztenstellung wiederholt in gleichartiger Weise zentrale Dienstpflichten von hoher Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr verletzt wurden, in einem Fall eine Wehrstraftat begangen und dadurch kriminelles Unrecht verwirklicht wurde.

78

Die Pflicht zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1 SG) ist eine zentrale Dienstpflicht jedes Soldaten, weil Streitkräfte auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam beruhen. Vorsätzlicher Ungehorsam stellt daher stets ein sehr ernstzunehmendes Dienstvergehen dar (BVerwG, Urteil vom 16. März 2011 - 2 WD 40.09 - juris Rn. 52 m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, ob und inwieweit durch den Verstoß ein Schaden eingetreten ist (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2001 - 2 WD 52.00 - juris Rn. 17). Der besondere Unrechtsgehalt des durch fortgesetzten Ungehorsam charakterisierten Dienstvergehens ergibt sich zusätzlich daraus, dass der frühere Soldat gegen die elementare Treuepflicht aus § 7 SG in der Form verstoßen hat, dass er eine Wehrstraftat in Form einer Gehorsamsverweigerung begangen hat. § 20 WStG dokumentiert durch die Sanktionsdrohung das hohe Gewicht, dass der Gesetzgeber dem Prinzip von Befehl und Gehorsam für die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte beimisst. Nicht weniger gewichtig ist die Verletzung der Pflicht, Disziplin zu wahren (§ 17 Abs. 1 SG). Das Prinzip von Befehl und Gehorsam ist auf die Bereitschaft auch und gerade von Vorgesetzten, sich in Unterstellungsverhältnisse einzuordnen, angewiesen (BVerwG, Urteil vom 8. Mai 2014 - 2 WD 10.13 - Rn. 65).

79

Auch die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) wiegt schwer. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie hier - ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das festgestellte Verhalten dazu geeignet war (stRspr, BVerwG, z.B. Urteile vom 13. Januar 2011 - 2 WD 20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - juris Rn. 29). Dies war hier der Fall.

80

Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden hier des Weiteren dadurch bestimmt, dass der frühere Soldat als Hauptfeldwebel in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i.V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV) und daher gemäß § 10 SG zu vorbildlicher Pflichterfüllung verpflichtet war (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Juni 2009 - 2 WD 7.08 - m.w.N., vom 13. Januar 2011 - 2 WD 20.09 - Rn. 28 und vom 4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - juris Rn. 30). Wer in dieser Stellung eine Pflichtverletzung begeht, gibt ein schlechtes Beispiel, was das Gewicht seines Dienstvergehens erhöht.

81

b) Das Dienstvergehen hatte in erheblichem Umfang nachteilige Auswirkungen auf den Dienstbetrieb. Durch den wiederholten Ungehorsam des früheren Soldaten gegenüber seiner Dezernatsleiterin ist die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zerstört worden. Dies hat dazu geführt, dass er aus dem Dezernat herausgelöst werden musste und nicht mehr seiner Ausbildung entsprechend auf einem dienstpostenähnlichen Konstrukt beschäftigt worden ist.

82

c) Die Beweggründe des früheren Soldaten sprechen ebenfalls mit hohem Gewicht gegen ihn. Sein Verhalten zeigt die mangelnde Bereitschaft, sich in die militärische Hierarchie einzuordnen und die höhere Autorität von Vorgesetzten anzuerkennen, deutlich. In der Neigung, die Zweck- und Rechtmäßigkeit von Befehlen ständig in Frage zu stellen und damit die Kompetenz von Vorgesetzten aus vermeintlich überlegener Rechts- und Sachkenntnis kontinuierlich in Frage zu stellen, spricht für eine erhebliche Renitenz. Die sich hierin niederschlagenden Charakterzüge sind in einem militärischen Umfeld nicht hinnehmbar, gefährden die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte ernsthaft und stellen seine Eignung als Soldat grundsätzlich in Frage.

83

d) Der frühere Soldat hat im Schwerpunkt vorsätzlich und uneingeschränkt schuldfähig gehandelt. Zwar ergeben sich aus der Verdachtsdiagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, sensitiven und schizoiden Anteilen des Bundeswehrkrankenhauses B. vom 16. Februar 2016 Anhaltspunkte für das Vorliegen einer psychischen Auffälligkeit des früheren Soldaten. Anzeichen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung hat auch der von der Vorinstanz bestellte Sachverständige in der truppendienstgerichtlichen Hauptverhandlung bekundet. Aus seiner Feststellung, eine seelische Abartigkeit sei allenfalls "im leichten Spektrum angesiedelt", hat jedoch bereits die Vorinstanz den Schluss gezogen, eine mögliche Persönlichkeitsstörung sei jedenfalls nicht im Sinne von § 21 StGB erheblich. Gegen dieses Ergebnis haben weder die Wehrdisziplinaranwaltschaft noch der frühere Soldat Einwände geltend gemacht. Dem richterlichen Hinweis im Berufungsverfahren, der Senat gehe von einer uneingeschränkten Schuldfähigkeit des früheren Soldaten aus und sehe wegen dessen fehlender Mitwirkungsbereitschaft auch keine weiteren Aufklärungsmöglichkeiten mehr, sind der frühere Soldat oder sein Verteidiger nicht entgegen getreten. Vor diesem Hintergrund bewertet der Senat eine etwaige Persönlichkeitsstörung weder als schwere seelische Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB, noch etwa von ihr ausgelöste Einschränkungen der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit als erheblich im Sinne von § 21 StGB.

84

Zu Gunsten des früheren Soldaten berücksichtigt der Senat gleichwohl in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes mildernd, dass er an der vom Gutachter und vom Bundeswehrkrankenhaus angenommenen kombinierten Persönlichkeitsstörung - wenn auch nicht in schwerem Ausprägungsgrad - leidet.

85

e) Zu Gunsten des früheren Soldaten ist ein Milderungsgrund in den Umständen der Tat in die Maßnahmebemessung einzustellen.

86

Entgegen der Argumentation der Verteidigung ist zulasten des früheren Soldaten jedoch kein Mobbing festzustellen. Mobbing kann als außergewöhnliche situationsbedingte Erschwernis eines dienstlichen Auftrages einen Milderungsgrund darstellen, setzt aber ein systematisches Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Beschäftigten untereinander oder durch Vorgesetzte voraus (BVerwG, Urteile vom 11. Juni 2002 - 2 WD 38.01 - Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 51, vom 17. September 2003 - 2 WD 49.02 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 12 und vom 24. Juli 2013 - 2 WD 11.12 - Rn. 43). Negative Reaktionen von Vorgesetzten oder Kameraden auf mangelhafte Dienstleistungen sind ebenso wenig Mobbinghandlungen wie berechtigte Kritik (RhPf LAG, Urteil vom 2. August 2007 - 11 Sa 302/07 - BeckRS 2007, 47861). Hier konnte der frühere Soldat das Schreiben des Oberstabsarzt d.R. O. vom 31. Juli 2015 zwar als Diskriminierung empfinden. Es stellt ohne vorherige Durchführung von psychiatrischen Tests oder Untersuchungen eine schwerwiegende Diagnose, für deren Richtigkeit die Vertreterin des behandelnden Truppenarztes Oberfeldarzt K., Frau Dr. P. keinen Anhaltspunkt sah. Allerdings gibt es keinen Hinweis darauf, dass dieses Vorgehen eines nur für kurze Zeit im Dezernat wehrübenden Reservisten von den dauerhaft mit dem früheren Soldaten zusammenarbeitenden Mitarbeitern des Dezernats oder der Dezernatsleiterin initiiert worden sein könnte. Keiner der in der Berufungshauptverhandlung vernommenen Zeugen hat - auch auf Nachfragen des früheren Soldaten nicht - Entsprechendes bekundet.

87

Ebenso können die Anforderung von Stellungnahmen zum Persönlichkeitsbild des früheren Soldaten und deren Weitergabe durch Oberfeldarzt Dr. A. vom 3. September 2015 nicht als Mobbing gewertet werden. Diese Handlungen sind zwar aus den vom Truppendienstgericht ... in dessen Beschluss vom 22. November 2017, N 1 Bla 15/16, dargelegten Gründen rechtswidrig gewesen. Sie erfolgten jedoch in der Absicht, einem von Oberfeldarzt K. geäußerten Informationsbedarf Rechnung zu tragen, und nicht mit dem Ziel, den früheren Soldaten zu diskriminieren. Im Übrigen fanden diese Handlungen nach der letzten, vom Senat festgestellten Pflichtverletzung statt und sind schon aus diesem Grund für die Tatzeit nicht relevant.

88

Systematische Schikane liegt auch nicht darin, dass dem früheren Soldaten aufgegeben war, eine Abwesenheitsliste zu führen. Eine solche Liste dient unmittelbar dienstlichen Zwecken, weil sie die zügige Feststellung der Anwesenden ermöglicht. Sie zu führen, ist daher entgegen der Einschätzung des früheren Soldaten keine Diensterschwernis zur Störung seiner Arbeitsabläufe. Genauso wenig stellt die Anweisung, Arbeitsnachweise zu führen und der Versuch, den Aufenthaltsort des früheren Soldaten regelmäßig zu kontrollieren, einen Akt der Schikane dar. Fach- und Disziplinarvorgesetzte haben im Rahmen ihrer Aufgaben das Recht und die Pflicht, die Anwesenheit der ihnen unterstellten Soldaten und die Qualität ihrer Auftragserfüllung zu überwachen. Dem dienen die vom früheren Soldaten gerügten Maßnahmen.

89

Gegen systematische Anfeindungen und Schikanen gegenüber dem früheren Soldaten spricht zudem, dass vor und während der oben festgestellten Pflichtverletzungen kontinuierlich Versuche unternommen wurden, durch Gespräche und Mediationen das angespannte Betriebsklima zu verbessern und die zwischenmenschliche Kommunikation zu verbessern. Aus der schriftlichen Stellungnahme des Zeugen Oberregierungsrat Q. vom 9. Juni 2018, die im Einverständnis mit den Beteiligten im Selbstleseverfahren in die Berufungshauptverhandlung eingeführt wurde, sowie den Aussagen der Zeugen T., Dr. A., D., B., I., L., M., R. und Dr. S. in der Berufungshauptverhandlung ergab sich, dass zur Bewältigung der Spannungen im Dezernat ... mehrere Gespräche, zum Teil innerhalb des Dezernates, zum Teil unter Beteiligung von Truppenpsychologen, der militärischen Gleichstellungsbeauftragten Stabsfeldwebel L. oder des Personalratsmitglieds Regierungshauptsekretär M. durchgeführt wurden. Der Zeuge T. bestätigte, dass spätestens ab November 2014 Gespräche über die Lösung der Probleme geführt worden sind. Aus einem vom früheren Soldaten selbst vorgelegten Protokoll der Gesprächsrunde bei der militärischen Gleichstellungsbeauftragten ergibt sich, dass diese Runde am 1. Juli 2015 stattgefunden hatte. Nach den Angaben der Zeugen R., Q. und Dr. S. haben die Mediationsgespräche unter Beteiligung von Truppenpsychologen am 12. Januar und 22. Juli 2015 stattgefunden. Gegen die Glaubhaftigkeit der Aussagen der genannten Zeugen zu diesen Gesprächen bestehen schon deshalb keine durchgreifenden Bedenken, weil der frühere Soldat dem nicht entgegengetreten ist und die Angaben der Zeugen zum Erfolg und zum Inhalt der Gespräche übereinstimmen. Die Durchführung dieser Gespräche belegt zur Überzeugung des Senates Anstrengungen seitens seiner Vorgesetzten und Kameraden, den früheren Soldaten in das Dezernat zu integrieren, Konflikte konsensual zu lösen, eine effiziente Zusammenarbeit künftig möglich zu machen und disziplinarische Maßnahmen zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund entbehren die Vermutungen des früheren Soldaten, man habe ihn durch Schikanen bewegen wollen, seinen Dienstposten freiwillig zu räumen und die Zeugen Dr. A. und I. hätten beschlossen, seinen Dienstposten zu streichen, einer plausiblen Grundlage. Dies auch deswegen, weil das Streichen von Dienstposten gar nicht im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten der Zeugen Dr. A. und I. liegt.

90

Als Milderungsgrund in den Umständen der Tat stellt der Senat jedoch eine psychische Ausnahmesituation des früheren Soldaten im Zeitraum seiner Pflichtverletzungen in die Bemessung ein (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 2002 - 2 WD 23.01, 32.02 - BVerwGE 117, 117 <124> m.w.N.). Diese ergab sich daraus, dass er lange Zeit unter dem Einfluss erheblicher beruflicher Stressfaktoren seinen Dienst verrichtete und hierdurch psychisch so stark belastet war, dass es für ihn zunehmend schwerer wurde, seine ausgeprägte Neigung zu Eigensinn und Sturheit zu kontrollieren und sich in der militärischen Hierarchie Vorgesetzten unterzuordnen. Da dem früheren Soldaten nach dem Zweifelsgrundsatz eine Persönlichkeitsstörung zugute zu halten ist, ist die Belastung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, obwohl auch sein Verhalten diese Situation verursacht hat.

91

Nach den insoweit übereinstimmenden und daher glaubhaften Angaben des früheren Soldaten und des Zeugen R. kam es bereits kurze Zeit nach der Zuversetzung des früheren Soldaten zu Konflikten zwischen ihnen. Die sich hieraus ergebenden Spannungen verstärkten sich kontinuierlich, sodass eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich war. Auch mit weiteren Angehörigen des Dezernates entwickelten sich Konflikte, die in wechselseitigen Beschwerden gipfelten. Nicht nur der frühere Soldat hat eine ungewöhnlich hohe Zahl von Beschwerden gegen Dezernatsmitglieder eingereicht, auch die Zeugen Dr. A., I. und R. haben gegen den früheren Soldaten Beschwerden geführt. Dass durch die Probleme in der Zusammenarbeit mit dem früheren Soldaten das Arbeitsklima im Dezernat in außergewöhnlich hohem Maße angespannt war, ergibt sich auch daraus, dass die Zeugen Dr. A., D., B. und Dr. S. für den in Rede stehenden Zeitraum übereinstimmend eine vergiftete Arbeitsatmosphäre innerhalb des Dezernates bekundeten. Schließlich indiziert auch das von den Truppenpsychologen, den Zeugen Q. und Dr. S., übereinstimmend konstatierte Scheitern der Versuche einer Mediation die starke Zuspitzung, die die innerdienstlichen Konflikte im fraglichen Zeitraum erreicht hatten. Der frühere Soldat wurde in den Gesprächen zur Bereinigung der Situation mit der massiven Kritik der Kameraden seines Dezernates an seinem Verhalten und mit deren Einschätzung, er sei der Verursacher der Probleme, konfrontiert. Diese Konfrontation mit seiner eigenen Außenseiterposition im Dezernat verstärkten die psychischen Belastungen auch dann, wenn die Vorwürfe berechtigt waren. Diese Eskalation des innerdienstlichen Konfliktes setzte alle Angehörigen des Dezernates - und damit auch den früheren Soldaten - stark unter Druck. Als zusätzlicher Stressfaktor für den früheren Soldaten kam hinzu, dass seine Ängste, man wolle ihn von seinem Dienstposten durch Mobbing verdrängen, durch ihn unterstützende Personen seines Umfeldes verstärkt worden sind. So hat ihm die Zeugin L. den Rat gegeben, sich einen Anwalt zu suchen und ihn darauf hingewiesen, man werde ihm "mit Befehl und Gehorsam kommen". Die Truppenärztin Dr. P. hat in ihren handschriftlichen Notizen ihre Einschätzung niedergelegt, das Schreiben des Oberstabsarzt d.R. O. vom 31. Juli 2015 könne ein Akt von Mobbing sein. Auch die den früheren Soldaten in der fraglichen Zeit unterstützenden Zeugen M. und B. haben Verdachtsmomente für Mobbing verbalisiert, wenn auch keiner konkrete Schikaneakte benennen konnte. Dass der frühere Soldat unter der Situation stark litt, ergibt sich zum einen daraus, dass der behandelnde Truppenarzt Oberfeldarzt K. ihn wegen der Belastung zeitweise krankschrieb. Zum anderen haben die Truppenpsychologen Q. und Dr. S. übereinstimmend darauf verwiesen, dass der frühere Soldat ihnen von dem Konflikt besonders belastet erschien.

92

Eine Fürsorgepflichtverletzung von Vorgesetzten liegt angesichts der Bemühungen der Vorgesetzten, die Probleme im Mediationsweg zu lösen, nicht vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2013 - 2 WD 11.12 - Rn. 45). Dies gilt ungeachtet dessen, dass eine Spannungsversetzung des früheren Soldaten auch gegen dessen Willen aus Fürsorge ihm und den Kameraden des Dezernates gegenüber hätte geprüft werden müssen.

93

f) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien "Persönlichkeit" und "bisherige Führung" sprechen die durch die Beurteilungen bis 2014 ausgewiesenen soliden Leistungen für den früheren Soldaten. Für ihn spricht auch der Umstand, dass er sich in der Vergangenheit in vier Auslandseinsätzen bewährt hatte. Soweit Persönlichkeitsmerkmale des früheren Soldaten gegen ihn sprechen, sind diese bereits im Rahmen seiner Beweggründe angesprochen worden. Reue und Einsicht konnten nicht festgestellt und mildernd berücksichtigt werden.

94

4. Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstände ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts der Ausspruch einer reinigenden Maßnahme in der Form einer Dienstgradherabsetzung geboten. Diese ist nach § 58 Abs. 2 Nr. 3, § 62 Abs. 1 Satz 3 WDO zulässig. Beschwerde und Klage des früheren Soldaten gegen seine Versetzung in den Ruhestand haben keine aufschiebende Wirkung (BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2015 - 1 WB 27.13 - Buchholz 450.1 § 23 WBO Nr. 1). Einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat der frühere Soldat nicht gestellt, sodass er zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung als Soldat im Ruhestand zu behandeln ist.

95

Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 2010 - 2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:

96

a) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen".

97

Hier sind durchgängig Gehorsamspflichtverletzungen zu sanktionieren, für die eine differenzierte Betrachtung veranlasst ist: Der Senat hat in der Vergangenheit die Verletzung der Gehorsamspflicht - je nach Schwere des Verstoßes - mit einer Gehaltskürzung, einem Beförderungsverbot oder auch einer Dienstgradherabsetzung geahndet (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. August 2007 - 2 WD 27.06 - BVerwGE 129, 181 Rn. 85 und vom 23. Juni 2011 - 2 WD 21.10 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 56 Rn. 49 m.w.N.) und bei einer Kombination von Pflichtverletzungen den Umständen des Falles auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen einzelfallbezogen Rechnung getragen (BVerwG, Urteil vom 8. Mai 2014 - 2 WD 10.13 - Rn. 87 ff.). Dabei hat er das disziplinare Gewicht eines Ungehorsams umso höher eingestuft, je größer die dadurch drohenden Gefahren für ein bedeutsames Rechtsgut, insbesondere Leib und Leben von Kameraden, sind (BVerwG, Urteil vom 23. April 2015 - 2 WD 7.14 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 48 Rn. 51 ff. m.w.N.).

98

Zwar geht es hier bei keiner Pflichtverletzung um Befehle mit unmittelbarer Bedeutung für Leib und Leben von Kameraden oder Dritten. Da jedoch wiederholter Ungehorsam und in einem Fall eine Wehrstraftat in Rede stehen, liegt ein schwerer Fall von Ungehorsam vor, der in der Regel mit einer Herabsetzung im Dienstgrad zu ahnden ist.

99

b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet.

100

Nach Maßgabe dessen erlangen die für den früheren Soldaten sprechenden mildernden Umstände, insbesondere seine nicht auszuschließende Persönlichkeitsstörung und die Auslandseinsätze, kein solches Gewicht, das die Herabsetzung im Dienstgrad unverhältnismäßig wäre. Denn ihnen stehen ganz erschwerende Umstände in der Persönlichkeit des früheren Soldaten und die erheblich nachteiligen Auswirkungen des Dienstvergehens gegenüber.

101

Der frühere Soldat hat durch sein Verhalten in der Berufungshauptverhandlung eindrücklich zu erkennen gegeben, auch gegenwärtig weitab jeglicher selbstkritischer Reflexion Verantwortlichkeiten weiterhin ausschließlich bei anderen (Kameraden) zu sehen und Befehle nicht als verbindlich, sondern als ihm gegenüber jeweils erklärungs- und rechtfertigungsbedürftig zu betrachten und die mit der Durchsetzung vermeintlicher (Befehlsverweigerungs-)Rechte verbundenen kameradschaftlichen Verwerfungen im Betrieb der Streitkräfte in Kauf zu nehmen. Er stellt damit das für alle Streitkräfte elementare Prinzip von Befehl und Gehorsam nachhaltig in Frage, welches von einer - auch unter der Geltung des Grundgesetzes - nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen eingeschränkten sofortigen Vollziehbarkeit von Befehlen ausgeht (vgl. § 22 WStG) und dem Soldaten dafür kompensatorisch das Recht verleiht, sie nach ihrer Befolgung rechtlich überprüfen lassen zu können (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2 WBO). Bei einem Soldaten im aktiven Dienstverhältnis würde die prinzipielle Infragestellung jenes Prinzips dessen Eignung für den militärischen Dienst in Frage stellen (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1996 - 2 WD 21.96 - BVerwGE 103, 361 <372 f.>). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die festgestellten Pflichtverletzungen jeweils isoliert gesehen von geringerer Schwere waren. Die Vielzahl der Gehorsamsverstöße, die in einem Fall zudem einen Wehrstraftatbestand begründeten, spricht für eine nicht nur situative, sondern prinzipielle und persönlichkeitsbedingte Neigung, Befehle auch nach erfolgloser Remonstration nicht oder nicht zeitgerecht zu befolgen. Da beim Disziplinarrecht nicht die Tat als solche im Vordergrund steht, sondern die durch sie zum Ausdruck gekommenen Charakter- und Persönlichkeitsmängel (BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1989 - 2 WD 2.89 - juris Rn. 4; vgl. auch Urteil vom 21. Juni 2000 - 2 WD 19.00 - juris Rn. 11), können Gesichtspunkte der Persönlichkeit oder besondere Vertrauensbeeinträchtigungen eine hohe Disziplinarmaßnahme selbst dann rechtfertigen, wenn dies nach der Schwere des Dienstvergehens für sich genommen nicht indiziert ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2014 - 2 B 37.12 - juris Rn. 21, und Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 63.11 - BVerwGE 147, 229 Rn. 18). Dem entspricht, dass die Persönlichkeit des früheren Soldaten, aber auch die Auswirkungen des Dienstvergehens in § 38 Abs. 1 WDO neben der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens einen gleichgewichtigen und keinen nachrangigen Bemessungsparameter bilden.

102

Verbieten die dargelegten Gründe, von der Herabsetzung im Dienstgrad abzuweichen, rechtfertigt indes das Vorliegen einer seelischen Ausnahmesituation als weiterer Milderungsgrund, das Maß der Herabsetzung auf nur einen Dienstgrad zu beschränken. Dies gilt umso mehr, als der Dienstherr entgegen § 38 Abs. 2 WDO davon abgesehen hat, gegen die einzelnen Pflichtverletzungen des früheren Soldaten disziplinar gestuft vorzugehen.

103

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 1 Satz 2, Halbs. 1, § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO.

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