Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (6. Senat) - 6 B 22/20

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Kläger zu 2 meldete für den Kläger zu 1 bei dem Beklagten für den 28. April 2017 eine Versammlung auf dem Platz der Vereinten Nationen direkt vor dem Eingang des World Conference Center in Bonn (WCCB) an, die anlässlich und parallel zur Jahreshauptversammlung der Beigeladenen stattfinden sollte.

2

Mit Bescheid vom 21. April 2017 bestätigte der Beklagte die Anmeldung der Versammlung unter Auflagen, er verlagerte den Versammlungsort aber vom Bereich des Haupteingangs des WCCB in den südöstlichen Bereich des Platzes (Ziffer 1 des Bescheids). Zur Begründung führte er aus, es sei zwingend erforderlich, die ca. 3 500 Teilnehmer der Jahreshauptversammlung vor Betreten des Gebäudes in einem vor dem Eingang errichteten Zelt und damit im Bereich des geplanten Versammlungsortes einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Das Kongresszentrum besitze für eine zügige Abwicklung keine ausreichenden Räumlichkeiten und eine Kontrolle vor Betreten des Gebäudes sei aus Sicherheitsgründen vorzugswürdig. Zur Herstellung der praktischen Konkordanz sei daher eine Verlegung der Versammlung und eine Abtrennung des Zugangsbereichs durch Zäune geboten. Der zugewiesene Bereich erlaube es den Versammlungsteilnehmern weiterhin, von den ankommenden Aktionären der Beigeladenen wahrgenommen zu werden und mit diesen zu interagieren.

3

Die von den Klägern angestrengten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und die mittlerweile auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellte Klage blieben erfolglos, soweit sie sich gegen die vorliegend noch streitige Verlagerung der Versammlung wandten. Das Berufungsurteil vom 4. Februar 2020 führt aus, die Verlagerung sei zur Vermeidung eines Nutzungskonflikts von § 15 Abs. 1 VersG gedeckt gewesen. Die Versammlungsbehörde habe hinreichend konkret dargelegt, dass andernfalls die unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und des Art. 12 Abs. 1 GG stehende Hauptversammlung und die berechtigten Sicherheitsinteressen der Beigeladenen beeinträchtigt würden. Das Berufungsgericht habe nach Durchführung eines Augenscheins und auf der Grundlage der Darlegungen der Beigeladenen keinen Anlass, an der Einschätzung der Versammlungsbehörde zu zweifeln, dass die vorhandenen Räumlichkeiten sich nicht dazu eigneten, 3 500 Aktionäre innerhalb eines Zeitfensters von ca. 45 Minuten einer Sicherheitsüberprüfung an den vorgesehenen acht Kontrollstellen zu unterziehen, ohne die notwendigen Rettungs- und Fluchtwege zu blockieren. Zudem lasse sich so der Gefahr vorbeugen, dass etwaige Konflikte ins Gebäude verlagert würden oder sich Unbefugte Zutritt zum Gebäude verschafften. Der von den Klägern angeregten Einholung eines Sachverständigengutachtens oder weiterer Zeugenaussagen bedürfe es nicht, weil die für eine tragfähige Gefahrenprognose erforderlichen Umstände bekannt gewesen seien. Dass die Versammlungsbehörde die Grundlage für ihre Gefahrenprognose auch aus Gesprächen mit der Beigeladenen als Ausrichterin der Hauptversammlung gewonnen habe, sei nicht zu beanstanden. Die Versammlungsfreiheit der Kläger werde nicht unverhältnismäßig beschränkt, weil die Versammlung in unmittelbarer Nähe zum Kongresszentrum und damit in symbolträchtiger Nähe zur Hauptversammlung habe stattfinden können und die Teilnehmer ihr Anliegen sowohl gegenüber der Öffentlichkeit als auch gegenüber den Besuchern der Hauptversammlung hätten kundtun können. Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision.

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II

4

Die auf das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde der Kläger ist zwar fristgerecht erhoben und mit Fax vom 9. April 2020 auch innerhalb der Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet worden. Sie bleibt aber ohne Erfolg.

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1. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach 67; 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Rechtsfrage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die sich in dem erstrebten Revisionsverfahren als entscheidungserheblich erweist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt für die Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und Ausführungen zu dem Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Januar 2001 - 6 B 35.00 - WissR 34 <2001>, 377 Rn. 2 <= juris Rn. 3> und vom 9. Juli 2019 - 6 B 2.18 - NVwZ 2019, 1771 Rn. 7).

6

Die Beschwerde erachtet folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam:

"Reicht es in einer Situation, in welcher die Rechtsgüter zweier Privatrechtssubjekte (Versammlungsrecht einerseits, geschäftliche Privatveranstaltung andererseits) aufeinandertreffen für die Tragfähigkeit einer Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde aus, sich allein auf ein mündlich dargelegtes Sicherheitskonzept(s) des Privatveranstalters zu verlassen oder muss die Versammlungsbehörde als Hoheitsträger im Rahmen der Amtsermittlung für die Gefahrenprognose eigenständige Ermittlungen zur Gefahrenlage vornehmen?"

"Darf die Versammlungsbehö;rde im Rahmen der Maßnahmen nach § 15 VersG von der zu stellenden Gefahrenprognose selbst betroffenen privaten Dritten die Kompetenz zum Erstellen ebendieser Gefahrenprognose faktisch übertragen, indem die Erforderlichkeit von dessen Sicherheitskonzept, welches gleichzeitig das Versammlungsrecht des Anmelders einschränkt, prüfungslos angenommen wird?"

"Darf hoheitliches Handeln in Form von Verfügungen gem. § 15 VersG auf eine Gefahrenprognose gestützt werden, welcher Tatsachenbehauptungen zugrunde gelegt werden, welche ausschließlich von einem privaten Dritten stammen und von der Versammlungsbehörde ohne eigene Prüfung &#252;bernommen werden?"

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Dazu macht sie geltend, der Beklagte sei im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids nicht über die Details des Sicherheitskonzepts der Beigeladenen informiert gewesen und habe deren Angaben weder auf Plausibilität prüfen können noch seiner Entscheidung zugrunde legen dürfen. Mit diesem Vorbringen wird die Beschwerde den Darlegungsanforderungen an eine Grundsatzfrage (§ 133 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht gerecht.

8

Die von der Beschwerde in mehreren Varianten zugespitzte Fragestellung wäre in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, da das Oberverwaltungsgericht keine entsprechende Tatsachengrundlage festgestellt hat. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die relevanten Eckpunkte des Sicherheitskonzepts (Schaffung einer Sicherheitszone vor dem WCCB durch Aufstellen eines Zelts zur Durchführung der Sicherheitsüberprüfung der Teilnehmer der Hauptversammlung, räumliche Trennung der Besucher der Hauptversammlung und der Versammlungsteilnehmer durch eine Zaunanlage) dem Beklagten bereits vor Erlass der Auflage bekannt waren (UA S. 14). Des Weiteren hat bereits im Verwaltungsverfahren vor Erlass des Bescheids ein Ortstermin u.a. mit drei Vertretern des Beklagten stattgefunden, bei dem die Örtlichkeiten gemeinsam in Augenschein genommen worden sind und die Beigeladene das Sicherheitskonzept konkret vor Ort erläutert hat (Verwaltungsvorgang Bl. 87 ff.). Angesichts dieser Ermittlungsmaßnahme (§ 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 VwVfG NW) kann nicht die Rede davon sein, dass der Beklagte keine eigenständige Aufklärung und Würdigung der tatsächlichen Umstände als Grundlage seiner Gefahrenprognose vorgenommen hätte. In tatrichterlicher Würdigung der Umstände des Einzelfalles hat die Vorinstanz schließlich ausgeführt, dass der Beklagte keine weitergehenden Erkenntnisse des Sicherheitskonzepts der Beigeladenen benötigt habe, um eine tragfähige Gefahrenprognose treffen zu können (UA S. 18 f.). Wegen der Bindung des Revisionsgerichts an die nicht mit Erfolg angegriffenen tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) der Vorinstanz sind die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen für das Berufungsurteil und damit auch für das Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich.

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9

Sie erweisen sich zudem - soweit sie sich unabhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles überhaupt einer abstrakten Rechtssatzbildung als zugänglich erweisen - nicht als klärungsbedürftig. Denn es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die zuständige Behörde Maßnahmen nach § 15 Abs. 1 VersG nur aufgrund einer konkreten tatsachengestützten Gefahrenprognose treffen darf, an die mit Blick auf die Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit keine zu geringen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2014 - 6 C 1.13 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 19; allgemein zu Maßnahmen nach § 15 VersG: BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 314 <353 f.>). Damit ist implizit auch gesagt, dass die zuständige Behörde die ihr übertragene Aufgabe der Stellung einer Gefahrenprognose nicht aus der Hand geben darf und deren tatsächliche Grundlagen selbständig im Rahmen des § 24 VwVfG zu ermitteln hat. Das schließt aber nicht aus, dass sie bei der Erarbeitung der Prognosegrundlagen auch auf die Angaben der an einem Verwaltungsverfahren Beteiligten bzw. von einer bevorstehenden Verwaltungsmaßnahme Betroffenen zurückgreift und diese im Rahmen der ihr obliegenden freien Beweiswürdigung selbständig würdigt.

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2. Die Kläger erstreben die Durchführung eines Revisionsverfahrens auch unter Verweis auf das Vorliegen eines Verfahrensfehlers, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Das Berufungsurteil habe es unter Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO versäumt, den Vortrag der Versammlungsbehörde und der Beigeladenen, die Räumlichkeiten des Kongresszentrums eigneten sich nicht dafür, 3 500 Aktionäre innerhalb eines Zeitfensters von ca. 45 Minuten einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen, näher aufzuklären. Es wäre erforderlich gewesen und hätte sich dem Gericht aufdrängen müssen, durch eine Anfrage beim Kongresszentrum oder durch Einvernahme eines kundigen Mitarbeiters die Richtigkeit dieser Annahme zu untersuchen. Alternativ oder kumulativ hätte ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen. Eine weitere Aufklärung hätte den Beleg für die augenscheinlich zu bejahende Tatsache erbracht, dass die Kapazitäten des auf die Ausrichtung internationaler Kongresse fokussierten neu eröffneten Kongresszentrums für die Sicherheitsüberprüfung im Gebäude ausreichend gewesen wären und ein Zeltaufbau auf dem für die Versammlung ins Auge gefassten Vorplatz nicht erforderlich gewesen wäre. Mit diesem Vorbringen genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen an einen Aufklärungsmangel des Berufungsgerichts.

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Zur ordnungsgemäßen Begründung einer Aufklärungsrüge muss gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände, die für das Gericht entscheidungserheblich waren, Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern deren Berücksichtigung auf der Grundlage der Rechtsauffassung der Vorinstanz zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen. Dabei müssen die Beweismittel, deren Heranziehung sich dem Berufungsgericht hätte aufdrängen müssen, angegeben werden und es muss dargelegt werden, inwiefern das Urteil im Einzelnen auf der unterbliebenen Heranziehung beruht oder beruhen kann (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2017 - 6 C 42.16 [ECLI:DE:BVerwG:2017:310517U6C42.16.0] - BVerwGE 159, 64 Rn. 31). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beschwerde nicht.

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Zum einen lässt die Beschwerde außer Acht, dass das Oberverwaltungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 VwGO) einen Augenschein durch den Berichterstatter eingenommen hat. Aus welchen Gründen die von der Beschwerde angeführten Beweistatsachen, die Räumlichkeiten des WCCB eigneten sich (nicht) dazu, 3 500 Aktionäre innerhalb eines Zeitraums von ca. 45 Minuten einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen, und damit zusammenhängend auch die (Un-)Möglichkeit der Installation von acht Sicherheitsschleusen im Gebä;ude ohne Blockade der notwendigen Rettungs- und Fluchtwege einer weiteren Aufklärung bedurft hätte, die sich der Vorinstanz auf der Basis seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen, wird von der Beschwerde nicht dargelegt. Zum anderen waren diese Fragen für die Entscheidung der Vorinstanz nicht allein ausschlaggebend. Denn das Berufungsgericht hat die Berechtigung der Überlegung des Beklagten nicht in Zweifel gezogen, die Sicherheitsüberprüfung vor das Kongresszentrum zu verlegen, um auf diese Weise der Gefahr vorzubeugen, dass sich etwaige Konflikte vom Vorplatz ins WCCB hineinverlagern oder sich Unbefugte zum WCCB Zutritt verschafften (UA S. 15, 18). Für diesen alternativen Argumentationsstrang im Rahmen der tatrichterlichen Beurteilung der behördlichen Gefahrenprognose erweisen sich die von der Beschwerde als aufklärungsbedürftig angesehenen Tatfragen als unerheblich.

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3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.

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