Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 B 10/21

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. November 2020 wird verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

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Die auf eine grundsä;tzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und auf eine Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg, weil sie bezüglich beider Zulassungsgründe nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.

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I. Die Beschwerde hat mit der Grundsatzrüge keinen Erfolg.

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1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - juris Rn. 2 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris Rn. 3).

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Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 5 und vom 11. November 2011 - 5 B 45.11 - juris Rn. 3). Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrunds erstrecken.

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2. Die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedü;rftig bezeichnete Frage,

ob das Vorliegen eines Zweitbescheides durch die Behörde in Anwendung des § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG voraussetzt, dass die Behörde die (inzidente) Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens aufgrund einer Ermessensentscheidung getroffen hat,

rechtfertigt danach nicht die Zulassung der Revision. Weder hat die Beschwerde einen über die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärten Frage der Erforderlichkeit einer Ermessensentscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG hinausgehenden Klärungsbedarf (2.1) noch die Entscheidungserheblichkeit der Frage vor dem Hintergrund dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Beklagte ihr Wiederaufgreifensermessen jedenfalls nicht zugunsten der Klägerin ausgeübt hat (2.2).

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2.1 Die Beschwerde wirft die Frage auf, ob nach bestandskräftiger Entscheidung ein - eine gerichtliche Überprüfung in der Sache eröffnender - "Zweitbescheid" voraussetzt, dass die Behörde nicht nur erneut in der Sache entschieden hat, sondern sie zuvor - bei Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG - auch ihr Wiederaufgreifensermessen nach § 51 Abs. 5 VwVfG ausgeübt haben muss. Sie ist dabei der Auffassung, dass auch eine mangels Ermessensausübung nach § 51 Abs. 5 VwVfG zu Unrecht ergangene neue behördliche Sachentscheidung deren gerichtliche Überprüfung eröffnet.

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Nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht kann, soweit dies nicht durch eine nach § 1 Abs. 2 Satz 1 VwVfG entgegenstehende Vorschrift ausgeschlossen ist, eine an Gesetz und Recht gebundene Behörde aus Gründen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ein Verfahren jederzeit von Amts wegen wieder aufgreifen mit dem Ziel, einen - möglicherweise rechtswidrigen - Verwaltungsakt zugunsten des Betroffenen durch einen der Rechtslage entsprechenden zu ersetzen. Dies schließt die Möglichkeit ein, wiederum einen ablehnenden Bescheid in der Sache zu erlassen und damit wenigstens zugunsten des Betroffenen erneut den Weg zu einer gerichtlichen Sachprüfung zu eröffnen, es sei denn, es liegt bereits ein den Anspruch verneinendes rechtskräftiges verwaltungsgerichtliches Urteil vor (BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 2004 - 5 B 104.03 - juris Rn. 8 m.w.N.). Ist der Erstbescheid hingegen - wie vorliegend - nach gerichtlicher Überprüfung in Bestandskraft erwachsen, unterliegt er der Rechtskraftbindung des § 121 VwGO. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Wirkung des § 121 VwGO nur auf gesetzlicher Grundlage überwunden werden kann, etwa wenn der Betroffene nach § 51 VwVfG einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hat oder die Behörde das Verfahren im Ermessenswege wieder aufgegriffen hat oder aufgreifen muss (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 C 9.11 - EZAR NF 97 Nr. 2 S. 5 m.w.N.). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist weiterhin geklärt, dass der Betroffene nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht - vorbehaltlich abweichender sondergesetzlicher Regelungen - keinen allgemeinen strikten Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und den Erlass eines Zweitbescheides hat, und zwar in der Regel auch dann nicht, wenn der Ursprungsverwaltungsakt rechtswidrig ist; die Behörde entscheidet im Regelfall über einen Antrag auf Wiederaufgreifen nach pflichtgemäßem Ermessen, dem grundsätzlich ein Anspruch des Betroffenen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung entspricht, wobei sich das der Behörde eingeräumte Ermessen auf null verengt, wenn die Ablehnung, in eine erneute Sachprüfung einzutreten, rechtswidrig wäre (BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 2004 - 5 B 104.03 - juris Rn. 8 m.w.N.).

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Einen darüber hinausgehenden oder neuerlichen Klärungsbedarf hat die Beschwerde nicht dargelegt. Eine mögliche fehlerhafte Anwendung dieser Grundsätze durch das Oberverwaltungsgericht würde die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen.

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2.2 Die Beschwerde hat auch die Entscheidungserheblichkeit der Frage vor dem Hintergrund nicht dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht - im Einklang mit der vorstehend dargelegten höchstrichterlichen Rechtsprechung - davon ausgegangen ist, dass die Bindungswirkung des die Ablehnung des ersten Aufnahmeantrags bestätigenden Urteils des Verwaltungsgerichts Köln vom 4. November 2004 nach § 121 VwGO nur auf gesetzlicher Grundlage durchbrochen werden kann, wenn der Betroffene nach § 51 Abs. 1 VwVfG einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hat oder die Beklagte das Verfahren im Ermessenswege wieder aufgreift oder aufgreifen muss (UA S. 14). In Anwendung dieser Grundsätze ist es sodann zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Klägerin weder auf § 51 Abs. 1 VwVfG (UA S. 14 ff.) noch auf § 51 Abs. 5 VwVfG berufen könne, weil die Beklagte im Widerspruchsbescheid keine Ermessensentscheidung getroffen habe (UA S. 22 f.) und die Klägerin auch keinen gerichtlich einklagbaren Anspruch auf ein Wiederaufgreifen habe (UA S. 23 f.).

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Dabei sind die von der Beschwerde angeführten Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 22 f.) vor dem Hintergrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles zu sehen, in dem der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27. März 2018, den die Klägerin als Zweitbescheid erachtet, sich nicht eindeutig zum Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen verhält. Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, die Beklagte habe ihr Ermessen nicht zugunsten der Klägerin ausüben wollen, erweist sich im Hinblick auf die Begründung des Widerspruchsbescheides, nach der der (das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen verneinende) Ausgangsbescheid vom 28. September 2017 für rechtmäßig erachtet wird, jedenfalls nicht als willkürlich. Geht das Oberverwaltungsgericht damit erkennbar nicht von einer Ermessensentscheidung zugunsten der Klägerin aus, fehlt es nach den vorstehenden Ausführungen schon an den Voraussetzungen für eine Durchbrechung der Rechtskraftwirkung des § 121 VwGO.

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II. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

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1. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

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2. In diesem Sinne zeigt die Beschwerde keine divergierenden Rechtssätze auf. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach den beiden von der Beschwerde herangezogenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 10. August 1995 - 7 B 296.95 - Buchholz 428.2 § 2 VZOG Nr. 3 und Urteil vom 11. Dezember 2008 - 7 C 3.08 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 51), von denen die Vorinstanz abgewichen sein soll, ein - die gerichtliche Prüfung des Begehrens in der Sache erneut eröffnender - "Zweitbescheid" auch eine positive (inzidente) Entscheidung über das Wiederaufgreifen enthält. Das Berufungsgericht ist hingegen in tatsächlicher Hinsicht - wie vorstehend dargelegt - davon ausgegangen, dass die Behörde keine positive Ermessensentscheidung getroffen hat, sondern die Widerspruchsbehörde irrtümlich von einem Wiederaufgreifen durch die Ausgangsbehörde ausgegangen ist, und die Klägerin deshalb keinen gerichtlich einklagbaren Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der rechtskräftig bestätigten Ablehnung der Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG hat (UA S. 23 ff.).

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

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