Urteil vom Finanzgericht Baden-Württemberg - 14 K 3903/11

Tenor

1. Der Abrechnungsbescheid vom 20. Juni 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2011 wird dahingehend geändert, dass zugunsten der Klägerin ein Umsatzsteuererstattungsanspruch für 2007 in Höhe von insgesamt 27.054,31 EUR, für 2008 in Höhe von insgesamt 51.381,89 EUR, für 2009 in Höhe von 29.216,01 EUR und in 2010 in Höhe von 8.388,83 EUR festgestellt wird.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der noch zu erlassende Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500,- EUR, hat die Klägerin in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit zu leisten. Liegt der vollstreckbare Kostenerstattungsanspruch im Wert bei 1.500,- EUR oder darunter, ist das Urteil hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar. In diesem Fall kann der Beklagte der Vollstreckung widersprechen, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Die Klägerin ist alleinige Gesellschafterin der A GmbH (im Weiteren GmbH). Bis Ende 2006 war sie zugleich deren Geschäftsführerin. Mit Beschluss vom 1. Februar 2011 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens war am 24. November 2010 gestellt worden.
Mit Bescheid vom 25. Februar 2011 nahm der Beklagte die Klägerin nach § 191 in Verbindung mit § 74 Abgabenordnung (AO) in Haftung. Die GmbH hatte Umsatzsteuerrückstände (2007 - 2010) in Höhe von insgesamt 156.244,- EUR (2007: 36.522,- EUR, 2008: 57.186,- EUR, 2009: 36.099,- EUR und 2010: 26.437,- EUR). Der Beklagte führte zur Inhaftungnahme aus, die Klägerin hafte für diese Steuern mit sämtlichen Gegenständen, die sie der GmbH in den Jahren 2007 - 2010 überlassen hat. Dabei handle es sich um die in ihrer Bilanz bspw. zum 31. Dezember 2008 aufgeführten Sachanlagen (Grund und Boden sowie Gebäude in X, .. straße xx) mit Buchwerten (zum 31. Dezember 2008) von 360.949,- EUR (Rechtsbehelfsakten Blatt 9). Diese Grundstücke gehörten nach wie vor der Klägerin. Sie sei an der GmbH wesentlich beteiligt und habe dieser bedeutende Wirtschaftsgüter (Grundstücke mit Gebäuden) zur Nutzung überlassen. Die Umsatzsteuer, für die die Haftung geltend gemacht werde, sei während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden. Die Voraussetzungen des § 74 AO seien erfüllt.
Mit Bescheiden vom 4. März 2011 wurden Umsatzsteuerfestsetzungen 2007 - 2010 gegenüber der Klägerin geändert. Ihrerseits entstanden folgende „Restguthaben“ (in EUR):
        
Umsatzsteuer
Zinsen zu Umsatzsteuer
                          
2007   
24.265,31
2.789,-
2008   
48.702,89
2.679,-
2009   
29.216,01
        
2010   
  8.388,83
        
Die Änderungen erfolgten, weil zu Unrecht davon ausgegangen war, dass in 2007 - 2010 zwischen der Klägerin und der GmbH ein Organschaftsverhältnis bestanden hatte (Klägerin = Organträgerin, GmbH = Organgesellschaft). Schließlich war die Klägerin seit 1. Januar 2007 nicht mehr Geschäftsführerin der GmbH.
Mit Schreiben vom 28. März 2011 bat der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin, der zugleich der Insolvenzverwalter der GmbH ist, den Beklagten um Auszahlung der Umsatzsteuerrestguthaben an ihn. Die Klägerin habe ihre Umsatzsteuererstattungsansprüche an ihn abgetreten. Eine entsprechende Erklärung vom 18. Januar 2011 fügte er dem Schreiben bei (Rechtsbehelfsakten Blatt 45). Nachdem ihn der Beklagte darauf aufmerksam gemacht hatte, dass diese nicht den Anforderungen des § 46 Abs. 3 AO entspreche und daher nicht wirksam sei, reichte er eine formularmäßige Abtretungsanzeige vom 31. März 2011 über „110.573,04 EUR zzgl. Zinsen“ ein (Rechtsbehelfsakten Blatt 53). Folgender Abtretungsgrund ist angegeben: „Begleichung einer Schuld“. Dem entgegnete der Beklagte, das Guthaben der Klägerin sei in voller Höhe mit ihren Haftungsschulden aufgerechnet worden.
Auf Antrag erließ der Beklagte mit Datum vom 20. Juni 2011 einen „Abrechnungsbescheid über die Umsatzsteuer 2007 bis 2010“. Auf dessen Inhalt wird im Einzelnen verwiesen (Rechtsbehelfsakten Blatt 75). Durch Aufrechnung erloschen ist danach ein Guthaben der Klägerin in Höhe von 116.041,04 EUR.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage begründet die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, wie folgt: Die Aufrechnung einer dinglichen Haftung mit dem Guthabenerstattungsanspruch sei rechtlich nicht möglich. Bei letzterem handle es sich um einen Geldanspruch. Der Haftungsbescheid nach § 74 AO verpflichte sie hingegen lediglich zu einer Haftung mit Gegenständen, die sie der GmbH zur Verfügung gestellt hatte. Ein unmittelbarer Anspruch des Beklagten ihr gegenüber auf Auszahlung eines Geldbetrags resultiere gerade nicht aus § 74 AO. Dieser begründe keinen Zahlungsanspruch, der die Vollstreckung in das gesamte Vermögen anordnet. Vielmehr solle er verhindern, dass Betriebsschulden eines Unternehmens nicht vollstreckt werden können, weil die dem Betrieb dienenden Gegenstände einem anderen als dem Unternehmer gehören und der Unternehmer selbst mit gepachteten Betriebsmitteln wirtschaftet. Zwar sei die Haftung auf Grund der Steuerschuld dem Betrag nach beziffert und laute auf Geld. Dennoch richte sie sich nicht auf die Zahlung von Geld gegenüber dem Haftenden. Auch die Möglichkeit der Realisierung des Haftungsanspruchs könne sich nur nach dem möglichen Erlös aus einer Verwertung der dem Betrieb dienenden Gegenstände richten. Dies gelte umso mehr, als die Gegenstände in ihrem Unternehmen wertausfüllend grundpfandrechtlich von Dritten vorrangig gepfändet seien. Könne der Beklagte sich durch Aufrechnung von Steuererstattungsansprüchen ihr gegenüber schadlos halten, wäre die in § 74 AO angeordnete gegenständliche Haftung völlig konterkariert. Dann wäre nicht mehr zu erkennen, wieso sich die Haftung hier allein auf die dem Unternehmen überlassenen Gegenstände beschränken sollte.
Das vom Beklagten zitierte Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 18. Dezember 1987 V ZR 163/86 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1988, 1026) enthalte folgende Ausführungen: „Es ist indes anerkannt, dass unter Geldforderung im Sinne der §§ 803 ff. ZPO nicht nur eine auf Leistung in Geld gerichtete Forderung zu verstehen ist, sondern auch die Haftung für eine Geldleistung als Duldungsschuldner“. Der BGH verstehe unter Geldleistung nicht nur eine Forderung, die auf Zahlung von Geld gerichtet ist, sondern auch Haftungs- und Duldungstitel, die eine gegenständlich beschränkte Haftung begründen. Gegenständlich beschränkt sei damit die Haftung nur auf den Vermögenswert des Betroffenen, in den dieser eine Vollstreckung zu dulden hat. Genau diese Beschränkung werde nicht beachtet, wenn mit einer Gegenforderung des Steuerschuldners seitens des Finanzamts (FA) aufgerechnet wird. Die Aufrechnung stelle insofern eine Vollstreckungshandlung dar, die infolge der Haftungsbeschränkung in § 74 AO gerade nicht statthaft sei.
10 
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
        
1. den Abrechnungsbescheid vom 20. Juni 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2011 dahingehend zu ändern, dass zugunsten der Klägerin ein Umsatzsteuererstattungsanspruch für 2007 in Höhe von insgesamt 27.054,31 EUR, für 2008 in Höhe von insgesamt 51.381,89 EUR, für 2009 in Höhe von 29.216,01 EUR und in 2010 in Höhe von  8.388,83 EUR festgestellt wird.
2. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
11 
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
12 
Er bleibt bei seiner in der Einspruchsentscheidung vertretenen Auffassung. Auch der Haftungsanspruch nach § 74 AO sei als primäre persönliche Schuld einer Aufrechnung nach § 226 AO zugänglich. Die Gleichartigkeit der Forderungen liege vor. Eine Haftungsinanspruchnahme sei immer auf eine Geldzahlung gerichtet. Titel nach § 74 AO seien Zahlungstitel im Sinne von § 259 AO (BGH-Urteil vom 18. Dezember 1987 V ZR 163/86, a.a.O.). Die dingliche Beschränkung bedeute lediglich, dass die Aufrechnung auf den Wert des überlassenen Gegenstands beschränkt sei und dass nur für „betriebsbedingte Steuern“ (ohne steuerliche Nebenleistungen) gehaftet werde. In Anbetracht des Buchwerts der Gegenstände von 360.949,- EUR (zum 31. Dezember 2008), mit denen die Klägerin in Haftung genommen wurde, überschreite die Aufrechnung über 116.041,04 EUR den maximalen Haftungsbetrag nicht. Die Aufrechnung sei keine Vollstreckungshandlung, sondern Teil des normalen Erhebungsverfahrens. Auf die eventuelle Belastung eines Grundstücks mit Grundschulden komme es daher nicht an.
13 
Am 29. März 2012 fand ein Erörterungstermin statt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen. In diesem erklärten die Beteiligten, sie verzichteten auf mündliche Verhandlung vor dem Senat.
14 
In der Folge führte der Beklagte aus, die Aufrechnung des Haftungsanspruchs nach      § 74 AO mit dem Umsatzsteuerguthaben sei nicht wegen fehlender Gleichartigkeit ausgeschlossen. Bei der Haftung nach § 74 AO handle es sich nicht um einen reinen Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung, sondern um einen Zahlungsanspruch. Hätte der Gesetzgeber die Haftung nach § 74 AO als reine Duldungspflicht ausgestalten wollen, hätte er dies durch einfachen Verweis auf § 77 AO regeln können. Das sei aber nicht geschehen. Auch die Voraussetzung der Gegenseitigkeit liege vor. Der Zahlungsanspruch auf Erstattung des Umsatzsteuerguthabens der Klägerin gegen das FA stehe zu dem Zahlungsanspruch des FA gegen die Klägerin aus dem Haftungsbescheid nach § 74 AO im für die Aufrechnung notwendigen Gegenseitigkeitsverhältnis. Der Haftungsumfang werde durch den Bruttogrundstückswert bestimmt. Auf die Belastung eines Grundstücks mit Grundschulden komme es nicht an.
15 
Dem entgegnete die Klägerin, die Haftung nach § 74 AO sei allein auf den dinglichen Haftungsgegenstand (hier: das bebaute Grundstück, das der GmbH betrieblich diente) beschränkt. Das hier streitgegenständliche Grundstück sei durch in voller Höhe valutierende Grundschulden haftungsausfüllend belastet. Es werde derzeit auf Betreiben der Sparkasse im Wege der freihändigen Verwertung am Markt angeboten. Bislang hätten sich nicht einmal ansatzweise Kaufangebote ergeben, die auch nur den noch valutierenden Schuldenstand der Sparkasse nominell erreichen. Sollte sich hier noch eine Wende im Gesichtspunkt der möglichen Aufrechenbarkeit von dinglich beschränkten Haftungsansprüchen ergeben, wäre jedenfalls die Haftungssumme auf null herabzusetzen.

Entscheidungsgründe

 
16 
1. Die Klage ist begründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig. Die Aufrechnung durch den Beklagten ist nicht wirksam, der Umsatzsteuererstattungsanspruch der Klägerin für 2007 in Höhe von insgesamt 27.054,31 EUR, für 2008 in Höhe von insgesamt 51.381,89 EUR, für 2009 in Höhe von 29.216,01 EUR und in 2010 in Höhe von 8.388,83 EUR infolgedessen nicht erloschen (§ 47 AO).
17 
Gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) betreffen, durch Verwaltungsakt (sog. Abrechnungsbescheid). Gegenstand des Abrechnungsbescheids kann dabei insbesondere die Frage sein, ob eine Zahlungsverpflichtung noch besteht oder ob sie ganz oder teilweise durch Aufrechnung erloschen ist (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. April 1987 VII R 148/83, Bundessteuerblatt   - BStBl - II 1987, 536; vom 12. August 1999 VII R 92/98, BStBl II 1999, 751 und vom 13. Januar 2000 VII R 91/98, BStBl II 2000, 246). Gemäß § 226 Abs. 1 AO gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist. Nach § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) setzt die Aufrechnung voraus, dass Anspruch und Gegenanspruch zwischen denselben Personen bestehen, die Ansprüche ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, die Hauptforderung erfüllbar und die Gegenforderung fällig ist. Sind diese Voraussetzungen gegeben, liegt die sog. Aufrechnungslage vor.
18 
Im Streitfall ist die Aufrechnungslage hinsichtlich der aufgerechneten Forderungen nicht gegeben. Es fehlt an deren Gleichartigkeit. Voraussetzung einer wirksamen Aufrechnung ist allerdings, dass Haupt- und Gegenforderung auf eine gleichartige Leistung gerichtet sind, wobei es auf den Schuldgrund nicht ankommt. Ausschlaggebend ist allein der Gegenstand der Leistung, nicht deren Zweck. Was gleichartig ist, bestimmt die Verkehrsanschauung (Wagner in Ermann, BGB, 13. Aufl. 2011, § 387 Rn. 10). Gleichartig sind bspw. Forderungen, die auf Geld lauten (Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl. 2012,        § 226 Rn. 25). Dagegen ist die Gleichartigkeit zu verneinen bspw. für Zahlungsansprüche auf der einen und Ansprüche auf Geldzahlung/Befriedigung aus einem Grundstück auf der anderen Seite (BGH-Urteil vom 9. Februar 1965 V ZR 49/63, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1965, 476; Wagner in Ermann, a.a.O., § 387 Rn. 14; Grüneberg in Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, § 387 Rn. 10; Schreiber in Soergel, BGB Band 5/3, 13. Aufl. 2010, § 387 Rn. 6). Als Ausnahme bestimmt § 1142 Abs. 2 BGB, dass der Grundstückseigentümer gegen den dinglichen Anspruch mit einer persönlichen Forderung aufrechnen darf.
19 
Im Streitfall ist die Hauptforderung (Umsatzsteuererstattungsanspruch der Klägerin für 2007 in Höhe von insgesamt 27.054,31 EUR, für 2008 in Höhe von insgesamt 51.381,89 EUR, für 2009 in Höhe von 29.216,01 EUR und in 2010 in Höhe von 8.388,83 EUR) unstreitig auf Geld gerichtet. Das gilt jedoch nicht für die Gegenforderung des Beklagten. Gegenstand derselben ist ein Anspruch auf Geldzahlungen aus einem Grundstück (Grund und Boden sowie Gebäude in X, .. straße xx), der letztlich nur durch eine Zwangsvollstreckung in das der GmbH durch die Klägerin überlassene bebaute Grundstück verwirklicht werden kann (vgl. Adamek/Loose, GmbH-Rundschau  - GmbHR - 2001, 649; Intemann in Pahlke/König, AO, 2. Aufl. 2009, § 74 Rn. 1, 14; Schuster, jurisPR-SteuerR 15/2012, Anm. 1). Schließlich ist die Haftung nach § 74 AO, der die Gegenforderung begründet, gegenständlich, d.h. dinglich, beschränkt (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1985 VII R 180/83, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 1986, 314), weil der Eigentümer nur „mit“ den Gegenständen haftet, die er dem Unternehmen überlassen hat (im Streitfall haftet die Klägerin mit dem der GmbH überlassenen Grund und Boden sowie Gebäude in X, .. straße xx; s. Haftungsbescheid vom 25. Februar 2011), und zwar mit den Gegenständen selbst, nicht auf einen nach deren Wert bemessenen Geldbetrag (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Stand: Juni 2012, § 74 Rn. 43). Denn Zweck des § 74 AO, der seinen Ursprung in § 7 Abs. 4 des Gewerbesteuerrahmengesetzes vom 30. Juni 1935 (Reichsgesetzblatt - RGBl - I 1935, 830) hat, ist es, in bestimmten Fällen die Vollstreckung auch in solche Gegenstände zu ermöglichen, die dem Unternehmen zur Aufrechterhaltung seiner Betriebstätigkeit in nicht unerheblicher Weise dienen, ihm jedoch selbst nicht gehören, so dass sie eigentlich dem Zugriff der Vollstreckungsgläubiger entzogen wären (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts    - BVerfG - vom 14. Dezember 1966 1 BvR 496/65, BStBl III 1967, 166; BFH-Urteil vom 22. November 2011 VII R 63/10, BStBl II 2012, 223; Mösbauer, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1996, 513; Jatzke in Beermann/Gosch, AO, Stand: Juli 2012, § 74   Rn. 2). Die Gläubiger von Unternehmen sollen grundsätzlich davon ausgehen können, dass das Vermögen des Unternehmens zur Sicherung dessen Verbindlichkeiten dient. So wird der, der mit einem Unternehmen eine neue Rechtsbeziehung anbahnt, zunächst klären, ob das Unternehmen in der Lage ist, seinen sich hieraus ergebenden Verpflichtungen nachzukommen. Ergibt sich, dass Gegenstände, die dem Unternehmen dienen, nicht zu dessen Vermögen, sondern zum Privatvermögen von Gesellschaftern gehören, wird in Vertragsverhandlungen häufig darauf gedrungen, dass Sicherheiten an diesen Gegenständen bestellt werden. Allerdings hat der Fiskus diese Möglichkeit nicht, weil seine Ansprüche kraft Gesetzes entstehen. Einer möglichen Schlechterstellung der Ansprüche der öffentlichen Hand steht § 74 AO entgegen, der im Haftungswege den zwangsweisen Zugriff auf diese Gegenstände ermöglicht (Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, 2005, Seite 76 f.). Das bedeutet dann aber auch, dass die Haftungssubstanz des Unternehmens nur um den überlassenen Gegenstand erweitert wird, weshalb der Eigentümer des Gegenstands (im Streitfall die Klägerin) lediglich die Verwertung dieses Betriebsmittels zu dulden braucht (Adamek/Loose, a.a.O.). Nach allem ist die Gegenforderung im Streitfall somit keine Forderung, die auf Geld lautet.
20 
Nachdem hier die Voraussetzung der Gleichartigkeit der aufgerechneten Forderungen fehlt, kommt es nicht darauf an, inwieweit das streitgegenständliche Grundstück „wertausfüllend grundpfandrechtlich von Dritten vorrangig gepfändet“ ist (vgl. zu letzterem die Ausführungen in der Klageschrift vom 11. November 2011).
21 
2. Nachdem das Einverständnis beider Beteiligter vorlag, hielt es der Senat für sachgerecht, gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
22 
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
23 
4. Die Klägerseite beantragte, die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären. Dem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, der in rechtlicher Hinsicht nicht von vornherein als einfach zu beurteilen war. Die Klägerseite durfte sich daher eines Rechtskundigen bedienen, um eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen. Der Senat hält hiernach die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
24 
5. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709, 711 Zivilprozessordnung.
25 
6. Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen worden, da das Gericht der vorliegend entschiedenen Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst.

Gründe

 
16 
1. Die Klage ist begründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig. Die Aufrechnung durch den Beklagten ist nicht wirksam, der Umsatzsteuererstattungsanspruch der Klägerin für 2007 in Höhe von insgesamt 27.054,31 EUR, für 2008 in Höhe von insgesamt 51.381,89 EUR, für 2009 in Höhe von 29.216,01 EUR und in 2010 in Höhe von 8.388,83 EUR infolgedessen nicht erloschen (§ 47 AO).
17 
Gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) betreffen, durch Verwaltungsakt (sog. Abrechnungsbescheid). Gegenstand des Abrechnungsbescheids kann dabei insbesondere die Frage sein, ob eine Zahlungsverpflichtung noch besteht oder ob sie ganz oder teilweise durch Aufrechnung erloschen ist (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. April 1987 VII R 148/83, Bundessteuerblatt   - BStBl - II 1987, 536; vom 12. August 1999 VII R 92/98, BStBl II 1999, 751 und vom 13. Januar 2000 VII R 91/98, BStBl II 2000, 246). Gemäß § 226 Abs. 1 AO gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist. Nach § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) setzt die Aufrechnung voraus, dass Anspruch und Gegenanspruch zwischen denselben Personen bestehen, die Ansprüche ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, die Hauptforderung erfüllbar und die Gegenforderung fällig ist. Sind diese Voraussetzungen gegeben, liegt die sog. Aufrechnungslage vor.
18 
Im Streitfall ist die Aufrechnungslage hinsichtlich der aufgerechneten Forderungen nicht gegeben. Es fehlt an deren Gleichartigkeit. Voraussetzung einer wirksamen Aufrechnung ist allerdings, dass Haupt- und Gegenforderung auf eine gleichartige Leistung gerichtet sind, wobei es auf den Schuldgrund nicht ankommt. Ausschlaggebend ist allein der Gegenstand der Leistung, nicht deren Zweck. Was gleichartig ist, bestimmt die Verkehrsanschauung (Wagner in Ermann, BGB, 13. Aufl. 2011, § 387 Rn. 10). Gleichartig sind bspw. Forderungen, die auf Geld lauten (Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl. 2012,        § 226 Rn. 25). Dagegen ist die Gleichartigkeit zu verneinen bspw. für Zahlungsansprüche auf der einen und Ansprüche auf Geldzahlung/Befriedigung aus einem Grundstück auf der anderen Seite (BGH-Urteil vom 9. Februar 1965 V ZR 49/63, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1965, 476; Wagner in Ermann, a.a.O., § 387 Rn. 14; Grüneberg in Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, § 387 Rn. 10; Schreiber in Soergel, BGB Band 5/3, 13. Aufl. 2010, § 387 Rn. 6). Als Ausnahme bestimmt § 1142 Abs. 2 BGB, dass der Grundstückseigentümer gegen den dinglichen Anspruch mit einer persönlichen Forderung aufrechnen darf.
19 
Im Streitfall ist die Hauptforderung (Umsatzsteuererstattungsanspruch der Klägerin für 2007 in Höhe von insgesamt 27.054,31 EUR, für 2008 in Höhe von insgesamt 51.381,89 EUR, für 2009 in Höhe von 29.216,01 EUR und in 2010 in Höhe von 8.388,83 EUR) unstreitig auf Geld gerichtet. Das gilt jedoch nicht für die Gegenforderung des Beklagten. Gegenstand derselben ist ein Anspruch auf Geldzahlungen aus einem Grundstück (Grund und Boden sowie Gebäude in X, .. straße xx), der letztlich nur durch eine Zwangsvollstreckung in das der GmbH durch die Klägerin überlassene bebaute Grundstück verwirklicht werden kann (vgl. Adamek/Loose, GmbH-Rundschau  - GmbHR - 2001, 649; Intemann in Pahlke/König, AO, 2. Aufl. 2009, § 74 Rn. 1, 14; Schuster, jurisPR-SteuerR 15/2012, Anm. 1). Schließlich ist die Haftung nach § 74 AO, der die Gegenforderung begründet, gegenständlich, d.h. dinglich, beschränkt (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1985 VII R 180/83, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 1986, 314), weil der Eigentümer nur „mit“ den Gegenständen haftet, die er dem Unternehmen überlassen hat (im Streitfall haftet die Klägerin mit dem der GmbH überlassenen Grund und Boden sowie Gebäude in X, .. straße xx; s. Haftungsbescheid vom 25. Februar 2011), und zwar mit den Gegenständen selbst, nicht auf einen nach deren Wert bemessenen Geldbetrag (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Stand: Juni 2012, § 74 Rn. 43). Denn Zweck des § 74 AO, der seinen Ursprung in § 7 Abs. 4 des Gewerbesteuerrahmengesetzes vom 30. Juni 1935 (Reichsgesetzblatt - RGBl - I 1935, 830) hat, ist es, in bestimmten Fällen die Vollstreckung auch in solche Gegenstände zu ermöglichen, die dem Unternehmen zur Aufrechterhaltung seiner Betriebstätigkeit in nicht unerheblicher Weise dienen, ihm jedoch selbst nicht gehören, so dass sie eigentlich dem Zugriff der Vollstreckungsgläubiger entzogen wären (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts    - BVerfG - vom 14. Dezember 1966 1 BvR 496/65, BStBl III 1967, 166; BFH-Urteil vom 22. November 2011 VII R 63/10, BStBl II 2012, 223; Mösbauer, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1996, 513; Jatzke in Beermann/Gosch, AO, Stand: Juli 2012, § 74   Rn. 2). Die Gläubiger von Unternehmen sollen grundsätzlich davon ausgehen können, dass das Vermögen des Unternehmens zur Sicherung dessen Verbindlichkeiten dient. So wird der, der mit einem Unternehmen eine neue Rechtsbeziehung anbahnt, zunächst klären, ob das Unternehmen in der Lage ist, seinen sich hieraus ergebenden Verpflichtungen nachzukommen. Ergibt sich, dass Gegenstände, die dem Unternehmen dienen, nicht zu dessen Vermögen, sondern zum Privatvermögen von Gesellschaftern gehören, wird in Vertragsverhandlungen häufig darauf gedrungen, dass Sicherheiten an diesen Gegenständen bestellt werden. Allerdings hat der Fiskus diese Möglichkeit nicht, weil seine Ansprüche kraft Gesetzes entstehen. Einer möglichen Schlechterstellung der Ansprüche der öffentlichen Hand steht § 74 AO entgegen, der im Haftungswege den zwangsweisen Zugriff auf diese Gegenstände ermöglicht (Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, 2005, Seite 76 f.). Das bedeutet dann aber auch, dass die Haftungssubstanz des Unternehmens nur um den überlassenen Gegenstand erweitert wird, weshalb der Eigentümer des Gegenstands (im Streitfall die Klägerin) lediglich die Verwertung dieses Betriebsmittels zu dulden braucht (Adamek/Loose, a.a.O.). Nach allem ist die Gegenforderung im Streitfall somit keine Forderung, die auf Geld lautet.
20 
Nachdem hier die Voraussetzung der Gleichartigkeit der aufgerechneten Forderungen fehlt, kommt es nicht darauf an, inwieweit das streitgegenständliche Grundstück „wertausfüllend grundpfandrechtlich von Dritten vorrangig gepfändet“ ist (vgl. zu letzterem die Ausführungen in der Klageschrift vom 11. November 2011).
21 
2. Nachdem das Einverständnis beider Beteiligter vorlag, hielt es der Senat für sachgerecht, gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
22 
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
23 
4. Die Klägerseite beantragte, die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären. Dem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, der in rechtlicher Hinsicht nicht von vornherein als einfach zu beurteilen war. Die Klägerseite durfte sich daher eines Rechtskundigen bedienen, um eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen. Der Senat hält hiernach die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
24 
5. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709, 711 Zivilprozessordnung.
25 
6. Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen worden, da das Gericht der vorliegend entschiedenen Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst.

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