Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 10 K 3009/16 F
Tenor
Die Einspruchsentscheidung vom 19.09.2016 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klage richtet sich gegen Bescheide betreffend die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Feststellungsbescheide) für die Jahre 2008 bis 2010, die nach Durchführung einer Außenprüfung ergangen sind. Streitig ist vorrangig, ob fristgerecht Einspruch eingelegt wurde.
3Feststellungssubjekt ist eine atypisch stille Gesellschaft (ASG), die in den Streitjahren aus der A-Ltd. als Inhaberin des Handelsgeschäfts und aus der B & C-GbR als stiller Gesellschafterin bestand. B hat seinen Anteil an der GbR mit Ablauf des 30.06.2012 an C veräußert. Seitdem ist C alleiniger stiller Gesellschafter.
4Alleingesellschafterin der A-Ltd. war in den Streitjahren D [...], welche auch als Geschäftsführerin bestellt war. Seit Herbst 2011 hat die A-Ltd. ihren Sitz in Z (Registernummer HRB [...]) und damit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten.
5D, C und/oder B waren bzw. sind --z.T. auch gemeinsam-- an einer Vielzahl anderer Gesellschaften beteiligt und/oder deren Geschäftsführer (u.a. an der E-GmbH, für welche die A-Ltd. in den Streitjahren beratend tätig war). Da das Finanzamt (FA) Y eine Prüfung der Firmengruppe „E“ beabsichtigte, beauftragte der Beklagte das FA Y gem. § 195 Satz 2 AO, auch bei der ASG für die Jahre 2008 bis 2010 eine Außenprüfung durchzuführen. Diese Prüfung wurde mit Bericht vom 18.12.2013 abgeschlossen.
6Am 18.08.2014 änderte der Beklagte die bisherigen gegenüber der ASG ergangenen Feststellungsbescheide für die Jahre 2008 bis 2010 gem. § 164 Abs. 2 AO (2008/2009) bzw. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (2010) entsprechend den Feststellungen der Betriebsprüfung. Dabei wurde – wie schon in den Vorgängerbescheiden – nicht die B & C-GbR als Gesellschafterin der ASG erfasst, sondern vielmehr wurden die von der ASG erzielten Einkünfte - wie in den Feststellungserklärungen beantragt - der A-Ltd. zu 95 %, C zu 4,5 % und B zu 0,5% zugerechnet. Bekannt gegeben wurden die Änderungsbescheide der F-GmbH, welche in den Feststellungserklärungen 2008 bis 2010 ausdrücklich zur gemeinsamen, von allen Beteiligten bestellten Empfangsbevollmächtigten benannt worden war.
7Mit einem auf den 21.08.2014 datierten, aber mit Fax erst am 22.09.2014 um 11:48 Uhr (Uhrzeit am Sendegerät) versendeten Schreiben legte die Empfangsbevollmächtigte Einspruch ein. Im Adressfeld des Schreibens stehen der Name und die Anschrift des beklagten FA Z und in der Bezugszeile die mit Ziffern „zzz/“ beginnende Steuernummer der ASG. Über dem Adressfeld steht die Zeile „Nur per Telefax: [...]yyy“. Das ist die Faxnummer des FA Y; die Faxnummer des Beklagten hätte auf „zzz“ geendet. Beim FA Y ging das Schreiben am 22.09.2014 um 11:40 Uhr (Uhrzeit am Empfangsgerät) ein. Mit Begleitschreiben vom 25.09.2014 sendete das FA Y das Einspruchsschreiben weiter zum Beklagten, wo es ausweislich des Eingangsstempels am 29.09.2014 einging.
8Die Frage, ob der Einspruch fristgerecht erhoben wurde, wurde im Einspruchsverfahren nicht thematisiert, sondern die Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom 19.09.2016 als unbegründet zurückgewiesen. Zugleich wurde der Feststellungsbescheid 2008 nach Erteilung eines vorherigen Verböserungshinweises dahingehend geändert, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb um 798,32 € erhöht wurden. Bekannt gegeben wurde die Einspruchsentscheidung, die die ASG als Einspruchsführerin benennt, an die Empfangsbevollmächtigte.
9Mit Schriftsatz vom 20.10.2016 hat die Empfangsbevollmächtigte Klage erhoben. In dem Schriftsatz hatte sie sich selbst lediglich als „Prozessbevollmächtigte“ ausgewiesen und die Kläger wie folgt bezeichnet:
10„A-Ltd.
11und atypisch stiller Gesellschafter der A-Ltd.
12Hier: C
13und B
14als Gesellschafter in den streitigen Veranlagungszeiträumender zwischenzeitlich beendeten B & C-GbR
15- Klägerinnen -“
16In der mündlichen Verhandlung hat die Empfangsbevollmächtigte klargestellt, dass zum einen B als ausgeschiedener Gesellschafter Kläger sei (vertreten durch sie als Prozessbevollmächtigte) und zum anderen auch sie selbst (in ihrer Eigenschaft als Empfangsbevollmächtigte der ASG) Klägerin sei.
17Am 08.01.2021 wurde die Prozess-/Empfangsbevollmächtigte darauf hingewiesen, dass bei der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung aufgefallen sei, dass der Einspruch erst nach Ablauf der Einspruchsfrist beim Beklagten eingegangen sei.
18Die Kläger räumen ein, dass der 22.09.2014 der letzte Tag der Einspruchsfrist gewesen sei. Jedoch sei zu beachten, dass die unzuständige Behörde – hier das FA Y – verpflichtet gewesen sei, das Schreiben unverzüglich an den Beklagten weiterzuleiten. Aufgrund der Adressierung an das FA Z und der Verwendung einer Steuernummer dieses Finanzamts sei auch offensichtlich gewesen, dass es sich um einen Irrläufer gehandelt habe. Aufgrund dieses Umstandes und aufgrund des Umstands, dass das Fax schon vor Mittag eingegangen sei, sei davon auszugehen, dass die Entscheidung über die Weiterleitung des Einspruchsschreibens noch am gleichen Tag getroffen worden sei. Dies sei für die Wahrung der Einspruchsfrist ausreichend. Wann das Begleitschreiben gefertigt worden sei, wann es zur Post aufgegeben worden sei und wann das Einspruchsschreiben beim Beklagten tatsächlich angekommen sei, sei unerheblich. Dies ergebe sich aus dem Urteil des FG Baden-Württemberg vom 14.05.2017 – 3 K 3046/14.
19Zudem werde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Sie – die Kläger – hätten die vergangenen 6 Jahre darauf vertraut, dass das Einspruchsschreiben vom FA Y unverzüglich weitergeleitet worden sei. Dass dies nicht der Fall gewesen sei, hätten sie erst am 08.01.2021 erfahren.
20Die Kläger beantragen,
211) die Feststellungsbescheide vom 18.08.2014 (2008 bis 2010) sowie die Einspruchsentscheidung vom 19.09.2016 dahingehend zu ändern, dass die Auswirkungen folgender Textziffern des Betriebsprüfungsberichts vom 18.12.2013 rückgängig gemacht werden:
22Tz. 24, Tz. 27, Tz. 30, Tz. 31 und Tz. 32,
232) hilfsweise, die Revision zuzulassen.
24Der Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die vorgelegten Steuerakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
27Entscheidungsgründe:
28I. Der Senat legt die insoweit unklar formulierte Klageschrift rechtsschutzgewährend dahingehend aus, dass die Klage zum einen von B und zum anderen von der F-GmbH als Klagebevollmächtigte i.S.d. §§ 48 Abs. 2 FGO, § 183 Abs. 1 Satz 1 AO erhoben wurde, nicht aber von der A-Ltd. bzw. von C.
29a) Eine Innengesellschaft wie die atypisch stille Gesellschaft kann als solche nicht Beteiligte eines finanzgerichtlichen Verfahrens sein, das die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung betrifft. Denn bei der Innengesellschaft kommt eine Vertretung, d.h. ein rechtsgeschäftliches Handeln für die Gesellschaft im Außenverhältnis, nicht in Betracht. Die Innengesellschaft hat keine Organe und keine Bevollmächtigten. Die Rolle des nicht vorhandenen Geschäftsführers übernimmt bei der atypisch (mitunternehmerischen) stillen Gesellschaft oder einer ähnlichen Innengesellschaft gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2, Abs. 2 FGO, § 183 AO der Empfangsbevollmächtigte als Klagebevollmächtigter. Diesem stehen deshalb dieselben prozessualen Befugnisse zu wie einem vertretungsberechtigten Geschäftsführer nach dem Regeltatbestand des § 48 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 FGO. Solange die atypisch stille Gesellschaft nicht vollbeendet ist, handelt der Empfangsbevollmächtigte im eigenen Namen im Interesse der Feststellungsbeteiligten und damit für diese als gesetzlicher Prozessstandschafter (vgl. BFH, Urteil vom 01.03.2018 – IV R 38/15, BStBl II 2018, 587 m.w.N.). Der Inhaber des Handelsgeschäfts und die stillen Gesellschafter sind in diesem Fall nur klagebefugt, soweit sie in ihrer Person die Voraussetzungen der § 48 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 FGO erfüllen.
30b) B, der in den angefochtenen Feststellungsbescheiden als Gesellschafter der ASG erfasst wurde, hat seinen Anteil an der B & C-GbR im Jahr 2012 verkauft und ist damit nicht nur aus der GbR, sondern - zumindest faktisch - auch aus der ASG ausgetreten. Als ausgeschiedener Gesellschafter war er gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO befugt, gegen die Feststellungsbescheide Klage zu erheben. Er wurde in der Klageschrift auch namentlich als Kläger benannt.
31c) Die ASG wurde durch den Austritt des B nicht beendet. Vielmehr wurde die ASG – wie die mit Schriftsatz vom 07.01.2021 eingereichten Verträge zeigen – mit C als (nunmehr einzigem) stillen Gesellschafter fortgesetzt und ist auch noch weiterhin existent. Da in den Feststellungserklärungen der Jahre 2008 bis 2010 ein gemeinsamer Empfangsbevollmächtigter i.S.d. § 183 Abs. 1 Satz 1 AO benannt worden war und die Benennung nicht widerrufen worden ist, oblag die Klageerhebung gem. § 48 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FGO diesem Empfangsbevollmächtigten, d.h. hier der F-GmbH, welche die Klageschrift gefertigt und eingereicht hat. Dass diese sich – jedenfalls nach dem Wortlaut der Klageschrift – lediglich als „Prozessbevollmächtigte“ bezeichnet hat, steht einer Auslegung dahingehend, dass sie die Klage (auch) in eigenem Namen als Empfangsbevollmächtigte der ASG einlegen wollte, nicht entgegen (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 01.03.2018 – IV R 38/15, BStBl II 2018, 587). Denn nur durch diese Auslegung kann umfassender Rechtsschutz gewährt werden.
32d) Eine Auslegung der Klageschrift dahingehend, dass (auch) die A-Ltd. und C Klage erhoben haben, war dagegen nicht geboten, da diese Klagen unzulässig gewesen wären. Denn da eine nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO klagebefugte Person vorhanden ist und weder die A-Ltd. noch C in ihrer Person die Voraussetzungen der § 48 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 FGO erfüllen, waren sie nicht klagebefugt.
33II. Die Klage ist zulässig, jedoch ganz überwiegend nicht begründet.
34Die Feststellungsbescheide 2008 bis 2010 vom 18.08.2014 sind bereits bestandskräftig, da nicht fristgerecht Einspruch erhoben wurde und eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist nicht in Betracht kommt. Rechtsfolge der eingetretenen Bestandskraft ist es, dass die Bescheide Bindungswirkung entfalten und vom Gericht nicht mehr überprüft werden können.
35Allerdings hätte der Beklagte mangels zulässigen Einspruchs nicht in der Sache entscheiden dürfen. Die Einspruchsentscheidung vom 19.09.2016 war deshalb aufzuheben.
361) Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die streitgegenständlichen Feststellungsbescheide 2008 bis 2010 vom 18.08.2014 galten gem. § 122 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO am 21.08.2014 (Donnerstag) als bekannt gegeben, mit der Folge, dass die einmonatige Einspruchsfrist gem. § 108 Abs. 1, Abs. 3 AO am Montag, dem 22.09.2014 endete. Dies ist nicht streitig.
372) Gem. § 357 Abs. 2 Satz 1 AO ist der Einspruch bei der Behörde anzubringen, deren Verwaltungsakt angefochten wird oder bei der ein Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts gestellt worden ist. Die schriftliche oder elektronische Anbringung bei einer anderen Behörde ist gem. § 357 Abs. 2 Satz 4 AO unschädlich, wenn der Einspruch vor Ablauf der Einspruchsfrist einer Behörde übermittelt wird, bei der er nach Satz 1 bis 3 der Vorschrift angebracht werden konnte.
38Die streitgegenständlichen Feststellungsbescheide wurden von dem Beklagten erlassen mit der Folge, dass der Einspruch bei dieser Behörde – d.h. dem Finanzamt Z – anzubringen war. Dort ist das Einspruchsschreiben jedoch erst am 29.09.2014 und damit nach Ablauf der Einspruchsfrist eingegangen.
393) Ob für die Beurteilung, ob eine fristwahrende Übermittlung i.S.d. § 357 Abs. 2 Satz 4 AO vorliegt, auf den Zeitpunkt der Vornahme der Übermittlungshandlung (Absenden durch das unzuständige Finanzamt) oder auf den Zeitpunkt des Eintritts des Übermittlungserfolges (Eingang beim zuständigen Finanzamt) abzustellen ist, wurde höchstrichterlich noch nicht entschieden. Die Frage kann im Streitfall offen bleiben, da auch die Übermittlungshandlung eindeutig erst nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgenommen wurde. Das Einspruchsschreiben wurde ausweislich des Begleitschreibens vom 25.09.2014 frühestens an diesem Tag - und damit drei Tage nach Ablauf der Einspruchsfrist - an den Beklagten abgesendet.
40Soweit die Kläger vortragen, die „Übermittlung“ hätte schon zu dem Zeitpunkt begonnen, als der Bedienstete der Poststelle des FA Y das Schreiben aus dem Faxgerät genommen habe, folgt ihm der Senat nicht. Die Kläger übersehen, dass die Mitarbeiter der Poststelle weder die fachliche Ausbildung noch die Befugnis besitzen, eingehende Schreiben eigenständig einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen. Ihre Aufgabe beschränkt sich vielmehr darauf, die eingehenden Schreiben an den zuständigen Sachbearbeiter weiterzuleiten, damit dieser die Post prüfen und bearbeiten kann. Der Sachbearbeiter hatte diese Prüfung – wie sich aus der Datierung des Begleitschreibens ergibt – jedoch erst am 25.09.2014 abgeschlossen.
414) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist liegen nicht vor.
42Nach § 110 Abs. 1 AO kann jemandem auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn er ohne Verschulden daran gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. "Ohne Verschulden" verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat; jedes Verschulden, also auch einfache Fahrlässigkeit, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH, Urteil vom 04.03.1998 – XI R 44/97, BFH/NV 1998, 1056). Der Antrag ist gem. § 110 Abs. 2 AO innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
43a) Dadurch, dass das Einspruchsschreiben den Beklagten tatsächlich erreicht hat, gilt die versäumte Handlung - d.h. die Einlegung des Einspruchs - zwar als nachgeholt. Jedoch trifft die Kläger ein Verschulden daran, dass das Einspruchsschreiben nicht schon innerhalb der Einspruchsfrist beim Beklagten eingegangen ist. Denn das Einspruchsschreiben wurde an eine falsche Faxnummer gesendet. Wieso es zu einer Verwechselung der Faxnummern gekommen ist (yyy statt zzz) ist nicht bekannt. Dies geht zu Lasten der Kläger, die die Feststellungslast dafür tragen, dass sie bzw. ihre Vertreter an der Versäumung der Einspruchsfrist kein Verschulden trifft. Der Umstand, dass der Verfasser des Einspruchsschreibens auf diesem Schreiben die falsche Faxnummer vermerkt hat, spricht dafür, dass dieser bei der Abfassung des Schreibens nicht die erforderliche Sorgfalt hat walten lassen. Bei der Übermittlung eines Schriftsatzes per Fax führt jeglicher Fehler zwingend dazu, dass das Schreiben das beabsichtigte Empfangsgerät nicht erreicht. Der Bestimmung und Kontrolle der richtigen Faxnummer kommt mithin eine erhebliche Bedeutung zu. Dies gilt in besonderem Maße, wenn - wie hier - ein fristwahrendes Schreiben erst am letzten Tag der Frist versendet wird. In einem derartigen Fall kann selbst ein bloßer Eingabefehler am Faxgerät („Vertippen“) dazu führen, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Verschuldens zu versagen ist (so z.B. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16.06.2020 – L 11 R 3926/19, juris, zu § 67 Sozialgerichtsgesetz). Erst recht liegt ein zumindest leicht fahrlässiges Verhalten vor, wenn der Verfasser des Einspruchsschreibens auf dem fristwahrenden Schreiben eine falsche Faxnummer notiert. Denn bei einer ordnungsgemäßen Büroorganisation hätte ein solcher Fehler auffallen können und müssen.
44b) Entgegen der Auffassung der Kläger ist auch nicht deshalb Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist zu gewähren, weil das FA Y das Einspruchsschreiben nicht schon am 22.09.2014 an den Beklagten weitergeleitet hat.
45Zwar besteht für Behörden grundsätzlich die Verpflichtung, leicht und einwandfrei als fehlgeleitete fristwahrende Einspruchsschreiben erkennbare Schriftstücke im Zuge des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs ohne schuldhaftes Zögern an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Verantwortung dafür, dass das Schreiben den zutreffenden Empfänger rechtzeitig erreicht, auf die Behörde übergeht. Die Verantwortung für den rechtzeitigen Zugang liegt vielmehr weiterhin beim Absender, welcher mit der Benutzung einer falschen Adresse oder einer falschen Faxnummer die Ursache dafür gesetzt hat, dass das Schreiben überhaupt bei der falschen Behörde eingegangen ist. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen nicht rechtzeitiger Weiterleitung des Einspruchsschreibens ist deshalb lediglich im Falle willkürlichen, offenkundig nachlässigen und nachgewiesenen Fehlverhaltens der Behörde geboten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 02.09.2002 – 1 BvR 476/01, BStBl II 2002, 835). Grundvoraussetzung hierfür ist, dass das fristwahrende Schreiben so zeitig eingereicht worden ist, dass die fristgerechte Weiterleitung an den zuständigen Empfänger im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden konnte (BFH, Beschluss vom 15.01.2009 – XI B 99/08, BFH/NV 2009, 778).
46Im Streitfall ist dem FA Y keinerlei Fehlverhalten vorzuwerfen. Zwar konnte aufgrund der Adressierung des Einspruchsschreibens an das FA Z und der Verwendung einer Steuernummer dieses Finanzamts relativ einfach erkannt werden, dass es sich um einen Irrläufer handelte. Jedoch wurde das Einspruchsschreiben erst am letzten Tag der Einspruchsfrist versendet. In einem solchen Fall kann eine fristgerechte Weiterleitung gerade nicht „ohne weiteres“ erwartet werden. Denn eine Behörde ist nicht verpflichtet, jedes Schriftstück noch am Eingangstag zu prüfen, zumal eine solche Prüfung aufgrund der Vielzahl eingehender Schreiben in der Regel auch gar nicht möglich wäre. Vielmehr besteht eine Verpflichtung zur Weiterleitung von Irrläufern wie dargestellt nur im Zuge des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs. Danach ist für Post, die erst nach dem morgendlichen Postabtrag eingeht, frühestens eine Bearbeitung am nächsten Tag zu erwarten. Insoweit ist im Streitfall auch zu beachten, dass das Einspruchsschreiben keinerlei Hinweise wie z.B. „Eilt!“ oder „Bitte sofort vorlegen!“ enthielt, die erkennen ließen, dass eine Entscheidung noch am gleichen Tag erforderlich war. Die Nichtbearbeitung des Irrläufers schon am 22.09.2014 war mithin nicht einmal schuldhaft, geschweige denn - wie für eine Wiedereinsetzung erforderlich - willkürlich oder offenkundig nachlässig.
47Ob die Weiterleitungshandlung im Streitfall auch schon am 23. oder 24.09.2014 hätte erfolgen können und müssen und ob sie per Briefpost vorgenommen werden durfte oder per Fax hätte erfolgen müssen, kann dahinstehen. Denn entscheidend ist allein, dass die Ursache dafür, dass das Einspruchsschreiben den Beklagten nicht schon am 22.09.2014 erreicht hat, nicht dem FA Y anzulasten ist.
48III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wurde nicht zugelassen, da ein Zulassungsgrund i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO nicht vorlag.
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