Urteil vom Finanzgericht Hamburg (6. Senat) - 6 K 14/14

Tatbestand

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Zwischen den Beteiligten ist die Festsetzung für Kindergeld für die beiden Kinder des Klägers A, geboren am ... 20... und B, geboren am ... 20..., streitig.

2

Der Kläger ist tunesischer Staatsangehöriger und lebt seit ... 19... in Deutschland. Seit ...19... bezieht er eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 343,56 Euro (ab 01.07.2013). Die beiden Kinder leben bei der Kindesmutter in Tunesien in C.

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Den Antrag des Klägers auf Festsetzung von Kindergeld vom 20.07.2007 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.02.2008 ab.

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Der Kläger beantragte am 27.06.2013 erneut Kindergeld für seine beiden Kinder. Er legte dabei eine Heiratsurkunde vor, wonach er seit ... 19... mit der Mutter der Kinder verheiratet ist.

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Mit Bescheid vom 17.07.2013 lehnte die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für die beiden Kinder ab, da die Kinder ihren Wohnsitz in Tunesien hätten und der Kläger weder arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt sei noch Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch III (SGB III; zum Beispiel Arbeitslosengeld I oder Krankengeld) beziehe und somit die Voraussetzungen für die Kindergeldfestsetzung auch nach den deutsch-tunesischen Kindergeldabkommen nicht vorlägen.

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Der Kläger legte am 21.10.2013 an Amtsstelle Einspruch dagegen ein und führte dazu aus, die Ablehnung verstoße gegen das Gleichbehandlungsgesetz. Die Erwerbsunfähigkeitsrente sei eine vergleichbare Leistung. Er habe den Bescheid, mit dem sein Antrag abgelehnt worden sei, erst am 14.10.2013 erhalten.

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Mit Einspruchsentscheidung vom 20.01.2014 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

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Hiergegen erhob der Kläger zu Protokoll der Geschäftsstelle am 24.01.2014 Klage mit dem Ziel der Festsetzung von Kindergeld für seine beiden Kinder.

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Zur Begründung führt er aus, die Ablehnung verstoße gegen das deutsch-tunesische Abkommen über soziale Sicherheit. Dort seien als begünstigte Leistungen genannt unter anderem das Krankengeld und vergleichbare Leistungen. Hierzu gehöre auch die Erwerbsunfähigkeitsrente. Er beantrage, den tunesischen Sozialattaché zu hören, der bekunden würde, dass das deutsch-tunesische Kindergeldabkommen kein Vertragsbestandteil des deutschen Einkommensteuergesetzes oder des deutschen Bundeskindergeldgesetzes sei und ferner, dass das Abkommen sich auch auf diejenigen beziehe, die Grundsicherung, Erwerbsunfähigkeitsrente, Altersrente etc. beziehen würden und die ohne Zweifel einen Anspruch auf Kindergeld hätten. Die Auslegung durch die Beklagte stelle eine Verfälschung des Inhalts des deutsch-tunesischen Kindergeldabkommens dar.

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Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Ablehnungsbescheides vom 17.07.2013 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 20.01.2014 die Beklagte zu verpflichten, für den Kläger Kindergeld für seine beiden Kinder festzusetzen.

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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Sie hält die Klage für unbegründet und verweist wegen der Rechtslage auf das deutsch-tunesische Abkommen über Kindergeld vom 20.09.1991 (BGBl. II 1995, 642).

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Mit Beschluss vom 27.05.2014 wurde der Rechtsstreit der Einzelrichterin gemäß § 6 Finanzgerichtsordnung (FGO) übertragen. Für den weiteren Sachstand wird auf den Inhalt des Protokolls über den Erörterungstermin vom 23.05.2014 (Blatt 31, 32 Gerichtsakte - GA) und über die mündliche Verhandlung vom 24.07.2014 (Blatt 46 ff. GA) verwiesen.

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Die Kindergeldakte Nr. ... hat vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Die Entscheidung ergeht durch die Einzelrichterin, nachdem der Rechtsstreit auf sie übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 FGO).

16

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

17

Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 17.07.2013 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 20.01.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

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1.) Ein Anspruch auf Kindergeld gemäß § 62 Einkommensteuergesetz (EStG) besteht nicht, weil nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG Kinder nicht berücksichtigt werden, die weder im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und die nicht im Haushalt eines Berechtigten i. S. v. § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG leben.

19

Die Kinder des Klägers leben in Tunesien bei ihrer Mutter und erfüllen deshalb nicht die oben genannten Voraussetzungen. Im Fall des Klägers liegen auch die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 2 a i. V. m. § 1 Abs. 2 EStG nicht vor, weil der Kläger zum einen nicht deutscher Staatsangehöriger ist, zudem seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und nicht ersichtlich ist, dass er zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis steht und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse bezieht oder bezogen hat.

20

2.) Ebenfalls sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Kindergeld vom 20.09.1991, in Kraft getreten am 01.08.1996 (BGBl. II 1996, 2522) nicht erfüllt. Nach Artikel 7 Abs. 1 Satz 1 dieses Abkommens hat ein Arbeitnehmer, der wie der Kläger nach Artikel 5 Abs. 1 des Abkommens während seiner Beschäftigung den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates - hier der Bundesrepublik Deutschland - unterlegen hat, auch Anspruch auf Kindergeld für Kinder, die sich gewöhnlich im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates - hier Tunesien - aufhalten, sofern er für diese unterhaltspflichtig ist. Nach Artikel 7 Abs. 1 Satz 2 des Abkommens stehen einer Beschäftigung Zeiten gleich, in denen der Arbeitnehmer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses Geldleistungen der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Leistungen der Arbeitslosenversicherung erhält und sich gewöhnlich im Hoheitsgebiet des ersten Vertragsstaates aufhält.

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a) Ein Anspruch auf Kindergeld kommt danach nicht in Betracht, weil der Kläger für den Zeitraum ab Antragstellung eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen hat. Bei der Erwerbsunfähigkeitsrente handelt es sich nicht um eine Leistung der Arbeitslosenversicherung. Nach dem Wortlaut von Artikel 7 des deutsch-tunesischen Abkommens ist der Kindergeldanspruch ausdrücklich auf Geldleistungen der Krankenversicherung oder Leistungen der Arbeitslosenversicherung beschränkt. Für eine Ausdehnung des Abkommens auch auf Geldleistungen von Rentenversicherungen sind keine Anhaltspunkte vorhanden. Angesichts dessen ist es unerheblich, dass das vom Kläger angeführte Informationsblatt über Kindergeld für tunesische Arbeitnehmer "Arbeitslosengeld, Krankengeld oder vergleichbare Leistungen" anführt. Selbst wenn damit der Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente gemeint sein sollte, wäre der Inhalt des Informationsschreibens für das Gericht nicht bindend und angesichts der eindeutigen Regelung im deutsch-tunesischen Abkommen auch nicht anzuwenden.

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b) Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen das Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Tunesischen Republik vom 26.09.1978 (ABL.EG 1978 Nr. L 265/1) vor. Nach Artikel 40 Abs. 1 dieses Abkommens wird den Arbeitnehmern tunesischer Staatsangehörigkeit und den mit ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit eine Behandlung gewährt, die keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten, in denen sie beschäftigt sind, bewirkt (vgl. FG Köln Urteil vom 21.05.2001, 15 K 9458/98, EFG 2001, 1152 ff.). Durch die Nichtgewährung von Kindergeld im Streitfall wird gegen die oben genannte Regelung nicht verstoßen, weil auch deutschen Staatsangehörigen, deren Kinder in Tunesien leben, kein Kindergeld nach den Vorschriften des EStG gewährt wird und die Nichtgewährung von Kindergeld im Fall der Klägers mithin nicht auf der Staatsangehörigkeit des Klägers beruht, sondern vielmehr auf dem - auch für deutsche Staatsangehörige kindergeldschädlichen - Aufenthalt in Tunesien.

23

c) Auch nach den Vorschriften der EG-Verordnungen (EG-VO 1408/71 und 883/2004) kommt eine Kindergeldgewährung nicht in Betracht, weil der Kläger nicht in deren persönlichen Anwendungsbereich fällt. Danach sind diese Verordnungen nur für Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der EU oder für Staatenlose oder Flüchtlinge, die im Gebiet eines Mitgliedsstaates wohnen sowie auf Staatsangehörige der EWR-Vertragsstaaten anwendbar. Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor. Der Anwendungsbereich dieser Verordnungen wird auch nicht durch das Kooperationsabkommen (siehe oben I 2. b) auf Tunesien erweitert, denn das Abkommen beinhaltet in Artikel 40 eigenständige Regelungen zur Behandlung von Arbeitnehmern auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und enthält im Übrigen auch keinen Hinweis auf die Anwendbarkeit der damals bereits geltenden EG-Verordnung 1408/71.

24

d) Die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung verstößt auch nicht gegen den vom Kläger angeführten allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil auch ein deutscher Staatsangehöriger, dessen Kinder in Tunesien leben, wie oben unter I 2. b) ausgeführt, keinen Anspruch auf Kindergeld hätte.

25

e) Eine Anhörung eines vom Kläger aufgeführten Vertreters des Bundesministeriums für Arbeit sowie des Sozialattachés der Tunesischen Botschaft konnte unterbleiben, weil der Wortlaut des deutsch-tunesischen Abkommens über Kindergeld insoweit eindeutig ist und im Übrigen die Auslegung der gesetzlichen Regelungen, für die hier jedoch kein Raum ist, dem Gericht übertragen bleibt.

26

f) Im Übrigen wird der Kläger darauf hingewiesen, dass selbst im Falle einer Kindergeldfestsetzung kein Anspruch auf volles Kindergeld in Höhe von derzeit 184 Euro bestehen würde sondern gemäß Artikel 7 Abs. 3 des deutsch-tunesischen Abkommens über Kindergeld für das erste Kind monatlich 5,11 Euro und für das zweite Kind 12,78 Euro pro Monat gezahlt werden würde.

II.

27

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

III.

28

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür gemäß § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

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