Gerichtsbescheid vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 18/17

Tatbestand

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Mit Tabaksteuerbescheid vom 27.02.2013 nahm das beklagte Hauptzollamt den Kläger auf Zahlung von Tabaksteuer in Höhe von 68.800,- Euro in Anspruch mit der Begründung, der Kläger habe nach den Ermittlungen der Zollfahndungsämter A und B als Fahrer eines Sattelzuges am ...05.2008 im Bereich des Grenzüberganges C insgesamt 500.000 Stück unversteuerte Zigaretten ohne gültige Steuerzeichen in die Bundesrepublik Deutschland verbracht. Wegen dieser Steuerstraftat sei der Kläger bereits rechtskräftig durch Strafbefehl des Amtsgerichts D vom ... 2012 wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden sei, verurteilt worden. Der Tabaksteuerbescheid enthält den Hinweis, dass die 26 Abnehmer der von ihm - dem Kläger - ins Steuergebiet verbrachten Zigaretten bereits in Anspruch genommen worden seien; insofern ergehe ihm gegenüber keine Zahlungsaufforderung.

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In seinem gegen den Tabaksteuerbescheid gerichteten Einspruch wandte der Kläger ein, er sei bereits durch den Strafbefehl zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Dass auf ihn eine zusätzliche finanzielle Strafe zukomme, sei in dem Urteil nicht erwähnt worden. Es könne nicht sein, dass er durch den Bescheid des beklagten Hauptzollamtes zum zweiten Mal für dasselbe Vergehen betraft werde.

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Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch des Klägers mit Einspruchsentscheidung vom 13.01.2017 zurück. Es führte zur Begründung aus: Bereits bei Erlass des Tabaksteuerbescheids habe eine wirksame Entrichtung der Tabaksteuer durch die weiteren Gesamtschuldner stattgefunden, so dass die Steuerschuld erloschen sei; eine Zahlungsverpflichtung des Klägers bestehe nicht. Damit fehle dem Kläger das auch für einen Einspruch erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

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Am 09.02.2017 ist bei Gericht ein Schreiben des Klägers in polnischer Sprache eingegangen. In diesem Schreiben heißt es ausweislich der vom Gericht eingeholten Übersetzung: Gegen den Beschluss vom 13.01.2017 lege er eine Berufung ein. Da er der deutschen Sprache nicht mächtig sei, sei der Text für ihn völlig unverständlich. Er bitte, diesen Text in einer für ihn verständlichen Sprache zu übersenden. Er bitte erneut, diese Angelegenheit zu prüfen und den Betrag zu entschulden.

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In einem weiteren Schreiben des Klägers, das ebenfalls in polnischer Sprache verfasst ist, heißt es ausweislich der vom Gericht eingeholten Übersetzung u. a.: Er habe eine Familie zu versorgen, er arbeite als Kraftfahrer und sei unvermögend. Er wisse nicht, mit welchen Gründen er ein Gesuch einbringen solle, um eine Entschuldung zu begründen.

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Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

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Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Es bezieht sich auf die Gründe der Einspruchsentscheidung.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakte des beklagten Hauptzollamtes verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Der Senat entscheidet gemäß § 90a Abs. 1 ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid.

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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, jedoch unbegründet.

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Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger innerhalb der Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO lediglich einen in polnischer Sprache verfassten Schriftsatz eingereicht hat. In § 184 Satz 1 GVG ist zwar bestimmt, dass die Gerichtsprache deutsch ist. Aus dieser Regelung wird gefolgert, dass ein in nicht deutscher Sprache abgefasster Schriftsatz keine Rechtswirkung erzeuge; eine Klageschrift, die in einer fremden Sprache abgefasst sei, sei nicht rechtserheblich und damit nicht fristwahrend (vgl. Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 52 Rz. 39; Brandis, in: Tipke/Kruse, § 52 FGO Rz. 27; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.04.2001, L 7 U 4894/99, juris; Bayerisches OLG, Beschluss vom 19.12.2003, 1Z BR 42/03, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 06.06.2013, 1 Ws 311/13, juris; VG München, Gerichtsbescheid vom 16.03.2012, M 16 K 11.30885, juris). Der erkennende Senat hält indes dafür, dass der Kläger im Streitfall, obgleich er innerhalb der Klagefrist lediglich einen nicht in deutscher Sprache verfassten Schriftsatz eingereicht hat, wirksam Klage erhoben hat. Ob sich die fristwahrende Klageerhebung bereits aus dem Gesichtspunkt ergibt, dass der Kläger innerhalb der Klagefrist einen in einer Amtssprache der Europäischen Union abgefassten Klageschriftsatz eingereicht hat (vgl. hierzu FG des Saarlandes, Urteil vom 30.09.1988, 2 K 174/87, EFG 1989, 28), lässt der Senat ausdrücklich dahinstehen. Die wirksame und auch fristwahrende Klageerhebung folgt vielmehr daraus, dass der Senat von Amts wegen eine Übersetzung des innerhalb der Frist des § 47 Abs. 1 FGO eingegangenen und in polnischer Sprache verfassten Schriftsatzes veranlasst hat, die übrigens noch innerhalb der Klagefrist eingegangen ist.

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Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem Beschluss vom 10.06.1975 (2 BvR 1074/74, BVerfGE 40, 95 ff.) betont, dass der in der Bundesrepublik Deutschland lebende Ausländer in Verfahren vor Gerichten der Bundesrepublik Deutschland die gleichen prozessualen Grundrechte sowie den gleichen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren und auf umfassenden und effektiven Rechtsschutz wie jeder Deutscher hat (Rz. 10). Dies muss in gleicher Weise in Bezug auf Ausländer gelten, die nicht in der Bundesrepublik Deutschland leben, aber mit deutschen Behörden - sei es auf strafrechtlichem Gebiet oder, wie hier, in steuerrechtlicher Hinsicht - in Berührung gekommen sind. Die auch für diese Personengruppe geltende Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens in Art. 20 Abs. 3 GG, das in Art. 3 Abs. 3 GG verankerte Benachteiligungsverbot wegen der Sprache und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG zwingen daher zu einer verfassungskonformen Auslegung und Handhabung des § 184 Satz 1 GVG. Mit Blick auf diese Gewährleistungen, die nicht nur formal das Recht begründen, den Rechtsweg zu den Gerichten zu beschreiten, sondern auch auf Effektivität angelegt sind und damit auch ausländischen Klägern eine tatsächliche gerichtliche Überprüfung der sie betreffenden Steuer- und Abgabenbescheide eröffnen, hat sich der erkennende Senat im Streitfall veranlasst gesehen, von Amts wegen eine Übersetzung des in polnischer Sprache verfassten Schriftsatzes des Klägers einzuholen. Diesem Verständnis des Senats steht der Sinn und Zweck des § 184 GVG nicht entgegen. Die Vorschrift des § 184 GVG will nämlich zum einen gewährleisten, dass im Geltungsbereich des Grundgesetzes die deutsche Sprache das einzige offizielle Verständigungsmittel ist; zum anderen will sie sicherstellen, dass deutschen Staatsbürgern vor deutschen Gerichten keine fremden Sprachen aufgezwungen werden (vgl. Schoenfeld, in: Beermann/Gosch, § 52 FGO Rz. 89). Es würde eine mit Blick auf die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu rechtfertigende Formalie bedeuten, den Kläger entweder zu einer Übersetzung seiner Klageschrift nebst Unterschrift oder zur Unterschrift der vom Senat veranlassten Übersetzung aufzufordern und ihm sodann - der des deutschen Prozessrechts nicht kundige und der deutschen Sprache nicht mächtige Kläger hätte die Klagefrist unverschuldet versäumt - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, zumal die Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens auch erfordern dürfte, diese gerichtlichen Schreiben bzw. Verfügungen dem Kläger in eine ihm verständliche Sprache zu übersetzen.

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Die Klage hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz1 FGO).

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Rechtsgrundlage für den vom Kläger angefochtenen Steuerbescheid ist die Vorschrift des § 19 Tabaksteuergesetz in der Fassung vom 12.07.1996 (BGBl. I S. 962; im Folgenden: TabStG). Danach entsteht die Tabaksteuer, werden Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht, mit dem Verbringen in das Steuergebiet (Satz 1). Steuerschuldner ist u. a. der Verbringer (Satz 2). Dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall erfüllt sind, bedarf keiner näheren Erklärung. Der Kläger, der im Übrigen zwischenzeitlich vom Amtsgericht D wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt worden ist, stellt selbst nicht in Abrede, die hier streitgegenständlichen 500.000 Stück unversteuerter Zigaretten unzulässigerweise ins Steuergebiet verbracht zu haben. Als Verbringer der Zigaretten ist der Kläger auch Steuerschuldner.

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Im Hinblick auf den Einwand des Klägers, es könne nicht angehen, dass er durch den Tabaksteuerbescheid des beklagten Hauptzollamtes ein zweites Mal betraft werde, merkt der erkennende Senat lediglich an: Das Urteil des Amtsgerichts D betrifft lediglich das sog. Steuerstrafverfahren, das - wie der Kläger zutreffend bemerkt - zwischenzeitlich rechtskräftig abgeschlossen ist. Vom Steuerstrafverfahren strikt zu unterscheiden ist das sog. Besteuerungsverfahren, in dem es nicht um die Verurteilung zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe geht. Im Besteuerungsverfahren wird vielmehr allein geprüft, ob durch die Verwirklichung eines bestimmten Sachverhalts eine Steuer entstanden ist. Letzteres ist bzw. war hier der Fall, weil der Kläger 500.000 Stück Zigaretten ohne die Verwendung von gültigen deutschen Steuerzeichen in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland verbracht - d. h. befördert - hat. Die Verwirklichung dieses rein steuerrechtlichen Sachverhalts stellt keinen Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung (sog. Grundsatz "ne bis in idem", vgl. Art. 103 Abs. 3 GG) dar.

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Zur Klarstellung weist der Senat zudem darauf hin, dass die Tabaksteuerschuld aus dem Tabaksteuerbescheid vom 27.02.2013 zwischenzeitlich gemäß § 47 AO erloschen ist, weil die Abnehmer der Zigaretten, die als Gesamtschuldner ebenfalls in Anspruch genommen wurden, die Tabaksteuer entrichtet haben. Mit anderen Worten: Das beklagte Hauptzollamt kann und darf den Kläger aus dem Tabaksteuerbescheid vom 27.02.2013 nicht mehr auf Zahlung von Tabaksteuer über 68.000,- Euro in Anspruch nehmen. Ob und inwieweit die Abnehmer der Zigaretten vom Kläger einen Gesamtschuldnerausgleich verlangen können, hat der Senat nicht zu entscheiden.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.

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